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Berlin 2018 Die Hauptstadt als Brennglas

Am 03. Oktober 2018 protestieren Anwohner*innen gegen die "Wir für Deutschland"-Demonstration.

 

Die klassischen rechtsextremen Akteur*innen schafften es im Jahr 2018 nicht, den eigenen Verfall aufzuhalten, und auch neue rechtsextreme oder rechtspopulistische Gruppierungen konnten in der Stadt nicht weiter Fuß fassen. Allerdings wird Berlin zu bestimmten Anlässen vermehrt von Rechtsextremen von außerhalb aufgesucht.

Gleichzeitig wird die demokratische Zivilgesellschaft zunehmend in den sozialen Medien angegriffen, und das nicht nur, wenn es um die Deutung der deutschen Geschichte oder um die Vergabe öffentlicher Fördermittel geht. Vielmehr ist mittlerweile ein regelrechter „Kulturkampf von rechts“ in vollem Gang.

 

Traditioneller Rechtsextremismus und neue Unübersichtlichkeit

Zur rechtsextremen Angriffsserie in Neukölln gibt es nach wie vor keine Ermittlungserfolge (vgl. Berliner Morgenpost), der bisher letzte Angriff ereignete sich im  Mai 2018 . Damit zählt die MBR seit 2016 insgesamt 51 Angriffe, darunter 16 Brandanschläge. Entwarnung kann jedoch nicht gegeben werden, da eine Hausdurchsuchung im Zuge der Ermittlungen eine „Feindesliste“ zutage förderte, die belegt, dass Rechtsextreme trotz der großen öffentlichen Resonanz auf ihrer Taten  nach wie vor politische Gegner_innen im Visier haben. Einer der Verdächtigen im Zusammenhang mit den rechtsextremen Angriffen wurde bei einer AfD-Saalveranstaltung in Rudow im November 2018 vom Moderator als Beisitzer im Neuköllner Bezirksvorstand der Partei vorgestellt (liegt als Videomitschnitt vor). Betroffene der Anschläge forderten im Dezember eine Übernahme der Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft.

Traditionelle rechtsextreme Strukturen befinden sich insgesamt aber nach wie vor im Niedergang, vor allem die NPD. Öffentliche Wahrnehmbarkeit blieb der Partei in diesem Jahr weitestgehend verwehrt. Die noch Anfang des Jahres durchgeführten Kleinstkundgebungen sowie vereinzelte Veranstaltungen in der NPD-Bundeszentrale in Köpenick kamen spätestens Mitte des Jahres nahezu zum Erliegen. Nur durch ihre Beteiligung an der „Schutzzonen“-Kampagne, bei der „Streifengänge“ und „Bürgerwehren“ teils wirklich durchgeführt, teils nur inszeniert werden, erhielt die Berliner NPD punktuell mediale Aufmerksamkeit. Insgesamt wurde von 32 Aktionen berichtet, darin eingeschlossen jede zum „Streifgang“ (v)erklärte S-Bahnfahrt oder Flugblattverteilung mit zwei beteiligten Personen. Diese Aktionen stellen offenbar derzeit die einzige Möglichkeit für die NPD dar, mit geringem Aufwand den Anschein von Aktivität zu erwecken.  Die Berliner Struktur der rechtsextremen Partei „Der III. Weg“ ist, wie in den Vorjahren, kaum wahrnehmbar aktiv und war, abgesehen von vereinzelten Flyerverteilungen und Aufkleberaktionen, lediglich bei den Aufmärschen der Partei zu sehen, die außerhalb der Hauptstadt stattfanden.

Das mit Abstand größte Event der traditionellen Rechtsextremen in Berlin war auch in diesem Jahr der „Rudolf Heß Marsch“ mit rund 700 teilnehmenden Neonazis. Allerdings lässt die Veranstaltung nur wenig Rückschlüsse auf die Verfasstheit der Berliner Szene zu, da der Aufmarsch vor allem von auswärtigen Rechtsextremen organisiert wurde und daher eine starke bundesweite Beteiligung zu beobachten war. Die Mobilisierungskampagne, die wie schon im Vorjahr auch 2018 ausgerufen wurde, erfuhr aber in Berlin selbst, anders als noch 2017, wenig Resonanz. Es gab lediglich vereinzelte Plakatierungen (vgl. Pardok). Auch im kommenden Jahr muss allerdings mit einem erneuten Aufmarsch gerechnet werden.

