Im vergangenen Jahr wurden immer neue rechtsradikale Vorfälle bekannt, an denen deutsche Soldaten beteiligt waren. Wehrpflichtige in Detmold prügelten Ausländer, in Hammelburg inszenierten Bundeswehrangehörige Vergewaltigungen und Exekutionen, in einer bayerischen Kaserne wurde ein illegales Waffenlager und neonazistisches Material gefunden.
Verteidigungsminister Volker Rühe griff zu harten Disziplinarmaßnahmen ? und bestand darauf, es handele sich um Einzelfälle. Als dann jedoch bekannt wurde, daß der Neonazi Manfred Roeder 1995 einen Vortrag in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg gehalten und ausrangierte Fahrzeuge aus Truppenbeständen erhalten hatte, war die Rechtfertigungsstrategie der Hardthöhe nicht mehr zu halten. Zu Beginn dieses Jahres hat sich auf Betreiben der Opposition ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß konstituiert. Er soll nicht nur die Hintergründe des Falles Roeder klären, sondern die generelle Frage nach rechten Tendenzen in der Bundeswehr beantworten helfen. Der erste Zeuge am 4. Februar war Admiral Rudolf Lange, Kommandeur der Bundeswehr?Führungsakademie.
Kurt J. Rossmanith (CDU/Vorsitzender): Herr Lange, Sie sind für die Ausbildung der Stabsoffiziere verantwortlich und können uns über den Stellenwert der inneren Führung in dieser Ausbildung Auskunft geben.
Zeuge Admiral Rudolf Lange: Kern des Auftrags der Führungsakademie ist die Aus? und Fortbildung bereits berufserfahrener Offiziere aller drei Teilstreitkräfte. Der Fall Roeder war eine Offiziersweiterbildungsveranstaltung des Stabes. Der Stab ist ein Bereich, der zwar für die Funktionsfähigkeit der Führungsakademie unerläßlich ist, der aber natürlich nicht das Kerngeschäft der Ausbildung betreibt. Deswegen, so schätze ich das im nachhinein ein, ist auch dieser Fehler passiert, weil dort das eingespielte Verfahren, mit dem Gastdozenten überprüft werden, nicht angewandt worden ist. Die Sicherheitsmechanismen, die sonst selbstverständlich sind ? wer ist das, worüber redet der? ?, wurden dort nicht eingehalten.
Dieter Heistermann (SPD/stellvertretender Vorsitzender): Gibt es eine Dienstaufsicht des Leiters der Führungsakademie über den Akademiestab?
Lange: Eine handfeste Dienstaufsicht in dem Sinne, daß man wirklich teilnimmt, ist bei der Fülle der Veranstaltungen nicht in jedem Fall gegeben, aber eine Dienstaufsicht im Sinne von Information und Koordination.
Heistermann: Würden Sie hier Handlungsbedarf sehen?
Lange: Der Leiter der Führungsakademie muß informiert sein und vorher wissen, welche Art von Weiterbildungsveranstaltungen der Stab macht. Das ist jetzt der Fall.
Christian Schmidt (CDU): Halten Sie die Frage einer Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates durch Extremisten für ausreichend behandelt?
Lange: Seminare über Rechtsextremismus gibt es seit 1993, das ist nicht nur eine Reaktion.
Peter Zumkley (SPD): Wie erklären Sie sich angesichts des offenen Geistes, der an der Führungsakademie herrschen muß und soll, daß eine Angelegenheit wie der Vortrag Roeder so lange unter der Decke gehalten wurde?
Lange: Das betrübt mich. Ich kann es mir nicht erklären. Ich finde es nicht gut.
Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Grüne): Von einem früheren Kommandeur der Akademie wurde als eine wesentliche Aufgabe hervorgehoben, Risiken von ihr fernzuhalten. Das kann doch auch dazu führen, daß man Fehler unter den Teppich kehrt.
Lange: Man kann Schaden dann am besten abhalten, wenn man sich zu Fehlern bekennt. Denn nur dann kann man verhindern, daß derselbe Fehler noch einmal passiert.
Günther Friedrich Nolting (FDP): Sie haben gesagt, daß über Rechtsextremismus gesprochen wird. Trifft das auch für den Bereich des Linksextremismus zu, oder wird der in den Veranstaltungen komplett ausgespart?
Lange: Ausgespart mit Sicherheit nicht. Aber ich denke, der steht im Moment nicht so hoch auf der Tagesordnung und im Mittelpunkt des Geschehens. Dennoch werden seine Erscheinungsformen natürlich genauso behandelt wie die andere Seite des Spektrums.
