Der ambitionierte Traum einer massenmobilisierenden Großdemo platzte schon frühzeitig: Am Samstag will eine wirre Mischung aus Rechtsextremen, Impfgegner*innen, Verschwörungsideolog*innen und Esoteriker*innen für ein Ende der Pandemie auf die Straße gehen. Ein „Tag der Freiheit“ soll das sein – aber auch eine Fortsetzung der in den vergangenen Wochen abgeflauten „Hygiene-Demos“ gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus. Schon im Vorfeld wird allerdings klar: Die Teilnehmer*innenzahl dürfte für Enttäuschung sorgen.
Zunächst wurde eine Demo mit einer halben Million Menschen angemeldet. Das wären doppelt so viele wie bei der #Unteilbar-Demo 2018 oder der Demo gegen das TTIP-Abkommen 2015 – und somit eine der größten aller Zeiten in Deutschland. Dafür stünden 3000 Busse zur Verfügung, hieß es aus Veranstalter*innenkreisen. Eine verschwörungsideologische Loveparade samt Alu-Bommel, esoterischer Meditation, rechtsextremen Parolen und antisemitischen Symbolen, wie man es von früheren „Hygiene-Demos“ kennt? Das wäre sicherlich zu erwarten. Doch die angemeldete Teilnehmer*innenzahl mussten Veranstalter*innen am Donnerstag drastisch herunterkorrigieren: Lediglich 10.000 Menschen werden nun erwartet – nur zwei Prozent der ursprünglich erhofften Zahl.
Was wie eine peinliche Niederlage klingt, ist jedoch noch kein Grund zum Feiern. Denn die bisherigen Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie sind immer wieder zum Schauplatz von antisemitischen Verschwörungsideologien und rechtsextremem Gedankengut geworden: T-Shirts mit Davidsternen und der Beschriftung „ungeimpft“ sind dort genauso zu Hause wie andere Relativierungen der Shoah und Hetzparolen gegen eine vermeintliche jüdische Weltverschwörung. Die Demo am Samstag wird hier sicherlich keine Ausnahme sein.
Organisator*innen der Demonstration sind die Stuttgarter Initiative „Querdenken 711“ und die Berliner „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“. „Querdenken 711“, die SARS-CoV-2 als „Fake-Virus“ bezeichnet, das von „Fake-Wissenschaftlern“ erlogen wurde, konnte im Mai bis zu 15.000 Menschen auf die Straße in Stuttgart bringen. Ende Mai waren es allerdings nur noch 200. Bloß harmlose Coronaleugner*innen sind sie aber keinesfalls: So ist der Pressesprecher Stephan Bergmann auf sozialen Medien schon mehrmals aufgefallen, indem er rassistische und menschenverachtende Inhalte teilte, die beispielsweise vor einer „Vermischung der Rassen“ warnen, die es mit „Zwangsmaßnahmen“ zu verhindern gelte.
Die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ hingegen, die von den Dramaturgen Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp gegründet wurde und eine Zeitung produziert, versteht sich absurderweise als linke Massenbewegung gegen die vermeintlich willkürliche Autorität und „Notstandsgesetze“ der Bundesregierung während der Pandemie – so lautet ihre größenwahnsinnige Selbsteinschätzung zumindest. In der Praxis sieht das sehr anders aus: Ihre Demonstrationen bieten Rechtsextremen, Antisemit*innen und Verschwörungsideolog*innen jeglicher Couleur eine große Bühne.
So mobilisieren auch diverse rechtsextreme Akteur*innen zur Demo – wie etwa Jürgen Elsässers vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingeordnetes Magazin „Compact“, die rechtsextreme „Patriotic Opposition Europe“, die NPD und der Reichsbürgerszene-nahestehende vegane Kochbuchautor Attila Hildmann. Dessen eigene Demo wurde von den Behörden wegen gewaltverherrlichender Aussagen zum zweiten Mal nicht genehmigt. Die Veranstalter*innen wollen sich trotzdem nicht von Rechtsextremen distanzieren.
