Trigger-Warnung: Explizite Beispiele.
Nach dem antisemitischen Terrorakt in Halle blicken viele mit Sorge auf Gaming-Foren und Imagebords. Zu Recht. Der Täter von Halle scheint aus einer extrem rechten Subkultur zu kommen, die sich unter anderem über Foren, Plattformen für Gamer, Imageboards und Telegram vernetzt und politisch radikalisiert. Rechtsextreme, Rassist*innen, Antisemit*innen und Männerrechtler*innen nutzen verschiedene digitale Kommunikationsformen, um ihre Ideologie zu feiern, zu verbreiten und um sich zu vernetzen. Eine gerade auch bei Jugendlichen beliebte Plattform, auf der Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit und Rassismus von dieser toxischen Netzgemeinde verbreitet wird, bleibt jedoch weitestgehend unerwähnt: Instagram.
Die Social Media-Plattform Instagram wird immer beliebter, besonders bei jungen Menschen. Unter 18- bis 24-Jährigen hat Instagram Facebook mittlerweile als Nachrichtenquelle abgelöst. Besonders junge Menschen posten viele Aspekte ihres Alltags via Foto auf der Plattform oder via Instagram-Story, einem Tool, mit dem kurze Videos, Bilder oder Texte für 24 Stunden sichtbar sind und damit geteilt werden, bevor sie automatisch gelöscht werden. Auch Neonazis, Rassist*innen, Antisemit*innen und Co. haben Instagram mit all seinen Funktionen für sich entdeckt. Dazu gehört auch eine gewaltaffine, rechte radikalisierte Szene im Internet.
Sie zu verstehen, ist nicht ganz einfach. Die Posts sind durchsetzt von Sarkasmus und Ironie und werden zunehmend nihilistischer. Die rechtsextreme Cyber-Szene hat eine eigene Sprache und eine Vielzahl an verschiedenen Codes. Zentral sind vor allem ihr krasser Antisemitismus, Rassismus, Frauenverachtung und Gewaltphantasien. Die jüngste Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass es für einige nicht nur bei Gewaltphantasien bleibt. Rechtsextreme Terroristen werden von den Online-Nazi-Szene gefeiert wie Märtyrer. Je mehr Menschen bei einem Angriff getötet wurden, desto höher stehen diese Täter in der Gunst der eigenen toxischen Netzgemeinde. Sie werden verehrt wie Stars – auch auf Instagram.
Rechtsextreme Instagram-Gruppen: Soll man seine Mutter töten? Wie gut wirken Penis-Pillen?
Besonders besorgniserregend sind hier Instagram-Gruppen, in denen sich Neonazis, White-Supermacy-Aktivist*innen, Incels (Männer mit Vernichtungsphantasien gegenüber Frauen) und Unterstützer*innen rechtsterroristischer Gruppierungen vernetzen. Kommuniziert wird in dieser rechtsextremen Cyber-Kultur üblicherweise auf Englisch, auch wenn die Mitglieder laut Eigenaussagen aus allen Teilen der Welt kommen, aus Deutschland, Niederlande, Schweiz, Österreich, Frankreich, Russland, Serbien, den USA, Kanada und gar User*innen, die angeblich aus dem arabischen Raum kommen. Sie verbindet Vernichtungsfantasien gegenüber allen Jüdinnen und Juden und außerdem eine Faszination für Gewalt. In solchen Gruppen auf Instagram posten die User*innen antisemitische und rassistische Memes, Pornos und diskutieren darüber, wie nun endlich der ersehnte Bürgerkrieg starten könne. Auch eine extreme Homosexuellen- und Frauenverachtung zeichnet diese User*innen dieser radikalen Gruppen aus. So wird beispielsweise diskutiert, ob man auch seine Mutter töten solle, wenn man doch eigentlich alle Frauen vernichten möchte. Außerdem werden Erfahrungsberichte ausgetauscht, wie gut Penis-Vergrößerungs-Pillen wirken.
Wer die realen Personen hinter den Accounts sind, ist nicht immer leicht festzustellen, genauso wenig wie ihr Alter. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass die meisten dieser User*innen noch recht jung sind. Viele gehen laut Eigenaussage noch in die Schule. Möglicherweise ist ihr rechtsextremes Weltbild auch noch gar nicht so sehr gefestigt. Vielleicht kokettieren sie gerne mit dem Verbotenen und sind fasziniert vom Bösen. Dennoch besteht die Gefahr, dass sie sich immer weiter radikalisieren.
