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„Centuria“ Steht hinter dem Angriff auf einen Kiewer Club eine rechtsextreme Miliz?

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Bewaffnet und uniformiert: Auf seiner Webseite pflegt „Centuria“ ein martialisches Image.
Bewaffnet und uniformiert: Auf seiner Webseite pflegt „Centuria“ ein martialisches Image. (Quelle: Webseite-Screenshot)

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Die Attacke ist koordiniert aber kurz, vor allem ist sie eine klare Botschaft: Etwa 20 vermummte Rechtsextreme versuchen an diesem Samstag, den 27. November, den Kiewer Club HVLV zu stürmen. Bewaffnet mit Schlagstöcken und Pfefferspray dringen sie in den Hof des HVLV hinein. Sie zerstören Möbelstücke vor dem Club, die sie als Waffen einsetzen, um die Fenster einzuschlagen – teilweise mit Erfolg. Ein Angreifer zündet einen Sprengkörper und wirft ihn gegen das Gebäude. Laut Augenzeug:innen rufen sie dabei queerfeindliche und rassistische Parolen wie „White Power“, „Tod dem LGBT“ und „das LGBT-Haus muss sterben“. Kaum drei Minuten später fliehen die Täter wieder. Diese Szenen zeigen Videos von Überwachungskameras vor dem Club. Und es gibt Hinweise, dass hinter dem Angriff Mitglieder einer rechtsextremen Bürgerwehr mit Verbindungen in die ukrainische Armee stehen könnten.

Als sich der Angriff ereignet, ist es noch früh: Gegen 18:45 Uhr macht das Berliner Label Ecke Records den Soundcheck im Laden, erst um 22:00 Uhr sollen die Türen öffnen. Doch dann ertönt ein Knall: „Gebrochenes Glas fliegt durch den Raum, Pfefferspray kommt durch die zerschlagenen Fenster, begleitet von Steinen“, schreibt das Label auf Instagram. Ein Türsteher könne nach dem Angriff mit Pfefferspray nicht sehen, werde sich aber erholen. Schwerverletzte gebe es nicht.

Angriff auf den Kiewer Club HVLV (Quelle: YouTube-Screenshot)

Die nächste Polizeiwache liegt wenige Hundert Meter vom Club entfernt. Am Telefon nimmt die Polizei die Situation aber zunächst nicht ernst. Eine Clubbesucherin soll zurückrufen, wenn sie „angemessen“ reagiere, berichtet die Nachrichtenseite Zaborona berichtet. Erst 15 Minuten später, als die Täter schon geflohen sind, trifft die Polizei ein. Laut lokalen Medien wurden am Samstagabend dennoch zehn Männer vorübergehend festgenommen, die mit der Tat in Verbindung stehen.

Die rechtsextremen Angreifer hinterlassen nicht nur Trümmern und Scherben, sondern auch ihre Visitenkarte. Auf einem Aufkleber steht ein Name und QR-Code: „Centuria“ heißt die Gruppe, der Code verlinkt auf ihre Webseite. An der Wand sprühen sie eine Wolfsangel – ein neonazistisches Symbol, das unter anderem vom Regiment „Asow“ verwendet wird, einem rechtsextremen Freiwilligenbataillon, das im Ukraine-Konflikt gegen prorussische Separatisten kämpft (siehe Belltower.News).

Ein Foto auf Instagram zeigt den Club HVLV nach dem Angriff (Quelle: HVLV-Instagram)

Rechtsextreme Bürgerwehr

„Centuria“ hat seine Wurzeln in der 2017 gegründeten „Nationale Miliz“ (Natsionalni Druzhyny). Diese galt als Bürgerwehr der „Asow“-Bewegung. Ihr angebliches Ziel: Die Polizei zu unterstützen – das ist nach ukrainischem Recht erlaubt. Neben illegalen Holzeinschlag wolle die Miliz auch Straßenkriminalität und Drogenhandel bekämpfen – und ist auf Patrouille in ukrainischen Städten gegangen.

Doch auch PR-Aktionen gehören zum Programm: Die Miliz organisiert Fakelaufmärsche und medienwirksame Demonstrationen. Mitglieder laufen vermummt und uniformiert durch ukrainische Städte. Auch mit der Polizei, mit denen die „Nationale Miliz“ angeblich zusammenarbeitet, kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen: Videos zeigen uniformierte Mitglieder, die Polizist:innen mit Pfefferspray attackieren (siehe BBC). Im Januar 2018 stürmten vermummte Milizionäre das Rathaus in Cherkasy und schüchterten Politiker:innen ein, damit sie für ein neues Budget stimmten (siehe Reuters).

