Am 22. Juli 2016 tötete der rechtsextreme 18-jährige David Sonboly am Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) neun Menschen. Fünf weitere Personen verletzte er mit Schüssen. Sonboly zielte vor allem auf junge Menschen mit Migrationshintergrund. Anschließend tötete er sich selbst. Jetzt stellt sich heraus: Der Täter gehörte zu einer internationalen Gruppe von jungen und hasserfüllten Rechtsextremen. Doch die ermittelnden Behörden wollen davon offenbar wenig wissen. Dies ist zumindest der Eindruck von Claudia Neher, die Rechtsanwältin einiger Angehöriger der Münchner Opfer.
David Sonboly hatte seine Tat akribisch geplant. Selbst Datum und Uhrzeit waren nicht zufällig gewählt. Zur selben Tageszeit, fünf Jahre zuvor, tötete der rechtsextreme Massenmörder Andres Behring Breivik mit der gleichen Tatwaffe in Norwegen 77 Menschen. Die Waffe, eine Glock 17 bekam David Sonboly über das Darknet von Philip K. (32). K. machte gerne antisemitische Juden-Witze, grüßte mit „Heil Hitler“, hatte dessen Hetzschrift „Mein Kampf“ auf der Festplatte und sein Foto war in ein Bild des „Führers“ montiert. Auch er hat eine klar rechtsextreme Gesinnung.
Der Waffenhändler Philipp K. war ein „real life“-Verkäufer, weshalb Sonboly mindestens zwei Mal nach Marburg gefahren ist. Bei ihrem ersten Treffen kaufte Sonboly die Glock 17 und etlicheMunition. Bei einem zweiten Treffen, knapp zwei Wochen vor der Bluttat in München, traf er sich noch einmal mit Philipp K., um weitere ca. 400-Schuss Munition zu erwerben. Als Philipp K. damals fragte, wofür er die weitere Munition bräuchte, habe der spätere Attentäter geantwortet, er wolle einige Schießübungen in Österreich machen – wenn dann noch Munition übrig wäre, „knall ich ein paar Kanacken ab,“ so ein Zeuge während des Prozesses. Ist das ein klarer Hinweis dafür, dass David Sonboly die Absicht hatte Menschen, zu töten? Für die Staatsanwaltschaft München offenbar nicht.
Sie klagte Philipp K. nur wegen fahrlässiger Tötung an. (bis zu 5 Jahre Haft), nicht aber wegen Beihilfe zum Mord (gemilderte lebenslängliche Strafe), wie es die Nebenklage gefordert hatte. Eine Anklage wegen Beihilfe zum Mord ist möglich, wenn der Angeklagte vorsätzlich einen Täter bei der Begehung einer Straftat unterstützt hat.
Letztendlich wurde Philipp K. wegen fahrlässiger Tötung zu etwas mehr als sieben Jahren Haft verurteilt. Allerdings nicht nur für den Waffenverkauf an David Sonboly. In dem Urteil sind noch einige andere illegale Waffengeschäfte enthalten. „Für seine Mitschuld an der der Tötung von neun Menschen hat Philipp K. etwas mehr als vier Jahre und drei Monate bekommen.“ sagt Nebenklage-Anwältin Claudia Neher. Nach seiner Verurteilung, so berichtet die Anwältin, habe K. angekündigt, sich wieder zu bewaffnen. Außerdem wolle er das Denkmal der Ermordeten in München aufsuchen und mit den Worten „Rico was here“ signieren, seinem Pseudonym im Darknet. Die Nebenklage und die Verteidigung sind in Revision gegangen. Doch der Fall ist noch lange nicht zu Ende:
Gaming-Plattform „Steam“: Zeuge gibt Hinweise zu Mitwissern und Mittätern direkt bei der Polizei ab
Zwei Tage nach der Tat in München ging ein Zeuge, Florian M., zur Polizei Erfurt und gab dort einen USB-Stick ab, mit dem Hinweis, der Stick enthalte Informationen zu Mitwissern und Mittätern des OEZ-Attentats. Auf dem Stick befindet sich eine Kopie von Auszügen aus dem Forum „Steam“. Offenbar war der Zeuge, Florian M., selbst auf der Plattform aktiv. Nach dem München-Attentat soll er allerdings schockiert darüber gewesen sein, dass einer der User seine Anschlagspläne in die Tat umgesetzt habe. Die Spieleplattform scheint aktuell eine perfekte Spielwiese zu sein, um sich ungehindert über Mordfantasien und rassistischen Hass auszutauschen.
Der 15-jährige David F. plante ein Attentat
Aus Sorge, die Polizei Erfurt würde diese Informationen nicht weitergeben, meldete Florian M. seine Informationen zusätzlich bei der Polizei Ludwigsburg. Dort wies er die Beamt*innen auf einen potentiellen Attentäter im Landkreis hin. Daraufhin kam es bei dem damals 15-Jährigen David F. zu einer Hausdurchsuchung. Die Ermittler*innen fanden Fluchtpläne eines Gymnasiums, Bombenmaterial und Waffen. Er war offenbar in unmittelbarer Vorbereitung auf ein Attentat. Durch den USB-Stick wurden die Ermittler*innen zudem auf einen ebenfalls 15-jährigen Kumpel aufmerksam. Auch er plante einen Anschlag.
F. hat über die Zugangsdaten für einen von Sonbolys „Steam“-Accounts verfügt und sich dort zwei Tage nach dessen Blutbad eingeloggt. Fünf Monate vor München schrieb F. auf eines der „Steam-Profile“ von Sonboly: „Free your Hate!“ (befreie deinen Hass).
