Brasilien ist das fünftgrößte Land der Welt und die größte Demokratie Südamerikas. Und ab Januar wird Brasilien von einem rechtsextremen Präsidenten regiert. Mit einer eindeutigen Mehrheit hat Jair Bolsonaro die Stichwahlen um das Präsidentenamt am Sonntag für sich entschieden. Bolsonaro ist dabei keineswegs unbekannt. Schon seit 28 Jahren ist er Berufspolitiker und immer schon rechtsaußen: Er forderte Folter als legitimes Instrument bei der Kriminalitätsbekämpfung einzusetzen, Maria do Rosário, eine Gegnerin im Parlament, attestierte er, sie sei es nicht wert, von ihm vergewaltigt zu werden und nach eigenen Angaben wäre es ihm lieber, sein Sohn käme bei einem Unfall ums Leben, als dass er schwul wäre.
Zwar legte Bolsonaro einen „Schwur vor Gott“ ab, dass seine Regierung die Verfassung, die Freiheit und die Demokratie schützen werde, allerdings hatte er schon vor den Wahlen angekündigt, „Säuberungen“ durchzuführen. Er drohte dabei vor allem linken Politiker*innen und Aktivist*innen: „Entweder sie verlassen das Land oder sie gehen ins Gefängnis“. Ähnliches drohte er auch seinem Gegner bei den Wahlen, Fernando Haddad, an. An der Militärdiktatur, die 1964 bis 1985 in Brasilien herrschte, hat er wenig auszusetzen, außer dass die hunderten Todesopfer zu wenig waren: Der Diktatur hätten „mindestens 30.000“ Menschen mehr zum Opfer fallen müssen, so Bolsonaro.
Im Wahlkampf hat der neue Präsident dabei vor allem auf Lügen und Verleumdungen gesetzt. Brasilien hat schon länger mit dem Phänomen Fake News zu kämpfen und hat in der Vergangenheit Gesetze erlassen, die vor allem die Verbreitung von falschen Nachrichten via Facebook und Google bekämpfen sollen. Allerdings ist Whatsapp extrem beliebt in Brasilien und kann kaum kontrolliert werden. Bei 208 Millionen Einwohner*innen hat die App in Brasilien rund 120 Millionen aktive Nutzer*innen. Schon lange ist sie das wichtigste Medium des Landes und wird auch von Institution, Mediziner*innen und Politiker*innen genutzt. Im Wahlkampf meldete sich so zum Beispiel Dr. Claudio Machado zu Wort, „Konsul des Europäischen Konsulats in Brasilien“ und empfahl die Wahl Bolsonaros. Europa „würde zehnmal mehr in Brasilien investieren“ und Arbeitsplätze schaffen. Ein „Europäisches Konsulat in Brasilien“ existiert allerdings überhaupt nicht. Andere Nachrichten besagten, dass Haddad, Bolsonaros Gegner bei den Wahlen, nicht nur in einem gelben Ferrari durch São Paulo brettert (Haddad besitzt keinen Ferrari), sondern auch als Bürgermeister der Stadt Kindergärten mit Milchflaschen versorgen ließ, deren Nuckel die Form von Penissen hatten, um damit Homofeindlichkeit zu bekämpfen. Nichts an dieser Geschichte stimmt. Genausowenig wie die Behauptungen, Haddad wolle die brasilianische Flagge abschaffen oder die Kirchen verbieten. Die Faktenchecker der brasilianischen Organisation Agência Lupa haben die 50 meist geteilten Bilder im brasilianischen Wahlkampf analysiert und stufen nur vier davon als „komplett wahr“ ein. Whatsapp hat zwar auf den Missbrauch reagiert und laut eigenen Angaben hunderttausende brasilianische Accounts während des Wahlkampfes gesperrt – darunter auch den von Flavió Bolsonaro, dem Sohn des neuen Präsidenten. Der Verbreitung von Fake News konnte damit aber nicht Einhalt geboten werden.
