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Berliner Zustände Ideologien der Ungleichwertigkeit in der Polizei

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Berlin Zustände 2011 - ein Schattenbericht, herausgegeben von apabiz e.V. und der MBR Berlin. (Quelle: www.mbr-berlin.de)

Jedes Jahr aufs Neue klaffen die Zahlen unabhängiger Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt mit den offiziellen Veröffentlichungen seitens der Behörden weit auseinander. Rein faktisch lässt sich das Phänomen leicht beschreiben: einerseits gelangen nicht alle Taten, von denen die Beratungsstellen erfahren auch zur Anzeige und andererseits werden bekannte Straftaten durch die Polizei nicht als rechte Gewalt erfasst.

Als Ursache beider Phänomene kann schwerpunktmäßig das Problem weit verbreiteter und somit auch in Institutionen vorherrschender Ideologien der Ungleichwertigkeit wie Rassismus, Sozialdarwinismus oder Homophobie ausgemacht werden. Auf Seiten der Betroffenen ist das Vertrauen zur Polizei außerordentlich geschwächt und auf Seiten der Beamt/innen werden rechte Straftaten aufgrund der eigenen Vorurteilsraster nicht als solche erkannt.

Gefahr statt Hilfe

Alltag für viele Menschen, die nicht der „gängigen Norm“ von weiß, heterosexuell, sozial erwarteter Attitüde oder vermeintlich „deutschem“ Aussehen und Auftreten entsprechen, ist nicht nur die Bedrohung durch rechte Gewalt sondern auch die Furcht vor rassistischen Polizeikontrollen, Vertreibung aus Innenstadtvierteln durch Beamt/innen oder homophobe Sprüche auf der Wache bei Anzeige von schwulenfeindlichen Straftaten. Diese im Behördenapparat bisher wenig problematisierte Ablehnungskultur gegenüber Minderheiten hat zur Folge, dass die Polizei als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung angesehen wird.Betroffene rechter Gewalt scheuen den Gang auf das Revier, weil sie dort aufgrund von persönlichen oder in der Community gemachten negativen Vorerfahrungen keine Hilfe erwarten sondern weitere Ausgrenzung befürchten. Verstärkt wird dieser Aspekt durch zahlreiche Berichte von Opfern rechter Gewalt, die zwar die Polizei riefen, dann aber nicht geschützt wurden. Die rechten Straftäter/innen kamen davon, die Geschädigten wurden diskriminierenden Verfahren ausgesetzt, ihre Glaubwürdigkeit wurde bezweifelt und ihnen (Mit)schuldvorwürfe gemacht: Eine Täter-Opfer-Umkehr fand statt. Eine 2011 veröffentlichte europäische Umfrage unter 20.000 Migrant/innen in 27 Mitgliedsstaaten fand heraus, dass diese nur etwa 25 % der als schwerwiegend empfundenen Straftaten an die Polizei meldeten (EU-MIDIS 2011, S. 80. Verwendete Quellen siehe „Weiterführende Literatur“.). Als weit überwiegender Grund für die Nichtanzeige gilt das Misstrauen in die Polizei.Zudem haben viele Betroffene – insbesondere im ländlichen Raum – die rechten Angriffe als Normalität akzeptiert. Ein blaues Auge, eine kaputte Brille oder ein wackelnder Zahn werden als „Lappalie“ begriffen, die den Gang zur Polizei nicht lohnen. Zu negativ sind die Erfahrungen mit Polizei und Justiz, zu schleppend verliefen die Verfahren, zu selten fanden sich Vertreter/innen des Staates, die das ihnen widerfahrene Unrecht klar als solches benannten.Statt dass sich die Behörden darauf zurückziehen, dass die Betroffenen die Straftaten nicht anzeigen, sollten dringend nachhaltige Maßnahmen unternommen werden, welche das Vertrauen von Minderheitengruppen in die Polizei stärken. Ein positives Beispiel dafür sind die Ansprechpartner/innen für gleichgeschlechtliche Lebensweisen bei der Berliner Polizei; an speziellen Ansprechpersonen für andere Betroffenengruppen mangelt es jenseits von allgemeinen Opferschutzbeauftragten aber.

