Sein Sie offen für Berichtigungen und dafür, Fehler einzugestehen. Eine gelebte Debattenkultur für die offene Gesellschaft bedeutet aber auch, klare Grenzen zu ziehen: Menschenfeindliche Äußerungen sollten Sie auch im digitalen Raum nicht tolerieren.
Best Practice zur Medienkompetenz und Netzkultur
- Begreifen Sie Soziale Netzwerke als Mittel zum Dialog
- Trauen Sie sich, parteilich zu sein – schaffen Sie so einen Mehrwert für Ihre Community
- Durchbrechen Sie Filterblasen
- Wirken Sie dem Online-Enthemmungseffekt entgegen
- Befeuern Sie keine Skandale
- Helfen Sie, die Grenze des Sagbaren festzuschreiben
- Sein Sie sprachlich präzise bei der Bewertung von Phänomenen
- Versuchen Sie nicht, Meinungen im Netz über Sie zu kontrollieren
- Entwickeln Sie eine visuelle Handschrift
- tl;dr („Too long; didn’t read“)? – Verzichten Sie auf Textwüsten
Best Practice zur Medienkompetenz und Netzkultur
Wie entscheidend das Wissen um die Mechanismen digitaler Räume sein kann, ließ sich sehr gut bei den Diskussionen um die Auswertung der Europawahl im Mai 2019 beobachten: Ein Video des YouTubers Rezo löste eine breite Debatte über das Verhältnis von Politik und Sozialen Netzwerken aus. Er empfahl in seinem 55 Minuten langen Video, keine Parteien zu wählen, die sich nicht ausreichend für eine andere Klimapolitik einsetzen. Sein Rant, quasi die elektronische Version einer Wutrede, entwickelte sich nach der Veröffentlichung zu einem YouTube-Hit: Das Video hat mit Stand November 2019 mehr als 16 Millionen Aufrufe.
Die auf die Veröffentlichung folgende Debatte drehte sich um die Fragen, warum die etablierten Parteien so wenig Erfolg im Internet haben und wie mit der Kritik von Rezo politisch und journalistisch umgegangen werden sollte. YouTube fand im Rahmen der Debatte als Ort von Meinungsbildung, Informationsaustausch und Entscheidungsfindung endlich die nötige Anerkennung. Auch konnte hier konkret beobachtet werden, dass Social Media-Influencer*innen durchaus erfolgreich politische und gesellschaftliche Debatten anstoßen können – mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln von Video- und Netzkultur und digitaler Kommunikationsinfrastruktur. Die immer schon künstliche Trennung zwischen digitaler und analoger Welt ist daher längst obsolet geworden. Wo früher Passant*innen auf der Straße befragt wurden, werden heute Tweets in Nachrichtensendungen eingebunden. Internationale Kampagnen und politische Bewegungen, wie #Metoo oder Fridays for Future haben im digitalen Raum ihren Ausgangspunkt.
1. Begreifen Sie Soziale Netzwerke als Mittel zum Dialog
Als zivilgesellschaftliche Organisation Soziale Netzwerke zu benutzen, bedeutet, mit den Nutzer*innen dieser Netzwerke in einen echten Dialog zu treten – von dieser Prämisse wird jede gute Social Media-Arbeit ausgehen. Das ist durchaus nicht als Floskel zu verstehen, sondern bedeutet zum Beispiel, Anregungen oder Kritik ernst zu nehmen und tatsächlich darauf einzugehen. Dialog kann auch heißen, bei Anfragen, zum Beispiel zu Publikationen, nicht auf die zuständige Fachabteilung und deren Mailadresse oder Telefonnummer zu verweisen, sondern die Frage da zu beantworten, wo sie auch gestellt wurde.
Beteiligen Sie sich darüber hinaus auch jenseits Ihrer eigenen Seiten an Diskussionen: Beispielsweise, indem Sie auf den Seiten von Partnerorganisationen oder Freund*innen Ihrer Organisation kommentieren, dort zu Erreichtem gratulieren oder Ihre Solidarität in schwierigen Situationen bekräftigen. Mit Kommentaren unter thematisch relevanten Beiträgen auf den Social Media-Seiten großer Nachrichtenseiten können Sie mitunter viele Tausend neue Nutzer*innen erreichen. Sie können dort auch in Diskussionen einsteigen, sollten sich aber nicht in nervenaufreibenden Debatten mit einzelnen Troll-Accounts verlieren. Identifizieren Sie Seiten, auf denen Ihre Zielgruppe oder Entscheider*innen zu Ihren Themen unterwegs sind, und erregen Sie dort ihre Aufmerksamkeit.
