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„Das Dunkle mit Licht bekämpfen“ – Wie sich Gräfenberg gegen rechtsextreme Aufmärsche zur Wehr gesetzt hat

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Manche sagten, es sei ein Spuk gewesen, der in der kleinen oberfränkischen Gemeinde Gräfenberg regelmäßig gehaust habe. Zehn Jahre lang marschierten Neonazi?Gruppen durch diesen Ort und versetzten ihn zunächst einmal pro Jahr in einen Ausnahmezustand. In den letzten drei Jahren dann kamen die Rechten mindestens einmal pro Monat. Über 40 Aufmärsche waren es in drei Jahren. Und genauso oft ist das ?Bürgerforum Gräfenberg gegen Rechtsextremismus und für Demokratie? unter
Beteiligung der Bevölkerung und der Bündnisse aus der Metropolregion Nürnberg dagegen auf die Straße gegangen.

Gespenstisch war das Geschehen tatsächlich. Aber ein ?Spuk? im Sinne eines überirdischen, nicht erklärbaren Ereignisses war es freilich nicht. Es ist vielmehr eine beinharte politische Realität in vielen deutschen Städten und Gemeinden, dass alte und junge Nazis wieder marschieren. Selbstbewusst, kampfbereit, strategisch ausgeklügelt und gefährlich.

Die Vorderbühne: Ein Kriegerdenkmal als Anziehungspunkt

Gräfenberg ist eine 25 km nördlich von Nürnberg gelegene, 4.000 Einwohner zählende Gemeinde am Eingang zur touristisch beliebten ?Fränkischen Schweiz?. Es war in der NS?Zeit Sitz der Gauleitung und spielte damit eine prominentere Rolle bei der Organisation des Terrors in Oberfranken. Über die Verstrickung der Gräfenberger weiß man nicht viel, denn alle Unterlagen aus der NS?Zeit fielen kurz vor der Ankunft der US?Armee dem Feuer zum Opfer. Man weiß nur, dass Gräfenberg in den letzten
Weimarer Jahren eine Wahlhochburg der Nazis war. Die Alten schweigen über die Namen, die verantwortlichen Akteure und ihre Schandtaten bis heute.

Es hat tatsächlich 65 Jahre gedauert, bis über die Rolle des Ortes in der NS?Zeit öffentlich in einer Diskussionsveranstaltung, die das Bürgerforum organisiert hat, geredet wurde. Damit wird schon
deutlich: Gräfenberg ist in der Auseinandersetzung mit der eigenen verhängnisvollen Geschichte alles andere als ein Kompetenz?Zentrum. Davon zeugt auch ein völlig überdimensioniertes, trutziges Kriegerdenkmal, das, auf einem Hügel gelegen und elf Meter hoch, über den Dächern der Stadt thront. Nach dem ersten Weltkrieg wurde es erbaut und nach dem zweiten Weltkrieg erweitert. Es spricht die Sprache der Revanchisten in der Weimarer Republik und es spricht die Sprache der Nazis: Hier werden Söhne Gräfenbergs als Helden geehrt, die angeblich für ?das Vaterland? fielen ? in Polen, Frankreich, Russland. Diese kollektive Lüge und Selbsttäuschung ist großformatig in Stein gemeißelt.


Das Kriegerdenkmal in Gräfenberg / Quelle: Flickr

Der aufmerksame Besucher, der die 200 Stufen zum Denkmalsgelände genommen hat, findet auf der
Rückseite des Bauwerks zu allem Überfluss auch noch einen Hinweis darauf, dass sich hier in früheren Zeiten ein germanischer Opferplatz befunden habe. Wen wundert es da noch, dass dieses
von den Alten sorgfältig gepflegte Denkmal, der zu Stein gewordene Geist der völkischen Kriegstreiber und Geschichtsverdreher, von den heutigen Nazis aus nah und fern leidenschaftlich als Wallfahrtsort geschätzt wird?