Nolting: Welche Auswirkungen hat die Behandlung dieser Vorfälle auf das Klima innerhalb der Führungsakademie, auch was Loyalität und Zivilcourage anbelangt? Besteht nicht die Gefahr, daß aufgrund solcher Vorkommnisse die offene Diskussion nicht mehr stattfindet, daß es hingeht zu Angepaßtheit, zu Duckmäusertum?
Lange: Das wäre das schlechtest denkbare Ergebnis.
Gerhard Zwerenz (PDS): Sie haben gesagt, über Linksextremismus wird bei Ihnen auch gesprochen. Die eigentliche Frage aber ist: Gab es denn neben den rechtsextremistischen Vorgängen, die wir teilweise kennen, in Ihrer Akademie auch linksextremistische Vorfälle?
Lange: Mir ist nichts bekannt.
Walter Kolbow (SPD): Sie haben sich bestürzt darüber gezeigt und konnten nicht erklären, warum es nicht zu Mitteilungen derer gekommen ist, die Roeder gehört haben. Von Angehörigen der Akademie wird gesagt, das hängt mit Duckmäusertum, Konspirativität und falschem Korpsgeist zusammen. An der Akademie ist eine Diskussion darüber entbrannt, wie die Lage und die Stimmung jetzt einzuschätzen sind. Wird bei Ihnen über „Militärcourage“ geredet?
Lange: Ja. Das ist sicherlich ein Ausfluß der Ereignisse. Dazu gehört aber auch, daß unterschiedliche Meinungen darüber vorherrschen, ob es der richtige Weg ist, Kenntnisse erst an die Presse zu geben und dann im Kollegenkreis oder den Vorgesetzten gegenüber kundzutun. Und es ist eine schiefe Darstellung, dieses einmalige Versagen so hinzustellen, als wenn es hier einen Trend gäbe oder ein Gedankengut. Das ist eben nicht wahr, auch wenn noch so viele Medien in dieser Richtung argumentieren. Der 84jährige Rolf Vissing sollte als weiterer Zeuge unter anderem Aufschluß darüber geben, wie es zu dem Vortrag kam. Er erschien mit einem Rechtsbeistand: Manfred Roeder.
Rossmanith: In unserem Beweisbeschluß heißt es: „Der Zeuge Vissing kann Aufklärung über Einzelheiten zu den Vortragsveranstaltungen am 5. März 94 und 24.Januar 95, zur zeitweisen Abstellung von Bundeswehrfahrzeugen und Bundeswehrmaterial für das Deutsch?Russische Gemeinschaftswerk auf dem Gelände der Führungsakademie und der Logistikschule der Bundeswehr sowie darüber geben, ob und inwieweit der Leitungsbereich des Bundesministers der Verteidigung über die Veranstaltungen vom 5. März 94 und 24. Januar 95 unterrichtet war.“
Zeuge Vissing: Wie kommt eigentlich der Ausschuß dazu zu behaupten, daß das Deutsch?Russische Gemeinschaftswerk eine verfassungsfeindliche Organisation sei? Dazu verlange ich den Beweis!
Rossmanith: Herr Vissing, Sie sind als Zeuge geladen und nicht als Vernehmender. Die Fragen werden von diesem Ausschuß gestellt.
Vissing: Ich sehe das als persönliche Beleidigung an, denn ich gehöre keiner terroristischen oder verfassungsfeindlichen Organisation an.
Rossmanith: Welche Kontakte hatten Sie zur Führungsakademie, und in welcher Form sind diese Kontakte entstanden?
Vissing: Von einem Herrn, den ich ganz zufällig in Blankenese kennengelernt habe, wurde ich zu einem Vortrag eingeladen. Dort habe ich einen Offizier kennengelernt, den ich gefragt habe, ob es möglich sein könnte, daß wir Fahrzeuge, die uns von der Bundeswehr für humanitäre Zwecke in Ostpreußen zur Verfügung gestellt werden, deponieren können.
Rossmanith: Können Sie mir etwas über das Deutsch?Russische Gemeinschaftswerk sagen?
Vissing: Nein. Herr Roeder kann Ihnen eine Antwort darauf geben, ich nicht.
Heistermann: Wie haben Sie erfahren, daß das Deutsch?Russische Gemeinschaftswerk Autos bei der Bundeswehr bestellt hatte?
Vissing: Das habe ich nicht angeleiert. Mir wurde durch Herrn Roeder gemeldet, die Fahrzeuge sind da abzuholen.