2. Trauen Sie sich, parteilich zu sein – schaffen Sie so einen Mehrwert für Ihre Community
Die Menschen folgen Organisationen der Zivilgesellschaft nicht, weil sie da ihre Pressemitteilungen nachlesen können oder weil dort unkommentiert Links zu Nachrichtenseiten geteilt werden. Sie folgen ihnen, weil sie sie für ihre Expertise, Perspektive und Parteilichkeit schätzen. Ihre Follower*innen wünschen sich, dass Sie Ereignisse einordnen, kommentieren, für sie Argumentationshilfen zur Verfügung stellen, Desinformation entgegenwirken und damit den Diskurs bereichern. Stoßen Sie gezielt Debatten an oder nehmen Sie Stellung zu aktuellen, gesellschaftlich relevanten Themen.
Versuchen Sie Ihren Beitrag vor der Veröffentlichung noch einmal durch die Augen Ihrer Abonnent*innen zu sehen: Bietet mein Beitrag eine interessante Perspektive? Welchen Mehrwert könnten sie davon haben, mit dem Beitrag zu interagieren? Entspreche ich den an mich gestellten Erwartungen, oder breche ich sogar bewusst damit?
3. Durchbrechen Sie Filterblasen
Algorithmen bestimmen einen großen Teil der Architektur des Internets, und deshalb sind viele Prozesse unseres Lebens und Alltags kaum mehr denkbar ohne sie – ob im Auto-Navi, im kontrollierten Satzbau in Office Word, auf Dating-Plattformen oder bei der Bewertung unserer Kreditwürdigkeit. Algorithmen bestimmen in Suchmaschinen, welche Suchergebnisse wir eingeblendet bekommen – und sorgen dafür, dass zwei Nutzer*innen unterschiedliche Ergebnisse erhalten, wenn sie den gleichen Suchbegriff eingeben. Auch in Sozialen Netzwerken sehen wir nur einen kleinen Ausschnitt der Vielzahl an Posts. Algorithmen sollen sicherstellen, dass diese Posts möglichst unseren Interessen entsprechen.
Der Netzaktivist Eli Pariser hat dieses Prinzip in seinem Buch Filter Bubble. Wie wir im Internet entmündigt werden analysiert. Pariser zeigt auf, wie Algorithmen dafür sorgen, dass wir vor allen Dingen Inhalte zu sehen bekommen, die mit unseren bestehenden Auffassungen übereinstimmen – und somit nur einen Ausschnitt der Realität, eine kuratierte Wirklichkeit. Pariser warnt, wie auch andere Kommunikationsforscher*innen, daraus ergäbe sich eine drohende intellektuelle Isolation. Das Ausmaß der technischen Personalisierung ist indessen umstritten. Kritiker*innen der Filterblasentheorie betonen, dass keine hermetisch abgeschlossenen Filterblasen existieren. Sie argumentieren, dass Menschen sich auch schon in vordigitalen Zeitaltern mit Gleichgesinnten umgaben und Medien konsumierten, die ihr Weltbild im Grundsatz bestätigten. Auch aus der psychologischen Forschung ist bekannt, dass wir solchen Informationen, die unser Weltbild stützen, unbewusst mehr Gewicht geben – und Informationen ignorieren, die geeignet sind, dieses Bild in Zweifel zu ziehen. Confirmation bias, also Verzerrung durch Bestätigungsdenken, nennen die Forscher*innen diesen Effekt.
