Fiechtner hat eine schillernde Politkarriere hinter sich: Gründungsmitglied der AfD, Landtagsmandat und dann Parteiaustritt aus Protest gegen die fortgesetzte Zusammenarbeit seiner Fraktion mit Wolfgang Gedeon. Und schließlich die endgültige Radikalisierung im Laufe der Coronapandemie. Nicht mal von der Distanz zu dem „Antisemiten Dr. Wolfgang Gedeon“ – Fiechtners eigene Worte – ist heute noch etwas übrig. Vereint im Kampf gegen die vermeintliche „Corona-Diktatur“ haben die beiden sich gegenseitig Atteste ausgestellt, um das Tragen einer Maske herumzukommen. Ein Porträt eines radikalisierten Onkologen.
Vor seinem Eintritt in die AfD-Baden-Württemberg war Fiechtner Mitglied in der CDU und der FDP. Von 2013 bis Oktober 2014 war der Arzt – Fiechtner ist Onkologe, Hämatologe und Palliativmediziner – stellvertretender Landesvorsitzender der AfD, zwischen 2015 und 2016 Kreisvorsitzender im Landkreis Göppingen. Zwischen 2014 und 2019 war er Stadtrat in Stuttgart. 2016 zog er über ein Zweitmandat in den baden-württembergischen Landtag ein. Dabei suchte Fiechtner immer nach medialer Aufmerksamkeit. Aus den Anfangstagen der Partei und dem Landtagswahlkampf gab er mehrere Interviews und bewies bereits damals ein antiemanzipatorisches Weltbild. In einem SpiegelTV-Interview von 2016 sagt Fiechtner ganz offen: „Ich halte Homosexualität für eine Sünde.“ Und auch mit seiner Ablehnung gegenüber dem Islam hält er nicht hinterm Berg: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, sagt er im Interview. 2015 hatte er das noch drastischer formuliert und den Koran mit Hitlers „Mein Kampf“ verglichen, berichtet die Stuttgarter Zeitung: „In beiden Schriften wird zur physischen Gewalt gegen Andersdenkende aufgerufen“, so Fiechtner auf einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der Terroranschläge in Paris auf dem Stuttgarter Schlossplatz.
NS-Relativierungen und Antisemitismus
Schon damals zeigt sich das merkwürdige Verständnis des Politikers Fiechtner von Antisemitismus und Nationalsozialismus. Im SpiegelTV-Interview feiern Fiechtner und ein Kollege den Wahlerfolg der AfD mit Maultaschen und Kartoffelsalat in einem Stuttgarter Restaurant – die Partei war mit 15,1 Prozent der Stimmen zur drittstärksten Kraft geworden. Kritik an den menschenfeindlichen Positionen der Partei ist für Fiechtner „Ausgrenzung“ und er vergleicht den Umgang mit der Partei mit der Verfolgung von Juden und Jüdinnen während der NS-Zeit: „Ich möchte jetzt nicht die Parallelisierung bringen ‚Kauf nicht bei…‘, aber die Muster sind gleich.“ Dass er damit den Nationalsozialismus, Verfolgung und Holocaust relativiert, kommt ihm offenbar nicht in den Sinn. Dabei wird sich Fiechtner nur wenig später ziemlich klar und deutlich von Antisemitismus in den eigenen Reihen distanzieren.
Kurz nach den Landtagswahlen 2016 wurde die Öffentlichkeit auf Artikel und Bücher des frischgewählten AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon aufmerksam. AfD-Vertreter*innen aus dem Bundesland kannten die Texte bereits vorher, Gedeons Bücher wurden unter anderem auf Parteitagen angeboten. In seinem 2012 erschienen Buch „Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten“ hatte Gedeon den Holocaust als „Zivilreligion des Westens“ und Holocaustleugner*innen als „Dissidenten“ bezeichnet. „Wie der Islam der äußere Feind, so waren die talmudischen Ghetto-Juden der innere Feind des christlichen Abendlandes“, schreibt Gedeon weiter. Juden und Jüdinnen würden eine „Versklavung der Menschheit im messianischen Reich der Juden“ planen. Nach dem Bekanntwerden dieser und anderer Texte von Gedeon, mit ähnlichem antisemitischen Inhalt, wurde die Fraktion aktiv. Fraktionschef Meuthen – heute Bundessprecher der Partei – drohte mit Rücktritt, sollte Gedeon nicht aus der Fraktion ausgeschlossen werden. Nach langem Hin und Her, einer zwischenzeitlichen Spaltung der Fraktion und dem Eingreifen der damaligen Parteichefin Frauke Petry, trat Gedeon schließlich freiwillig aus – erst 2020 wurde er aus der Partei ausgeschlossen.