Heistermann: Sie haben also bei der Führungsakademie einen Offizier angesprochen: „Können wir hier Autos unterstellen?“ Da muß es doch vorher Kontakte gegeben haben.
Vissing: Zu wem denn nun?
Heistermann: Zum wem auch immer.
Vissing: Um Gottes willen, das sind verzwickte Fragen.
Heistermann: Sie haben gesagt, Sie wüßten gar nicht, was das Deutsch?Russische Gemeinschaftswerk wäre. Sie haben doch die Autos auf Ihren Namen angemeldet.
Vissing: Ich? Auf meinen Namen? Auf meinen Namen sind die Autos nicht angemeldet worden!
Heistermann: Bei der Abholung waren Sie doch dabei.
Vissing: Natürlich, und ich war nicht der einzige ? ich kann nicht drei Wagen auf einmal fahren. Was sind das für komische Fragen, sagen Sie mal.
Heistermann: Sie mußten doch wissen, für wen die Fahrzeuge bestellt waren.
Vissing: Natürlich wußte ich das. Für humanitäre Zwecke!
Heistermann: Aber dann wußten Sie doch auch, daß diese Autos für das Deutsch?Russische Gemeinschaftswerk bestimmt waren, auf deren Namen.
Vissing: Natürlich auf deren Namen, doch nicht auf meinen!
Heistermann: Sie haben vorhin ausgeführt, Sie kennen diese Organisation überhaupt nicht.
Roeder: Darf ich gerade mal sagen …
Heistermann: Nein, das dürfen Sie nicht!
Roeder: Herr Vorsitzender, das ist der Grund, warum Herr Vissing mich gebeten hat. Sie sehen ja, wie schwer er sich tut, auf diese einfachen Fragen zu antworten.
Rossmanith: Herr Beistand …
Roeder: Über das Deutsch?Russische Gemeinschaftswerk muß der Ausschuß mich fragen und nicht ihn, ich bin der Geschäftsführer.
Rossmanith: Herr Beistand, ich verwarne Sie in aller Form! Ich habe Sie ausdrücklich belehrt, daß der Beistand kein Rede?, kein Antragsrecht hat. Wenn Sie diese Weisung noch einmal mißachten, muß ich Sie dieses Saales verweisen lassen. Ich verwarne Sie hier in aller Deutlichkeit!
Heistermann: Können Sie uns wenigstens darstellen, nachdem Sie die Parfino?Veranstaltung durchgeführt haben …
Vissing: Welche Veranstaltung?
Heistermann: Die Parfino?Veranstaltung ? da sind Sie doch dabeigewesen?
Vissing: „Parfino“, was ist das für ein Begriff? Ich bin eingeladen worden zu einem Vortrag über die Gräber um St. Petersburg. Was sind das für komische Querfragen? Ich kenne den Verein gar nicht, habe noch nie davon gehört.
Heistermann: Ich habe keine weiteren Fragen. Die übrigen Mitglieder des Untersuchungsausschusses verzichten auf Fragen. Der Abgeordnete Walter Kolbow stellt jedoch vorsorglich fest, daß Herr Vissing weiter als Zeuge zur Verfügung zu stehen hat.
Rossmanith: Das bedeutet, daß Sie nicht als Zuhörer an den weiteren öffentlichen Sitzungen teilnehmen können, da Sie möglicherweise noch einmal in den Zeugenstand berufen werden.
Vissing: Um Mitternacht oder wann?
Rossmanith: Nein, nein, Sie sind für den heutigen Tag aus dem Zeugenstand entlassen. Ich danke Ihnen, daß Sie uns soweit wie möglich Rede und Antwort gestanden haben.
Vissing: Das ist wenigstens ein nettes Wort, daß Sie sich bei mir bedanken! Bin ich entlassen?
Rossmanith: Ja, ich darf Sie bitten, den Saal zu verlassen.
Roeder: Der Hausherr hat anscheinend nur eine Sorge …
Rossmanith: Ich darf die Sitzungspolizei bitten, Herrn Roeder des Saales zu verweisen!
Vissing: Wir gehen beide!
Roeder: Ich bin der einzige, der für die bürgerlichen Rechte der Bundeswehr eintritt! Sie wollen den Staatsbürger in Uniform abschaffen! Schande über diesen Ausschuß, verdammt noch mal!
Rossmanith: Auch Gelassenheit sollten wir gegenüber jedermann üben.
Erschienen in DIE ZEIT, 08/1998