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Brandenburg vor der Wahl „Die Lage wird brenzliger.“

Die Horte aus Strausberg im Interview

Am 22. September wählt Brandenburg einen neuen Landtag. Hier ist die AfD laut der letzten aktuellen Umfragen die stärkste Kraft, mit Vorsprung auf SPD und CDU. Grüne, Linke und Freie Wähler ringen mit der Fünf-Prozent-Hürde. Auch in Brandenburg gibt es zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich für ein demokratisches Miteinander und gegen Diskriminierung einsetzen. Belltower.News hat mit einigen davon gesprochen, um mehr von ihrer Perspektive auf die Landtagswahlen und die Situation vor Ort zu erfahren.

Der Verein Alternatives Jugendprojekt 1260 e. V. ist ein seit 1991 in Strausberg ansässiger gemeinnütziger Verein, der sich der partizipativen Jugendarbeit und dem Angebot von selbstorganisierten und politischen Kultur- und Bildungsveranstaltungen verschiedenster Art verschrieben hat. Als Träger der freien Jugendhilfe betreibt der Verein unter anderem die Einrichtungen des Sozialen Zentrums Horte und den Jugendclub in Strausberg Vorstadt. Die Organisation des Vereins und seiner Arbeit ist basisdemokratisch und konsensorientiert. Alle Aufgaben werden ehrenamtlich von den Mitgliedern des Vereins getragen. Belltower.News hat mit zwei von ihnen – Eva und Tom – gesprochen.

Belltower.News: Wie ist die aktuelle Situation in Strausberg?
Eva: Die Lage wird brenzliger. Auch privat bekomme ich das als mit. Der Rechtsruck ist viel normalisierter. Wir sind ein Jugendzentrum und wenn wir schlechte Erfahrungen machen, dann bisher meistens auch mit jungen Leuten.

Tom: Genau. Es gibt einen rechten Jugendmainstream. Rechte Positionen, eine rechte Attitüde und auch ein rechter Lifestyle werden dominanter und verbreiten sich immer mehr. Das sieht man auch im Stadtbild. Was in den 90er Jahren Glatze und Springerstiefel war, ist jetzt Scheitel-Look, obwohl Glatze und Springerstiefel tatsächlich auch wiederkommen. Die Rechte hat sich einfach sehr, sehr breit aufgestellt in den letzten Jahren und hat Netzwerke gebaut. Man sieht es an den Materialien: Der Wahlkampf ist immer eine Materialschlacht, aber dass was wir dieses Jahr sowohl kommunal, im Europawahlkampf als auch jetzt im Landtagswahlkampf gemerkt haben, ist, dass es einfach eine massive Flut an Materialien von AfD, aber auch vom Dritten Weg gibt. Damit können andere Parteien oder auch andere Initiativen gar nicht richtig mithalten. Da steckt nicht nur eine große Infrastruktur dahinter und viele Personen, sondern auch massig Geld. Es ist erschreckend zu sehen, wie die Rechte es geschafft hat, Netzwerke aufzubauen, die so schnell nicht mehr verschwinden werden.

Was hat für diese Entwicklung eine Rolle gespielt?
Tom: Gesamtgesellschaftlich gab es verschiedene Einschnitte in den letzten Jahren. Corona war eine Extremsituation, wo sich sehr viele Leute im Stich gelassen gefühlt haben und auch eigentlich nicht so richtig wussten, wo es langgeht. Da hat sich auch gezeigt, dass jahrelange Sparpolitik soziale Einrichtungen so an den Rande gebracht hat, dass sie mit dieser Extremsituation kaum umgehen konnten. Es gibt eine zunehmende Vereinsamung und Vereinzelung. Wir merken das auch immer noch in unseren Angeboten und haben das Gefühl, dass sich sehr viele zurückgezogen haben. Kulturveranstaltungen laufen lange nicht mehr so gut wie vor Corona und auch die Zielgruppe in einer nichtrechten Jugendkultur gut anzusprechen, ist viel schwerer geworden. Mein Eindruck ist, dass die Rechte gut darin ist, mit Identitätsangeboten die Gemeinschaft hochleben zu lassen. Das findet sehr großen Anklang, da hat die Rechte auf jeden Fall gewonnen.

