Der Text ist am 27. August 2021 zuerst auf Diskus erschienen
100 Jahre Beuys. Die deutsche Kunst und ihre Institutionen feiern ihren Säulenheiligen, Revolutionär und Vordenker. In der April Ausgabe glorifiziert das art Magazin Joseph Beuys als visionären Befreier. Wovon eigentlich, möchte man bei Beuys fragen? Beuys steht in einer deutschen Kunsttradition, die die Welt durch die Rückbesinnung auf das Ursprüngliche zu reparieren und heilen versucht. Eine progressive Gesellschaftskritik durch die Kunst wird zugunsten simpler Feindbilder und im Glauben an einen idealtypischen, spirituellen Zustand geopfert.
Störende Vergangenheit
Wer versucht das Augenmerk auf den esoterischen und antimodernen Kern von Beuys’ Kunstbegriff zu lenken, gilt als Störfaktor für die ansonsten nahezu einheitliche Beuys-Erzählung. Der Beuys Biograf Hans Peter Riegel, der insbesondere seine Verstrickungen mit NS-Tätern, seine Begeisterung für die mit Rassismus und Antisemitismus gespickte Lehre des Anthroposophen Rudolf Steiners, sowie Beuys’ Mythen und Lügen seit Jahren bearbeitet, ist einer von denen, die den Frieden stören. Beuys’ Weggefährten und weite Teile des Kunstfelds wehren sich heftig gegen diese Aufarbeitung und stempeln Riegel zum Denunzianten und Querulanten.
1976 kandidierte Beuys für die nationalistische Partei „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher“ (AUD). Die AUD verknüpfte gesellschaftsreformerische Konzepte mit Lebens- und Umweltschutz und sorgte sich nicht zuletzt um die Souveränität des deutschen Volkes. Laut Riegel habe es bereits in den 1960er Jahren starken Protest gegen den Germanenkult von Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie gegeben. Mit dem ehemaligen SS-Mann und NSDAP-Mitglied Karl Fastabend gründete Beuys die Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung. Beuys war Hitlerjunge, der sich 1941 freiwillig für 12 Jahre bei der der Luftwaffe verpflichtete. Er war an der Zerstörung Sewastopols beteiligt, Unteroffizier und Bordschütze in einer Stuka. Bereits 2008 überschrieb der Schweizer Kunsthistoriker Beat Wyss seinen Essay im Kunstmagazin Monopol mit „Der ewige Hitlerjunge“. Diese Einordnung stößt bis heute auf Widerspruch und Abwehr, wie es unlängst im Kunstmagazin art zu lesen war.
„Und zuletzt, anlässlich der unsäglichen Debatte um den ewigen Hitlerjungen, ist mir klar geworden, wie heldenhaft dieses Künstlerleben der Selbstbefreiung und Publikumsentzündung wirklich war“, schrieb der art-Chefredakteur Tim Sommer.
Wyss’ kritische Einordnung von Beuys als „das lebendige Beispiel eines Wiedergängers der dreißiger in den siebziger Jahren (…)“ wird nicht konstruktiv und weiter aufgeklärt, sondern für die Erhaltung des Beuys-Mythos nahezu handstreichartig weggewischt. Auch für die meisten etablierten Kunstinstitutionen spielt die kritische Betrachtung von Beuys eine randständige Rolle. Das Beuys-Heldenepos dient noch immer als die dominante Erzählung, ist sie doch der Selling Point für die international erfolgreiche Marke Beuys. Dabei geht es zuerst um die Erzählung eines progressiven Aufbruchs und Neuanfangs nach 1945 mit der Kunst an der Spitze. Es geht um Beuys als den künstlerischen Repräsentanten und Verkünder der sogenannten Stunde Null. Kurz, es geht um die Integrität und Identität der deutschen Kunst.
Kulturnation Deutschland
Die Nationenbildung von Deutschland ist mit dem Selbstverständnis eine Kulturnation zu sein, untrennbar verknüpft. Nicht umsonst ist am Giebel der Alten Nationalgalerie in Berlin die patriotische Aufschrift „Der deutschen Kunst“ angebracht. „Im Kunstwerk werden wir Eins sein“, schrieb Richard Wagner, dessen Weltbild im Antimodernismus und Nationalismus des Deutschen Kaiserreichs verankert war und brachte damit die tiefe Sehnsucht nach nationaler Einheit, die über die Kunst geschmiedet werden sollte, auf eine Formel. Bis heute berufen sich alle möglichen politischen Lager auf die deutsche Kunsttradition und kämpfen für ihren Schutz. Gerade in Zeiten von Fortschritt und Veränderung verstärkt sich ihr Kulturkampf, der einen erwarteten Identitätsverlust abwenden will. Im Fall Beuys, finden die eigentlich überkommenen und tradierten Vorstellungen von einer einenden und heilenden Kraft der Kunst für einenBeuyschen Kunst-Populismus wieder Verwendung. Die Kurzformel dieses rückwärtsgewandten, antimodernen und reaktionären Entwurfs lautet: Die Natur an die Stelle der Kultur setzen.