50 bis 250 Neonazis zogen jeweils durch den kleinen mittelalterlichen Stadtkern. Sieben Jahre lang marschierten sie einmal pro Jahr, um in zeitlicher Nähe zum Totensonntag die angeblich heldenhaften deutschen Soldaten zu ehren. Mit Fahnen, Fackeln und Trommeln gestalteten sie ein gespenstisches, an die SA?Aufmärsche in der Weimarer Zeit erinnerndes Szenario. Doch schon nach ihrem ersten Versuch, das Denkmal als Kulisse für ihre menschenrechtsfeindliche Propaganda zu nutzen, übergab die Stadt Gräfenberg das Grundstück einem Verein zu Denkmalspflegezwecken. Der wiederum konnte nun ? anders als der öffentliche Träger ? den Zugang zum Denkmal nach privatrechtlichen Gesichtspunkten und eigenem Gutdünken regeln.


Treppenaufgang zum Kriegerdenkmal / Quelle: Flickr

Dieser politische und verwaltungsrechtliche Schachzug zwang die Neonazis in den folgenden Jahren dazu, vor den Treppen zum Denkmal halt zu machen und verhinderte Siegerposen, großdeutsche Phantastereien und das Trommeln gegen die Demokratie an einem Ort, der eigentlich dem Gedenken an die Opfer einer rassistischen Welteroberungspolitik gewidmet sein sollte. Eigentlich.

Zivilgesellschaftliche Gegenwehr formiert sich von unten

Im November 2006 verkündete ein international aktiver und mobilisierungsmächtiger Neonazi?Führer aus der Region, dass Gräfenberg aufgrund der Sperrung des Denkmals nunmehr künftig
mindestens einmal pro Monat mit Aufmärschen zu rechnen habe. Diese Terror?Drohung war das Startsignal für die Gründung des ?Bürgerforum Gräfenberg gegen Rechtsextremismus und für
Demokratie?. Dem ersten Sitzungs?Aufruf folgten bereits 40 Menschen, das ist unter den kleinstädtisch?ländlichen Verhältnissen eine stattliche Zahl. Und es wurden immer mehr, die sich zur aktiven Mitarbeit gegen die Nazi?Aufmärsche zusammenfanden. Es entstand ein buntes Bündnis, ?von unten? gegründet und autonom gegenüber Parteipolitik und Verwaltung.

Das ?Bürgerforum Gräfenberg? repräsentiert bis heute einen bunten Querschnitt durch die Bevölkerung ? in ihm sind beileibe nicht nur Akademikerinnen und Akademiker im mittleren Lebensalter aktiv. Vielmehr sind Menschen aus verschiedenen Berufs? und Altersgruppen engagiert ? die Losung ?Gräfenberg ist bunt? bildet sich auch in der sozialen Zusammensetzung des Bürgerforums ab. Die heterogene Struktur, die hierarchiefreie Zusammenarbeit, das demokratische, kooperative Gesprächsforum, das es darstellt sowie die Zielsetzungen und kreativen Aktionen haben eine hohe Anziehungskraft und Aufmerksamkeit weit über die Region hinaus erzeugt.

?Die Dunkelheit kann man nicht mit Dunkelheit bekämpfen, sondern nur mit Licht? ? dieses Wort des Bürgerrechtlers Martin Luther King wurde zum Credo der zivilgesellschaftlichen Gegenwehr: Wenn die Neonazis mit Trommeln und Fackeln durch die Stadt marschierten und Feindseligkeit und Hass propagierten, dann gestaltete das Bürgerforum Gegen?Orte am Marktplatz und an der Aufmarschstrecke; Gegen?Orte, an denen Solidarität, Friedfertigkeit und Interkulturalität herrschten.

Die bisweilen fast volksfestartige Stimmung der Gegenaktionen? sie war und ist gewollt, weil damit ein heller Gegenpol gesetzt wurde zum dumpfen, brutalisierenden Marsch der Rechtsextremisten. Zweimal platzte den Gräfenbergern der Kragen und sie blockierten Aufmärsche der Rechten ? mit
erheblichen Folgen. Davon wird weiter unten noch die Rede sein.

