Wenn es um Frauen geht, hat Jürgen Elsässer klare Vorlieben. Im Frühjahr holte er die AfD-Chefin Frauke Petry auf den Titel, darunter stand: „Die bessere Kanzlerin“. Wenige Monate vorher hatte er schon Angela Merkel auf dem Cover hinter Gittern gezeigt. Dazu die Titelzeile: „Merkel? Verhaften!“ Jürgen Elsässer ist Chefredakteur, sein Magazin heißt Compact. Es positioniert sich gegen den Euro, in der Ukraine-Krise ergriff es Partei für Putin. Es enthält krude Theorien zum rechtsextremen NSU und zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York. Seit 2015 dominiert vor allem ein Thema das Heft: der Umgang mit den Flüchtlingen. Auch dafür findet Compact scharfe Zeilen. „Asylflut“ oder „Merkel, die Königin der Schlepper“. Anfangs verteilte Elsässer sein Heft auf den Parteitagen der AfD. Heute kann man es an fast jedem Kiosk kaufen.
Hunderttausende Deutsche haben sich in den vergangenen Jahren von den etablierten Medien abgewandt, vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, von Magazinen und Zeitungen. Sie informieren sich anderswo, vor allem im Internet. Über Seiten, die vermeintlich unabhängige Informationen versprechen. Zum Beispiel Nachrichtenportale und YouTube-Kanäle wie Kopp Online, KenFM oder RT Deutsch. Ähnlich wie Pegida und die AfD setzen sie auf einfache Thesen, auf Geraune, auf Stimmungen und erklären das Establishment zum Gegner. Jürgen ElsässersCompact-Magazin ist eines der erfolgreichsten unter ihnen, es ist das Magazin der Unzufriedenen. Compactgelingt es, Wütende in Käufer zu verwandeln. Für sie ist das Magazin das letzte aufrichtige Medium, das mutig Skandale enthüllt, die von Regierung und etablierten Medien vermeintlich verschwiegen werden. Für alle anderen steht das Heft vor allem für plumpe Thesen und Verschwörungstheorien.
Seit das Magazin vor fünf Jahren gegründet wurde, bricht Compact nicht nur Tabus, sondern auch mit einem wichtigen Trend der deutschen Medienlandschaft: Seine Auflage sinkt nicht, sie steigt. Von null auf mittlerweile 80.000. Gut die Hälfte der Hefte wird nach Insiderangaben aus dem Verlag auch wirklich verkauft. Der YouTube-Kanal des Magazins hat über die Jahre mehr als neun Millionen Aufrufe verzeichnet, zu den Landtagswahlen im März produzierte Compact eine eigene Wahlsendung live im Internet. Der Zuwachs der Leserschaft bei Facebook ist im Vergleich zu anderen Medienmarken enorm. Im Internetshop des Magazins können Unterstützer „Ami go home!“-T-Shirts kaufen, oder die Konferenz-DVD Freiheit für Deutschland. Es gibt Compact- Seminare in der gesamten Republik und Leserreisen mit politischem Programm, zum Beispiel auf die Krim. Für die jährlichen Compact- Konferenzen melden sich bis zu tausend Teilnehmer an. Auf Pegida-Demonstrationen und Montagsmahnwachen sind die alarmistischen Heft-Cover („Kalifat Europa“, „Freiwild Frau“) als Plakate omnipräsent.
Das Magazin Compact hat eine Art Echokammer geschaffen, in der man durch eine abweichende „Mainstream-Meinung“ nicht mehr gestört wird. In dieser Nische hat es Compact geschafft, maximale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Medien berichteten deswegen immer wieder, das Magazin erziele mit der von ihm verbreiteten Angst vor allem ordentlich Rendite. Ein Irrtum.
Ein Sonntag im Mai, die Sonnenallee in Berlin-Neukölln: arabische Imbisse, türkische Shops, dazwischen das Café Espera. Deniz Agaoglu, die junge Inhaberin, sitzt auf einem Barhocker vor der unverputzten Wand des Cafés. „Hier kommen alle her: deutsche Ur-Neuköllner, alte Araber, die hier ihren Kaffee trinken, junge Hipster und Touris“, sagt sie. Wer hier eher nicht herkommt: Menschen, die etwas gegen Asylbewerber haben. Agaoglu trägt ein himmelblaues Oberteil, kurze Jeans, die dunklen Haare hat sie zum Dutt gebunden. Im vergangenen November brach Compact in das heile Café-Idyll ein, das Magazin steckte plötzlich im Zeitungsständer. Deniz Agaoglu hatte das Magazin vorher noch nie gesehen. „Wir wussten am Anfang nicht, wo das herkommt“, sagt sie. Auf dem Cover, erinnert sie sich, war ein Soldat mit einer Kalaschnikow zu sehen, dazu der Titel: „Endstation Bürgerkrieg“. Darunter war ein Artikel über die vermeintliche Kolonisierung der EU durch den Islam angekündigt. Ein Mitarbeiter fragte sie, warum so ein rechtes Magazin ausliege. Deniz Agaoglu wusste es nicht.