David F., der sich auf „Steam“ „DiabolicPsychopath“ nannte, schrieb Sonboly „Free your Hate!“ Quelle: Screenshot von Archive.org
Mauert die Staatsanwaltschaft München?
Die Nebenklageanwältin hatte im Prozess gegen Philipp K. versucht, das Forum „Steam“ und den Stick als Beweisstücke heranzuziehen. Weiter wollte sie die Zeugen Florian M. und David F. laden und die Unterlagen zu David F. für den Fall heranziehen. Nichts von alledem wurde in dem Prozess zugelassen.
Die Staatsanwaltschaft ermittelte trotz dieser Hinweise nicht weiter. Sie hatte nach Akteneinsicht und vor dem Verfahren gegen den Waffenbeschaffer beschlossen, dass der Fall David F. und Sonboly in keinem Zusammenhang stehen. „Ich habe die Beweisanträge sogar mehrfach gestellt und kann es immer noch nicht fassen, dass die sich damit nicht auseinandersetzten wollen. Es geht hier immerhin um Mitwisser und Mittäter. Außerdem ist es falsch, dass David F. nichts mit der Tat von Sonboly zu tun hat.“
Die Verbindung zwischen David Sonboly und David F. ist u.a. ein US-Attentäter
Was ist ein verbindendes Element zwischen Sonboly und David F.? Recherchen fanden heraus, dass Sonboly und F. auf „Stream“ immer wieder mit derselben Person chatteten: Mit dem späteren US-Attentäter William Atchison (21). Dieser hatte ein „Steam“-Forum namens „Anti-Refugee-Club“ gegründet, in dem er sich mit Gleichgesinnten, darunter Sonboly und F. über rechtsextreme, rassistische Inhalte, Waffenbeschaffung und Mordfantasien austauschte.
Quelle: Screenshot von Archive.org
David F. hatte William Atchison eines Tages gefragt, ob der Amerikaner noch mehr Personen in Deutschland kenne, die sich für Amokläufe interessieren. Atchison verwies den 15-Jährigen daraufhin an Sonboly. Nach den Morden am OEZ feierte Atchison den Münchner Attentäter im Internet als Held – und verhöhnte die Mordopfer. Am 7. Dezember 2017 wurde der Amerikaner in Aztek, im Bundesstaat New Mexico, selbst zum Mörder: Er erschoss an einer Schule zwei Mexikaner. Danach beging er Selbstmord. Wie Sonboly pflegte auch der Amerikaner Sympathien mit der heimischen Rechten: Atchison trieb sich auf Foren der Alt-Right herum und postete Beiträge, in denen er Trump und Hitler feierte.
Das FBI hatte Atchison bereits seit März 2016 auf dem Radar, also vier Monate vor der OEZ-Bluttat. Weil er sich auf „einer Spieleplattform Waffen“ besorgen wollte, wurde er von dortigen Ermittlungsbehörden als gefährlich eingeschätzt. Das FBI durchsuchte damals seine Wohnung.
Offenbar war Sonboly auch „Gruppenleiter der Woche“ in der „Steam“-Gruppe „Anti-Refugee club“ Quelle: Screenshot von Archive.org
Rechtsterroristen sind international offenbar gut vernetzt
Der Politikwissenschaftler Florian Hartleb war auf diese Verbindung aufmerksam geworden. Als er sich beim Landeskriminalamt in München erkundigte, ob diese Erkenntnisse bekannt seien, erfuhr er, dass man dort von der Verbindung nichts wusste. Florian Hartleb hatte Sonboly bereits in seinem Gutachten für die Stadt München 2017 als Rechtsterroristen im Sinne eines einsamen Wolfs eingeordnet und nicht Mobbing als Tatauslöser gesehen wie die Ermittler*innen und die Behörden.
Wusste das FBI ab März 2016 möglicherweise von Sonboly? Wenn ja, hat das Federal Bureau of Investigation die deutschen Behörden über die mindestens zwei Gefährder Sonboly und David F. informiert? Das möchte auch die Nebenanklageanwältin Neher wissen. Sie hat nun eine FBI-Request gestellt, um auf diese Fragen Antworten zu erhalten. Finanziert wird diese Anfrage durch den Opfer-Fond Cura der Amadeu Antonio Stiftung.
„Das Desinteresse der Ermittlungsbehörden und der Staatsanwaltschaft hat wahrscheinlich zu Toten geführt“
Eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag vom 11. Juni 2018 ergab, dass das BKA bereits seit dem 9. Dezember 2017 vom Kontakt zwischen Atchison und Sonboly wusste (damals lief der Prozess gegen den Waffen-Händler Philipp K. noch). Das war zwei Tage nach den Morden des US-Amerikaners. Allerdings hat das BKA diese Informationen erst im Juni 2018 an das LKA in Bayern weitergegeben.
Auf dem rechten Auge blind?
Nach Meinung der Nebenklage hätte die zuständige Staatsanwaltschaft in München selbst diesen Zusammenhang herstellen können, dann nämlich wenn sie in ihren Ermittlungen auch die Aktivitäten Sonbolys auf „Steam“ mit einbezogen hätten. Möglicherweise hätte dann das Attentat in den USA verhindert werden können. Claudia Neher meint daher: „Das Desinteresse der Ermittlungsbehörden und der Staatsanwaltschaft in diesem Fall hat wahrscheinlich zu Toten geführt.“