Die Hinterbühne: Gräfenberg als Mobilisierungsort für den Kampf um die Straße

Gewiss waren es nicht das Denkmal und der verweigerte Zugang allein, der Gräfenberg eine Zeitlang zu einem Mobilisierungsort für die Rechtsextremisten in Bayern werden ließ. Das war wohl ein willkommener Anlass für die Nazis, aber nicht der Grund. Seitdem das Bundesverfassungsgericht die rechten Aufmärsche im nicht weit entfernten Wunsiedel zu Ehren des Hitler?Stellvertreters und Kriegsverbrechers Rudolf Hess untersagt hatte, fehlte der Szene ein entsprechender Kristallisationsort.

?Der Kampf um die Straße, der Kampf um die Köpfe, der Kampf um die Parlamente und der Kampf um den organisierten Willen? ? für die Verwirklichung dieser rechtsextremistischen Macht?Strategie ließ sich mobilisieren in einer Stadt, die ein solches Kriegerdenkmal kultiviert und die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte verweigert hat.

Gräfenberg erschien auch als geeignetes Pflaster, weil es verkehrsgünstig vor den Toren einer Großstadt liegt. Die ?Faschisierung der Provinz? (Toralf Staudt) und die Eroberung der Städte vom Land aus als neue Strategie der Rechten, wie sie landauf, landab beobachtbar ist, konnte in Gräfenberg in Angriff genommen werden. Zudem gibt es in Franken organisationsmächtige rechte ?Bewegungsunternehmer?: Leute, die es verstehen, zu organisieren und das eigene Hinterland zu
mobilisieren. Der Slogan ?Denkmäler sind für alle da? lockte phasenweise bis zu 250 Nazis auf die engen Gräfenberger Gassen. Sie kamen aus benachbarten Bundesländern und bisweilen auch aus europäischen Nachbarstaaten.

Die Gegenaktionen der Zivilgesellschaft…

Es waren kaum vier Wochen nach der Ankündigung eines monatlichen Terrors vergangen, waren die Nazis schon vor Ort. Die Bevölkerung beantwortete das mit einem ?traditionellen Gräfenberger Holzsägen?. Mit lauten Motorsägen wurde aus den benachbarten Grundstücken die Versammlung der Nazis gestört. Musste auf polizeiliches Geheiß die Kreissäge von einem Nachbarn abgestellt werden, übernahm ein anderer auf seinem Grundstück den Job. Bei nächtlichen Aufmärschen wurde hinter die Neonazi?Redner eine große Leinwand gestellt und die Propaganda per Beamer?Projektion mit Bildern von Massenerschießungen durch deutsche SS?Soldaten, Aufrufe zum Ausstieg aus der Nazi?Szene und Live?Kommentierungen der Nazi?Reden konterkariert. Der Landsknecht?Trommel der Nazis setzten die engagierten Bürger das Motto ?Demokraten geben hier den Takt an? entgegen:
Gemeinsam mit Samba?Gruppen und der Bevölkerung, die mit allem Möglichen, worauf man einen Takt machen kann, ausgestattet war, setzte man ein symbolisches und akustisches Gegensignal. Als die Nazis zur Fastnachtszeit aufmarschierten, wurde ihr Marsch mit einem ?Narrenmarsch? akustisch hinterlegt.


Plakat bei einer Gegendemonstration / Quelle: Flickr

400 Bürger hatten sich mit Besen ?bewaffnet? und bereiteten den braunen Narren einen ?demokratischen Kehr?Aus?. ?Wir lassen die Neonazis abblitzen? ? mit diesem Motto lud die Initiative ein anderes Mal dazu ein, nunmehr die Nazis zu fotografieren, nachdem sie ? ungehindert von der Polizei ? über viele Aufmärsche hinweg die Demokraten auf Fotos und Film festhalten durften (um das Material zum Teil dann später widerrechtlich im Internet zu veröffentlichen).