Institutioneller Rassismus

Neben dem Problem der Nichtanzeige rechter Gewalt besteht eine andere weitaus größere Hürde darin, dass selbst angezeigte bzw. der Polizei anderweitig bekannte Fälle nicht immer als rechte Gewalt erkannt werden. Eklatantes Beispiel ist dabei sicher die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Selbst als ein von der Polizei beauftragter Profiler darauf hinwies, dass ein rassistisches Tatmotiv nahe liege, wurde dieser Option nicht entsprechend nachgegangen. Stattdessen wurden, rassistischen Stereotypen entsprechend, die Opfer zu „kriminellen Ausländern“ mit Verbindung zu Drogen, Mafia, Schutzgeld gemacht und ihnen die Schuld an ihrem Tod zugeschrieben. Statt sich in der nun stattfindenden Aufklärung der Taten aber auf den Hintergrund und die Analyse des behördlichen Versagens zu konzentrieren, richtet sich die Aufmerksamkeit schwerpunktmäßig auf die Täter/innen. Die Unfähigkeit staatlicher Institutionen wird auf einzelne Vergehen minimiert, undurchschaubare Geheimdienste und Verantwortungsdiffusion scheinen eine tatsächliche Aufklärung der internen Vorgänge und personelle Konsequenzen zu verhindern. Die aber grundlegende Frage nach institutionellem Rassismus wird offiziell gar nicht erst gestellt, die Untersuchungsausschüsse in Deutschland setzen sich vielmehr mit Nazistrukturen und Geheimdienstkamellen auseinander. Es werden weder Untersuchungen zu „racial profiling“ vorangetrieben noch Ermittlungsmuster der Polizei oder die Existenzberechtigung des Verfassungsschutzes kritisch hinterfragt. Statt darüber zu sprechen, beschränken sich Behörden und Parlamente auf die „bösen Nazis“, debattieren über das Für und Wider eines NPD-Verbots und Extremistenkarteien. Dies kann als der in Deutschland typische „Extremismusreflex“ bezeichnet werden, welcher die gesamte Aufmerksamkeit auf die menschenverachtenden Rechtsterrorist/innen lenkt, die es aus der (guten = demokratischen) Gesellschaft heraus zu bekämpfen gilt. Diese Beschränkung nutzt der weißen Mehrheitsgesellschaft, weil sie die eigene Identität nicht anrührt, weder Selbstkritik nötig macht noch grundlegende Veränderungen in Behörden und Institutionen fordert.

Zeitgleich entscheidet das Verwaltungsgericht Koblenz auf Klage einer nicht „typisch deutschen“ Person hin, dass bei verdachtsunabhängigen Polizeikontrollen „die Auswahl der anzusprechenden Personen auch nach dem äußeren Erscheinungsbild“ vorgenommen werden darf und legitimiert damit rassistische Überprüfungskriterien. Die Todesumstände von Oury Jallouh, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, sind bis heute nicht geklärt; Korpsgeist der beteiligten Beamt/innen und Unvermögen der Justiz spielen bei der unbeantworteten Frage, ob die damals diensthabenden Polizisten strafrechtlich wegen des Todes zu belangen seien, eine wohl nicht unerhebliche Rolle. Die Deutsche Polizeigewerkschaft gibt 2012 in Bayern einen Kalender mit rassistischen und sozialdarwinistischen Motiven heraus und in Dresden wird ein deutscher Tatverdächtiger in Ermittlungsakten als „afroamerikanisch/europäischer Mischling mit dementsprechender brauner Hautfarbe“ bezeichnet. Diese auf Schlaglichter beschränkte Auswahl der jüngsten Zeit verdeutlicht, dass es mehr als genug Anlässe gibt, sich mit institutionellem Rassismus auseinanderzusetzen. Es handelt sich dabei nicht um das Versagen Einzelner sondern um eine Gesamthaltung, die letztlich auch dem NSU ein ungestörtes Vorgehen ermögliche.

Die Lücke zwischen Theorie und Praxis

Die angesprochenen in Behörden verankerten Ungleichwertigkeitsvorstellungen tragen mit dazu bei, dass auch das polizeiliche Definitionssystem zum Erfassen vorurteilsmotivierter insbesondere rechter Straftaten in seiner Wirkung beschränkt bleibt. So ist die seit 2001 geltende Definition zur „Politisch motivierten Kriminalität“ (PMK) mit einigen Abstrichen als durchaus fortschrittlich zu beschreiben. Es werden theoretisch all diejenigen Delikte aufgenommen, „die sich gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status richten“. Ohne Frage sind insbesondere Begriffe wie „Rasse“ oder „Volkszugehörigkeit“ abzulehnen. Versinnbildlicht ersterer die Existenz von „Rassen“ statt vom eigentlichen Problem des Rassismus zu sprechen, wurzelt der Begriff der „Volkszugehörigkeit“ im Merkmal der biologischen Abstammung und rekurriert auf einen NS-Erlass von 1939, der insbesondere Juden und Jüdinnen ausschloss. Auch über weitere zu weit geratene Begriffe wie den „gesellschaftlichen Status“, der sowohl Opfer aus „vermeintlich niederen Schichten“ also auch aus „vermeintlich höheren Schichten“ umschließt, ließe sich weiter diskutieren, was aber an dieser Stelle den Rahmen sprengen würde.

