Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Crunchy Moms Mit Verschwörungsmythen für ein gesundes Amerika

Von|
Ein Werbevideo des US-Gesundheitsministers Robert F. Kennedy Junior wirbt für MAHA (Quelle: Screenshot YouTube)

Eine weiße amerikanische Familie steht in einem Sonnenblumenfeld: Vater, Mutter, eine kleine Tochter, ein kleiner Sohn, in den Armen der Mutter noch ein Baby. Die Wangen rosig, die Augen der fünf erstrahlen in einem ähnlichen Blau wie der Sommerhimmel. So in etwa sieht das Leben einer „Crunchy Mom“ aus, zumindest scheint es so auf dem 370.000-Follower*innen-Account von thecrunchymom auf TikTok. Das amerikanische Crunchy Life verspricht, zumindest auf den ersten Blick: Nachmittage in der Hängematte auf einer hölzernen Terrasse. Eine Hausgeburt im alltagstrubeligen Wohnzimmer. Familienspaziergänge durch lichtdurchflutete Tannenwälder.

Crunchy Mom ist ein Begriff, mit dem sich mittlerweile Tausende TikTok-Momfluencerinnen identifizieren. Ihre Haltung lässt sich in etwa so zusammenfassen: Keine Flaschenmilch für Babys. Kein Plastikspielzeug. Keine Bildschirme. Sie warnen auf ihren Accounts vor Pestiziden und Nahrungsergänzungsmitteln. Häufig erstreckt sich der crunchy Lebensstil auch auf gesundheitliche oder medizinische Entscheidungen, äußert sich etwa in der radikalen Ablehnung von Impfungen. Auf dem Account von diaryofacrunchymom heißt es etwa: „Sie sagen dir, Impfungen seien sicher und wirksam und bekommen dann Prämien für das Erreichen ihrer Quoten.” Einige Crunchy Moms posieren auf ihren Accounts in T-Shirts mit Slogans wie: „Mama für medizinische Freiheit“, oder: „Ich teile mir die Elternschaft nicht mit der Regierung“. Das hat mit der aktuellen politischen Entwicklung in den USA zu tun.

Denn: Was in den frühen 2000ern selbst innerhalb der konservativen Bewegung in den USA noch eine nischige Gegenkultur war, ist längst politischer Mainstream. Eine Leitfigur der crunchy Bewegung sitzt seit Februar 2025 in der US-Regierung unter Donald Trump. Ex-Demokrat Robert F. Kennedy Jr., Gesundheitsminister der USA, ist insbesondere aufgrund seiner verschwörungsideologischen Haltungen umstritten. In der Vergangenheit behauptete er etwa, aschkenasische Juden*Jüdinnen und Chines*innen seien am ehesten gegen Covid-19 immun. Um den Masernausbruch in Texas zu bekämpfen, empfiehlt der Gesundheitsminister unter anderem aus Kabeljau hergestellten Lebertran. Er ist unter der Trump-Regierung dafür zuständig, die Geschicke einer Behörde mit mehr als 80.000 Mitarbeiter*innen und einem Haushalt von 1,7 Billionen Dollar zu leiten – und wird zukünftig bei der Zulassung von Medikamenten und Impfstoffen mitmischen.

Crunchy Gesundheitsministerium

Zu seinen Anhänger*innen gehört ein ganzes Heer selbsternannter Crunchy Moms, die sich vor allem von einem seiner Vorschläge angezogen fühlen: die Ernährung der US-Amerikaner*innen zu verbessern und die Nahrungsmittel-Industrie in die Schranken zu weisen. In der New York Times heißt es: „So wie Kennedy entwickelte sich auch crunchy zu einem Hufeisen-Bündnis aus weit links und weit rechts stehenden Landwirten, Hippies und religiösen Gläubigen, die der Schulmedizin misstrauen und ihre eigenen Lebensmittel anbauen.“
Nach Trumps Wahlsieg mit Kennedy im Schlepptau veranstalteten Crunchy Moms auf TikTok virtuelle Partys und verkündeten hüftschwingend ihre Hoffnung, der neue Gesundheitsminister möge endlich „Big Pharma“ zu Fall bringen. Die Pharmaindustrie wird weltweit wohl von Anhänger*innen aller politischen Lager kritisiert, in der verschwörungsideologischen Szene jedoch vereinfacht als „globaler Bösewicht“ dargestellt.