Machen Sie sich bewusst, wie sehr die Weltwahrnehmung in der Ära digitaler Medien durch die Bestätigungs-Logik und Stereotype geprägt wird. In Ihrer Social Media-Arbeit sollten Sie daher immer wieder überraschende Ansätze wählen, die bewusst mit gewohnten Darstellungsformen brechen. Sie sollten darüber nachdenken, was eigentlich Ihre „Filter Bubble“ ausmacht und wer dazugehört. Natürlich wollen Sie Ihre Klientel bedienen – aber Sie sollten auch gezielt in andere Meinungsräume vordringen, um mit neuen Zielgruppen ins Gespräch zu kommen. Halten Sie auf Ihren Kommunikationskanälen und im Kommentarbereich den Raum für strittige, aber argumentativ abgesicherte Diskussionen offen. Führen Sie dem Diskurs auf Ihren Kanälen bewusst verschiedene Sichtweisen zu. Sein Sie offen für Berichtigungen und dafür, Fehler einzugestehen. Eine gelebte Debattenkultur für die offene Gesellschaft bedeutet aber auch, klare Grenzen zu ziehen: Menschenfeindliche Äußerungen sollten Sie auch im digitalen Raum nicht tolerieren.
4. Wirken Sie dem Online-Enthemmungseffekt entgegen
Um die Problematik der manchmal überbordenden Menschenfeindlichkeit im Internet zu analysieren und nach Lösungen zu suchen, ist es wichtig, zwischen Internet-Problem, spezifischen Plattformproblemen sowie gesellschaftlichen und politischen Ursachen zu unterscheiden. Ein klassisches Problem, das durch die technologische Architektur des Internets entsteht, hat der US-Psychologe John Suler bereits im Jahr 2004, also vor dem Siegeszug der algorithmisch gesteuerten Sozialen Netzwerke, wie wir sie heute kennen, untersucht: Suler wollte wissen, warum Online-Diskussionen so häufig und schnell eskalieren.
Als „Online Disinhibition Effect“ (Online-Enthemmungseffekt) beschreibt er die Tatsache, dass Menschen im Internet Dinge tun oder sagen, die sie ansonsten nicht tun würden – sie agieren also unbefangener. Das kann positiv sein, weil uns die Kommunikation unter einem Pseudonym erlaubt, spielerisch mit unserer Identität umzugehen. Es fehlen quasi bei der Online-Kommunikation in Chats, Diskussionen oder per Mail diejenigen Signale, die gemeinhin unsere Empathie fördern. Menschen agieren online enthemmter, weil ihr Gegenüber unsichtbar ist und sowohl Augenkontakt als auch Mimik und Gestik fehlen. Abwertung fällt außerdem leichter, weil die Kommunikation asynchron verläuft und wir keine unmittelbaren Reaktionen wahrnehmen. Dazu kommt noch, dass durch die Pseudonymität viele Menschen denken, das Internet habe einen spielerischen Charakter und online würden nicht dieselben Regeln gelten wie offline. Hinzu kommt laut Suler, dass an den meisten Kommunikationsorten des Internets eine sichtbare Autorität fehlt und manche Nutzer*innen das Netz deshalb für einen regellosen Raum halten, in dem sie sanktionslos alles äußern können.
Als Betreiber*in einer eigenen Social Media-Seite können Sie vor allem beim letzten Punkt ansetzen, engagiert moderieren, Hassredner*innen Grenzen aufzeigen und so Kommunikationsnormen durchsetzen.
5. Befeuern Sie keine Skandale
Emotionale Inhalte erhalten in Sozialen Netzwerken erfahrungsgemäß viele Reaktionen. Dieser Einsicht hat Facebook zum Beispiel im Februar 2016 mit der Einführung von sechs Emoticon-Reaktionsmöglichkeiten Rechnung getragen. Sie stehen seither neben dem schlichten Like-Button, der emblematisch für das immer noch meistgenutzte Soziale Netzwerk der Welt steht. Je kontroverser ein Thema präsentiert wird, desto mehr und umso emotionaler sprechen User*innen online darüber. Werbeagenturen nutzen dieses schlichte Kontroversitäts-Prinzip schon lange geschickt aus. Gerade grenzüberschreitende, misogyne oder rassistische Aussagen werden in Werbekampagnen gezielt eingesetzt, um Empörungswellen von Internet-Nutzer*innen auszulösen und so Aufmerksamkeit zu generieren – frei nach dem Motto „jede PR ist gute PR“.
