Die erste seriöse Monografie unter dem Titel „Die Zelle“ legten im Juni der NDR-Redakteur John Goetz und der Leipziger Reporter Christian Fuchs vor. Reportagehaft beschreiben die beiden Journalisten die Anfänge des Terror-Trios aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, das als Jugendliche Anfang der 1990er-Jahre beginnt, sich in der rechten Szene Jenas zu radikalisieren.
Es ist die Generation Hoyerswerda. In der sächsischen Stadt kommt es im September 1991 zu tagelangen pogromartigen Ausschreitungen gegen Wohnheime von ausländischen Vertragsarbeitern und Asylbewerbern. Die Polizei unternimmt zunächst nichts und evakuiert schließlich die Flüchtlinge. Die Neonazis erklären Hoyerswerda zur „ausländerfreien Stadt“. Kurz vorher hatte CDU-Generalsekretär Volker Rühe in einem Brief die Kreisverbände seiner Partei aufgefordert, die Asylpolitik zum Thema zu machen.
Ein knappes Jahr später brennen ähnliche Wohnheime in Rostock-Lichtenhagen. Wenige Monate danach schaffen CDU, CSU, FDP und SPD das Grundrecht auf Asyl faktisch ab. Wieder können sich junge Neonazis wie das Trio in Jena als Exekutoren des Willens von Volk und Politik fühlen – man hat „gesiegt“.
All diese Hintergründe schildern Goetz und Fuchs ausführlich. Auch das stümperhafte Agieren von Polizei und Verfassungsschutz des Freistaates Thüringen bei den Ermittlungen gegen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe – die nach dem Auffliegen ihrer Bombenwerkstatt abtauchen – werden dargestellt. Das ist gut und wichtig zum Verständnis der Vorgeschichte des NSU, der in den folgenden Jahren neun Migranten und eine Polizistin kaltblütig ermordete. Dennoch macht ihr Buch ein wenig ärgerlich. Stilistisch erinnert es an Stefan Austs Klassiker „Der Baader-Meinhof-Komplex“ über die Anfänge der Roten Armee Fraktion. Doch noch weniger als in Austs Standardwerk zum linksradikalen Terror der 1970er-Jahre finden sich in „Die Zelle“ Hinweise auf die Quellen der Autoren. Offensichtlich stützen sich Goetz und Fuchs in erheblichem Maße auf Akten der Ermittlungsbehörden.
Hinweise auf Rechtsextreme ignoriert
Fast wöchentlich zeigen jedoch neue Enthüllungen, dass diese mit Vorsicht zu genießen sind. Vor und nach der Enttarnung des NSU wurden in den verschiedenen Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, aber auch in örtlichen Polizeibehörden und dem Bundeskriminalamt mindestens in erheblichem Umfang geschlampt. Immer wieder sind „zufällig“ entscheidende Akten bereits vernichtet worden. Teilweise gab es rechte Tendenzen unter Beamten der Sicherheitsbehörden selbst. Beharrlich wurden bei den Ermittlungen zu der Mordserie, die von Medien später mit dem rassistischen Begriff „Döner-Morde“ bezeichnet wurde, Hinweise auf rechtsextreme Täter ignoriert.
Dennoch finden sich bei Goetz und Fuchs kaum Hinweise auf Widersprüche, Ungereimtheiten oder offene Fragen, was besonders verwundert angesichts der Tatsache, dass die Abschlussberichte von vier parlamentarischen Untersuchungsausschüssen (im Bund, in Thüringen, Sachsen und Bayern) und die Prozesse gegen Beate Zschäpe sowie Unterstützer der Zelle noch ausstehen. Stattdessen scheinen die Autoren meist ganz genau zu wissen, was in den Köpfen der drei Haupttäter vorging, zuweilen schimmert ein fast unerträgliche Einfühlsamkeit durch. So heißt es gegen Ende des Buch: „Es sind nur noch ein paar Wochen bis zu Beate Zschäpes 37. Geburtstag. Sie hat gerade alles verloren.“ Mit „Die Zelle“ bekommt der Leser zumindest eine flott geschriebene Komprimierung der offiziellen Version der Ereignisse.
Die beiden Berliner Journalisten Maik Baumgärtner und Marcus Böttcher wählen mit ihrem Buch „Das Zwickauer Terror-Trio“ eine ähnliche Herangehensweise wie Goetz und Fuchs. Auch sie orientieren sich im Wesentlichen an der Chronologie der Ereignisse. Sie benennen aber immerhin kursorisch ihre Quellen und lassen offene Fragen, die es zuhauf gibt, als solche stehen, anstatt sich implizit als allwissend zu präsentieren.