Im nächsten Monat kam Compact wieder, geliefert mit dem Lesezirkel. Agaoglu rief bei der Firma an, die die Zeitschriften an das Café liefert, und sagte, sie wolle dieses Magazin nicht haben. 5.000 Hefte pro Monat ließ Compact im vergangenen Winter über einen Lesezirkel verteilen. Als Werbebeilage, ohne dass die Kunden davon wussten. Plötzlich lag das Magazin beim Zahnarzt aus, in chinesischen Restaurants und beim Friseur, in Berlin, Leipzig und München. Für Compact war das ein guter Deal: Laut Lesezirkel-Angaben erreichte das Heft 250.000 Leser, für 1.500 Euro Versand-Gebühr. Es scheint, als ginge es dem Heft um Einfluss und nicht um Einnahmen.
Viele Texte aus „Compact“ stammen aus Büchern von rechten Verlagen
Die Zeitschrift ist fast werbefrei. Geld nimmt Compact fast ausschließlich über kleine Einlagen von privaten Teilhabern ohne Mitspracherecht und den Verkaufspreis von 4,95 Euro ein. Doch laut den bisherigen Jahresbilanzen der Verlags-GmbH, die der ZEIT vorliegen, schrieb das Unternehmen aus dem brandenburgischen Werder seit seiner Gründung vor allem Verluste. Die Wirtschafts-Auskunftei Creditreform warnt vor der Zusammenarbeit, „eine Geschäftsverbindung ist Ermessenssache“. In einer aktuellen Auskunft bescheinigt sie dem Unternehmen nur eine „sehr schwache Bonität“. Lange wurde das Heft billig in Polen gedruckt. Produziert wurde es in Elsässers Altbauwohnung in Leipzig, echte Redaktionsräume gibt es nicht. 2014 wies der Verlag erstmals einen mageren Gewinn von 30.000 Euro aus.
Dagegen erhielt der Verlag noch im Geschäftsjahr 2013 ein Darlehen über 100.000 Euro. Das Geld stamme laut Jahresabschluss von einer oder mehreren Personen und nicht von einer Bank, so interpretiert der Bilanzexperte einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft auf Anfrage die Unterlagen. Die genaue Herkunft des Geldes ist jedoch unklar.
Oft wird Compact eine Finanzierung durch die russische Regierung unterstellt. Schließlich versucht der Kreml auch auf anderen Wegen mit seiner Desinformationsstrategie die deutsche Öffentlichkeit zu beeinflussen. Doch trotz mehrmonatiger Recherchen fanden sich unterCompact-Mitarbeitern, Mitgründern, Geschäftspartnern, Konkurrenten, Autoren, Weggefährten des Chefredakteurs, bei deutschen Geheimdiensten, bei russischen Priestern und Thinktanks sowie bei Propagandavereinen des Kremls keine Hinweise auf russisches Geld beiCompact.
Es ist nicht so, dass Chefredakteur Jürgen Elsässer die Rubel aus Moskau nicht angenommen hätte. Vor zwei Jahren berichtete er in kleiner Runde auf einer Bootsfahrt auf dem Rhein über ein Buchprojekt: „Wir haben gedacht, wenn wir so etwas vorhaben, dann kriegen wir Unterstützung vom Kreml. Wir waren bei der Botschaft. Wir haben gedacht, wir kriegen da vielleicht Geld.“ Doch scheinbar hatte die russische Seite kein Interesse.