Einen Aufmarsch am Nikolaustag beantworteten die Bürger mit der Aktion ?Nikolaus schmeißt Nazis raus?. Viele kamen als Nikolaus verkleidet. Und alle, auch die in weiser Voraussicht mit einem Namensschild versehenen Bürgermeister der Region, mussten auf Geheiß der bayerischen Polizei die Bärte abnehmen, weil sie mit ihm gegen das Vermummungsverbot verstoßen würden.

„Wie begossene Pudel zogen die Nazis ab.“

Im August 2007 waren die Nazis mit der Anmeldung von Heßgedenk?Märschen in Wunsiedel wie in München abgeblitzt. In Gräfenberg durften sie sich unter ihrem Denkmal?Motto versammeln, aber keinen expliziten Bezug auf Hess nehmen. Nach einem Beschluss des Bayreuther Verwaltungsgerichts sollten das Bürgerforum und die politischen Parteien Gräfenbergs die Nutzung des kleinen Marktplatzes zeitlich mit den Nazis teilen. Kaum zu glauben, aber die Bürger Gräfenbergs sollten nach richterlicher Vorstellung tatsächlich um 16 Uhr ihren Marktplatz verlassen, um den Einzug von 250 hochaggressiven Nazis zu ermöglichen. Da ist den Demokraten der Kragen geplatzt und sie blieben sitzen für die Demokratie. Über sechs Stunden lang blieb der Platz von 1000 Bürgern besetzt, 250 Nazis schäumten in nur hundert Metern Luftlinie entfernt vor Wut, weil sich die Polizei ob des weit überwiegend bürgerlichen Publikums außerstande sah, den Platz zu räumen. Es war eine große Stunde der ?anständigen Gesellschaft? (Avishai Margalit), die nicht hinnimmt, dass in Nazireden Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Hautfarbe zu Bürgern zweiter Klasse erklärt oder aus der Menschheitsfamilie ausgeschlossen werden; die nicht widerstandslos zusieht, wenn der öffentliche Raum missbraucht wird für eine Verharmlosung der Naziverbrechen; die nicht zulässt, dass die Opfer des Nationalsozialismus verhöhnt werden oder für großdeutsche Phantasien
geworben wird. Wie begossene Pudel zogen die Nazis ab ? nicht ohne massive Vergeltung zu geloben. Und die erfolgte in Gestalt von 24-stündigen Mahnwachen und fortwährenden Aufmärschen, die unentwegt vom Bürgerforum und seinen Kooperationspartnern in der Metropolregion kreativ und friedlich beantwortet wurden. Sie erfolgte in Gestalt einer Personalisierung der Nazi?Aktionen: In den Internet?Veröffentlichungen wurden die beiden Sprecher des Bürgerforums massiv ins Fadenkreuz genommen, es wurden vierfarbige Hochglanz?Flyer mit Portraitfotos im Wohnumfeld der beiden verteilt und schließlich sogar eine Demonstration mit Fackeln, Fahnen und Trommeln vor deren Haustür angemeldet. Drei Tage lang hatten Neonazigruppen auf einem Privat?Grundstück in unmittelbarer Nachbarschaft zum Grundstück der beiden Sprecher ein Rockkonzert abgefeiert. Drei Tage und zwei Nächte lang patroullierte bewaffnete Polizei mit Hunden im hellerleuchteten Gartengrundstück.

Ein Horror war das gewiss, aber kein Spuk: Es ging alles mit rechten Dingen zu, weil abgesegnet von der örtlichen Verwaltungsbehörde und von den Gerichten.