Durch die Vielzahl an (Kleinst-) Gruppierungen zusätzlich zum traditionellen Rechtsextremismus muss weiterhin von einer „neuen Unübersichtlichkeit“ gesprochen werden. Bei der wöchentlichen Versammlung des Berliner Pegida-Ablegers „Bärgida“ herrscht mit weniger als 50 Teilnehmenden zahlenmäßig Stagnation. Zum Jahresende formierte sich „Bärgida“ als Partei mit dem Namen „Patrioten – die Grundgesetzschützer“, aber vermutlich ohne weitere Auswirkungen auf ihre Aktivitäten und somit auf die Außenwahrnehmung. Auch die Abspaltung „Hand in Hand“ spielte, mit zwei Kleinstveranstaltungen und der Teilnahme an Versammlungen im Bundesgebiet, eine kaum nennenswerte Rolle in der Szene.

Einziger Berliner Akteur im islam- und flüchtlingsfeindlichen rechtsextremen Spektrum mit zumindest einem Mobilisierungserfolg war die Gruppe „Wir für Deutschland“ (WfD). Zu ihrem Aufmarsch „Tag der Nation“ am 3. Oktober erschien eine vierstellige Anzahl von Teilnehmenden. Weit weniger erfolgreich waren eine Mobilisierung zu einer Spontandemonstration gegen den Migrationspakt, ein Aufmarsch zum 9. November sowie der Demomarathon „patriotische Frühjahrsoffensive“, der trotz bundesweiter Werbeauftritte eines der Hauptprotagonisten nur geringe Resonanz erfuhr. Dies führte im November zu der frustrierten Ankündigung von WfD, zukünftig bis auf den „Tag der Nation“ keine Versammlungen in Berlin mehr durchführen zu wollen.

Auch der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ gelingt es in Berlin zunehmend weniger, sich öffentlichkeitswirksam zu inszenieren. Waren es im Vorjahr noch 27 Aktionen, wurden 2018 nur noch 14 bekannt.  Anders als in den Vorjahren fand in diesem Sommer auch kein Aufmarsch in Berlin statt.

So waren es vor allem Protagonisten von außerhalb, die in der Hauptstadt Versammlungen mit einer nennenswerten Anzahl von Teilnehmenden durchführten. Berlin ist somit weiterhin ein attraktiver Aufmarschort für auswärtige Rechtsextreme und Rechtspopulist_innen.  Die Aktivistin Leyla Bilge führte in diesem Jahr drei flüchtlingsfeindliche Aufmärsche mit jeweils mehreren hundert Teilnehmenden durch. Eine gemeinsame Kundgebung von „Pegida Dresden“ mit dem flüchtlingsfeindlichen Verein „Zukunft Heimat“ im Dezember zog um die 1000 Teilnehmende an. Auch die „Biker für Deutschland“ oder „Pegida München“ wählten Berlin als Aufmarschort aus.

Die Berliner Zivilgesellschaft ist daher das ganze Jahr über mit wechselnden Protagonisten und einer hohen Frequenz von Aufmärschen konfrontiert, was tendenziell zur Ermüdung bei den zivilgesellschaftlichen Akteuren führen könnte. Dennoch sind mit „Die Vielen“, einem Zusammenschluss Berliner Theater, Kunst- und Kultureinrichtungen und ihrer Interessensverbände, sowie „Reclaim Clubculture“, einer Vereinigung verschiedener Institutionen des Berliner Nachtlebens, neue mobilisierungsstarke demokratische Akteure entstanden.