Einige deutsche Accounts aus diesem Spektrum stehen dabei eindeutig mit der sogenannten „Identitären Bewegung“ und anderen Aktivist*innen der sogenannten „neuen“ Rechten in Verbindung.
„Atomwaffen Division“ auf Instagram
Beinahe alle Spektren der rechtsextremen Szene sind auf Instagram vertreten, so auch mögliche Mitglieder oder zumindest Sympathisant*innen, der terroristischen Gruppe „Atomwaffen Division“. Im Zweifel kann jede*r zu dieser Gruppe gehören, denn die in den USA real existierende nationalsozialistische und gewaltverherrlichende Gruppierung verfolgt das Prinzip der „Zellen des führerlosen Widerstandes“. Auch in Deutschland gibt es offenbar eine kleine aktive Gruppe: Am 27. Oktober 2019 erreichten zwei Droh-Mails mit der Unterzeichnung „Atomwaffen Division“ die Büros der Grünen-Politiker*innen Cem Özdemir und Claudia Roth.
Aus der Faszination für Gewalt und NS-Ideologie wird in den USA auch mörderischer Ernst. Seit 2017 sind durch Attentäter aus dem Umfeld von „Atomwaffen Division“ fünf Menschen ermordet worden, ein geplanter Sprengstoff-Anschlag auf ein Kernkraftwerk konnte verhindert werden. Auch deutsche Sympathisant*innen bzw. Mitglieder tummeln sich auf Instagram. Eine*r fragt beispielsweise, in welchem Laden in Deutschland er die Flaggen von „Atomwaffen Division“ kaufen könne. Über einen Online-Versandhandel will er sie sich nicht kaufen, er habe keine Lust, dass Ermittlungsbehörden bei ihm vor der Tür stehen würden. Andere User*innen geben ihm Tipps.
„Siege“-Anhänger und das Totenkopf-Bandana
Das System des „führerlosen Widerstands“ wurde in den USA in der 1980er Jahren unter anderem von James Mason propagiert. Mason schrieb über seine Ideologie dazu einen Newsletter namens „Siege“ (Belagerung). Darin werden als Feindbilder, klassisch, Schwarze, Migrant*innen, Homosexuelle, Jüd*innen und Muslim*innen beschrieben. Es geht aber auch um Strategien: Mason befürwortete gewalttätigen politischen Aktivismus, der zu einem neuen faschistischen Regime in den USA führen sollte. Dazu sei ein Krieg gegen die Regierung nötig, in dem Morde und „Lone Wolf“-Terrorattacken das beste Mittel seien. Es geht um Chaos, bevor der faschistische Staat entstehen kann. Einer von Masons Helden ist der siebenfache Mörder Charles Manson. Mit ihm zusammen entstand die Newslettersammlung „Siege“. 2015 holten amerikanische Neonazis Mason und seine Ideologie in die Gegenwart zurück. Sie veröffentlichen seine Schriften als Bücher und wollen damit ein weltweites Netzwerk von nationalsozialistischen Fanatiker*innen aufbauen, dass bereit ist für den „Race War“.
Bereits das Logo der „Atomwaffen Division“ beruft sich auf das SS-Wappen, in der Mitte prangt ein Symbol für Kernenergie, was auf ihren absoluten Vernichtungswillen hinweisen soll. In der rechtsextremen Cyberkultur wird „Siege“ momentan gehyped. Die User*innen posten auch auf Instagram Memes zu „Siege“ und Bilder davon, wie sie das Buch lesen. Sie bezeichnen sich als „Siege-Pill“, in Anlehnung an die „Red Pill“ (eine Selbstbezeichnung für Alt-Right-Aktivist*innen).
Wenn sie Bilder von sich posten, verstecken sie ihr Gesicht in der Regel hinter einem Totenkopf-Bandana, das die untere Gesichtshälfte bedeckt.