…und ihre Prinzipien

Die Zivilgesellschaft muss zivil sein, das blieb trotz aller Provokationen ein wesentliches Prinzip des Bürgerforums. Die Widerstandsaktionen müssen entschieden sein, gewiss, aber sie müssen auch
friedfertig sein und es verbieten sich menschenverachtende Parolen aufseiten der Demokraten gegen Nazis . Mit dem Abweichen von diesen Prinzipien würde der Protest gegen Naziaufmärsche selbstwidersprüchlich und verlöre seine Glaubwürdigkeit.

Der Widerstand gegen die Aufmärsche sollte inklusiv sein, das heißt: Keine Ausgrenzung von friedfertigen und demokratisch orientierten Antifa?Gruppen und Autonomen und der stete Versuch, traditionelle Akteure, z. B. die Vereine, ins Boot zu bekommen. Der Aufstieg des Nationalsozialismus in der Weimarer Republik war unter anderem auch deshalb möglich, weil es nicht gelungen war, eine breite Koalition der linken und bürgerlichen Kräfte zu organisieren. Es gilt auch für die Antifaschisten, aus dieser Geschichte zu lernen. Leider herrscht aber diesbezüglich sowohl auf der ?bürgerlichen? als auch auf der Antifa?Seite bisweilen eine kaum zu ertragende ideologische Verblendung.

Die Arbeit gegen Rechtsextremismus darf Spaß machen, zumal sie einen langen Atem braucht: Mit einfallsreichen, witzigen Aktionen kann man nicht nur die Nazis demaskieren, sondern auch niedrigschwellige Zugänge zu einer Gegendemonstration schaffen und sich selbst Widerstands?Energie erhalten.

Und schließlich: Die Angst vor Neonazis ist gewiss berechtigt, denn Rechtsextremismus ist rassistisches, völkisches Gedankengut plus Gewaltbereitschaft. Die Angst der Demokraten indessen ist die stärkste Waffe der Neonazis. Gegen die Angst freilich gibt es seit jeher ein gutes Mittel: unsere Solidarität.

Strafverfolgung wegen Zivilcourage

Das Bürgerforum Gräfenberg wurde für seine Aktivitäten, die internationale Aufmerksamkeit erregt haben, mit zahlreichen Preisen für Zivilcourage und Demokratie geehrt. Es war im Juli 2008, als das Bürgerforum den Würzburger Friedenspreis mit den Bürgern der Stadt feiern wollte.

Ein paar Tage später meldeten Neonazis einen Aufmarsch unmittelbar an der Preisverleihungsfeier entlang an.

Trotz mannigfaltiger Proteste und Warnungen wurde der Nazi?Aufmarsch 25 Meter von einer Friedenspreisfeier entfernt vom Landratsamt Forchheim genehmigt. Es kam, wie es kommen musste: 200 Bürger setzten sich in wütender moralischer Entrüstung auf die Straße und verhinderten den
Vorbeizug der feixenden und ?Nationaler?Sozialismus?jetzt??skandierenden Nazi?Horde.

Die Polizei reagierte gnadenlos: Die Bürger wurden über eine Stunde lang eingekesselt und fotografiert. Die Nazis wurden derweil umgeleitet und auf einem alternativen Weg zu ihrem Kundgebungsort geleitet, wo sie den kurz vorher verstorbenen SS?Mann Friedhelm Busse ehren konnten.

Einige Wochen später liefen Polizeibeamte mit den Portraitfotos jener Bürger in den Gassen und Kneipen herum und versuchten die fotografierten Bürger zu identifizieren. Peinlicherweise war auch die örtliche Dekanin darunter ? jedermann kennt sie im Landkreis, nur die Polizei bis dato anscheinend nicht. Vielleicht ging es ja auch gar nicht um Identifizierung, sondern um Stigmatisierung?! Vier Personen erhielten eine Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung, darunter ein 75jähriger, ehemaliger SPD-Stadtrat und Gewerkschafter. Eine Begründung lautete, einer der Beschuldigte nehme regelmäßig an Demonstrationen gegen rechtsextremistische Aufmärsche in Gräfenberg teil ? so, als ob die Teilnahme an einer Demonstration in Bayern etwas Rechtswidriges sei!