Zusätzlich zu den häufig wechselnden Protagonisten und zur hohen Frequenz von Aufmärschen kommt für die demokratisch Engagierten erschwerend hinzu, dass Rechtsextreme im Jahr 2018 zu einer neuen Strategie griffen, um den Protesten gegen ihre Aufmärsche aus dem Weg zu gehen: Zum Todestag des NS-Kriegsverbrechers Rudolf Heß wurden im Vorfeld sowohl im Bezirk Spandau als auch in Lichtenberg zwei neonazistische Aufmärsche angemeldet. Bis zuletzt wurde offengelassen, welche Anmeldung tatsächlich genutzt würde (vgl. mbr). Zeitgleich zum Start einer Gegendemonstration mit mehreren tausend Teilnehmenden in Spandau wurde bekannt, dass die Rechtsextremen auf ihre alternative Route ausweichen. Dieselbe Strategie war beim Aufmarsch der Gruppe „Wir für Deutschland“ am 3. Oktober 2018 zu beobachten (vgl. mbr). Auf diese Weise halten sich die Rechtsextremen die Möglichkeit offen, an dem Ort mit weniger Gegenprotest aufzumarschieren. Der Protest wird somit zwischen ortsgebundenen, häufig lebensälteren und flexibleren, meist jüngeren Akteuren gespalten und die Vielfalt der Stadtgesellschaft kommt auf diese Weise nicht zur Geltung.  Der Zivilgesellschaft ist es noch nicht gelungen, einen Umgang mit dieser neuen Strategie zu finden.

 

Rechte Kampagnen und Bedrohungen in den sozialen Medien

Aber nicht nur rechtsextreme Aufmärsche müssen im Auge behalten werden. Auch die Nutzung der sozialen Medien wird für Rechtsextreme und Rechtspopulist_innen immer wichtiger. Soziale Medien stellen einen direkten, niedrigschwelligen Zugang zu potenziellen Zielgruppen dar und ermöglichen eine schnelle und weitgehend ungehinderte Verbreitung der eigenen Inhalte. Zunehmend werden die sozialen Medien aber auch zum Schauplatz von Anfeindungen und Bedrohungen gegenüber Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren, etwas indem persönliche Daten ausgeforscht und für die gezielte Bedrohung genutzt werden. Mitunter wird gegen Personen oder Initiativen nicht nur im Netz, sondern auch direkt vorgegangen, z.B. im Wohn- oder Arbeitsumfeld. Diese Situation führte im Jahr 2018 zu zahlreichen Beratungsanfragen an die MBR.

 

„Kulturkampf von rechts“

Relativ neu in den Fokus eines regelrechten Kulturkampfes von rechts sind Theater, Ausstellungsflächen und Veranstaltungsorte gerückt. Ihre Arbeit wird dabei häufig grundlegend in Frage gestellt, denn rechtspopulistische und rechtsextreme Akteure haben in der Kulturpolitik ein wichtiges Feld der Auseinandersetzung erkannt. Ihre politischen Angriffe richten sich gegen ein liberales, pluralistisches und offenes Kulturverständnis und reichen von parlamentarischen Anfragen bis hin zu Versuchen, unliebsamen Kulturinstitutionen die Fördermittel zu streichen. Aus diesem Grund haben sich zahlreiche Künstler_innen und Kulturschaffende in einer gemeinsamen Erklärung öffentlich gegen diese Anfeindungen positioniert (vgl. Tagesspiegel). Die Störung einer Podiumsveranstaltung im Rahmen der „Berlinale“ im Tipi am Kanzleramt im Februar10 sowie  einer Aufführung am Deutschen Theater im Juni 201811 durch die „Identitäre Bewegung“ haben zudem gezeigt , dass dem Schutz der eigenen Veranstaltungen und Räume gegen solche Aktionen nach wie vor große Bedeutung zukommt.

 

Provokationen gegen das Gedenken an den Nationalsozialismus

Vor ähnlichen Herausforderungen wie die Kulturbetriebe stehen auch Gedenkstätten und Museen, vor allem Einrichtungen, die zur Geschichte der Verbrechen des Nationalsozialismus arbeiten. Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) fordert mit ihren Positionen den geschichtspolitischen Konsens in der Bundesrepublik offen heraus. Im Rahmen einer Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestages der antisemitischen Novemberpogrome etwa fiel ein fraktionsloses AfD-Mitglied aus dem Abgeordnetenhaus auf, das an seinem Revers eine blaue Kornblume trug – u.a. Erkennungszeichen der in Österreich verbotenen NSDAP vor 1938 (vgl. Stuttgarter Zeitung). Im Juli 2018 hatten Mitglieder einer Besuchergruppe, die während ihrer Berlin-Reise auf Einladung von Alice Weidel auch die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen besuchte, geschichtsrevisionistische Äußerungen getätigt. Nachdem die Existenz von Gaskammern angezweifelt worden war, hatte der Gedenkstättenmitarbeiter die Führung vorzeitig abgebrochen (vgl. Tagesspiegel). Solche Vorfälle führten dazu, dass verschiedene Einrichtungen der historisch-politischen Bildungsarbeit verstärkt Bedarf nach Beratung zum Umgang mit bestimmten Äußerungen sowie generell mit rechtspopulistischen Besucher_innengruppen anmeldeten.