Dabei liegt die Schuld an Bolsonaros Triumph aber auch bei seinen Gegnern. Korruption greift in Brasilien schon seit Jahren um sich, so sitzt beispielsweise einer der Amtsvorgänger Bolsonaros, Luiz Inácio Lula da Silva seit April 2018 für zwölf Jahre im Gefängnis. Seine Partei ist die “Partido dos Trabalhadores” (PT), für die auch Haddad antrat und dei seit 2002 die Präsident*in stellt. Die Organisation steht im Zentrum einer riesigen Schmiergeldaffäre – „Lava Jato“ (dt. Autowäscherei). Dazu kommt eine ausufernde Kriminalität auch in anderen Bereichen. Alleine im Jahr 2017 kamen in Brasilien 63.880 Menschen gewaltsam ums Leben. Und auch die Nachwirkungen der WM 2014 bestehen vor allem aus weiteren Korruptionsvorwürfen. Von der Wechselstimmung, die in Brasilien wegen all dieser Verwicklungen herrscht, konnte Bolsonaro profitieren. Auch viele bekannte Fußballer hatten sich für den Rechtsextremen ausgesprochen, unter anderem Ronaldinho oder Felipe Mendelo.
Auch der gesellschaftliche und politische Umgang mit der Militärdiktatur könnte einen Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt haben und zeigt vor allem, warum die Äußerungen Bolsonaros zu dieser Zeit sowenig Einfluss im Land zu haben scheinen. Die Verbrechen während der Diktatur, während der hunderte Menschen ermordet und zahllose gefoltert wurden, werden zwar aufgearbeitet, mit Strafverfolgung müssen aber die wenigsten der ehemaligen Täter*innen rechnen. Schon 1979 wurde ein Amnestiegesetz verabschiedet, dass bis heute greift. 2016 wurde ein Amtsenthebungsverfahren gegen die damalige Präsidentin Dilma Rouseff (PT) eingeleitet. Gegen sie lagen Korruptionsvorwürfe vor, die bis heute extrem umstritten sind. Rouseff war ein Opfer der Militärdiktatur und wurde mehrmals grausam gefoltert. Bolsonaro stimmte damals für die Amtsenthebung und widmete seine Stimme „Oberst Carlos Alberto Brilhante Ustra, dem Schrecken von Dilma Rousseff“. Ustra war für den Tod von mindestens 50 politischen Gefangenen und die Folterung hunderter weiterer verantwortlich. Er persönlich hatte Dilma Rouseff gefoltert. Bolsonaro benannte in seiner Zeit als Parlamentarier und im Wahlkampf allerdings auch einen Fehler der Diktatur: Die machthabenden Generäle hätten nur gefoltert, aber zu wenig getötet.
Nicht nur US-Präsident Donald Trump gratulierte Bolsonaro schnell zu seinem Wahlsieg, auch deutsche Rechtspopulisten waren begeistert. Christian Blex, Abgeordneter der AfD in Nordrhein-Westfalen gratuliert dem brasilianischen Rechtsextremen auf Twitter: „Der nächste Präsident heißt Jair Bolsonaro. Der 62-Jährige Ex-Fallschirmjäger steht für Härte, Disziplin und Gehorsam (…)“. Auch Georg Pazderski von der Berliner AfD zeigt sich interessiert, teilt einen Artikel der FAZ mit dem Titel „Ein Extremist für Brasilien“ und folgendem Kommentar bei Twitter: „Wer die politischen Auffassungen unserer links-grünen Journalisten nicht teilt, wird in den #MSM als Populist oder gar Extremist diffamiert: siehe Orban, Salvini, Kaczynski, Trump, Bolsonaro (…)“. Als wäre die Ablehnung von Rassismus, Homofeindlichkeit und Antifeminismus „links-grün“ und Menschenrechte ein verhandelbarer Aspekt der Gesellschaft.