Kontroversität und kalkulierte Tabubrüche sind aber auch ein Teil des Erfolgsgeheimnisses von rechtsradikalen Akteur*innen. Wenn etwa der Nationalsozialismus und Holocaust von Politiker*innen zu einem „Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ erklärt werden oder darüber gesprochen wird, auf Flüchtlinge an der Grenze zu schießen, dann werden diese Äußerungen in den Medien und von tausenden User*innen Sozialer Netzwerke zwar in skandalisierender Absicht wiederholt – aber sie werden tausendfach wiederholt. Andere – eigentlich radikale – Forderungen wie die nach Abschiebungen in Bürgerkriegsländer wie Libyen wirken daneben gemäßigt und irgendwie akzeptabel.
Unterscheiden Sie zwischen echten Skandalen und künstlichen Aufregern. Überlegen Sie: Verhelfen Sie durch Ihre Reaktion darauf vielleicht ungewollt einer menschenfeindlichen Aussage zu mehr Aufmerksamkeit? Lässt sich das Gesagte auch beschreiben, ohne die Äußerung wörtlich zu übernehmen? Beschreiben und benennen Sie in jedem Fall, was an der Aussage problematisch ist. Das erschließt sich nämlich nicht allen Ihren Follower*innen in jedem Fall von allein.
6. Helfen Sie, die Grenze des Sagbaren festzuschreiben
Das Konzept der Grenze des Sagbaren, das im englischen Sprachraum als „Overton-Window“ bezeichnet wird, geht auf den Politikwissenschaftler Joseph P. Overton zurück. Er bezeichnet damit eine Art Meinungs- und Äußerungsfenster, dessen Rahmen sanktionsfrei Sagbares und öffentlich Akzeptables umfasst. Im vordigitalen Zeitalter wurde dieser Rahmen von Gatekeeper*innen (englisch für Pförtner*innen), in der Regel professionellen Journalist*innen, definiert. Ihre Aussagen legten als eine Art Metakommentar fest, welche Positionen als vernünftig, gerade noch vertretbar oder eben unsagbar und zu radikal zu gelten hatten. Natürlich gab es auch schon in der vordigitalen Zeit Übertretungen dieser Grenze – aber wer das tat, musste mit Angriffen und Kritik leben. Auf diese Weise wurde durch die Instanz der Gatekeeper*innen auf die Einhaltung von Tabus geachtet.
In der „Empörungsdemokratie“, wie der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen die gegenwärtigen Kommunikationsbedingungen nennt, ist die Macht der klassischen Gatekeeper geschwunden und das Overton-Window zerbrochen. Das ist nicht nur negativ – denn dadurch werden nun auch zu Unrecht marginalisierte und übersehene Standpunkte sichtbar. Aber der Verlust des zivilisierenden Filters der Gatekeeper*innen führt dazu, dass die vernetzten Menschen sich einem „ständigen Konfrontationshagel“ (Sascha Lobo) aus Skandalen und Tabubrüchen ausgesetzt sehen.
Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein elementares Grundrecht. Sie deckt ausdrücklich jede Äußerung in Wort, Bild und Schrift ab, die nicht verboten ist. Es gibt also sehr viele Aussagen, die unüberlegt, gelogen, abwertend oder moralisch falsch sind – und dennoch erlaubt. Hier ist es eine Aufgabe der demokratischen Öffentlichkeit und insbesondere der Zivilgesellschaft, entschiedenen Widerspruch zu organisieren, und Soziale Netzwerke sind sehr geeignete Orte für solche Gegenrede.
7. Sein Sie sprachlich präzise bei der Bewertung von Phänomenen
Wie erfolgreich der Einfluss rechtspopulistischer Sprache ist, zeigt der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje besonders eindrücklich anhand des Vergleichs der letzten beiden Koalitionsverträge. Der erste Satz im Kapitel zu „Migration“ war 2013: „Deutschland ist ein weltoffenes Land.“ 2018 stand an der gleichen Stelle: „Deutschland kommt seinen rechtlichen und humanitären Verpflichtungen nach.“
Die permanente Präsenz und Wiederholung von rechtsradikaler und rechtspopulistischer Sprache im digitalen Raum trägt dazu bei, die dahinterstehenden Erzählungen zu verfestigen. Der Journalist Sebastian Pertsch vom Webprojekt Floskelwolke beschreibt im Beitrag des Medienmagazins ZAPP, wie sich rechtspopulistische und menschenfeindliche Sprache – auch durch unaufmerksame Berichterstattung – in öffentlichen Diskursen verankert. Erst würden die Begriffe in Anführungszeichen verwendet, weil den Journalist*innen noch klar ist, dass das eigentlich ein abwertend gemeinter oder rassistischer Begriff ist. Später fallen die Anführungszeichen weg, und Worte mit einem abwertenden, rassistischen oder demokratiefeindlichen Framing gehen in den allgemeinen Sprachgebrauch über und werden so „Common Sense“.