Totalitärer Antimodernismus als Heilsversprechen
Als Beuys das Märchen in die Welt setzte, er sei nach einem Flugzeugabsturz von Krimtataren mit Fett und Filz zusammengeflickt und zum Kunstschamanen gesalbt worden, ahnte er vielleicht schon, dass er in Deutschland nicht der Einzige war, der nach 1945 aus der Verdrängung der eigenen Geschichte wiedergeboren wurde. Der Mythos der Reinkarnation half bei dem Selbstverständnis sich selbst als gereinigt von den Verstrickungen der Vergangenheit zu inszenieren und diente als entlastende Folie für eine ganze Generation. Bis heute steht die Beuysche Weltanschauung nicht im Widerspruch zu einem weit verbreiten Denken im internationalen Kunstfeld. Das allgemeine Unwohlsein mit der Moderne äußert sich in folkloristischen Kunstausstellungen, essentialistischen Denkweisen und einfachen dichotomen Weltbildern. Der durch die Moderne komplex gewordenen, das Individuum überfordernden Welt, setzt die Kunst nicht selten die Bilder vormoderner Gesellschaften entgegen. Ritualhafte Performances, die Hinwendung zu tradierten Handwerkstechniken, die Verwendung von natürlichen Materialien und DIY-Ästhetik sind Ausdruck dieses Rückgriffs auf eine vermeintlich naturgerechtere Gesellschaft. Über die Kunst findet so eine symbolische Rückabwicklung der als künstlich und naturfeindlich empfundenen Welt statt. Dies verstellt nicht nur den Blick auf progressive und konstruktive Lösungen im Umgang mit heutigen Herausforderungen und Problemen. Nebenbei werden – gewollt oder ungewollt – aufklärerische und emanzipatorische Aspekt der Moderne geopfert. Durch diesen Kniff erübrigt sich zudem eine adäquate, oftmals als lästig empfundene Aufarbeitung der Schuldzusammenhänge moderner Gesellschaften, wohingegen die als ursprünglich und authentisch wahrgenommene Gesellschaften romantisiert und gleichsam exotisiert werden. Im antimodernen Denken steckt somit auch immer eine große Portion an Paternalismus und der Wunsch sich selbst aus der Verantwortung zu nehmen, mit dem Ziel der eigenen Wiedergutwerdung.
Gerade dieser Teil von Beuys’ erweitertem Kunstbegriff, konnte sich bis heute weitestgehend ungehindert durch die unkritische Rezeption seiner Arbeit in der Kunst durchsetzen. Für den deutschen Kontext bedeutet dies in aller Konsequenz vor allem Abwehr und Entschuldung.Beuys’ Politik- und Gesellschaftsverständnis ordnet sich der Kunst unter und wird so zu einer allumfassenden ästhetischen Kategorie. Der erweiterte Kunstbegriff soll alle Bereiche des Lebens formen. Mit diesem totalitären Anspruch für die Kunst formuliert Beuys ein Heilsversprechen, welches die Kunst zur Erlangung eines gesellschaftlichen Idealzustandes befähigt. In diesem Zusammenhang scheint der Versuch, Beuys als einen politischen Künstler, oder als Demokraten zu adeln, reichlich absurd. Beuys Konzept zielt darauf ab Politik durch Kunst allumfassend zu ersetzen – sein Programm ist damit apolitisch und totalitär.
Vor 41 Jahren beschrieb Benjamin Buchloh in seinem Text „The Twilight of an Idol“ in Artforum, dass in Beuys nur scheinbar fortschrittlichen Programm ein rückwärtsgewandter Konservatismus steckt.
„The aesthetic conservatism of Beuys is logically complemented by his politically retrograde, not to say, reactionary, attitudes. Both are inscribed into a seemingly progressive and radical humanitarian program of aesthetic and social evolution“.
Buchlohs Kritik nimmt vorweg, was heute wieder auf viel Abwehr und Unverständnis stößt. Damals wie heute folgt die Beuys-Anhängerschaft ihrem charismatischen Anführer „wie Kultisten mit verbundenen Augen“ (Buchloh). Buchlohs Einordnung fällt demnach auch wenig schmeichelhaft aus: „(…) his political ideas fulfill the criteria of the totalitarian in art just as they were propounded by Italian Futurism on the eve of European Fascism.“
Die Fett- und Filz -Ästhetik war Beuys’ ästhetische Übersetzung der romantischen Sehnsucht nach der deutschen Scholle. Diese Sehnsucht dominierte von je her das reaktionäre deutsche Denken. Aus diesem identitären Filz, wurde auch die „Endlösung“ bürokratisch erdacht.