Make America Healthy Again

Was Kennedy mit der amerikanischen crunchy Familie im Sonnenblumenfeld verbindet, lässt sich in vier Buchstaben zusammenfassen, die, neben der US-Flagge, auch die TikTok-Bios zahlreicher Momfluencerinnen zieren: MAHA, die Abkürzung von Make America Healthy Again, ein konservativer Ruf nach gesundheitlicher Selbstbestimmung, der angelehnt ist an das Trumpsche Credo Make America Great Again. 

Auf TikTok wird der Hashtag #MAHA mittlerweile in Hunderttausenden Videos verwendet. Inhalt meistens: Momfluencerinnen, die mit gewickeltem Kind im Arm am Herd stehen und, während sie den Kochlöffel schwingen, Politik erklären. Der Slogan ist außerdem namensgebend für eine neue von Trump einberufene Kommission. Die Make America Healthy Again Commission soll die Ursachen der amerikanischen Gesundheitskrise untersuchen. Kennedy, der sich immer wieder insbesondere auf die Gesundheit US-amerikanischer Kinder beruft, sagte dazu: „Der Angriff auf die Zellen und Hormone unserer Kinder ist unerbittlich“ Und: „Sie schwimmen in einer giftigen Suppe herum.“

Kennedy legt seinen Fokus dabei aber wiederholt auf Maßnahmen, deren Wirksamkeit von Wissenschaftler*innen stark angezweifelt wird. Er will etwa das Amt eines „Rohmilch-Beraters“ schaffen, denn pasteurisierte Milch sei für chronische Krankheiten wie Asthma verantwortlich. Auch Crunchy Moms werben auf ihren Accounts immer wieder für rohe Milch. „Nein, ich bin keine Wissenschaftlerin”, sagt etwa Userin claras.home in einem Video, in dem sie erklärt, wieso sie ihrem einjährigen Kind rohe Milch verabreicht. „Aber ich habe viele Dinge im Internet gelesen.” Unzählige Studien belegen: Rohe Milch kann mit gefährlichen Krankheitserregern kontaminiert sein, die durch das Pasteurisieren beseitigt werden.

Insbesondere innerhalb der letzten Jahre fiel Kennedy durch die Verbreitung von Verschwörungsmythen auf. Vom Center for Countering Digital Hate (CCDH) wurde er gar als einer von zwölf Impfgegner*innen eingestuft, die eine führende Rolle bei der Verbreitung digitaler Fehlinformationen über Corona-Impfstoffe spielten. Kennedy stellte sich in der Vergangenheit wiederholt hinter die Falschbehauptung, Impfstoffe könnten Autismus verursachen. Dabei beruft er sich auf ein auf erwiesenermaßen gefälschten Daten basierendes Paper, das später zurückgezogen wurde und dessen Inhalt längst widerlegt ist. Jetzt soll Kennedy, so schreibt es Präsident Trump auf X, „die Behörden zu den Traditionen der wissenschaftlichen Forschung auf Goldstandard zurückführen, um die Epidemie der chronischen Krankheiten zu beenden und Amerika wieder großartig und gesund zu machen“.

Eine erste Bilanz der neuen US-Regierung: Die Food and Drug Administration, verantwortlich für die Kontrolle von Lebensmitteln und anderen Produkten, verlor durch Elon Musks drastische Streichungen zahlreiche Mitarbeiter*innen. Forschungsgelder im Zusammenhang mit Impfskepsis sollen gestrichen werden, außerdem soll eine groß angelegte Studie abermals untersuchen, ob es einen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus gibt.