Sein Sie sprachlich präzise in der Bewertung von Phänomenen, die Ihnen online begegnen. Unterscheiden Sie zum Beispiel zwischen „konservativ“, „rechts“, „populistisch“ und „rechtsradikal“ und nutzen Sie die Worte nicht synonym zueinander. Rassistische Aussagen sollten auch als rassistisch markiert – und nicht etwa als „fremdenfeindlich“ verschleiert werden. Klare Neonazis können Sie ruhig Neonazis nennen. Und im Zusammenhang mit rechtsradikalen Parteien, die sich vom demokratischen Konsens der Gleichwertigkeit verabschiedet haben, von „rechtspopulistisch“ oder gar „bürgerlich“ zu sprechen, stellt eine Verharmlosung dar.
8. Versuchen Sie nicht, Meinungen im Netz über Sie zu kontrollieren
Kennen Sie den Streisand-Effekt? Der kann eintreten, wenn versucht wird, unliebsame Informationen bzw. Meinungsbeiträge zu entfernen oder gerichtlich untersagen zu lassen. Durch den Versuch der Unterdrückung erhalten die Beiträge plötzlich umso mehr Aufmerksamkeit und Reichweite. Das Phänomen ist nach einem Rechtsstreit benannt, in dem die US-amerikanische Schauspielerin Barbra Streisand einem Fotografen untersagen wollte, eine Luftaufnahme ihres Hauses auf einer Online-Plattform zu veröffentlichen. Erst mit ihrer Klage stellte die Schauspielerin jedoch überhaupt die Verbindung zwischen sich und dem Haus auf dem Foto her, das eigentlich die Erosion der kalifornischen Küste dokumentieren sollte. Nach der Klage verbreitete sich das Foto rasant im Netz.
Informationen und Meinungen lassen sich, einmal öffentlich geworden, in der Zeit des Internets kaum mehr unterdrücken. Einstige Kontrollmechanismen wie Klagen oder deren Androhung werden von der Netzgemeinde als Zensurversuche interpretiert. Die Empörung darüber entfaltet oft eine ungeahnte Eigendynamik. Besser: souverän bleiben, sachlich dagegen argumentieren, eigene Position darstellen, aber Kritik, die sachbezogen ist, akzeptieren.
9. Entwickeln Sie eine visuelle Handschrift
Bilder und Videos sind ein zentrales Kommunikationselement des Web 2.0: Wir lachen über Memes und Gifs, teilen Fotos aus dem letzten Urlaub über Instagram, sehen uns DIY-Tutorials auf YouTube an oder antworten im Messenger mit netten Katzen-Stickern. Auch Zahlen belegen, dass visuelle Inhalte zur Interaktion in Sozialen Netzwerken anregen: Videos werden auf Facebook zwölf Mal so oft geteilt wie Link-Postings und reine Text-Postings zusammen. Foto-Posts werden immerhin doppelt so oft geteilt wie Texte. Bei Instagram ist es nicht einmal vorgesehen, einen Post zu machen, der kein visuelles Element enthält.
Achten Sie daher bei Ihrer Posting-Strategie darauf, Ihre Inhalte mit passenden Bildern, Infografiken, Videos und Animationen zu visualisieren und damit Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit zu erhöhen. Beispielsweise können Sie eine neue Publikation natürlich mit dem Broschüren-Cover und einem Downloadlink bewerben – oder aber die interessantesten Erkenntnisse in einer Infografik Social Media-gerecht aufbereiten. Posten Sie nicht den Text Ihrer jüngsten Pressemitteilung, sondern wählen sie ein griffiges Zitat daraus aus und entwickeln Sie ein Sharepic. Formulieren Sie kurz, prägnant und zugespitzt. Behalten Sie aber auch im Kopf, dass dadurch Informationen verkürzt, umgedeutet oder – wenn Sie mit Fotos arbeiten – ungewollte Assoziationsräume geöffnet werden können.