Gerne hätten wir mit den Verantwortlichen über die Finanzierung des Magazins gesprochen, doch weder Verleger Kai Homilius noch Chefredakteur Elsässer wollten mit der ZEIT reden. Der Verleger ließ sich über Wochen am Telefon verleugnen. Jürgen Elsässer antwortete auf unsere Anfragen schriftlich: „Es sollte sich langsam herumgesprochen haben, dass wir dem Mainstream keine Interviews geben.“ Das Magazin, das als Dialogprojekt gestartet war und anfänglich sogar Autoren wie Roger Willemsen und Egon Bahr für sich gewann, verweigert den Dialog. Seine Anhänger erreicht es umso besser. „Es ist gar nicht so wichtig, welche Themen konkret jeden Monat verhandelt werden“, sagt Frank Höfer, ein ehemaliger Compact-Mitarbeiter der ersten Stunde. „Compactbedient eher ein Lebensgefühl.“ Viele Texte stammen aus Büchern von rechten Verlagen. Oder der Chefredakteur schreibt sie gleich selbst.
Jürgen Elsässer ist das Gesicht des Magazins, die treibende Kraft hinter dem Projekt. Er entscheidet das Grundsätzliche, mit vielen Mitstreitern hat er sich überworfen. Sie mussten gehen, Elsässer blieb. Und lässt wenige Möglichkeiten aus, sich öffentlich zu präsentieren.
Magdeburg im März, drei Tage vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt.Compact bittet Leser und Sympathisanten an diesem Abend zu einer Veranstaltung namens „Compact Live, die AfD vor dem Durchbruch“. Als Gastredner tritt neben Chefredakteur Jürgen Elsässer auch André Poggenburg auf, der Spitzenkandidat der AfD.
Vor der Halle stehen Polizisten in Montur, Kamerateams sind gekommen, sogar aus Irland und der Schweiz. Viele Männer stehen an, wenige Frauen, graue Haare und Glatzen, die jungen mit Tattoos und ausrasiertem Nacken, die alten mit wüsten Frisuren und ausgewaschenen Jeans. Hier verbrüdert sich das Magazin Compact mit der AfD.
In den achtziger Jahren engagierte sich Jürgen Elsässer zuerst bei den Grünen, dann beim Kommunistischen Bund (KB). Schon damals habe er ein Talent zur Zuspitzung gehabt, sein Spitzname lautete „Der kleine Denker mit den großen Worten“, erinnert sich ein KB-Weggefährte. Elsässer suchte Streit innerhalb der Linken, er wollte schon damals eine Massenbewegung schaffen, eine Revolution starten. Mit der Wiedervereinigung wurde er zum Mitbegründer der antideutschen Strömung innerhalb der radikalen Linken, sie richtete sich gegen den neu erwachten deutschen Nationalstolz. Elsässer, so erzählt er es in Magdeburg auf der Bühne, hat schon die Grünen gewählt und die DKP, die Linke und die Piraten, nun also die AfD. Seine Rede beginnt er mit einem Bekenntnis: „Mein Name ist Jürgen Elsässer, ich bin Deutscher, und ich werde verhindern, dass unser Land vor die Hunde geht.“
Zuvor hatte AfD-Kandidat André Poggenburg in seiner Rede müde Wahlkampfphrasen aufgesagt und sich beim „lieben Jürgen“ bedankt für die wohlwollenden Berichte von Compact. Elsässer trägt einen schwarzen Anzug, blond-graues gescheiteltes Haar, in weichem Schwäbisch hält er seine schäumende Rede. Er spricht von einem „Völkervernichtungsprogramm“ zwischen Lissabon und Wladiwostok, wähnt Angela Merkel im Führerbunker und im „Erdodarm“. Die Zuhörer klatschen, Elsässer hat sie sofort im Griff, er ist der Star des Abends. Zum Abschluss zitiert er die deutsche Nationalhymne. Die schweigende Mehrheit, sagt er, brauche eine Stimme wie Compact, und die schweigende Mehrheit brauche eine starke Partei. Einmal verzichtet er sogar ganz auf Distanz und sagt „Wir“, als er die AfD meint.
Jürgen Elsässer ist das Gesicht des Magazins
Noch ein Jahr zuvor, im Frühjahr 2015, war die Compact-Redaktion in Leipzig zusammengekommen und hatte über ihre Haltung zur AfD gesprochen. Einige Mitarbeiter wollten über die Partei kritisch berichten, andere jubelnd. Chefredakteur Elsässer hörte sich die Argumente still an, erinnert sich ein Teilnehmer. Erst als jemand einwarf, ob sich auch alle bewusst seien, dass ein Pro-AfD-Kurs zu einem Shitstorm gegen Compact führen werde, entschied Elsässer, das Heft zum publizistischen Arm der AfD auszubauen. Wegen des Shitstorms.
