Instagram ist mittlerweile mehr als eine reine Unterhaltungsplattform. Die geteilten Beiträge dienen dem Austausch, der Aufklärung und der Informationsbeschaffung. Mit seiner hohen Popularität verschafft Instagram seinen Nutzer:innen eine breite Öffentlichkeit und ist stärker als Messengerdienste wie WhatsApp oder Telegram auf sichtbare Reichweiten und Bekanntheit ausgelegt. Die Plattform ist dadurch auch für Aktivist:innen ein zentrales Kommunikationsmittel. Dazu gehören Bewegungen, die von jungen Menschen ausgehen, sich für ein gerechteres Zusammenleben starkmachen und sich in erster Linie an ein junges Publikum richten – von Klimagerechtigkeitsgruppen wie Fridays For Future bis zu antirassistischen Aktivist:innen von „Black Lives Matter“ (BLM).
Auch antidemokratische Akteur:innen versuchen sich dort Raum zu verschaffen und die Plattform für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Sie wollen dadurch neue Anhänger:innen finden und ihre Ideologie verbreiten. So zeigte die Rechercheplattform Correctiv in einer Datenanalyse, wie extreme Rechte die Funktionsweise von Instagram nutzen, um unterschwellig ihr Weltbild zu verbreiten. Sogar Neonazi-Gruppen verbreiten über die Plattform zu Gewalt aufrufende Inhalte.
Dabei zeigen die Aktivitäten unterschiedlicher Bewegungen auf Instagram vor allem eines: Die Plattform ist ein Raum, in dem kontinuierlich um die Aufmerksamkeit derjenigen gebuhlt wird, die bisher wenig politisch interessiert oder gefestigt sind.
Die Politisierung des Mainstreams
Waren auch auf Instagram politische Statements und Beiträge größtenteils politischen Akteur:innen vorbehalten, zeichnete sich 2020 eine deutliche Änderung ab. Nach der Tötung des Schwarzen US-Amerikaners George Floyd durch einen Polizisten gewann die antirassistische „Black Lives Matter (BLM)“-Bewegung an Aufschwung und tauchte weltweit in den Instagram-Feeds reichweitenstarker Influencer:innen auf, die ansonsten nicht gezielt politische Beiträge verfassten. Die Debatte um Rassismus traf den Nerv der Zeit, und die deutlichen Worte zahlreicher Influencer:innen stießen auf positive Reaktionen.
Der Wunsch, sich klar und explizit gegen rassistische Diskriminierung zu wenden, fand dadurch auch bei Menschen ein Zuhause, die sich mit dem Thema noch nicht befasst hatten und so das erste Mal mit antirassistischen Diskursen in Kontakt kamen – sowohl aufseiten der Influencer:innen als auch bei den Follower:innen.
Die Politisierung von Instagram hat Vor- und Nachteile. Zum einen verschafft sie wichtigen gesellschaftspolitischen Themen Öffentlichkeit durch alle Lebensbereiche und Interessengruppen hindurch. Zum anderen kommen auf Influencer:innen, die sich erstmals positionieren, neue Erwartungen zu: Neben der Kritik von Aktivist:innen, dass beispielsweise Engagement gegen Rassismus über eine schwarze Kachel als Profilbild (eine Instagram-Aktion im Zuge von BLM) hinausgehen muss, wird auch in weiteren gegenwärtigen Konflikten immer öfter eine Positionierung der Influencer:innen gefordert. So war es vermehrt im eskalierten Nahost-Konflikt im Mai 2021.
Die feministische Autorin Sophie Passmann nimmt den Positionierungsdruck durch die Follower:innen wahr und schreibt dazu im Mai 2021 im ZEITmagazin, man müsse im „Zweifel auch mal aushalten, dass Follower einen gerne zu einem politischen Statement drängen wollen, entweder weil sie selbst eine Ausrichtung brauchen oder weil sie ihre Vorbilder ideologisch überprüfen wollen“. Das sehen nicht alle so: Die deutschsprachige feministische Künstlerin und Boxerin Ischraa mit mehr als zehntausend Follower:innen kritisiert, „dass viele Menschen einem erst zuhören, wenn mind. eine weiße Person mit am Tisch sitzt“, und macht auf den Rassismus aufmerksam, von dem sie tagtäglich betroffen ist. „Alles, was aus meinem Kopf und Mund kommt, wird daran gemessen, wie ich aussehe und woher meine Eltern kommen“, schreibt sie. Deshalb wendet sie sich vor allem an privilegierte Influencer:innen mit der Forderung, sich im Nahost-Konflikt eindeutig zu positionierten, „weil ihnen Menschen zuhören“.