Sie müssen nicht für jeden Post ein neues Foto aufnehmen oder eine neue Grafik erstellen. Manche Stockfotos müssen gekauft werden; aber es gibt auch Seiten, die lizenzfrei verwendbare Fotografien, Grafiken und Symbolbilder anbieten, zum Beispiel:
- https://unsplash.com
- https://pexels.com
- https://stocksnap.io
- https://pixabay.com
- https://picjumbo.com
- http://gesellschaftsbilder.de
Entwickeln Sie für Ihre Sharepics, Fotos, Videos und Bilder eine einheitliche visuelle Gestaltung mit Wiedererkennungswert. So können Sie langfristig über visuelle Elemente ein bestimmtes Format, eine Reihe oder Ihre Organisationen visuell zuordnen. Stilistische Elemente einer solchen visuellen „Handschrift“ können Ihr Logo, wiederkehrende grafische Banner, Elemente, Filter, eine Schriftart oder eine bestimmte Farbe sein. Mit webbasierten Grafikdesign-Tools können Sie auch als Nicht-Designer*in einfach eigene Bilder bearbeiten und für Soziale Medien aufbereiten, aus vorhandenen Design-Vorlagen eigene Grafiken entwickeln und selbst erstellte Grafik-Vorlagen Ihrem Team zugänglich machen.
Ein Beispiel für ein webbasiertes Grafik-Tool, das in der Grundversion kostenfrei ist:
10. tl;dr („Too long; didn’t read“)? – Verzichten Sie auf Textwüsten
Wie lesen User*innen im Netz unsere mühevoll aufbereiteten, liebevoll durchdachten und sorgfältig recherchierten Texte? Eine Untersuchung des dänischen Schriftstellers und Informatikers Jakob Nielsen zum Leseverhalten auf Websites zeichnet ein ernüchterndes Ergebnis. 79 Prozent aller User*innen nutzen Online-Texte nur kursorisch: Sie lesen die strukturierenden Überschriften, suchen nach Listen und Hervorhebungen, springen kurz in das Bildmaterial oder ziehen Kerninformationen aus der Infografik. Lediglich 16 Prozent der User*innen lesen einen Text vollständig zu Ende.
Die Lesegewohnheiten haben sich durch Online-Angebote und Soziale Medien verändert. Als Autor*innen sollten Sie darauf reagieren: Setzen Sie strukturierende Überschriften, Absätze oder Hervorhebungen. Dennoch heißt dies nicht, dass alle User*innen nur noch knappe Texte lesen. Im Gegenteil: Es gibt viele Menschen, die an gut recherchierten Inhalten interessiert sind.
Für Ihre Social Media-Arbeit vergegenwärtigen Sie sich am besten beide Aspekte: Formulieren und verarbeiten Sie im Post zu einem Artikel oder einem griffigen Sharepic die zentralen Thesen. Hier entscheiden die User*innen – ähnlich wie in Online-Texten –, ob der ausführliche Beitrag für sie selbst interessant ist. Sie können den relevanten Kern kommentieren, griffig Ihre Position in einer Debatte zusammenfassen oder Ihre Haltung zu einem gesellschaftlichen Missstand herausstellen. In ausklappbaren Longreads verarbeiten Sie tiefergehende Informationen, weiterführende Quellen, Einordnungen und Analysen. Auf Facebook und Instagram können Sie beispielsweise Zusatztexte zu einem Sharepic oder Video posten. Die Idee von Twitter basiert auf kurzen knackigen Tweets. Aber auch hier erhalten eigens für Twitter angefertigte, thematische Threads (also mehrere Posts, die aufeinander Bezug nehmen), viel Aufmerksamkeit.
Mehr aus der Broschüre „Menschenwürde online verteidigen. 33 Social Media Tipps für die Zivilgesellschaft“ von „Civic.net – Aktiv gegen Hass im Netz“ in den nächsten Tagen!
- Positionieren, abwehren, kontern: So können Sie auf Hate Speech reagieren
- Wie Sie auf rechtsextreme Kampagnen reagieren können
- Gegenrede, demokratiestärkende Narrative und Kampagnen selbst entwickeln
- Best Practice zur Medienkompetenz und Netzkultur
- Informationen, Beratung und Unterstützung
Die Broschüre als PDF zum Download:
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