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Wie macht sich das alle bei euch vor Ort bemerkbar?
Tom: In Strausberg merken wir, dass jahrelang nicht in soziale Infrastrukturen investiert wurde. Es gibt nicht ausreichend Angebote für Jugendliche oder junge Erwachsene in der Stadt und viele können sich die bestehenden Angebote nicht leisten. Vereine kämpfen um den Erhalt ihrer Angebote und um jeden Euro. Wir stemmen alles ehrenamtlich und versuchen viele Drittmittel einzuwerben, anders könnten wir vor Ort gar nicht die Arbeit machen, die wir machen. Während Corona wurde die Straße viel mehr als Aufenthaltsort gesucht und dort dann eher repressiv mit Security geantwortet. Das ist eine Gemengelage, wo man als Jugendlicher ganz klar merkt: Wir sind hier nicht gewünscht, wir haben nicht so richtig eine Alternative, wo wir hin können.

Eva: Was auffällt: Rechts ist Trend unter Jugendlichen, alle Coolen sind rechts oder werden es langsam. Ich bemerke in letzter Zeit überall viel, viel mehr rechte Sticker. Es geht darum, das Revier zu markieren. Das bekomme ich ganz viel mit.

Wie geht ihr mit den Rechten um?
Eva: Die sind bei uns nicht willkommen. Wir sind ganz klar ein Ort, der nicht für solche Jugendliche ist. Wir fangen auch nicht an, die alle umzuerziehen. Viele persönliche Konfrontationen hatten wir jetzt noch nicht mit rechten Jugendlichen. Vereinzelt werden Personen im Umfeld vom Kollektiv schon angemacht und angepöbelt, aber einen Angriff gab es in letzter Zeit meines Wissens nicht. Was aber öfter vorkommt ist, dass Plakate ums Haus herum abgerissen werden und dass es mit rechten Stickern vollgeklebt wird.

Tom: Als Beratungsstelle machen wir eine Chronik über rechte Vorfälle und da kann man sehen, dass rechte Pöbeleien gegen politische Gegner*innen im Vergleich zu vor fünf Jahren in unserem Umfeld enorm zugenommen haben. Die Anzahl der Angriffe hat zugenommen, auch wenn es uns noch nicht betrifft. Vor allem sind das rassistisch motivierte Angriffe, die seit jeher auf hohem Niveau sind. Was im letzten Jahr noch verstärkt dazu kam, waren queerfeindliche Angriffe. Genau das bildet eine gesellschaftliche Stimmung ab und hier merkt man die Feindbildmarkierung der Rechten, gegenüber allen, die queer sind oder irgendwie als feministisch oder queerfeministisch gelesen werden. Ich glaube, das kommt näher ans Haus ran, noch ganz anders als vor fünf Jahren. Wie gehen wir damit um? Wie gehen wir auch mit rechten Jugendlichen um, die teilweise 13, 14 Jahre sind und bei uns im Jugendtreffpunkt waren? Das sind dauerhaft Themen. Im Ehrenamt kommt man da an seine Grenzen. Aber wir reden natürlich auch, wie wir uns selbst schützen können.

Christoph Berndt [der Spitzenkandidat der AfD zur Landtagswahl, Anm. d. Red.] hat angekündigt, dass linke Jugendzentren in Brandenburg platt gemacht werden sollen, wenn die AfD gewinnt. Wir sind eine kommunale Einrichtung bzw. unser Gebäude gehört der Stadt. Wir haben gerade eine prekäre Vertragssituation. Das ist natürlich ein Damoklesschwert, was über allem schwebt, genauso wie Fragen der Finanzierung. Wir haben in den letzten Jahren gute Verbindungen zur Stadt und zu Stadtverordnetenfraktionen aufgebaut. Das nutzen wir und versuchen, in die Stadtgesellschaft hinein zu wirken.

