Die gewerkschaftliche 1. Mai-Demonstration legte dieses Jahr in Kassel einen ungeplanten Zwischenstopp auf dem Königsplatz ein. Unweit des Gewerkschaftshauses ruft Michael Rudolph, Vorsitzender des DGB Nordhessen: „Die Nazis haben uns das Haus einmal genommen. Wir werden nicht zulassen, dass sie uns das Haus noch einmal nehmen. Und auch dafür demonstrieren wir heute hier am 1. Mai.“
In den frühen Morgenstunden hatten Unbekannte das Gewerkschaftshaus symbolträchtig mit rechtsextremen Parolen besprüht. In großen Lettern war dort an der Fassade „Volksverräter“ zu lesen. Auch eine Gedenktafel, die an die „Erstürmung“ des Hauses durch die Nationalsozialisten am 7. März 1933 und an die darauf stattgefundene Gleichschaltung der Gewerkschaften am 2. Mai erinnert, wurde beschmiert. Daneben stand zu lesen: „Wir sind wieder da!!!“ Auch Gegenstände, die der DGB für die 1. Mai-Kundgebung an der einen Kilometer entfernten Drahtbrücke abgestellt hatte, wurden besprüht.
„Bislang haben wir erst wenig Hinweise auf die Täter“, sagt Sabine Knöll, Sprecherin der Polizei in Kassel. Es wurde handelsübliche grüne Farbe verwandt. Rückschlüsse seien deswegen nur schwer möglich. „Das Ergebnis der weiteren Ermittlungsarbeit hängt wesentlich von Hinweisen aus der Bevölkerung ab“, so Knöll weiter. Dass die Täter*innen von Passanten gesehen wurden ist nicht unwahrscheinlich, bewegten sie sich doch in den frühen Morgenstunden zwischen Drahtbrücke und Gewerkschaftshaus. An beiden Orten wurde die gleiche Farbe verwandt. Insgesamt entstand ein Sachschaden in Höhe von 1.000 Euro.
Kassel Schwerpunktregion neonazistischer Aktivitäten
Nicht zum ersten Mal müssen Gewerkschafter*innnen aus Kassel unliebsame Bekanntschaft mit Neonazis machen. Am 14. Februar 2009 wurde die Insassen eines Gewerkschaftsbuses aus Nordhessen auf der Rückfahrt von einer Demonstration gegen Rechtsextremismus an der Autobahnraststätte Teufelstal von Neonazis angegriffen. Fünf Personen wurden verletzt, davon eine schwer. Der Fall erregte bundesweit mediale Aufmerksamkeit. Bis heute konnten die Täter*innen nicht überführt werden.
Nach Angaben des hessischen Verfassungsschutzes zählt Kassel, neben dem Schwalm-Eder-Kreis, zu den Schwerpunktregionen neonazistischer Aktivität in Nordhessen. Neonazistische Gruppierungen firmieren abwechselnd unter dem Namen „Freier Widerstand Kassel“, „Freie Nationalisten Kassel“ oder „Autonome Nationalisten Kassel“ (ANKS), können aber einem homogenen Personenspektrum zugeordnet werden. Dieser Personenkreis ist auch in neonazistischen Netzwerken außerhalb Hessens aktiv. Auf deren Spuckis finden sich Sprüche wie „Linke Strukturen platzen lassen“ oder „Linke Strukturen aus der Stadt fegen“. Darunter prangern die Logos von ver.di und Linkspartei. Auch das Verteilen von Propagandamaterial und das Anbringen von Graffitis gehört zu den Aktivitäten der Kasseler „Kameraden“.
DGB-Nordhessen engagiert gegen Rechtsextremismus
Der DGB fordert seit langem das Verbot der NPD und aller neonazistischen Organisationen. „Mit einem alleinigen Verbot der NPD ist es allerdings nicht getan. Die Arbeit gegen Rechtsextremismus muss in die Gesellschaft hinein wirken. Dazu müssen wir auch in den Betrieben deutlich machen, dass wir keine Nazis in unseren Reihen akzeptieren“, so Rudolph. Der DGB Nordhessen setzt auf präventive Arbeit. „Es ist kein Geheimnis, dass wir uns gegen Rassismus, Nationalismus und Neonazismus engagieren“, erklärt Rudolph weiter. So werden regelmäßig Demonstrationen organisiert. Der DGB nimmt an Veranstaltungen teil und zeigt auf Transparenten im öffentlichen Raum Gesicht gegen Neonazis. Ver.di hat in Zusammenarbeit mit dem VVN-BdA-Ausstellung in Kassel die Wanderausstellung „Neofaschismus in Deutschland“ vorgestellt. Die DGB-Jugend Hessen war zudem Projektpartnerin des European Resistance Archive online. Ziel des Projekts war es, die Arbeit von europäischen Antifaschist*innen gegen den Nationalsozialismus zu dokumentieren.
Derzeit engagiert sich die DGB-Jugend im hessischen Netzwerk für Demokratie und Courage. Gemeinsam mit dem Bund der deutschen katholischen Jugend in Hessen werden an Schulen die Projekttage „Für Demokratie Courage zeigen“ durchgeführt. Ausgebildete Teamer*innen führen eine dreitägige Fortbildungsveranstaltung durch. In den kommenden Wochen stehen Veranstaltungen für 17 Klassen an zehn Schulen der Jahrgangsstufe Acht im Schwalm-Eder-Kreis an. In Vorträgen, Rollenspielen und Diskussionsrunden erfahren die Schüler*innen über Vorurteile, Rassismus, rechtsextreme Aktivitäten und lernen, wie man sich couragiert dagegen einsetzen kann. Finanzielle Unterstützung kommt durch das Projekt „Gewalt geht nicht“ im Schwalm-Eder-Kreis, das nach den brutalen Übergriffen von Neonazis auf ein Campinglager der Linksjugend solid, und anderen Vorfällen ins Leben gerufen wurde. „Dieses wichtige Projekt sollte eigentlich dauerhaft von der Landesregierung unterstützt werden“, fordert Rudolph. Die hessische Landesregierung stellt, anders als in anderen Bundesländern, derzeit allerdings keine Mittel für das Projekt bereit.
Christian Spiegelberg
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).