Von debate// Cornelia Heyken, Christina Dinar
Ein pädagogischer Auftrag wurde bisher stark vernachlässigt: Es ist wichtig, die Soziale Online-Netzwerke nicht nur als Lebenswelt, sondern als Sozialraum von jungen Menschen zu begreifen und dementsprechend als Arbeitsfeld der Jugend(sozial)arbeit zu definieren.
Du bist mir nicht egal
Praxisfelder der Jugend(sozial)arbeit – was davon ist online übertragbar Für eine Übertragung von der Offline- in die Online-Arbeit kommen vorerst u.a. vier Teilbereiche der Sozialen Arbeit in Frage: die Mobile Jugendarbeit, die Einzelfallhilfe, die Offene Jugendarbeit und die Schulsozialarbeit. Für Jugendliche und junge Erwachsene, die von Einrichtungen der Jugendarbeit nicht erreicht werden können, bietet sich offline die Mobile Jugendarbeit (Streetwork genannt und rechtlich zwischen § 11 SGB VIII Jugendarbeit und § 13 SGB VIII Jugendsozialarbeit angesiedelt) an. Ähnliche Voraussetzungen finden wir beim Surfverhalten vieler Jugendlicher im quasi-anonymen Web 2.0. Das Praxisfeld der Mobilen Jugendarbeit/Streetwork und einzelne Elemente der Offenen Jugendarbeit eignen sich daher für die Übertragung in eine Online-Jugendarbeit.
Zum Stand der Nutzung von Sozialen Online-Netzwerken in Jugend(freizeit)einrichtungen
Es ist bezeichnend, dass es bislang keine systematische und umfassende Erhebung zur Nutzung von Sozialen Online-Netzwerken durch Jugend- und Freizeiteinrichtungen in Deutschland gibt. In Berlin etwa war bis vor wenigen Jahren nur ein geringer Teil der Jugend- und Freizeiteinrichtungen in Sozialen Online-Netzwerken vertreten, und die Zahl derer, die mit ihrer Präsenz dort auch direkt Online-Arbeit mit den Jugendlichen betreiben, war noch geringer. Dies ging aus einer Befragung zur Nutzung der Möglichkeiten von Online-Jugend(sozial)arbeit durch Berliner Jugend- und Freizeiteinrichtungen von 2011 hervor. Von 140 befragten Einrichtungen nutzte gut die Hälfte Soziale Online-Netzwerke in ihrer Arbeit. Die Einrichtungen fühlten sich unsicher, hatten keine Ressourcen und oft zu wenig Fachkenntnisse. Sie maßen dem Web 2.0 jedoch eine große Relevanz für ihre Arbeit bei.
Möglicherweise ist die Zahl der Präsenzen von Jugendeinrichtungen und/oder Jugendsozialarbeiter*innen in Sozialen Online-Netzwerken in anderen Bundesländern höher und insgesamt in den letzten fünf Jahren gestiegen. Doch auch 2016 noch spiegeltsich, nach Recherchen des Projekts, der gleiche Trend in der Landschaft wider: Vereinzelt findet man Einrichtungen, die sich in Form von Mobiler Jugend(sozial)arbeit/Streetwork bzw. virtuell-aufsuchender Jugendarbeit in Sozialen Online-Netzwerken betätigen.
Ziele dieser Arbeit sind bisher aber nur, neben der offline-Anbindung auch online ansprechbar zu sein und über Angebote zu informieren. Sie erfolgt demnach in den allermeisten Fällen mit Jugendlichen, die bereits Kontakt zu den Einrichtungen oder denStreetworker*innen/Jugendsozialarbeiter*innen haben oder bei denen über andere Jugendliche die Kontakte hergestellt wurden.
Die Frage stellt sich nun, ob und, wenn ja, wie man Jugendliche in Sozialen Online-Netzwerken erreichen kann, die keine offline-Kontakte zu Jugendsozialarbeiter*innen haben? Dieser Leerstelle in der Aufsuchenden Jugend(sozial)arbeit nimmt sich debate// an und setzt ihr den »Digital Streetwork« Ansatz entgegen.
Digital Streetwork
Digital Streetwork bedeutet für uns: Wir sind anerkannter Träger der freien Jugendhilfe, wir praktizieren Jugend(sozial)arbeit und diese im Netz.
Alle gehören dazu
Jugend(sozial)arbeit findet im Sozialraum statt, das bedeutet, alle jungen Menschen sind erst einmal in die Arbeit mit einbezogen. Auch Soziale Online-Netzwerke sind Sozialräume, in die pädagogisch gewirkt wird, und auch hier sind die unterschiedlichsten Menschen mit differenten Einstellungen unterwegs. Dazu gehören menschenfeindliche und rechtsaffine Haltungen in allen möglichen Ausprägungen der Abwertung.
Um über Soziale Online-Netzwerke eine Form von Gespräch bzw. Zusammenarbeit mit rechtsaffinen Personen zu erreichen, wurde zuerst die Adressat*innengruppe bestimmt. Das Projekt grenzt sich klar von einer Arbeit mit Jugendlichen, die bereits ein gefestigtes rechtsextremes Weltbild haben, ab. Im Digital Streetwork-Ansatz orientiert es sich an einem Begriff, der als Prävention im Allgemeinen vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung unerwünschter Ereignisse oder Entwicklungen bezeichnet. Dabei wird u.a. zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention unterschieden.
Die primäre Prävention hat zum Ziel, die demokratische Orientierung und ein Weltbild von der Vielfalt und Gleichheit aller Menschen zu stärken.Sekundäre Prävention wendet sich an rechtsextrem orientierte und gefährdete Jugendliche, also junge Menschen, die erste Berührungen mit und Orientierungen hin zum Rechtsextremismus aufzeigen.Die tertiäre Prävention richtet sich an Menschen mit einem bereits geschlossenen rechtsextremen Weltbild.
Da die Arbeit in der tertiären Stufe vollkommen abhängig von einer zwischenmenschlichen Interaktion ist und Bekämpfen, Anfechten, Entgegnen, Argumentieren und/oder nur Medienmaterial aus überzeugenden Quellen hier nicht greifen, fokussiert sich das Projekt auf die Bereiche der primären und sekundären Prävention. D.h. es arbeitet zunächst mit allen und speziell mit solchen Jugendlichen, die Affinitäten und Hinwendungen zu menschenfeindlichen und rechtsextremen Ideologien aufweisen. Für junge Menschen mit geschlossenen rechtsextremen Weltbildern wird an eine andere professionelle Struktur verwiesen – wie z.B. eine Ausstiegshilfe bzw. eine ähnlich angemessene Beratungsstruktur.
DIE BROSCHÜRE
Christina Dinar, Cornelia Heyken:“Digital Streetwork – Pädagogische Interventionen im Web 2.0″
Hrsg.: Amadeu Antonio StiftungBerlin 2018
PDF zum Download:
http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/pressemitteilungen/digital-street-internet.pdf
Bereits auf Belltower.News erschienen
Neue Broschüre: „Digital Streetwork“ (Einleitung)Digital Streetwork: Jugendliche Selbstverständlichkeiten – Leben im und mit dem Netz