NSU im Kontext
Einen anderen Ansatz verfolgen drei weitere Publikationen. Bereits im August erschien das Buch „Neue Nazis“ von Toralf Staud und Johannes Radke. Die Autoren – freie Journalisten, die unter anderem beide bei „Netz-gegen-Nazis“ aktiv waren – betrachten das Phänomen NSU im Kontext des Rechtsextremismus in Deutschland insgesamt. Die Geschichte des Rechtsterrorismus wird dabei genauso betrachtet wie die NPD und neuere Erscheinungen wie die Autonomen Nationalisten oder die islamfeindlichen Rechtspopulisten von der „Pro-Bewegung“. Sie stützen sich dabei auf eine Fülle früherer Veröffentlichungen zu diesen Themenkomplex. Tipps zum praktischen Umgang mit Neonazis, ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein Register sowie eine Offenlegung der Quellen in einem ausführlichen Fußnotenapparat erhöhen den Nutzwert des Bandes. Eine ausführliche Rezension des Buches ist an dieser Stelle bereits im August erschienen.
Ähnlich aufgebaut ist das Buch „Rechter Terror in Deutschland“ des Journalisten und Rechtsextremismusexperten Olaf Sundermeyer. Erst vor gut Wochen erschienen, stützt es sich ebenfalls auf frühere Recherchen des Autors – was genauso wie bei dem Buch von Staud und Radke kein Nachteil ist, sondern die inhaltliche Qualität und thematische Bandbreite erhöht. In seinem Schlusskapitel geht Sundermeyer besonders mit den Verfassungsschutzbehörden hart ins Gericht und stellt die Frage nach deren Nutzen und somit deren Existenzberechtigung. Einem Verbot der NPD hingegen steht er skeptisch gegenüber – es sei nur schwer umzusetzen, außerdem befinde sich die Partei ohnehin in einem „allmählichen Niedergang“.
Existenzberechtigung des Verfassungsschutzes und Zukunft der NPD
Patrick Gensing, der unter anderem das Blog Publikative.org betreibt, ist in dieser Frage wesentlich skeptischer. Er schreibt in seinem Buch „Terror von rechts“, die NPD-Fraktionen in den Landtagen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen seien „die Schaltzentren der Bewegung“, die NPD „eine Organisation, die die Privilegien einer Partei genießt, um das demokratische System ‚abzuwickeln'“. NPD und NSU seien „zwei Knotenpunkte in einem braunen Netz“. Gensing, dessen vorzügliches Buch ebenfalls erst im Oktober erschienen ist, plädiert für die Stärkung zivilgesellschaftlicher Initiativen, die Anerkennung der Sachkompetenz antifaschistischer Gruppen und die Abschaffung der „Extremismus-Klausel“ von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder.
Die Zukunft des Verfassungsschutzes, der Umgang mit der NPD, die Geschichte des rechten Terrors – all das ist auch Thema in dem Sammelband „Made in Thüringen?“ Herausgegeben von Bodo Ramelow, dem Fraktionschef der Linkspartei im Landtag des Freistaates, versammelt das Buch Beiträge verschiedener Autoren zu einzelnen Aspekt. Trotz des Schwerpunktes auf Thüringen und Sachsen sowie der bei einem Sammelband fast unvermeidlichen Doppelungen ist „Made in Thüringen?“ für einen umfassenden Überblick ebenfalls gut geeignet.
Brauchbar für einen guten Einstieg ins Thema sind alle genannten Publikationen, besonders empfehlenswert allerdings die Werke von Gensing und Sundermeyer. Der Nachteil aller sechs Bücher: Entwicklungen und Erkenntnisse nach Redaktionsschluss konnten naturgemäß nicht mehr berücksichtigt werden. Wie oben gezeigt, ist das beim Komplex „NSU“ ein echtes Problem. Abhilfe schaffen kann dabei etwa das „NSU-Watchblog“, das unter anderem eine interaktive Zeitleiste bietet (vgl. auch das Interview mit Frank Metzger vom apabiz).
M. Baumgärtner/M. Böttcher: „Das Zwickauer Terror-Trio. Ereignisse, Szene, Hintergründe“. Das Neue Berlin, 2012, 255 S., 14,95 €C. Fuchs/J. Goetz: „Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland“. Rowohlt, Reinbek 2012, 265 S., 14,95 €P. Gensing: „Terror von rechts. Die Nazi-Morde und das Versagen der Politik“. Rotbuch Verlag, Berlin 2012, 236 S., 14,95 €B. Ramelow (Hrsg.): „Made in Thüringen? Nazi-Terror und Verfassungsschutzskandal“. VSA Verlag, Hamburg 2012, 222 S., 12,80 €T.Staud/J. Radke: „Neue Nazis. Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, 272 S., 9,99 €O. Sundermeyer: „Rechter Terror in Deutschland. Eine Geschichte der Gewalt“. Verlag C.H. Beck, München 2012, 271 S., 16,95 €