Am 27. April 2009, begann am Amtsgericht Weißenfels der Prozess gegen den damals 27-jährigen NPD-Funktionär Enrico N. wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung. Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten zur Last, vor mehr als einem Jahr in Weißenfels gemeinsam mit weiteren unbekannt gebliebenen Mittätern einen damals 15-jährigen alternativen Jugendlichen verfolgt, „scheiß Zeckenschwein“ erst beleidigt und direkt vor seiner Wohnung angegriffen und verletzt zu haben. Zur Verhandlung sind fünf Zeugen geladen.
Am 10. Februar 2008 gegen Mitternacht bemerkte ein alternativer Jugendlicher auf dem Nachhauseweg am Bahnhof zwei Autos, die auffällig langsam an ihm vorbeifuhren. Fast zu Hause angekommen kam ihm eines der Autos entgegen und stoppte. Als mehrere Männer heraussprangen, versuchte der Betroffene noch, sich im Haus in Sicherheit zu bringen. Aber seine Verfolger hatten ihn bereits eingeholt. Jetzt erkannte der Schüler unter den Angreifern den NPD- Vorsitzenden von Weißenfels, der ihn beleidigte, schubste und mehrmals mit der Faust gegen seinen Kopf schlug. Dann trat er gemeinsam mit mindestens vier weiteren Männern unter Beschimpfungen wie „Scheiß Zecke“ auf den mittlerweile am Boden hockenden Betroffenen ein. Schließlich versuchten die Angreifer mit den Worten „Du kommst jetzt mit“ den Jugendlichen in Richtung ihres Autos zu zerren.
Rettung in letzter Not
In diesem Moment eilten, durch die lauten Schreie des Betroffenen alarmiert, Mutter und Bruder zu Hilfe, woraufhin es dem Betroffenen gelang sich loszureißen. Bei dem Versuch, zwei der Neonazis vom Grundstück zu drängen, wurde auch der damals 23-jährige Bruder des Betroffenen mehrfach geschlagen. Als die Mutter laut rief, jemand solle die Polizei alarmieren, flüchteten die Rechten. Der 15-jährige Betroffene erlitt eine Schädelprellung, ein Schädel-Hirn-Trauma sowiePrellungen und Hämatome an Oberkörper und Kopf und musste mit Verdacht auf Schädelbruch mehrere Tage stationär im Krankenhaus behandelt werden. Sein Bruder erlitt u.a. Prellungen im Gesicht und am Knie.
Sollte sich der Anklagevorwurf bestätigen, wäre dies ein erneuter Beweis dafür, dass auch offizielle Parteifunktionäre der NPD nicht davor zurückschrecken, gewaltsam gegen Personen vorzugehen, die nicht ins rechte Weltbild passen bzw. als so genannte politische Gegner angesehen werden. Enrico N. wurde im Dezember 2006 zum Vorsitzenden der NPD-Ortsbereichsgruppe Weißenfels und im Juli 2007 zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden des Kreisverbands Burgenlandkreis gewählt. Für die Kreistagswahl 2007 stellte die NPD-Burgenland N. als Listenführer für den Wahlbereich III auf.
„Bis heute beschäftigt mich die Frage, was die Angreifer noch mit mir gemacht hätten“, so der Betroffene kurz vor Verhandlungsbeginn zu dem traumatischen Erlebnis. Dass das Amtsgericht Weißenfels dem heute 16-jährigen Betroffenen die Beiordnung eines anwaltlichen Beistands in der Verhandlung gegen den NPD-Funktionär mit dem Argument verwehrt, er könne seine Rechte vor Gericht selbst wahrnehmen, ist nicht nachvollziehbar“, kritisiert eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).