1994 brach Elsässer aus seinem früheren Leben aus, kündigte seine feste Stelle als Berufsschullehrer in Pforzheim und zog nach Berlin. Hier startet er seinen Marsch durch die Redaktionen: Meist kürzer als länger arbeitet er für linke Blätter wie junge welt, Jungle World, konkret, Freitagund Neues Deutschland. Bei den Kollegen fällt er nicht nur wegen seiner Eigentumswohnung auf und dem eigenen Ledersofa im Büro, sondern auch, weil er notorisch Aufsehen erregt, um sich selbst zu profilieren. „Er ist ein radikaler Narzisst“, sagt ein damaliger Freund, „Jürgen geht es immer nur um sich. Er giert danach, dass sein Name zitiert wird.“ Die meiste Aufmerksamkeit bekam er immer dann, wenn er sich gegen den jeweiligen Mainstream wandte. Die Themen sind ihm weniger wichtig. Einmal schrieb er bei der Jungle World ohne große Vorahnung einen Kommentar über Konflikte in Afrika, wohl vor allem, weil er sich in ein Wortspiel verliebt hatte: „Haut den Tutsi auf den Hutu“, lautete die Überschrift. Sein Motto sei schon damals gewesen: „Lieber eine falsche steile These als gar keine These“, sagt ein Herausgeber der Jungle Worldüber ihn. Elsässer ist ein Dagegen-Populist. Und Compact ist sein Dagegen-Magazin.
Während des Krieges auf dem Balkan kniete sich Jürgen Elsässer in die Recherchen über den Jugoslawien-Konflikt, ergriff früh Partei für den serbischen Präsidenten Slobodan Milo?evi?, der später vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal angeklagt wurde. Milo?evi? lud ihn zu sich ein. Plötzlich bewegte sich Elsässer auf der Bühne der Weltpolitik. In Serbien sah er, wie Kommunisten und Faschisten zusammen regierten. Rechts und Links mussten keine Gegensätze sein. So wurde Elsässer Anfang des Jahrtausends zum Querfrontler. Er, der früher stolzer Schöpfer des Slogans „Nie wieder Deutschland“ war, rückte jetzt die Nation ins Zentrum seines Denkens. Es war nur eine Richtungsänderung von vielen.
Früher verfasste Elsässer ein Buch, das sich kritisch mit dem deutschen Antisemitismus auseinandersetzte, heute ruft er zum „Widerstand gegen das internationale Finanzkapital und seine Kriegsbrandstifter in Washington, London und Jerusalem“ auf. Früher schrieb er mit Verständnis über Flüchtlinge. Heute bezeichnet er sie als „Migrationswaffe“, die in „Wirklichkeit eine gesteuerte Invasion“ der „globalen Eliten“ sei. Früher forderte er in einem Buch, der Rechtsaußenpartei DVU mit Härte zu begegnen. Heute lässt er sich auf Pegida-Demos von NPD-Anhängern beklatschen und tritt mit dem Vordenker der Neuen Rechten, Götz Kubitschek, auf.
Das Compact-Magazin als rechtspopulistisch zu bezeichnen, geht aber am Kern vorbei. Compact bleibt stets anschlussfähig zu vielen Seiten. Der„Compact-Philosoph“ Peter Feist rief dieses Jahr von der Buchmesse-Bühne in Leipzig gar den Satz: „Wir sind linke Patrioten!“ Die Zeitschrift will alle Menschen ansprechen, die ein Unbehagen mit den Zuständen umtreibt: alte linke Friedensaktivisten, Esoteriker, fundamentale Christen, Rechte, Euro-Skeptiker, konservative Russlanddeutsche, Verschwörungstheoretiker, Islamhasser und ganz allgemein Unzufriedene, die gegen „die da oben“ schimpfen. Sie alle verbindet eine Ablehnung gegen Amerika, gegen TTIP, gegen die Nato, gegen Großkonzerne und die Eliten in Politik, Wirtschaft und Medien.
Mit diesem treuen Gefolge hat Jürgen Elsässer Großes vor. Schon vor Jahren schrieb er einem Freund als Widmung in eines seiner Bücher: „Bis zur Revolution Bolschewismus, nach der Revolution Anarcho-Hedonismus“. Schon damals träumte Elsässer vom Volksaufstand. Heute redet er auf Demonstrationen, die „Sturm auf den Reichstag“ heißen, und sagt öffentlich: „Wir müssen doch einen Weg finden, dieses Regime vor 2017 loszuwerden.“
Dieser Artikel erschien zuerst am 09. Juni 2016 auf ZEIT online. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
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