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Braune Kids – hilflose Lehrer? Herausforderungen an eine Pädagogik „gegen Rechtsextremismus“

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„Und wenn die Rechten eines Tages auf unserem Schulhof und am Schultor agitieren, dann verjagen wir sie schon“. Die selbstsichere Entschlossenheit des Rektors, der kürzlich diese Äußerung tat, in allen Ehren: helfen allerdings vermag sie gegen die Propagandaangriffe von Rechts außen kaum. Zum Einen wissen wir seit längerem: Extrem rechtes Gedankengut streuen beileibe nicht nur ausgewiesene braune Rattenfänger mit entsprechendem Parteibuch und organisatorischer Bin-dung unter junge Leute.

Zum Anderen ? und dies ist neu ? hat sich die Schulhofansprache seit kurzem ins World Wide Web verlagert. Unter www.schulhof.net werden Jugendliche nicht nur aufgerufen, sich den „Freien Nationalisten? anzuschließen und Kontakt zu entsprechenden Regionalgruppen aufzunehmen. Hier lassen sich auch einschlägige Musikstücke downloaden. Rechtsextreme Jugendkultur geht in die Kampagnen-Offensive ? und ist so clever, sich dabei auf einem Niveau zu bewegen, das rechtlich unanfechtbar erscheint.

„Und was jetzt??, fragen sich Lehrpersonen und Schulleitungen. Vorbeugen? Ignorieren? Intervenieren? Oder was?

„Baby-Skins?

Im Vergleich zur inzwischen relativ breit ausgebauten empirischen For-schung über Gewalt in, an und im Umfeld von Schulen sind genauere Untersuchungen zum Verhältnis von Schule und Rechtsextremismus noch Mangelware. Dies ist um so bedauerlicher, als sich seit einigen Jahren deutliche Tendenzen einer Verjüngung der Szene abzeichnen. Gerade die für rechtzeitiges pädagogisches Eingreifen relevanten Einstiegsprozesse erfolgen oft bereits im Alter von zwölf, 13 Jahren („Baby-Skins?). Vorhandene Erkenntnisse beziehen sich meist auf eine von der Schulform- beziehungsweise vom Bildungsniveau abhängige rechtsextreme Anfälligkeit. Nahezu durchwegs wird festgestellt, dass rechtsextreme Affinitäten beziehungsweise Gefährdungen um so größer sind, je geringer die schulische Qualifikation ausfällt. Die Frage ist allerdings, ob es sich bei diesem Befund nicht um einen methodischen Artefakt handelt.

Man sollte sich in diesem Kontext doch darüber im Klaren sein, dass in den Mittelschichten qua Sozialisation eher Zurückhaltung und Vorsicht hinsichtlich deutlich akzentuierter extremer politischer Positionen vorherrscht. Auch ist in diesen Kreisen stärker die Präferenz von struktureller Gewalt gegenüber physischer zur Durchsetzung eigener Interessen verbreitet. Solche schichtspezifischen Verhaltensweisen lassen kaum erwarten, dass Untersuchungen, die mit einem traditionellen Rechtsextremismusbegriff operieren, die in der Mittelschicht eher subkutan wirksamen antidemokratischen Potenziale zu Tage bringen. Insbesondere werden dabei Strömungen, die übergangslos vom rechten Extremismus in den Neokonservativismus reichen, allzu leicht übersehen.

Spitze des Eisbergs

Anders formuliert: Der sichtbare und offen propagierte rechte Extremismus bildet nur die Spitze eines Eisbergs. Und, wie in der Natur, so ist auch im politischen Bereich zu vermuten, dass der Rechtsextremismus seine Stabilität und Bedrohlichkeit für das Schiff der Demokratie vor allem aus der ungleich größeren Masse bezieht, die unter der Oberfläche schwimmt. Die Formel „Je mehr Bildung, desto weniger Rechtsextremismus? kann demnach trügerisch sein.

Dies gilt zumal dann, wenn man Bildung ? wie dies unser Schulsystem im Wesentlichen macht – nahezu ausschließlich als arbeitsmarktrelevante Formalqualifikation begreift. Dagegen wird kaum mehr Solidarität als wichtiges Lernziel formuliert. Es ist daher ein fataler Ansatz, die Bekämpfung von Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus auf Sonder- und Haupt- bzw. Berufsschulen zu begrenzen oder zumindest auf diese zu fokussieren.

Eine Schule „gegen Rechtsextremismus“

Stattdessen benötigen wir eine breit angelegte schulische Initiative, die der Prävention einen angemessenen Stellenwert einräumt. Sie sollte die eigenständige Identitätsbildung von Schülern fördern, um diese gegen recht(sextrem)e Köderungen zu immunisieren. Den folgenden Punkten kommt dabei eine vorrangige Bedeutung zu:

Schule und Leben integrieren

Bei rechtsextrem orientierten Jugendlichen ist, deutlicher noch als bei anderem Klientel, ein Bild von Schule wahrnehmbar, das in der Feststellung gipfelt: „Mein Leben und Schule ? das sind zwei Dinge, die nichts miteinander zu tun haben; die Schule behindert mein Leben und das eigentliche Leben des Alltags beginnt erst nach der Schule?. Wenn junge Leute so empfinden, muss sich Schule fragen: Wie lässt sich Leben in Schule und wie lässt sich Schule ins Leben besser integrieren? Dies gilt nicht nur für Lernformen, sondern sogar primär für den Lernstoff.

Ein Beispiel: Rechtsextrem orientierte Skins haben fast immer großes Interesse an der Geschichte ihrer Jugendkultur. Warum sollte sie nicht im Geschichtsunterricht aufgearbeitet werden? Im Sinne demokratischer Aufklärung bringt das wahrscheinlich weitaus mehr als der wohlmeinende, aber durchaus schiefe Verweis auf die Kontinuität des Nationalsozialismus im heutigen Rechtsextremismus.

