Die Situation und der Umgang mit Geflüchteten ist in Deutschland und in der Türkei aktuell grundverschieden, stellten etliche der Diskussionsteilnehmer_innen dar. Die Türkei hat mit 79 Millionen Einwohner_innen fast 2 Millionen Geflüchtete vor allem aus Syrien aufgenommen, Deutschland mit 81 Millionen Einwohner_innen bisher 800.000 Geflüchtete. Während in Deutschland die Asylpolitik stark reglementiert und durchorganisiert ist und auch zahlreiche Repressionen, aber auch Angebote für die Geflüchteten bereithält, ist die Türkei ein Land, das bisher historisch selten damit konfrontiert war, dass Geflüchtete auch bleiben wollten – und so gibt es so gut wie keine gesetzlichen Regelungen. Daraus entstehen unterschiedliche Problemlagen: Während etwa in deutschen Diskursen eher Beschwerden dahin gehen, die Geflüchteten lägen ja dem Steuerzahler auf der Tasche, weil sie auf Staatskosten untergebracht sind und nicht arbeiten (was sie nicht dürfen), dürfen und müssen Geflüchtete in der Türkei vom ersten Tag an für ihren Lebensunterhalt arbeiten und tun dies aus Mangel an Möglichkeiten oft zu Billigstlöhnen, so dass türkische Arbeitnehmer_innen sie als reale Gefahr für die eigene geschäftliche Existenz erleben. Gleichzeitig wird politisch mit einer „Gast“-Rhetorik operiert, die für deutsche Ohren vertraut klingt: Als „Gäste“ sollen die Syrer und Syrerinnen freundlich aufgenommen werden – aber auch bitte wieder gehen. Als „Gastarbeiter“ gab es diesen Diskurs in den sechziger Jahren in Deutschland.
Flucht ist in der Türkei sehr sichtbar
Auch die konkrete Situation der Flucht ist in der Türkei allgegenwärtiger als in Deutschland: Rund 3.000 Kilometer lang ist die Küstenlinie der Türkei, eine unkontrollierbare Fläche, so dass immer wieder Geflüchtete versuchen, mit Booten nach Griechenland überzusetzen. Wenn die Polizei eine solche Abfahrtsstelle identifiziert und schließt, wandert der Tross aus Schleppern und Geflüchteten an eine andere Stelle weiter. Nur wird es damit immer gefährlicher, denn die einfachsten Orte fürs Übersetzen waren natürlich die ersten, die gewählt wurden. „Und die flüchtenden Menschen kommen aus Regionen ohne Meer, haben keine Erfahrung mit Wasser – zum Teil meinen sie sogar, die neun Seemeilen nach Chios schwimmen zu können, für die die Schlauchboote drei Stunden brauchen“, erzählt ein Pressefotograf Ümit Bekta?, „sie unterschätzen die Gefahren, werden zudem von gewissenlosen Schleppern zu den gefährlichen Überfahrten in überfüllten Booten getrieben – und wir stehen daneben. Und dokumentieren.“
Wie gehen die Medien mit dem Thema Geflüchtete um?
Abnehmer dieser Fotos, die oft Empathie und Mitgefühl für das Schicksal der Flüchtlinge ermöglichen, sind allerdings vor allem internationale Nachrichtenagenturen – in der Türkei hat die Berichterstattung über Geflüchtete oft einen anderen Tenor. Grundsätzlich, berichtet etwa der türkischer Medienrechtswissenschaftler Dr. Ula? Karan, kommen Minderheiten in den türkischen Medien nicht als Akteure vor, denn rassistische, antisemitische oder homophobe Vorurteile gibt es in den Redaktionen genauso wie in der Gesellschaft. Am Thema der Geflüchteten kommt die Berichterstattung allerdings nicht vorbei – und konzentriert sich auf reißerisch aufgemachte Meldungen über Kriminalität und Gewalt, die Vorurteile eher schüren. Der Stil erinnert an Hetze, wie deutsche Leser_innen sie eher aus Sozialen Netzwerken kennen, nicht aus Massenmedien, die sich zumindest journalistischen Standards verschrieben haben.
Große Redaktionen haben in der Türkei Ombudsleute, die sich um Beschwerden über Berichterstattung kümmern sollen – und oft nicht viel tun können. Ein Grundproblem vieler türkischer Medien ist nämlich, dass sie nicht bei Verlagen beheimatet sind, sondern in Konzernen, die sich in vielen Bereichen engagieren. Das schränkt die Pressefreiheit automatisch ein: Wer attraktive Grundstücke für Tourismusprojekte kaufen will, will in der Zeitung seines Konzerns nichts gegen die Stadtverordneten lesen, die sie vergeben. Wer im nationalen Ölgeschäft eine Rolle spielt, lässt seine Journalist_innen nicht allzu kritisch über die Regierung schreiben. Der Vorsitzender der Ombudsleute, Ibrahim Altay, forderte zumindest die Einhaltung journalistischer Standards: Bisher seien die Geflüchteten in den türkischen Medien unterrepräsentiert, vor allem ihre Perspektive auf die Ereignisse fehle durch Sprachbarrieren.
Wichtig: Ist die Politik für oder gegen Hass?