Die „Nationale Miliz“ vertritt eine neonazistische Ideologie. 2018 sagte ein Mitglied der Miliz dem britischen Guardian: „Gegen den Nationalsozialismus als politische Idee ist an sich nichts einzuwenden. Ich weiß nicht, warum alle ihn immer sofort mit Konzentrationslagern assoziieren“. Expert:innen schätzen, dass die „Nationale Miliz“ zu ihrem Höhepunkt Tausende Mitglieder hatte. Sie sind vor allem jung, viele sind zudem „Straight Edge“ – und verzichten auf Drogen und Alkohol. Und sie sollen schwer bewaffnet sein.

Militant und medienwirksam

Doch in vergangenen Jahren ist es still um die „Nationale Miliz“ geworden – bis zum Sommer 2020. Dann wurde bei einer theatralischen Zeremonie samt Salutschüssen eine neue Organisation ins Leben gerufen: „Centuria“. Das hat die Aufmerksamkeit der deutschen Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ geweckt, die einen ganzen Artikel mit Fotoreihe zu der „Centuria“-Gründungszeremonie auf ihrer Webseite veröffentlichte. In einem weiteren Artikel berichtet „Der III. Weg“ über den jährlichen „Marsch der Nation“ im Oktober 2020 in Kiew, samt einem Video von „Centuria“.

Zunächst kommunizierte die neue Gruppe „Centuria“ nicht explizit, dass sie die Nachfolgeorganisation von der „Nationalen Miliz“ sei. Das wurde aber bald aufgrund personellen Überschneidungen deutlich. So scheint Ihor „Cherkass“ Mykhailenko, ehemals Kommandeur der „Nationalen Miliz“, auch einer der Köpfe von „Centuria“ zu sein: Videos von der Gründungszeremonie im Sommer 2020 zeigen ihn als Redner auf der Bühne. In zahlreichen Fotos der Gruppe nimmt er eine prominente Position ein.

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Auch „Centuria“ hat enge Verbindungen in die Neonazi-Szene in der Ukraine. Sowohl die „Nationale Miliz“ als auch „Centuria“ stehen zum Beispiel dem russischen, in der Ukraine lebenden Neonazi Alexei Levkin nahe. Levkin ist Sänger der NSBM-Band „M8l8th“ und Führungsfigur in der neonazistischen „Wotanjugend“ (siehe Belltower.News). 2020 führte „Cherkass“ Mykhailenko 2020 ein einstündiges Live-Interview mit Levkin auf Instagram. Darin wird Levkin als „Inspiration“ für die „Nationale Miliz“ bezeichnet. Levkin soll zudem als Ideologe der „Asow“-Bewegung fungieren.

Nach der Neugründung von „Centuria“ gab es Ärger: Denn in der Ukraine sind nämlich zwei rechtsextreme Gruppen mit dem Namen „Centuria“ aktiv. Der „Militärorden Centuria“ wurde im Mai 2018 gegründet und agiert innerhalb der ukrainischen Armee, um sie im Sinne ihrer rechtsextremen Ideologie zu beeinflussen. Ein Bericht des Institute for European, Russian and Eurasian Studies (IERES) der George Washington University dokumentiert die zahlreichen Verbindungen dieser Gruppe zur „Asow“-Bewegung sowie ihren Zugang zu Militärausbildungen von westlichen Armeen.

Der „Militärorden Centuria“ distanzierte sich öffentlich vom neuen „Centuria“ – und warf ihm vor, den Namen gestohlen zu haben. Dass sich beide Gruppen für den Namen „Centuria“ interessieren, hat auch Gründe: Denn laut einem VK-Post von „Asow“ aus dem Jahr 2014 hieß eine Vorgänger-Kompanie im ukrainischen Bürgerkrieg, aus der später das „Asow Regiment“ hervorging, „Centuria“. Kommandeur der Kompanie war damals „Cherkass“ Mykhailenko, mutmaßlicher Chef des neuen „Centuria“.

Das neue „Centuria“ feiert eine kriegerische Ästhetik: von römischen Schwertern bis hin zu Soldaten in Schützengraben. Mitglieder posieren martialisch mit Gewehren und Uniformen. Auf seinem Telegram-Kanal werden Fotos von Kampftraining unter anderem mit Messern geteilt. Die Gruppe behauptet auf ihrer Webseite, dass zu ihren Reihen auch Veteranen des ukrainischen Bürgerkriegs zählen. Andere Mitglieder würden auf ihren Militärdienst noch vorbereiten, heißt es. Vor allem will „Centuria“ „den internen Feind“ bekämpfen, „der die Gemeinschaft von innen schwächt“. Zu diesem Zweck sei „Centuria“ bereit, „alle Methoden und Mittel“ einzusetzen. „Denn es ist eine Frage der Existenz der ukrainischen Nation und des ukrainischen Staates selbst“.