Fiechtner und der „Antisemit Dr. Wolfgang Gedeon“
Heinrich Fiechnter war in der Kontroverse auf der Seite von Jörg Meuthen und war Teil der kurzfristig neugeschaffenen Fraktion, die sich von Gedeon distanzierte. Seine erste Rede im Stuttgarter Landtag hielt er zum Thema Antisemitismus. Zusammen mit mehreren anderen AfD-Abgeordneten stellte er sich im Februar 2017 in einem offenen Brief gegen seine Fraktion, die beschlossen hatte, die Einstellung der Förderung für die Gedenkstätte Gurs in Südfrankreich zu fordern. Es kommt zu weiteren Unstimmigkeiten zwischen Fiechtner und seinen Fraktionskolleg*innen. Unter anderem unterstützt der Arzt die Gesundheitskarte für Geflüchtete, die von der AfD-Fraktion abgelehnt wird.
Im November 2017 gibt Fiechtner den Austritt aus Fraktion und Partei bekannt. Grund dafür sei die weitere Zusammenarbeit der Fraktion mit dem eigentlich ausgeschlossenen „Antisemiten Dr. Wolfgang Gedeon“, sagt er in einer Pressekonferenz. „Völlig verwahrlost“ sei die Fraktion, in der es „entweder kein Bewusstsein für die Explosivität dessen vorhanden ist, was die Schriften und Aussagen von Dr. Wolfgang Gedeon ausmachen. Oder vielleicht sogar ein Einverständnis mit den Inhalten dessen besteht, was er vertritt.“
Danach wird es erstmal ruhiger um Fiechtner. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass fraktionslose Parlamentarier*innen weniger Einflussmöglichkeiten genießen, als diejenigen in Fraktionen. Sie können an Arbeitsgruppen oder Ausschüssen höchstens beratend, also ohne Stimmrecht teilnehmen.
Radikalsierungspandemie
Aber dann kommt das Coronavirus. Die Pandemie scheint Heinrich Fiechtner endgültig zu radikalisieren. Am 29. April 2020 kommt es zum ersten Eklat im Landtag. Immer wieder unterbricht Fiechtner die Reden von Abgeordneten mit Zwischenrufen. Der Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) wirft er vor, sie würde den Parlamentarismus aushebeln und das Haus in der Krise „zur Schwatzbude“ verkommen lassen. Die Präsidentin erteilt ihm mehrere Ordnungsrufe, entzieht ihm das Wort und schließt ihn schließlich von der Sitzung aus. Fiechtner redet einfach weiter und setzt sich auf seinen Platz. Schließlich wird die Polizei gerufen, die ihn aus dem Saal begleiten muss.
Nach einer sechswöchigen Corona-bedingten Pause wiederholt sich die Situation. Fiechtner pöbelt zunächst im Plenum. Am Rednerpult des Landtages bezeichnet er die Abgeordneten als „verkommenes Volk“. Die Präsidentin verhalte sich wie die „Vorsitzende der Reichsschrifttumskammer“. Die Zeitbegrenzungen bei Zwischenfragen erinnern ihn an Nordkorea. Nach drei Ordnungsrufen wird es der Präsidentin zu viel, sie schließt ihn aus der aktuellen Sitzung und den drei folgenden aus. Fiechtner redet schon wieder weiter. Nach mehreren Minuten setzt er sich auf seinen Platz. Diesmal muss die Polizei ihn sogar aus dem Saal tragen.
All das filmt Fiechnter und stellt die Videos auf seinen YouTube-Kanal. Hier dokumentiert er seine ständigen Provokationen in den Räumen des Parlaments. Ende Dezember 2020 wird der Kanal – laut Fiechtners eigenen Angaben mit 26.000 Abonnent*innen – schließlich von YouTube gelöscht.
