Dieser Text ist ein Auszug aus der neuen Broschüre „Frauenhassende Online-Subkulturen“ der Amadeu Antonio Stiftung.
Betrachten wir die rechtsextremen Angriffe in Deutschland der letzten Jahre. Das Attentat von Halle, das in einem der größten antisemitischen Anschläge der Nachkriegszeit geendet hätte und lediglich an der Synagogentür scheiterte – dennoch fielen dem Täter zwei Menschen zum Opfer. Der Anschlag von Hanau, bei dem der Attentäter zehn Personen ermordete, inklusive der eigenen Mutter. Die Drohschreiben des „NSU 2.0“. Die Bombendrohungen des sogenannten „Staatsstreichorchesters“. Die rechtsextremistische Prepper-Gruppe Nordkreuz. Akzelerationistische Terrorgruppen wie die Feuerkriegs- oder Atomwaffendivision. Sie haben nicht nur den im rechtsextremen Denken fest verwurzelten Antisemitismus und Rassismus gemein, sondern auch: Antifeminismus, Frauenhass, LGBTIQ-Feindlichkeit und Maskulinismus.
Der Hass auf alles weiblich Konnotierte ist integraler Bestandteil rechtsextremer Ideologie, und auch immer wieder Motivation für Terrorakte. Der rechtsterroristische Attentäter von Oslo/Ütoya, der 2011 insgesamt 77 Menschen ermordete, schrieb in seinem Manifest ausführlich über die Gefahr von Feminismus, Gender-Mainstreaming und den allgemeinen Verfall traditioneller Geschlechterrollen. Der Attentäter von Christchurch lässt sich in seinem auf dem Imageboard 8kun publizierten „Manifest“ über transidente Menschen und Homosexuelle aus und empört sich über die „Degeneration“ des westlichen Mannes. „Es ist ein Text für Männer, die noch nicht ‚verweichlicht‘ oder ‚feminisiert‘ seien. Sie sollen endlich wieder Kämpfer und Soldaten werden, Männer, die ihr Land und ihre Frauen schützen könnten und würden,“ so der Autor und Journalist Andreas Speit über den Täter.
Der Attentäter von Halle erklärt innerhalb der ersten Minute seines Livestreams, dass Feminismus schuld sei an den sinkenden Geburtenraten des Westens. Die Analyse der Manifeste von Terroristen aus dem explizit frauenfeindlichen Incel-Spektrum offenbart ein auch rassistisches und antisemitisches Denken. Auch rechtsextreme Gruppen wie die Identitäre Bewegung oder die US-amerikanischen Proud Boys betonen immer wieder die Notwendigkeit soldatischer Männlichkeit und traditioneller Geschlechterrollen.
Die maskulinistische Szene, die zahlreiche personelle und ideelle Überschneidungen mit rechtsextremistischen Strukturen hat, ist ausgesprochen vielfältig. Die einen treffen sich auf dem groß en und vielfältigen Forum Reddit in Gruppen wie den MGTOWs, „Men going their own way“, und wieder andere versuchen als Pick-Up-Artists, Frauen zum Sex zu manipulieren – dies kann bis zur Nötigung reichen – und ihnen zu zeigen, welche Rolle sie für den Mann einnehmen: die eines Objekts, das nur zum Benutzen gut ist. Wieder andere organisieren sich in der sogenannten „Männerrechtsbewegung“ oder in Gruppen wie der Identitären Bewegung.
Da diese Gruppen jedoch bereits weitestgehend analysiert sind, wird sich die folgende Recherche auf bisher wenig beobachtete und analysierte virtuelle Räume fokussieren. Die Plattformen des sogenannten „Dark Social“ sind größtenteils unbeobachtet von Sicherheitsbehörden. „Dark Social“ beschreibt den nicht verfolgbaren und nicht von messbaren Quellen ausgehenden Datenverkehr auf Webseiten; also Instant-Messenger wie Telegram, aber auch Imageboards wie 4chan oder 8kun, die keinerlei Registrierung der Nutzerbasis verlangen. Der Prozess um den Attentäter von Halle hat auf erschreckende Weise deutlich gemacht, dass deutsche Behörden Imageboards wie 4chan oder das deutschsprachige Äquivalent Kohlchan trotz der Tatsache, dass sich dort seit Jahren eine primär weiße, männliche Userbasis radikalisiert, noch weitestgehend unbeobachtet lassen: so musste erst die Journalistin und Rechtsextremismus-Expertin Karolin Schwarz herangezogen werden, um das virtuelle Umfeld des Täters zu erklären, da Gutachterin, Polizei und Gericht diesbezüglich weitestgehend unbewandert waren.