Was ist das Worst-Case-Szenario für die anstehenden Landtagswahlen?
Eva: Das wäre für mich, wenn unser Jugendzentrum in seiner Existenz bedroht ist, dass die Mietverträge nicht verlängert werden, dass Geld gekürzt wird, dass wir nicht mehr so weiterarbeiten können wie vorher. Ich meine, es ist auch so schon anstrengend, weil man immer Gelder beantragen muss. Und wenn die dann irgendwann noch knapper werden, wird die Arbeit schwieriger. Ich glaube, es ist unwahrscheinlich, dass wir von heute auf morgen rausfliegen. Aber es wird immer schwerer zu machen, was wir machen.

Tom: Ganz grundsätzlich wäre das natürlich, wenn die AfD im Land Brandenburg stärkste Kraft wird, oder wenn keine Regierungsbildung möglich ist. Nach den aktuellen Umfragen sieht es äußerst schwierig aus. Worst Case wäre, wenn die Linke als politische Kraft aus dem Landtag fliegt. Das sind immer auch Verbündete, mit denen wir zusammenarbeiten. Gerade die diffuse Lage bereitet mir viel Bauchschmerzen.

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Was bereitet euch darüber hinaus Sorgen?
Tom: Was mir am meisten Sorgen macht, ist diese Ausweitung der rechten Netzwerke und deren Wachsen. Nach der Wahl bedeutet es noch einmal massive Gelder und Personalien, die da reinfließen, was für ein weiter Aufbau genutzt wird. Je größer das wird, desto schwieriger wird es, das auch wieder wegzukriegen oder dass sich das umkehrt. Und es macht mir Sorgen, wie die Realität, Fakten oder auch meine Wahrnehmung von der Gesellschaft so überhaupt nicht übereinstimmt mit dem, was eine Rechte wahrnimmt und was so politisch abgeht. In Strausberg spielt beispielsweise das Thema Migration eine ganz große Rolle, wenn man mit Leuten spricht. Aber faktisch stellen Migrant*innen bzw. Migration stadtgesellschaftlich überhaupt kein Problem dar. Es gibt dezentrale Wohnungen, es gibt eine sehr gute Versorgung. Trotzdem wird es zu dem Hauptproblem erklärt und medial aufgebauscht. Das erschwert auch die Arbeit mit Jugendlichen, wenn man komplett unterschiedliche Problemwahrnehmungen hat und überhaupt keine gemeinsame Basis mehr da ist.

Eva: Mir macht dieser große Rechtsruck Sorgen. Rechte Standpunkte und Themen werden immer normaler, auch gerade unter Jugendlichen. Wenn ich mit Leuten in meinem Alter diskutiere, war das vor zwei Jahren noch eher möglich. Gerade durch soziale Medien werden Sachen einfach geglaubt und gar nicht hinterfragt. Das ist besorgniserregend.

Tom: Ein sehr reales Problem ist die Zunahme von rechter Gewalt und Pöbeleien. In den letzten Jahren wurde viel davon gesprochen, dass die Baseballschlägerjahre zurückkommen oder gefragt, ob sie überhaupt aufgehört haben. Das ist ein explizit ostdeutsches Phänomen. Und irgendwie steht die ganze Zeit im Raum, dass es weiter auch gewalttätig eskaliert. Das ist eine riesige Sorge. Hier müssen wir als Netzwerk und als Verein immer gut aufeinander aufpassen, dass diese Gewalt nicht dazu führt, dass Leute komplett abgeschreckt sind und keine Lust oder Kraft mehr haben, was zu machen.