Distanz zu Antisemitismus war gestern
Die Distanzierung zu Wolfgang Gedeon ist schließlich auch schnell vergessen. In einem YouTube-Livestream tauschen die beiden Ärzte Atteste aus, um sich gegenseitig vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zu befreien. In einer gemeinsamen Pressekonferenz verteidigen die beiden die Aktion, selbstverständlich hätte es sich nicht um Gefälligkeitsatteste gehandelt, vielmehr hätte es vorher Diagnosen und Untersuchungen gegeben. Besonders aufgeregt, wenn auch etwas am Thema vorbei, ist dabei Gedeon, den es offenbar massiv ärgert, dass der Südkurier negativ über ihn berichtet und dabei immer ein besonders unvorteilhaftes Foto von ihm benutzt. Aber nicht nur persönliche Eitelkeiten sind Thema des Gesprächs, auch werden gängige Verschwörungserzählungen über das Coronavirus wiederholt. Gedeon und Fiechtner scheinen überzeugt, dass es sich um ein Virus handelt, dass in einem chinesischen Labor entwickelt wurde.
Dabei benutzt Fiechnter nicht nur Pressekonferenzen, um seine Ansichten zu verbreiten. Wie jeder Pandemie-Leugner, der etwas auf sich hält, betreibt er einen Telegram-Kanal. In einem älteren Kanal, der offenbar nicht mehr bespielt wird, hatte er 11.600 Abonnent*innen, in einem neuen sind es sogar 46.000. Und auch hier zeigt sich schnell, dass es mit der Distanzierung von Antisemitismus nicht mehr weit her ist. Die letzte Nachricht in Fiechnters altem Kanal ist ausgerechnet Werbung für die Snackbar des antisemitischen Vegankochs Atilla Hildmann.
Immer wieder haben die beiden sich gegenseitig beworben und die Arbeit des anderen gelobt. Im März 2021 kam es aber offenbar zum Streit. Fiechnter, der sich selbst als „pro-jüdisch“ und „pro-israelisch“ bezeichnet, hatte offenbar den offenen Antisemitismus Hildmanns kritisiert, der allerdings auch vorher kein Geheimnis war. Hildmann hatte immer wieder extrem antisemitische Inhalte geteilt und den Holocaust geleugnet. Wie weit Fiechnters Distanzierung geht, zeigt aber bereits ein Blick in die Kommentare zu seinem Telegrampost. Dort leugnen auch seine Fans den Holocaust und verbreiten offen antisemitische und antijüdische Verschwörungserzählungen, Bilder und Grafiken.
Moderiert wird nicht, gelöscht schon gar nicht. Zwischen permanenten Bitten um Geld von seinen Unterstützer*innen postet Fiechnter zum Beispiel auch Beiträge von David Icke, einem Holocaustleugner aus Großbritannien, der verbreitet, dass außerirdische Echsenmenschen die Welt regieren. Und auch NS-Relativierungen sind selbstverständlich bei Dr. Fiechtner. Da ist von der „SANtifa“ die Rede – also dem Vergleich von antifaschistischen Gruppen mit Schlägertrupps des Nationalsozialismus – und die Bundeskanzlerin wird als „Reichsführerin SS Merkel“ bezeichnet.
Die „Querdenken“-Bewegung geht mittlerweile auf Distanz zu Fiechnter und anderen besonders extremen Pandemie-Leugner*innen. Zusammen mit Thorsten Schulte, einem YouTuber und Finanzcoach, der mit nebulösen Thesen antisemitische und geschichtsrevisionistische Erzählungen verbreitet, ruft er nun zu Montagsmahnwachen am Brandenburger Tor auf. Im Vergleich zu den Demos der „Querdenken“-Bewegung sind diese allerdings zur Zeit nicht besonders gut besucht. Trotzdem hat Fiechnter Einfluss. Nicht zuletzt zeigte der sich am 21. April in Berlin.
Nachdem Fiechnter zum Sturm aufs Brandenburger Tor ruft, folgt ihm die Masse tatsächlich. Und sie wird gewalttätig. Immer wieder greifen die eigentlich so gesetzt wirkenden Demonstrierenden aus dem gesamten Bundesgebiet brutal und hemmungslos Polizist*innen an. Währenddessen sitzt Fiechtner auf einer Mauer am Tiergarten und trällert die Nationalhymne.