Die Instrumentalisierung der Shoah
Die Kunst- und Kulturwissenschaftlerin und heutige Direktorin der Tübinger Kunsthalle Nicole Fritz legte 2002 in Ihrer Dissertation „Bewohnte Mythen – Joseph Beuys und der Aberglaube“ dar, inwiefern Beuys’ Denken die Shoah für sein anthropologisches, auf Heilung bedachtes Weltbild instrumentalisierte. „Auschwitz wird (bei Beuys, anm.) zur Metapher für sein eigenes seelisches Leiden und dem aller Menschen, die dem Materialismus und damit der Abtrennung von dem Spirituellen ausgesetzt sind. Wie bereits erwähnt, bezeichnete er diesen Zustand als ‚Todeszone‘. Folgt man der Logik des Beuyschen Geschichtsbildes und der damit implizit verknüpften Beuyschen Erlösungstheorie weiter, kommt man zu dem Schluß, daß Beuys diese materialistische ‚Todeszone‘ und damit auch das historische Ereignis Auschwitz verallgemeinernd im Sinne eines ‚absterbenden Prozesses’ interpretierte, der als notwendige Leidensstation in Kauf genommen wird, weil er die ‚Auferstehung‘, d.h. in diesem Kontext die spirituelle Weiterentwicklung im Geschichtsverlauf, erst ermöglicht. Die im Nationalsozialismus begangenen Verbrechen werden damit aber von Beuys als Ausdruck und notwendige Folge eines inneren Gesetzes der Geschichte begriffen.“ Für Beuys war die Shoah der vorbestimmte Tiefpunkt des westlichen Materialismus. Vor dem historischen Hintergrund, dass die Nazis den Juden vorwarfen, sie hätten den Materialismus (von dem nur die Juden profitieren würden) in die Welt gebracht, formuliert Beuys den Materialismus als die Gefahr für die Gesellschaft. Durch diese Verdrehung überlebt das strukturell antisemitische Ressentiment im Gewand einer stark verkürzten Gesellschaftskritik.
Identifikation und Feindbild
Zur Identifikation und als Gegenbild zu einer komplexen, modernen Welt dient Beuys die Projektion auf einen vermeintlich authentischen Ost-Menschen. Die daraus resultierenden Slogans gegen eine westliche Kulturhegemonie, bietet sich an antiemanzipatorische Verbündete auf den Plan zu rufen. Weite Teile der Kunstkritik können daran nichts finden. Sogar der sehr schlechte Beuys Schlager „Sonne statt Reagan“ wird als Krone der Pop-Art gefeiert. In dem Lied wird der damaligen US-Administration nicht weniger als der Wille zum Endsieg zugeschrieben. Beuys’ Nazivergleich war damals und ist auch heute in nahezu allen Milieus gang und gäbe. Die Gruppen finden sich über das gemeinsame Feindbild zusammen und relativieren über die Verdrehung historischer Tatsachen den deutschen Vernichtungskrieg.
Beuys’ ausgeprägter Antiamerikanismus wird von einer Kapitalismuskritik begleitet, die auf einer simplen dichotomen Vorstellung beruht und sich kaum von verschwörungsideologischen Vorstellungen abgrenzen lässt. Die Einteilung in Gut und Böse manifestiert sich hier exemplarisch in „dem“ Volk und „den“ Banken bzw. Konzernen. Antimodernismus, Shoahrelativierung und ein regressiver Antikapitalismus ergeben im Zusammenspiel mit Beuys’ früher Sozialisation gleich mehrere Hinweise auf eine Nähe zu antisemitischen Weltbildern. Vor diesem Hintergrund ist falsch, Beuys a priori von allen Formen des Antisemitismus freizusprechen.
Die Wiedergutwerdung der Deutschen Kunst
Dennoch können sich weite Teile des Kunstfelds nicht von der Projektion auf Beuys trennen, die für sie die ganzheitliche Wiedergutwerdung der Deutschen Kunst repräsentiert. Beuys Werk steht, in einer Tradition, die durch Kunst und Kultur das Gefühl einer deutschen Volksidentität entwirft. Im Gegensatz zu den meisten westlichen Staaten, die sich primär über Politik definierten, sollte den Deutschen eine identitätsstiftende Kunst den Weg zur politischen Einheit bereiten. Die Bindung der Kunst an die Identität und die gleichzeitige Entkoppelung der Kunst von der Politik, hat Joseph Beuys in Perfektion betrieben.
In diesem Sinne war Beuys der Jedermann der Nachkriegszeit, der mit folkloristischer Naturästhetik, Selbstmystifizierung und der Gründung volksnaher Parteien dem Volk seine Souveränität zurück erkämpfen wollte. Dieses identitätspolitische Angebot wird bis heute geradezu instinktiv angenommen.