Die Anti-Impf-Bewegung ist auf dem Vormarsch

Tatsächlich ist die Anti-Impf-Bewegung in den USA schon länger auf dem Vormarsch. 2014 hatten sich im kalifornischen Disneyland 58 Menschen mit Masern infiziert und das Virus auch in andere Bundesstaaten getragen. Ein Gesetz sollte schließlich Ausnahmen von den Impfvorschriften für Kinder in Kalifornien beschränken. Der Vorstoß des damaligen demokratischen Gouverneurs brachte zahlreiche konservative Aktivist*innen auf die Barrikaden. Ihr Argument: Impfvorschriften seien „unamerikanisch“, gesundheitliche Freiheit hingegen eine Grundfeste des amerikanischen Wertesystems. Im selben Jahr veröffentlichte Crunchy Mom Stephanie Kowalski auf ihrem Elternblog eine Art Checkliste:  Zum Crunchy-Dasein gehört etwa ein eigener Mini-Bauernhof im Garten, ein Medizinschrank ohne Medikamente, eine Wassergeburt – und Windpockenpartys für Kinder.

Schon damals belegte eine Studie des Psychologen Dan Kahan von der University of Yale: Impfgegner*innen gibt es in allen Schichten und politischen Lagern, unter Rechten sind sie jedoch am stärksten vertreten. Insbesondere Konservative seien außerdem besonders empfänglich für Impfskepsis – verbunden mit der Ablehnung wissenschaftlicher Erklärungen. Anfang 2025 verstarb ein ungeimpftes Kind in Texas an Masern – es war der erste Todesfall in den USA infolge einer Masern-Infektion seit zehn Jahren.

Im Podcast Red Wine and Blue, einem Format „suburbaner Frauen, die sich gegen Extremismus einsetzen”, sagt eine ehemalige Anhängerin der crunchy Bewegung: „Crunchy Moms nehmen ihre Kinder von der Schule, backen ihr eigenes Brot – aus Angst.“ Und dort, wo sich Angst verbreite, sei die extreme Rechte nicht weit. Die nähre wiederum jene Sorgen und politisiere dabei die Mutterschaft zahlreicher verunsicherter Frauen. Die Botschaft dahinter laute: „Die Heimatfront ist ein politischer Raum und eine weiße Mutter zu sein ist das Wichtigste, was man tun kann.“

Verlorenes Vertrauen in Institutionen

Im Gegensatz zu anderen rechten Subkulturen sei die Botschaft aber besonders verdaulich verpackt: feminin, ästhetisch, heimelig. Die Ästhetik vieler Crunchy-Mom-Accounts erinnert an eine idealisierte amerikanische Vergangenheit vor der Industrialisierung: Ziegen im Garten geben Milch. Die Männer in der Nachbarschaft tauschen sich über anstehende Reparaturen aus. Frauen tauschen beim Gottesdienst Sauerteigbrot gegen frisch gelegte Eier aus dem eigenen Garten. Das Vertrauen jener Menschen, die in die Szene geraten, wird indes immer weiter erschüttert: in Ärzt*innen, Schulen und alle anderen „Mainstream-Institutionen“.

Dass Frauen und insbesondere Mütter eine hervorgehobene Rolle in rechten Subkulturen und Bewegungen spielen, ist nicht neu. Studien über die amerikanische extreme Rechte belegen: Das Bild der besorgten Mutter diente in der Vergangenheit als Hebel für die Durchsetzung von Rassentrennung. Als etwa der rechtsterroristische Ku Klux-Klan in Reaktion auf die Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre in den Südstaaten der USA einen erneuten Aufschwung erlebte, waren es vor allem Frauen, die das öffentliche Image der Terrororganisation rehabilitieren und die mörderische Ideologie verbreiten sollten. Auch in der Tradwife-Bewegung sind rechte Inhalte nicht weit, man denke etwa an die ultrakonservative Influencerin Estee Williams, die einst auf ihrem YouTube-Channel eine „White Baby Challenge“ startete und Frauen dazu aufrief, am vermeintlichen Geburtenkrieg teilzunehmen, indem sie möglichst viele weiße Kinder zur Welt bringen.

Immerhin: Auf TikTok gibt es auch andere Interpretationen des crunchy Lifestyles. Ein User postet dort Anleitungen, die es ermöglichen sollen, crunchy zu leben, ohne in die Pipeline hin zu ultrarechtem Aktivismus zu geraten. „Triff Entscheidungen im Sinne von öffentlicher Gesundheit“, heißt es in einem Video. „Dazu gehört auch die Entscheidung, ob du das Haus verlässt, wenn du krank bist, und die Aufrechterhaltung deines Impfschutzes.“

Weiterlesen

Eine Plattform der