Seit 2003 gibt es in Istanbul einen Pride March. Lesben, Schwule und Trans* gehen für gleiche Rechte auf die Straße und sorgen für Sichtbarkeit in der größten Stadt der Türkei. 2013 wurde der Marsch mit 100.000 Teilnehmer*innen zur größten LGBTIQ*-Demonstration in Osteuropa und der Türkei. Aber die Zeiten haben sich geändert. Schon zum vierten Mal in Folge wurde die Demonstration verboten. Hunderte Menschen ließen sich davon aber nicht abbringen und versammelten sich trotzdem mit Regenbogenflaggen in den Seitenstraßen der zentralen Einkaufsstraße Istiklal und skandierten „Wir gehorchen nicht, wir schweigen nicht, wir fürchten uns nicht“ und „Schulter an Schulter gegen den Faschismus“. Die Polizei ging mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Demonstrant*innen vor. Der Grund für das Verbot dieses Jahr: „Sicherheitsbedenken“.
2015 wurde die Demonstration von der Polizei ebenfalls angegriffen, damals kamen die Wasserwerfer gegen Tausende Demonstranten zum Einsatz, mit denen in diesem Jahr nur Straßen abgesperrt wurden. Damals war der „Grund“, dass die Parade während des Ramadans stattfand. 2016 drohte die Jugendorganisation der rechtsextremen „Großen Einheitspartei“ (BBP) mit Angriffen auf die Parade. Der Vorsitzende Kür?at Mican sagte der Zeitung Hürriyet damals: „Wir wollen nicht, dass halbnackte Menschen mit Alkoholflaschen in den Händen durch unsere heilige Stadt laufen.“ Die Reaktion der Behörden: ein Verbot aus Sicherheitsgründen.
Das gleiche Spiel 2017. Der Pride March fiel in jenem Jahr mit dem islamischen Fastenbrechen, dem letzten Tag des Ramadan zusammen. Ein Tag vor der Parade verbot der Provinzgouverneur die Demonstration. Wieder waren es „Sicherheitsgründe“. Die Parade gefährde die Sicherheit von Bürgern und Touristen und die öffentliche Ordnung. Einige Aktivist*innen trafen sich trotzdem. Deren Sicherheit war den Behörden nicht ganz so wichtig. Wieder setzte die Polizei Gummigeschosse ein, 20 Menschen wurden verhaftet. Darunter auch ein Journalist der Nachrichtenagentur AP.
Und auch dieses Jahr ist offenbar die “Sicherheit” das wichtigste Anliegen der türkischen Behörden. Wieder wurde die Demonstration verboten. In einer Pressemitteilung gehen die Organisator*innen der auf das aktuelle Verbot ein: „Der Gouverneur beruft sich auf Sicherheitsbedenken, um die Demonstration zu verbreiten. Man kann das mit dem Wort ‚lustig‘ beschreiben. Seit 13 Jahren sind unsere Märsche friedlich abgelaufen und sie wurden nie verboten. Die Demonstrationen wurden immer größer und schufen einen sicheren Raum und gaben uns eine Stimme, die wir nur wegen unserer bloßen Existenz gehasst werden. Statt einer friedlichen Demonstration werden die Hassverbrechen des Staates und die Polizeigewalt immer sichtbarer.“
In Berlin haben sich am Sonntag knapp 500 Menschen mit den Demonstrierenden in Istanbul solidarisiert. Auf dem Neuköllner Hermannplatz fand eine Kundgebung statt und eine bunte, internationale Demonstration verlief durchs angrenzende Kreuzberg. Unter anderem nahm Hakan Ta? teil, der für die Partei Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt. Seine Beweggründe formuliert Ta? gegenüber Belltower.News so: „Ich habe mich von Beginn an mit der Istanbul Pride solidarisiert und habe öfters daran teilgenommen. Die Solidarität geht für mich über das Persönliche hinaus, denn die freie Entfaltung der LGBTQ*-Menschen (und ein ungestörter Istanbul Pride) gehören zum Demokratisierungsprozess in der Türkei. Das haben auch die Plakate auf der Demo in Istanbul ausgedrückt. Die Communitys kämpfen seit Jahren dafür. Das erneute Verbot bedeutet, dass die Erdo?an-AKP-Diktatur nach den gewonnenen Wahlen ihre Unterdrückungspolitik verschärft weiterführen wird.“
Auch im türkisch geprägten Kreuzberg setzte die Demonstration mit ihren vielen Regenbogenflaggen ein Zeichen und stieß auf Unterstützung. Türk*innen, Deutsche, Deutsch-Türk*innen und Menschen aus der ganzen Welt demonstrierten gemeinsam für die Menschen in Istanbul. Immer wieder stimmten Passant*inne in den umliegenden Cafés,Restaurants und Shisha-Bars in die Sprechchöre ein und klatschten mit. Sichtbarkeit für LGBTIQ*-Menschen ist auch in der migrantischen Community wichtig, genauso wie internationale Solidarität.