Der große Plan: Das ganze Tempelhofer Feld mit Demonstrant*innen füllen. Eine Versammlung, die unmittelbar an Hitlers dortige Maifeier 1933 erinnern würde. Doch auch dieser Traum dürfte etwas bescheidener ausfallen als vorgesehen: Stattdessen wurde die Kundgebung auf die Straße des 17. Juni verlegt, Startzeit: 15:30 Uhr. Zu den elf Rednern – ausschließlich Männer – gehören der Verschwörungsideologe Heiko Schrang und der Pediga- und AfD-nahe Verschwörungs-Autor Thorsten Schulte.
Vorher wird ab 11:00 Uhr ein Demozug auf Unter den Linden starten, durch Mitte ziehen und auf der Straße des 17. Juni enden. Weitere rechtsoffene Kundgebungen finden am Gendarmenmarkt, Bebelplatz und Platz des 18. März statt. Auch am Freitag und Sonntag sind vereinzelt rechtsoffene Kundgebungen geplant.
Gleichzeitig finden mehrere Gegenproteste statt: Ab 10:30 Uhr ruft das antifaschistische „Berliner Bündnis gegen Rechts“ zur Kundgebung auf der Mittelinsel am Pariser Platz auf – also im Zentrum des Anreisebereichs für die rechtsoffene Großdemo. Ab 12:00 Uhr findet eine Gegenkundgebung der „Anwohner*inneninitiative für Zivilcourage – Gegen Rechts“ auf dem Monbijouplatz statt. Ab 10:00 Uhr plant die VVN/BdA eine Kundgebung am Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma. Und ab 13:00 Uhr organisieren die „Omas gegen Rechts“ eine Kundgebung am Denkmal für die ermordeten Juden Europas an der Hannah-Arendt-Straße/Ecke Ebertstraße. Hinzu kommt ein Fahrradkorso, organisiert von der Bergpartei und dem Bündnis „#ReclaimRosaLuxemburgPlatz“, der um 12:30 Uhr am Rosa-Luxemburg-Platz startet. Eine ausführliche Liste aller Demonstrationen und Gegendemonstrationen hat das Bündnis Berlin gegen Nazis zusammengefasst.
Kann die lauwarme Mobilisierung und zahlreiche Gegendemonstrationen die Stimmung der „Corona-Rebellen“ dämpfen? Wohl kaum. Denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt: Anhänger*innen glauben immer noch an eine historische Teilnehmer*innenzahl. In Telegram-Gruppen rechnen einige sogar mit bis zu 8 Millionen Demonstrant*innen. Sollte diese beinahe verrückte Einschätzung allerdings nicht in Erfüllung gehen, ist die Ausrede schon parat: Angela Merkel ist schuld. Dem verschwörungsideologischen Kochbuchautor Attila Hildmann zufolge plane die Regierung, alle Autobahnen nach Berlin zu sperren.
In Wirklichkeit hat die Bewegung gegen die pandemiebedingten Gesundheitsmaßnahmen schon Anfang Mai ihren Höhepunkt erreicht und findet kaum noch mediale Resonanz. Ein harter radikalisierter Kern bleibt, wie die Proteste um Attila Hildmann oder an der B96 in Sachsen zeigen – aber sie haben immer häufiger Demoverbote zu befürchten.
Die große besorgniserregende Ironie bleibt aber: Indem die „Corona-Rebellen“ das „Ende der Pandemie“ mit einer maskenscheuen Massendemo feiern wollen, gefährden sie eine Rückkehr zur Normalität. Ein Blick in die USA würde schnell zeigen, was passiert, wenn man den Sieg gegen das Coronavirus zu früh feiert. Offenheit für rationale faktenbasierte Argumente war allerdings nie Stärke der Bewegung.