Jenseits von begrifflichen Kritikpunkten ist die Definition ein brauchbares Werkzeug um rechts motivierte Taten als solche zu kategorisieren und sichtbar zu machen.Die Taten sollen dann als politisch gelten, wenn es „in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte“ gebe, dass sie aus den oben genannten Kategorien heraus begangen wurden. Zur konkreten Vorgehensweise wird näher erläutert, dass die Taten „im Rahmen einer mehrdimensionalen Betrachtung unter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet (werden).“ Die Hoffnung, dass diese Gesichtspunkte sinnvolle Kriterien sein könnten, zerschlägt sich aber. Denn darunter werden u.a. abstrakte Begriffe wie „Deliktsqualität“, die „mögliche internationale Dimension der Tat“ oder die „gegebenenfalls zu verzeichnende, extremistische Ausprägung“ verstanden. Ob die existierenden polizeiinternen Ausfüllanleitungen bessere und praktischere Kriterien beinhalten, kann leider nicht nachvollzogen werden, da diese als polizeiinterne Verschlusssache deklariert sind.

In der polizeilichen Praxis ist der/die sachbearbeitende Beamt/in dafür zuständig, das Vorliegen einer rechten Straftat zu melden. Da die Statistik zur „Politisch Motivierten Kriminalität“ als sogenannte Eingangsstatistik geführt wird, muss diese Meldung bereits im Rahmen der ersten Ermittlungen geschehen. Behördlicherseits wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass es in diesem Stadium mangels Täter/inneneinlassung schwierig sei die Kategorisierung zu treffen. Anwendungsrichtlinien aus anderen Staaten zeigen im Gegensatz zu dieser Beschwerde aber, wie abseits von Geständnissen Rückschlüsse auf das Motiv gezogen werden können. Dabei können beispielsweise die Gruppenzugehörigkeit des Opfers, diskriminierende Beleidigungen durch die Täter/innen, am Tatort angebrachte Graffitis, symbolhafte Tatbegehungen, bestimmte Daten oder Orte Hinweise auf die Motivation geben. Jenseits dieser wohl lösbaren Schwierigkeiten besteht eher die Gefahr, dass vorhandene Anhaltspunkte durch die Beamt/innen (un)wissentlich übersehen bzw. falsch gewertet werden. Neben eigenen Ungleichwertigkeitsvorstellungen kommen auch immer wieder Opportunitätsüberlegungen hinzu, die eigene Region nicht „in den Schmutz zu ziehen“. 2007 wies beispielsweise der Direktor des sachsen-anhaltinischen Landeskriminalamts seine Beamt/innen an, eindeutig rechte Straftaten, deren Täter/innen nicht bekannt seien, als politisch uneindeutig einzuordnen. Die Zahl der gemeldeten rechtsmotivierten Straftaten halbierte sich durch diese statistische Verschiebung nahezu.Erkennt der/die polizeiliche Sachbearbeiter/in die rechte Motivation nicht, so könnte man darauf setzen, dass dieser Fehler eventuell im späteren Verfahren durch eine/n andere/n Beamt/in, die Staatsanwaltschaft oder die gerichtliche Entscheidung korrigiert wird. Dies ist jedoch unwahrscheinlich, da Korrekturen nur bis maximal zum 31. Januar des Folgejahres möglich sind, danach wird die Statistik zur Politisch Motivierten Kriminalität veröffentlicht, rückwirkende Veränderungen gestalten sich schwierig. Vorteil dieser tatzeitnahen Erfassung ist, dass relativ aktuelle Lagebilder und Reaktionsmöglichkeiten geliefert werden können. Dieser Vorteil wird aber zum eklatanten Nachteil sofern entweder die Tat zu Ermittlungsbeginn tatsächlich nicht als rechtsmotiviert einzuschätzen ist oder die sachbearbeitenden Beamt/innen nicht in der Lage sind (oder sein wollen) die Vorurteilsmotivation zu erkennen. 