 

„Neutralität“ als Kampfbegriff

Schon Anfang des Jahres beschrieb die MBR die Diffamierung von zivilgesellschaftlichem Engagement als eine rechtspopulistische Strategie, deren Kern die pauschale Delegitimierung demokratischen Engagements gegen Rechtsextremismus und Rassismus ist. Im Laufe des Jahres wurde diese Strategie professioneller. Sie richtete sich nicht nur gegen so genannte Demokratieprojekte, sondern auch gegen engagierte Jugendeinrichtungen und Träger der sozialen Arbeit. In öffentlichen Vorstößen drängte die AfD darauf, dass das Gebot der Gleichbehandlung von Parteien durch die staatliche Verwaltung in Form einer angeblichen Neutralitätsverpflichtung auch auf die Arbeit öffentlich geförderter zivilgesellschaftlicher Projekte angewandt wird. Für viele Projekte resultierte daraus eine Unsicherheit darüber, in welcher Form sie sich überhaupt gesellschaftspolitisch äußern und positionieren dürfen. Im Oktober 2018 hat die AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus öffentlichkeitswirksam ein Internetportal freigeschaltet, über das Verstöße von Lehrkräften gegen das von der AfD behauptete „Neutralitätsgebot“ an Schulen gemeldet werden sollen. Die AfD beruft sich dabei auf den „Beutelsbacher Konsens“, verkennt aber, dass nach übereinstimmender Interpretation von Wissenschaft und Politik diese Vereinbarung zur politischen Bildung explizit keine Wertneutralität gegenüber Menschenrechten und Grundgesetz beinhaltet (vgl. ZEIT). Es ergibt sich im Gegenteil etwa aus dem Berliner Schulgesetz ein klarer Auftrag für Lehrkräfte, sich demokratisch, d.h. gegen Rassismus, Diskriminierung und Ideologien der Ungleichwertigkeit, zu positionieren.

 

Die Berliner AfD nach zwei Jahren Gremienarbeit

Die AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus ist nach rechten Eskapaden auch in diesem Jahr geschrumpft: Neben Kay Nerstheimer und Andreas Wild sitzt seit November mit Jessica Bießmann mittlerweile ein drittes AfD-Mitglieder als Fraktionslose im Berliner Landesparlament. Der parteiinterne Konflikt zwischen den beiden Strömungen „Der Flügel“ und der „Alternativen Mitte“ wird mittlerweile auch im Berliner Verband stärker sichtbar, der sich nach außen ansonsten gemäßigt gibt. So formierten sich Anfang April auf einer Veranstaltung, bei der auch bekannte AfD-Rechtsausleger wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz sprachen, die „Berliner Freunde des Flügels“. Zudem fallen einige Berliner AfD-Politiker regelmäßig durch die Teilnahme an rechtsextremen Veranstaltungen auf, und auch bei der Parteijugend „Junge Alternative“  ist die Abgrenzung zur „Identitären Bewegung“ weiterhin mehr als inkonsequent (vgl. Tagesspiegel).

Zugleich ist in der Kommunal- und Landespolitik eine Professionalisierung und bessere Abstimmung zu beobachten, etwa, wenn Anträge bezirksübergreifend und in Abstimmung mit der Abgeordnetenhausfraktion gestellt werden. Vermutlich wird die AfD ihre Arbeitsweise weiter professionalisieren und die Kompetenzen, die durch die Präsenz in verschiedenen Gremien und Institutionen entstehen, zu nutzen wissen.

Der Rechtsruck der Gesellschaft ist in dem zu Ende gehenden Jahr verstärkt in gesellschaftlichen Bereichen angekommen, die bisher wenig mit direkten Herausforderungen ihrer Arbeit durch Rechtsextremismus und Rechtspopulismus konfrontiert waren. Gleichzeitig haben erfreulich viele Akteure dies zum Anlass genommen, sich deutlicher als bisher zu positionieren, sich zu vernetzen und ihr demokratisches und antirassistisches Profil zu schärfen. Auch die zivilgesellschaftlichen Gegenbewegungen haben an Breite gewonnen. 

 

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