Mit Memes und Videos schüren Incels auf Instagram Hass gegenüber Frauen
Die meisten dieser Accounts sind geprägt von einem extremen Antifeminismus. In seiner krassesten Ausprägung bezeichnen sich solche Männer als Incels, als „Involuntary Celibate“, also als unfreiwillig im Zölibat lebend. Sie bezeichnen sich als „black Pill“. Hinter dem Incel-Wahn steckt der Glaube, dass Männer einen Anspruch auf Sex mit Frauen hätten. Doch durch Feminismus und Emanzipation seien die Frauen dem Mann nicht mehr gefügig.
Diese verzweifelten Männer hängen einer nihilistischen Ideologie an. In Instagram-Gruppen werden Frauen lediglich als Objekte gewertet. Sie reden hier von ihrem Masturbationsverhalten und jammern, dass sie noch niemals eine Freundin hatten. Das alles stets unterlegt mit kurzen Porno-Clips, die zum Teil gewaltverherrlichend sind. Diese jungen Männer sehen ihr Schicksal der aufgezwungenen Enthaltsamkeit als determiniert und damit unveränderbar an. Im Inneren der kranken „Incel“-Welt wird zu Massenvergewaltigungen von Frauen aufgerufen, viele fordern einen „female genocide“, einen „Genozid an Frauen“. Diese frauenhassende Ideologie kann tödliche Auswirkungen haben. Viele Männer, die Amok laufen oder dem neuen rechtsextremen terroristischen Tätertypus zugerechnet werden, haben ein gestörtes Verhältnis zu Frauen. Auch wenn nicht alle Accounts dieser Cyber-Nazis auf Instagram sich selbst als „Incels“ beschreiben, nutzen doch viele von ihnen Instagram um frauenverachtende Bilder und Videos zu posten und um ihren Fantasien freien Lauf zu lassen, dass sie Frauen am liebsten töten würden.
Faszination für Gewalt und Waffen
Besonders alarmierend ist ihre Faszination für Gewalt und Waffen. Neben Hakenkreuzen, Memes, Pornos und ekelhaftem antisemitischen Content, wird immer wieder deutlich, dass diese Cyber-Nazis eine erschreckende Faszination für Waffengewalt an den Tag legen, auch deutsche User*innen. Sie posten Bilder und Videos davon, wie junge Männer mit Maschinenpistolen beispielsweise auf Regenbogenflaggen schießen. Sie tauschen sich darüber aus, welche Waffe für welches Ziel geeignet wäre. Sie schwärmen für den Rechtsterroristen Brenton Tarrant, der am 15. März 2019 im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen in zwei Moscheen tötete. Für Stephan Bailliet hingegen, den Mörder aus Halle, haben diese Neonazis nur Verachtung übrig, da ihn eine Holztür daran hinderte, ein Massaker in einer Synagoge anzurichten. Aber auch Schulmassaker werden immer wieder gefeiert.
Toxische Netzgemeinde: Junge, nihilistische Männer mit einer Faszination für Waffengewalt
Diese Szene, junge, nihilistische Männer mit einem Faible für Waffen, die sich in Internetforen aber auch auf Instagram radikalisieren, müssen stärker in den Blick genommen werden. Auch wenn sie in unterschiedlichen Teilen der Welt leben, gehören sie zur selben rechten Cyber-Community. Sie alle teilen ein rechtsextremes und nationalistisches Weltbild. Sie glauben, die „weiße Rasse“ (ob in den USA oder Europa) vor Migrant*innen und Jüd*innen beschützen zu müssen. Ihrem rassistischen und antisemitischen Wahn liegt die Annahme zugrunde, „weiße Menschen“ seien mehr wert als andere. Auch auf Instagram geht es ihnen letztendlich um eine angebliche Überlegenheit einer angeblich „weißen Rasse“. Im Gegensatz zu Imagebords wie 4chan landen junge Menschen nicht aus versehen auf Instagram. Für viele Jugendlichen hat diese Plattform mittlerweile einen festen Platz in ihrem Alltag. Wenn diese Cyber-Nazis Bilder auf Instagram posten, nutzen sie, wie andere Nutzer*innen auch, zum Teil Hashtags unter ihren Bildern. Der Sinn dahinter: User*innen können nicht nur Accounts folgen, sondern auch Hashtags, dann bekommen die User*innen Beiträge die diese Hashtags enthalten in ihre Timeline gespielt. So können auch unpolitische Jugendliche mit den Inhalten dieser menschenverachtenden Instagram-Community in Kontakt kommen.