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Welche Möglichkeiten gibt es, zum Beispiel  für Leute aus München, Westdeutschland oder dem nahen Berlin, euch und ähnliche Initiativen zu unterstützen? Was würde helfen?
Tom: Sehr viele Initiativen und Netzwerke, auch wir, bauen in den letzten Jahren vermehrt auf alternative Finanzierungsstrukturen auf. Es geht darum, sich selbst resiliente Netzwerke zu schaffen, die unabhängiger von Fördergeldern sind, beispielsweise über Fördermitgliedschaften. Ich würde Polylux hervorheben, die das als Idee hatten, wirklich Netzwerke zu schaffen, die unabhängiger von parteipolitischen Entscheidungen und Richtungswechseln in der Landes- oder Bundespolitik sind. Das ist sehr wertvoll.

Die Leute können Veranstaltungen unterstützen, indem sie einfach vorbeikommen. Man kann sich informieren, sich wirklich auch mit der Geschichte „des Ostens“ bekannt machen: Was hat hier die letzten 30 Jahre gewirkt und welche Unterschiede gibt es daher zwischen Ost und West. Es gibt zum Beispiel eine viel geringere sozialpolitische Infrastruktur. Das ist ein Riesenproblem und deswegen ist es genau wichtig, die wenigen Sachen, die es gibt, auch aus der Ferne zu unterstützen. Geld ist immer eine gute Möglichkeit. Aber auch Initiativen anschreiben und einfach mal fragen: Was braucht Ihr? Manchmal sind es praktische Dinge wie konkrete Unterstützung bei einem Fest oder so. Habt ihr nicht Lust, mal vorbeizukommen?

Was habt ihr den Leuten „da draußen“ zu sagen?
Eva: Unterhaltet euch mit Leuten, führt Gespräche und versucht irgendwie Kompromisse zu finden. Eine meiner größten Sorgen ist, dass Leute einfach uninformiert Stuss quatschen und dann rechts wählen und rechte Meinungen vertreten, die nicht begründet sind. Ich will gar nicht sagen, alle aufklären, aber man darf die auch nicht einfach alleine mit ihren Meinungen stehen lassen.

Tom: Ich würde auch noch appellieren, sich zu organisieren und sich einzubringen. Es gibt viele Initiativen, Vereine, Gewerkschaften, Parteien, wo es immer Möglichkeiten gibt, sich einzubringen und tatsächlich an bestehenden Problemen etwas zu ändern. Das ist vielfältig und das können alle nach ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen machen. Es lohnt außerdem noch mal über den eigenen Tellerrand hinauszugucken, wer denn gute Bündnispartner*innen sind. Das heißt nicht, seine eigene Position ständig zu verwaschen. Aber auch noch mal zu hören: Warum sind denn manche Personen oder manche Kreise aus bestimmten Netzwerken und zivilgesellschaftlichen Bündnissen rausgerutscht? Auf der anderen Seite müssen explizit antifaschistische Gruppen wieder viel stärker in zivilgesellschaftliche Bündnisse einbezogen werden. Seit jeher haben antifaschistische Gruppen und Bündnisse die Drecksarbeit gemacht und mussten ihren Kopf hinhalten. Hier denke ich, dass gerade dieses ganze Extremismuskonstrukt ein fataler Fehler war, bestimmte Akteur*innen zu verschmähen, mit denen man super zusammenarbeiten kann und die das Know-how haben.

Als Horte waren wir Ausgangspunkt für zahlreiche Vernetzungen im Landkreis, ganz lokal oder auch überregional. Da waren viele coole Leute dabei, die sich engagiert haben, die dann selbst angefangen haben, Kundgebungen zu machen, die Bündnisse aufgebaut haben. Vernetzungsarbeit vor Ort wirkt tatsächlich. Obwohl wir einen rechten Jugendmainstream haben, gibt es gerade auch immer wieder neue und mehr Jugendliche, die Lust haben, sich politisch zu engagieren – auch bei uns. Das ist ein Hoffnungsschimmer.

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