Es ist offenkundig, wie entscheidend das gesellschaftliche Umfeld für die Arbeit von Journalist_innen ist: Wenn die eigene Regierung den Hass zwischen Bevölkerungsgruppen schürt, Minderheiten marginalisiert und nicht zu Wort kommen lässt und sogar Journalist_innen bestraft, nur weil sie sich kritisch gegen die Regierung oder engagiert für Minderheiten äußern, findet sich der Hass schürende Berichterstattung auch in den Massenmedien – und die Schere im Kopf auch engagierter Journalist_innen ist immer aktiv. Andererseits schürt auch die Berichterstattung in deutschen Medien Vorurteile gegen Geflüchtete, wenn sie etwa vor allem als Problem und Kostenfaktor dargestellt werden. Die Türkei-Berichterstattung in deutschen Medien bestehe im Moment wenig differenziert vor allem aus Erdogan-Verurteilungen – die gute Arbeit vieler türkischer Flüchtlingshelfer_innen finde dagegen keine Erwähnung, analysiert der deutscher Medienwissenschaftler Kai Hafez.
Was Deutschland und die Türkei gemeinsam haben, sind die Neigungen etlicher Menschen zur Abwertung von als „anders“ Definierten, zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Die Hassgruppen sind dabei teilweise unterschiedlich, die Feindlichkeit gegen Geflüchtete allerdings in beiden Ländern aktuell dominierend. Interessant ist, wie willkürliche Vorurteile gewählt werden: Während Flüchtlings-„Kritiker“ in Deutschland bekanntlich vor allem „junge Männer “ als Problem für die Gesellschaft darstellen, hassen Rassist_innen in der Türkei vor allem „junge Frauen“ aus Syrien – ihnen wird nachgesagt, sie hätten eine zu lockere Sexualmoral und würden die türkische Gesellschaft und speziell türkische Männer „verderben“. Das sind natürlich dieselben jungen Frauen, die in Deutschland wegen ihres muslimischen Glaubens als Vorboten eines angeblichen „Islamismus“ wahrgenommen werden, der mit freiheitlichen westlichen Idealen nicht vereinbar sei.
Soziale Netzwerke als Verteilungssysteme für Hass
Im Social Media-Bereich werden Vorurteile dann zu Hassrede mit Aufrufen nach Gewalt und Aktion. Während in Deutschland Politik und Internetunternehmen etwa in der „Task Force“ des Justizministeriums gemeinsam nach einer Lösung im Umgang mit Hate Speech suchen, können türkische Demokrat_innen nur auf Facebook, Google & Co. hoffen – denn ihre eigene Regierung tut nichts gegen Hassrede, sondern befördert sie noch. Dementsprechend ist auch der juristische Umgang unterschiedlich: In Deutschland ist die Strafverfolgung in Sozialen Netzwerken bisher nur spärlich vorhanden, und wenn, sind es in der Regel Volksverhetzung und Gewaltaufrufe, die bestraft werden. Deutsche Politiker_innen müssen sich dagegen als Personen des öffentlichen Lebens in sozialen Netzwerken eine Menge Beleidigungen, Rassismus und Angriffe gefallen lassen, bevor Gerichte überhaupt einschreiten. Anders in der Türkei: Dort gibt es Strafverfolgung gegen Hassrede im Social Web – allerdings nur, wenn sie gegen Politiker_innen geht. In beiden Ländern funktionieren die Sozialen Netzwerke als niemals versiegende Vervielfältigungs- und Verteilungssysteme von Hass, besonders gegen Geflüchtete. Unklar ist die Frage nach der Wirkung für die journalistische Arbeit: In Deutschland wird Druck durch Soziale Netzwerke manchmal so groß, dass Massenmedien die Diskurse aufgreifen und sich von ihnen beeinflussen lassen – man denke an die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln, als viele Medien nach einem kurzen, journalistische korrekten Innehalten angesichts der unklaren Nachrichtenlage dann doch wider besseres Wissen und ohne ernsthafte Informationen über angebliche Nationalitäten von Tätern zu berichten begannen, weil es schon so viele Gerüchte in Sozialen Medien gab. In der Türkei dagegen ist der Hass bereits von vorneherein in den Medien präsent, und ein NGO- oder wissenschaftliches Monitoring von Hassrede in Soziale Netzwerken gibt es bisher nicht. Eine belastbare Analyse zur Wichtigkeit von Social Media in der Gesellschaft steht in beiden Ländern noch aus.
Gemeinsamkeiten beim Diskurs um die Medienethik ergeben sich vor allem aus der journalistischen Praxis. Dies zeigte besonders das Panel zur Bildberichterstattung. Alle Journalist_innen kennen etwa die Diskussionen, ob kraftvolle Bilder, die eine Situation gut bebildern, so wichtig sind, dass die Persönlichkeitsrechte der Abgebildeten hintenanstehen. Viele Fotojournalist_innen haben sich auch mit Forderungen von Redaktionen nach besonders spektakulären und gegebenenfalls auch grausamen Bildern konfrontiert gesehen, die der oder die Fotograf_in eigentlich nicht veröffentlichen möchte. Hier wird die Ethik dann persönlich: Diese Entscheidung muss jede_r für sich allein treffen. Der intensive und engagierte Austausch zur Medienethik auf dem deutsch-türkischen Medienseminar hat mutmaßlich alle Teilnehmenden inspiriert, in der Praxis noch aufmerksamer hinzusehen.