Was war eigentlich passiert?

Es war kein Stäubchen gefallen und kein böses Wort bei der spontanen Kundgebung eines nur allzu berechtigten Bürgerprotests gegen eine unverschämte Politik des Landratsamtes. Die Kinder bliesen Seifenblasen. Die Nazis konnten ihre Kundgebung mit 30 Minuten Verspätung und unter Umgehung der Blockade durchführen. Der Autor dieses Beitrags wurde verdächtigt, der Rädelsführer der Blockade gewesen zu sein, zumal der leitende Polizeidirektor beobachtet habe, wie er ?mit hochgezogenen Schultern und unter Vermeidung des Blickkontakts? an den Polizisten vorbei gegangen sei. Auf diese Küchenpsychologie und weitere dürftige Mutmaßungen gründete die Staatsanwaltschaft eine Anzeige wegen ?Versammlungssprengung?.

Weitere acht Personen wurden mit ähnlichen Vorwürfen und Anzeigen belastet. Heftige regionale Proteste, die kritische bundesweite Berichterstattung über das Vorgehen der Polizei und der Staatsanwaltschaften führten schließlich zur Einstellung der meisten Verfahren gegen Geldbußen. Dass die Polizei und die
Genehmigungsbehörden gemeinsam die Eskalation erzeugt haben, war kaum einem der Verantwortlichen beizubringen. Die Stigmatisierung einer ganzen Gruppe Gräfenberger Bürger durch
die polizeiliche Fahndung indessen hat funktioniert. Viele Bürger blieben im weiteren Verlauf den Demonstrationen fern ? nicht aus Angst vor den Nazis, sondern aus Angst vor der Polizei.

Die Risiken und der Schutz zivilgesellschaftlichen Engagements

Wenn man sich gegen Nazis engagiert, dann gerät man ziemlich schnell in Verdacht, ein Linksextremist zu sein. Denn das ist die politische Topografie des einfältigen Gemüts: Wer gegen rechts ist, der muss links sein und wenn er dabei noch demonstriert, dann ist er ein Linksextremist.

?Links oder rechts?, so wurden dementsprechend und häufig genug Besucher unserer Gegendemonstrationen von den platzzuweisenden Polizeibeamten gefragt. Die Mitte, so transportiert es diese Anschauung unter der Hand, sie bleibt zu Hause, zieht die Vorhänge zu und schweigt. Auf welches fatale, fehlende Verständnis des Funktionierens der Demokratie ist die Initiative bisweilen bei der Polizei, den Verwaltungsbehörden und bei manchen Politikern gestoßen!

Auf welches Fehleinschätzung der Funktion der Zivilgesellschaft in einer Demokratie! Auf wie viel naives Vertrauen in die obrigkeitsstaatlichen Lösungskompetenzen und Zuständigkeiten bei manchen Bürgern!


Ausblick vom Kriegerdenkmal auf Gräfenberg / Quelle: Flickr

Im jüngsten Verfassungsgerichts?Urteil zum Verbot von rechtsextremistischen Aufmärschen in Wunsiedel heißt es: ?Die Verfassung setzt … darauf, dass auch diesbezüglich (gemeint sind solche Aufmärsche, Anm. M.H.) Kritik und selbst Polemik gesellschaftlich ertragen, ihr mit bürgerschaftlichem Engagement begegnet und letztlich in Freiheit die Gefolgschaft verweigert wird.?

Damit wird zivilgesellschaftlichem Engagement eine tragende Rolle bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus zugewiesen. Allein: Die engagierten Bürger müssen von der Politik geschützt werden, wenn sie ins Fadenkreuz der Neonazis genommen werden. Sie dürfen von der Polizei nicht von den Aufmarschorten ferngehalten werden, wenn sie ihren Protest zum Ausdruck bringen wollen.