Aufmarsch durch Podil

Dass offenbar bewaffnete Rechtsextreme mit Verbindungen zu neonazistischen paramilitärischen Organisationen das Kiewer Nachtleben terrorisieren, passierte nicht zum ersten Mal: Bereits am 6. November 2021 marschierten etwa 150 Rechtsextreme durch das Ausgehviertel Podil. Sie brüllten dabei neonazistische Parolen wie „14/88“, zündeten Böller an, schmissen Eier und weißes Pulver in Richtung Clubs (siehe Resident Advisor). An Fassaden sprühten sie Nazi-Symbole und White-Power-Logos. Eine geplante Party in HVLV musste aus Sicherheitsgründen kurzfristig abgesagt werden. Menschen, die sich bereits im Club befanden, mussten sich dort verschanzen.

Organisiert wurde der Aufmarsch auf einem bekannten rechtsextremen Telegramkanal mit 25.000 Abonnent:innen. Dort wurde er als „Feldzug“ bezeichnet. Die Demonstrierenden werfen Clubs wie HVLV, Closer und ∄ vor, Drogen zu verkaufen – was die Clubs vehement dementieren. Auf einem Flyer für die rechtsextreme Demonstration hieß es: „Drogen raus aus Podil – Feldzug gegen Drogendealer, die die ukrainische Jugend verderben“.

Der Drogen-Vorwurf dürfte aber lediglich ein Vorwand sein. „In Kommentaren der einschlägigen Telegramkanälen sind reichlich homofeindliche Beleidigungen und Memes zu finden“, erzählt der Kiewer Journalist Sergiy Slipchenko gegenüber Belltower.News. Slipchenko hat den neuesten Angriff auf HVLV für sein Online-Format Kyiv Dispatch dokumentiert und Videos der Ereignisse zugeschnitten. „Es scheint fast allen klar zu sein, dass die pro-LGBTQ*-Ausrichtung der Clubs das Hauptproblem sei. Aber viele glauben auch tatsächlich, dass die queere Community und Drogenkonsum in sogenannten ‚Narco-Höhlen‘ synonym seien“.

Ein sicherer Hafen

Kiew ist der extremen Rechten in der Ukraine ein Dorn im Auge. Denn es hat für queere Menschen einen Sonderstatus in der Region: Dort findet eine jährliche CSD-Demonstration, es gibt zudem Beratungsstellen für die LGBTQ*-Community sowie eine lebendige queere Partyszene. „Diese Voraussetzungen sind in der Region ziemlich einzigartig geworden“, erklärt Erik Jödicke gegenüber Belltower.News. Jödicke ist ein queerer Aktivist und Bundesvorstandsmitglied von „Lambda“, einem Jugendverband für LGBTIQ* in Deutschland. „Die ländlichen Regionen der Ukraine sind konservativ geprägt, aber der besetzte Osten des Landes ist für LGBTIQ* zu einem rechtsfreien Raum geworden, seit er von den Rebellen besetzt ist“.

Vor Folter und Gewalt fliehen viele queere Ukrainer:innen vom Osten in die Hauptstadt. „Aber auch über die Ukraine hinaus ist Kiew zu einer Art sicheren Hafen geworden, besonders für Russen und Tschetschenen, die in ihrer Heimat auch Gewalt und Diskriminierung erfahren“, so Jödicke weiter. Zumindest noch: Denn die Angriffe und Einschüchterungsversuche von Rechtsextremen schaden dem Bild eines weltoffenen und progressiven Kiews.

Diese queerfeindliche Strategie passt auch zum Weltbild der „Asow“-Bewegung, zu der „Centuria“ offenbar gehört: Obwohl vermeintliche oder tatsächliche prorussische Aktivist:innen und Politiker:innen die Hauptzielscheibe der Bewegung sind, wird immer mehr auch die LGBTQ-Community zum Feindbild. Auch andere rechtsextreme Gruppen in der Ukraine, wie „Tradition und Ordnung“, die 2020 den CSD-Marsch attackierte, oder das neonazistische Paramilitär „C14“, machen Stimmung gegen pro-LGBTQ Clubs. Nach dem jüngsten Angriff auf HVLV feierten bekannte Neonazis mit Verbindungen zu „Asow“, wie der rechtsextreme Kampfsportler Denis Nikitin (bürgerlicher Name: Kapustin), auf Telegram (siehe Zaborona).

Auf eine Anfrage von Belltower.News reagierte „Centuria“ nicht. Laut dem ukrainischen Nachrichtenportal Hmarochos behauptet die Gruppe, mit dem Angriff nichts zu tun zu haben. Die Aufkleber der Gruppe seien verloren gegangen und womöglich mit Absicht am Tatort hinterlegt worden.

Nach der Attacke zeigt sich die Kiewer Clubszene trotzdem entschlossen, weiterzumachen: Das Berliner Label Ecke Records schrieb auf Instagram: „Was wurde erreicht? Nichts. Wir räumen hier jetzt auf und beginnen die Party trotzdem“. Am Montag, den 29. November versammelten sich rund 300 Menschen in Podil, um ein Zeichen gegen rechte Gewalt zu setzen. Das HVLV hat nun extra Sicherheitsmaßnahmen eingeführt. Bis zum nächsten Wochenende werden die Fenster repariert. Und die Partys laufen weiter.

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