Imageboards wie 4chan, 8kun oder Kohlchan sind Plattformen, die sich als die letzten von der lästigen „politischen Korrektheit“ freien Bastionen im Internet präsentieren und in denen Vergewaltigungsfantasien oder Holocaustleugnung an der Tagesordnung sind – selbstverständlich „just for the lulz“, also nur zum Spaß. Zu den Usern dieser Imageboards zählen auch sogenannte „Incels“, also: „Involuntary Celibates“, unfreiwillig sexuell enthaltsam lebende Männer. Incels vertreten die Ansicht, dass Frauen ihnen den Sex schuldig seien. Sie verweigerten den Incels diesen jedoch, da sie sich als Resultat der vom Feminismus propagierten freien Partnerwahl nur um hyperattraktive Männer, sogenannte „Chads“ bemühen würden. Incels, die sich selbst obsessiv mit ihrem als ausgesprochen unattraktiv wahrgenommenen Aussehen befassen, betrachten sich selbst als von Frauen verschmähte Verlierer im sexuellen Wettbewerb. Außer auf Imageboards, vor allem dem 4chan-Unterforum /r9k/ fantasieren sie auf Foren wie incels.co oder lookism.net darüber, Frauen dafür zu bestrafen, dass diese ihnen den Sex verweigern, und prahlen unter anderem damit, Frauen Gewalt angetan zu haben.
In Nordamerika haben Incel-Attentate laut dem dem „Australian Journal of Political Science” mindestens 50 Menschenleben gekostet, und seit 2014 mindestens 58 weitere Menschen verletzt“. In Kanada werden seit dem Mord durch einen Incel an der Mitarbeiterin eines erotischen Massage-Salons im Februar 2020 Incel-Attentate inzwischen als eine Form von Terror klassifiziert. Incel-Terroristen wie die Täter des Amoklaufs von Santa Barbara 2014 (6 Tote, 14 Verletzte) oder Toronto (10 Tote, 16 Verletzte) werden in der Szene als Helden und Heilige glorifiziert. Auch der Attentäter von Halle verwies mit einem nach dem Toronto-Attentäter betitelten Lied des Rappers Egg White, das er während seines Livestreams hörte, auf zumindest ideelle Verbindungen zur Incel-Szene.
Die Studie „Frauenhassende Online-Subkulturen“ hat sich zur Aufgabe gemacht, diese Gruppierungen, ihre Sprache und ihre Ideologie hermeneutisch zu analysieren. Neben der Sprache wird auch die Meme-Kultur auf Imageboards und Incel-Foren einer Analyse unterzogen. Es wird sich hierbei vor allem auf das Frauenbild im Besonderen und das Geschlechterbild im Allgemeinen fokussiert, um anschließend aufzuzeigen, wie durch diese Darstellungen und Narrative rechtsextreme Ideologien vermittelt werden.
Die neuen Handreichung „Frauenhassende Online-Subkulturen“ gibt einen Überblick über die zentralen antifeministischen Narrative rechtsextremer Online-Subkulturen, erklärt antifeministische Memes, und vermittelt Einblicke in die gängigsten Plattformen der Online-Rechtsextremen.
Am Dienstag den 11. Mai sprechen Veronika Kracher und Judith Rahner live auf dem Instagram-Account der Amadeu Antonio Stiftung über die Broschüre.
Die Broschüre „Frauenhassende Online-Subkulturen“ der Amadeu Antonio Stiftung kann hier heruntergeladen oder als Printversion bestellt werden:
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