Aus den Augen, aus dem Sinn

Neben einer zeitlichen Komponente hat diese „Endgültigkeit“ auch eine Unsichtbarmachung von rechter und rassistischer Gewalt zur Folge, was insbesondere bei Todesfällen dramatisch ist. So sind nach den Recherchen der Zeitungen „Die Zeit“ und „Der Tagesspiegel“ seit 1990 148 Menschen durch rechte Gewalttaten zu Tode gekommen, nur 58 dieser Opfer werden durch den Staat als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt. Diese skandalöse Vertuschung beruht einerseits auf einer unzulässig eingeengten Anwendung des Definitionssystems und andererseits auf der Praxis der Eingangsstatistik.

So kann das Bundesland Sachsen als Beispiel dienen, wie erst nach der Aufdeckung der NSU-Mordserie Bewegung in die jahrelang ablehnende Anerkennungspraxis kam. Nach einer erneuten Überprüfung aller Todesfälle auf öffentlichen Druck hin, erklärte der Freistaat plötzlich im Jahr 2012, dass nunmehr zwei längst bekannte rechte Tötungsdelikte aus den Jahren 1996 und 1999 anerkannt werden. Zur bisher abweichenden Einschätzung nach über zehn Jahren heißt es seitens der Behörden lapidar: „Die unterschiedliche Bewertung ist damit zu erklären, dass diesmal zusätzlich die hierzu ergangenen Urteile der Strafgerichte beigezogen und in die Überprüfung des Landeskriminalamtes einbezogen wurden.“ (Sächsischer Landtag, Drucksache  5/4749). Beiläufig wird hier im Nebensatz eingeräumt, dass die Behörden sich über zehn Jahre nicht die Mühe gemacht haben, die Urteilssprüche der Verfahren in ihre Bewertungen mit einzubeziehen.

Schluss mit der Kosmetik

Eine kleine Korrektur hier, eine weitere Fortbildung dort, ein Gespräch mit Repräsentant/innen von Betroffenengruppen, die Abmahnung einer/s einzelnen Beamt/in können als reine Kosmetik bezeichnet werden, die nicht in der Lage sind das Problem zu lösen. Die Behörden brauchen keine oberflächlichen Verschönerungen sondern grundlegende Veränderungen im Denken, Handeln und auf struktureller Ebene. Dazu gehört zunächst die Einsicht, dass es sich um ein Problem der weißen Mehrheitsgesellschaft handelt und nicht mit sogenannten Integrationsforderungen verknüpft werden darf. Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen ernst genommen und die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Initiativen verstetigt werden. Auf polizeilicher Ebene gehört dazu auch die Erkenntnis, dass unbedingter Korpsgeist demokratiefeindlich ist.

In der Konsequenz muss, insbesondere nach der NSU-Mordserie der politische Wille aufgebracht werden, Einschnitte durchzusetzen und endlich eine polizeiunabhängige Beschwerdestelle zu schaffen, die über tatsächliche Kompetenzen verfügt. Von all dem ist man selbst in fortschrittlichen Bundesländern weit entfernt.

Kati Lang (Ass. iur.) ist bei der Beratungsstelle für rechtsmotivierte und rassistische Gewalt des RAA Sachsen e.V. tätig. Die gelernte Juristin ist spezialisiert auf rechtliche Fragen rund um den Umgang mit Rechtsextremismus und promoviert derzeit an der TU Dresden zur Frage der Gesetzgebung in Bezug auf rechte und rassistische Gewalt in Deutschland. 

Dieser Text ist ein Auszug aus den „Berliner Zuständen 2011„. Mit freundlicher Genehmigung.

Berliner Zustände 2011

Zum sechsten Mal analysieren Berliner Projekte, Initiativen und Einzelpersonen die „Berliner Zustände“ und geben damit einen Einblick in ihre tägliche Arbeit. Mit dem jährlichen Schattenbericht möchten die Herausgeber/innen ? das apabiz e.V. und die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin ? eine Alternative zu staatlichen Perspektiven bieten und die nach ihrer Sicht wesentlichen Entwicklungen und Tendenzen in Berlin in den Blick nehmen. Die „Berliner Zustände 2011“ sind im Juni 2011 erschienen – und hier als pdf zum Download zu finden.

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