Die Schüler wüssten dann etwa, dass die Skinhead-Bewegung ihre Ursprünge in der Karibik hat, Dunkelhäutige ihre anfänglichen Protagonisten waren und Skinheads auch dezidiert antirassistisch, ja sogar extrem links sein können. Historisches Lernen, das an vorhandenen Interessen der Lernenden anknüpft, müsste keine Zeit und Tricks darauf verwenden, Abwehrhaltungen argumentativ auszuhebeln.

Bedürfnisse nach Teilhabe ernst nehmen

Wir wissen: Ein lern- und toleranzförderliches Klima basiert vor allem auf Beziehungsqualitäten. Hier ist die Struktur der Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern sowie zwischen Jugendlichen untereinander von herausragender Bedeutung. Die beste Voraussetzung dafür ist eine Schul- und Lernkultur, in der alle Zugehörigkeit, Anerkennung und Partizipation erleben können. Wird Zugehörigkeit nicht durch das Gefühl, im Alltag nützlich und etwas wert zu sein, erfahren, sucht sie sich leicht andere, biologistische Bezugspunkte: durch nationale, geschlechtsspezifische oder ‚rassische? Zugehörigkeit.

Zugehörigkeit zu Schule und Klassenverband ist nicht auf Leistungs-erbringung reduzierbar; sie gründet nicht minder in sozialen Kompetenzen und Funktionen. Deshalb muss schulische Anerkennung weit über Leistungsbewertung und Notenvergabe hinausgehen. Ansätze sind zum Beispiel Anerkennung von freiwilliger Aktivität (etwa als Streitschlichter) in Zeugnissen. Wo Anerkennung nicht auf gesellschaftlich akzeptable Weise erworben wird, rekurriert das Bedürfnis nach ihr meist rasch auf andere ausgrenzende Formen wie sie die extreme Rechte zuhauf in Bildern wie dem letzten ‚aufrechten Deutschen? oder dem ‚Verteidiger des Abendlands? anbietet.

Insoweit das Bedürfnis nach sozialer und politischer Teilhabe in demokratischen gesellschaftlichen Zentralinstanzen ? also auch in Schule ? nicht befriedigt wird, sucht es andernorts Erfüllung. Zu den Zielgruppen, die besondere Aufmerksamkeit brauchen, gehören die Jungen. Sie sind immer noch überproportional gefährdet, nach rechts abzudriften. Noch weniger als die außerschulische Pädagogik hat bisher die Schulpädagogik auf diesen Fakt reagiert. Hintergründe in der männlichen Sozialisation und innerhalb der eben gerade nicht sonderlich jungenförderlichen Strukturen von Schule müssten daher gezielt durch eine geschlechterreflektierende Arbeit aufgearbeitet werden.

Positive Selbstwerterfahrungen

Da – selbst wenn gerechtere Bildungschancen angestrebt und notwendige Unterstützungsformen für schulisches Lernen ausgebaut sind – die Zugehörigkeits-, Anerkennungs- und Partizipationsmöglichkeiten in der bestehenden Leistungsschule durch ihren zentralen Qualifizierungsauftrag limitiert sind, könnten außerunterrichtliche Aktivitäten hier manches kompensieren. Wer etwa im Schulchor oder in der Sport-AG jene positive Selbstwerterfahrungen macht, die die eigene Person als einzigartig und gleichzeitig sozial eingebunden erleben lässt, sieht sich nicht veranlasst, Identität von dort zu leihen, wo sie wohlfeil angeboten wird: als ‚weißer Arier? oder ‚Kanakenhasser?.

Öffnung von Schulen für das Gemeinwesen

Wenn seit Herman Nohl bekannt ist, dass die Probleme, die Kinder und Jugendliche machen, eng mit jenen zusammenhängen, die sie haben, dann müssen die außerschulischen Lebenskontexte von jungen Menschen stärker in Schule Berücksichtigung finden. Halbwüchsige erfinden politische Auffassungen nicht neu; sie finden sie vielmehr in den Räumen ihres Aufwachsens vor. Schule muss sich zum Gemeinwesen hin öffnen mit dem Ziel, die Bedürfnisse und Probleme von Schülern und ihren Familien sensibler als bislang wahrzunehmen.

„Und was nützt das alles?? ? so werden manche fragen. In der Tat, wir wissen viel zu wenig über Erfolg, Wirkung und Effizienz pädagogischer Maßnahmen inner- und außerhalb von Schule. In dieser Hinsicht muss die Pädagogik in Deutschland noch aus dem Status einer Entwicklungsregion herausfinden.

Der Autor ist Professor an der Hochschule Esslingen und forscht zu Rechtsextremismus sowie Theorien und Praxis sozialer Arbeit. Der Artikel erschien erstmals in der GEW-Zeitschrift „Erziehung und Wissenschaft“ (3/2005) und wurde uns freundlicherweise von den Herausgebern und dem Autor zur Verfügung gestellt.

Zum Thema

| Aktive Schulen

| Pädagogische Antworten auf Rechtsextremismus

| Initiativen in Ihrem Bundesland

| Was verbirgt sich hinter der Schulhof-CD?

Weblinks

| Argumentationstraining gegen Rechtsextremismus an der Schule

| Dimensionen schulischen Umgangs mit Rechtsextremismus

| Beispielhaft: Das Leipziger Schulmuseum

| Wenn Schüler sich mit ‚Heil‘ begrüßen

| Netzwerk-Courage

| Schule ohne Rassismus

| Anne Frank Zentrum

| Amadeu Antonio Stiftung

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