Sie dürfen von den Verwaltungen nicht als Störenfriede behandelt werden, wenn sie die verwaltungsgemäße Abwicklung eines Neonazi?Aufmarsches stören. Dass es zu Konflikten kommt
zwischen Zivilgesellschaft, Polizei und Verwaltung bei solchen Aufmarsch?Szenarien liegt in der Natur der Sache: Verwaltungsbehörden und Polizei geht es um die Aufrechterhaltung der Ordnung und den Schutz des Legalitätsprinzips, der Zivilgesellschaft dagegen um die Frage der moralischen Legitimität.

Um dieses Spannungsfeld zu entschärfen, braucht es allerdings Verhandlungsorte und verständige Verhandlungspartner. Letztendlich muss es allen Beteiligten darum gehen, die Spielräume für Verfassungsfeinde und Rassisten möglichst eng zu machen.

Der Abzug der Rechten

Bei den letzten zehn Aufmärschen der Rechten waren deren Mobilisierungsprobleme deutlich sichtbar ? die Rechten waren durch die engagierte Gegenwehr der Bürgerschaft diskreditiert und entmutigt. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Neonazis gezwungen sein würden, ihre Aufmärsche einzustellen. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass die Bürger einen solch langen Atem
haben würden. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass es mit Unterstützung der Medien gelingen könnte, die Terrorqualität ihrer Kundgebungen so präzise zu verdeutlichen. Sie hatten nicht auf der Rechnung gehabt, dass der kreative Widerstand in Gräfenberg die ganze Metropolregion politisch sensibilisieren und gegen sie aktivieren würde.

Darüber spaltete sich die Neonazi?Szene in Franken. Die Polit?Strategien der NPD realisierten den Imageschaden für ihre Partei und blieben den Gräfenberger Aufmärschen fern. Zum Weiteren verlor der immer gleiche Aufmarsch?Anlass zunehmend an Attraktivität; man hatte ja auch keine Erfolge zu verzeichnen, denn der Zugang zum Denkmal blieb versperrt. Der Biedermann?Nimbus, den sie sich gerne zu geben versuchen, wurde ein
ums andere Mal enttarnt. Die Frage war für die Neonazis nur: ?Wie kommen wir ohne Gesichtsverlust aus dieser Sache heraus?

Eine Kumpanei zwischen der ?gesellschaftlichen Mitte? und den Nazis öffnete schließlich die Notausgangstür und bewahrte sie vor einem Gesichtsverlust in den eigenen Reihen. Ein altgedienter CSU?Stadtrat setzte sich hemdsärmelig mit den aus seiner Sicht ?anständigen? und ?intelligenten? Leuten von der Neonazi?Front an einen Tisch und bat sie im Auftrag der Angehörigen jener Gefallenen, die auf dem Denkmal verzeichnet sind, von weiteren Aufmärschen abzusehen. Er informierte sie darüber, dass das Bürgerforum eine Umgestaltung des Denkmals zum Friedensmahnmal geplant hat und diese Verschandelung auch aus seiner Sicht dringend verhindert werden müsse. Am besten mit einer Einstellung der Aufmärsche. Die Neonazis verkündeten im Herbst letzten Jahres das Ende ihrer Aktionen. Sie wollten dadurch das Denkmal schützen. Den Verantwortlichen des Bürgerforums indessen haben die Neonaziführer vor laufenden Polizeikameras angedroht, sie künftig persönlich zu besuchen. Seither gibt es regelmäßige Polizeikontrollen vor unserer Haustür.
Das ist kein Spuk, es ist eine gesellschaftliche Realität in Deutschland im 21. Jahrhundert.

Michael Helmbrecht ist Diplom?Sozialpädagoge und war einer der Sprecher des Bürgerforum Gräfenberg in den Jahren 2006?2009. Hauptberuflicher Dozent an der Georg?Simon?Ohm?Hochschule Nürnberg, Fakultät Sozialwissenschaften, mit den Arbeitsschwerpunkten ?Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession?, ?Zivilgesellschaft?, ?Theorien und
Methoden der Sozialen Arbeit?.

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