Die Stimmen dieser Influencer:innen seien deshalb so wichtig, weil die Sozialen Medien ein wichtiges Gegengewicht zur deutschen Presse seien, die „sich im Vergleich zum Rest der Welt ganz klar auf Seiten der Israelischen Regierung stellt und jede sachliche Kritik […] abschmettert und unter ‚Antisemitismus‘ einordnet“.
Keineswegs muss diese Positionierung immer mit antisemitischen Äußerungen einhergehen. Wer sich jedoch mit dem Nahost-Konflikt wenig bis gar nicht befasst hat und dem gefühlten Druck, sich positionieren zu müssen, nachgibt, kann Gefahr laufen, in dem Kontext antisemitische Narrative oder Aufrufe ungewollt zu verbreiten. Passieren kann das bereits bei der Benutzung eindeutiger Hashtags wie #freepalestine oder #bds17. Die Konsequenz für politisch unerfahrene Influencer:innen kann Kritik sein oder gar der Vorwurf, Antisemit:in zu sein. Dadurch könnten sie sich aus dem gesellschaftlichen Diskurs voreilig wieder zurückziehen – ohne ihre Äußerungen zu reflektieren
und daraus lernen zu können.
Eine Positionierung findet vor allem dann statt, wenn sie alltagstauglich ist. Das bedeutet, dass das politische Thema den Zeitgeist aufgreifen und zu den sonstigen Unterhaltungsinhalten der Influencer:innen passen muss, wenn beispielsweise Klimagerechtigkeit auf die Bewerbung nachhaltiger Mode stößt. Gleichzeitig ist die Positionierung aber auch immer mit der Funktionsweise von Instagram zusammenzudenken. Dies zeigt sich in der Darstellung der politischen Statements, die in Instagram typischer Weise an die Vermarktung von Produkten erinnern. Das ist nicht verwunderlich, denn auch Firmen bekennen sich mittlerweile zu politisch größtenteils akzeptierten und demokratischen Positionen (z.B. gegen Rassismus).
Sogenannte Karussell-Slides ermöglichen es, die Aufmerksamkeit von Nutzer:innen zu binden. Ein sonst für Instagram sehr langer und die Aufmerksamkeitsspanne der Nutzer:innen womöglich übersteigender Text kann dadurch in einzelne Bausteine aufgeteilt und in Instagram-typische Bilder, die aufeinander folgen, verpackt werden.
Komplexitätsreduktion durch Instagram-Ästhetik Der Account „key48return“ ist für israelfeindlichen Inhalt bekannt. Das impliziert bereits der Name, der auf das Gründungsjahr Israels anspielt und als Forderung verstanden werden kann, diese Gründung rückgängig zu machen. An über 70.000 Follower:innen spielen darüber Studierende der Palestine Society an der Universität Westminster (UK) ihren Content aus. Eine von vielen Influencer:innen geteilte Slide-Show ist als Comic dargestellt, das in sechs Sprachen übersetzt und insgesamt über 600.000 Mal geliket wurde. In einem der am meisten verbreiteten Karussell-Slides erklärt eine Tee trinkende Frau ihrem Gegenüber, was es mit der vermeintlichen Geschichte Israels auf sich hat. Allein der Fakt, dass Israel dabei in Anführungszeichen gesetzt wird, suggeriert, dass es sich mehr um ein Fantasiegebilde als um einen Staat handele.
Die verkürzte und falsche Beschreibung zeichnet ein Bild von Israel als das eines dämonischen Besatzers, der sich zu Unrecht ein Terri-
torium erschlossen und kolonialisiert habe. Auch andere Influencer:innen teil-
ten die Inhalte von „key48return“, so das Top-Model Bella Hadid, das sie aber
nach scharfer Kritik wieder löschte. Ein Großteil des Contents von „key48re-
turn“ lässt sich mithilfe des 3D-Tests als Delegitimierung und Dämonisierung
des israelischen Staates einordnen.
Eine reine Politisierung zu betreiben, ohne die ästhetischen Spielregeln von
Instagram einzuhalten, ist kaum möglich. Eine dieser Spielregeln ist die Reduk-
tion von Komplexität. Was nicht in ein 10-Seiten-Karussell passt, wird kaum
gelesen. Das ist besonders dann gefährlich, wenn Konflikte kompliziert sind und sich nicht mal eben so auf einfache Formeln herunterbrechen lassen. Was dann passiert und welche Folgen es hat, zeigen die Eskalation im Nahost-Konflikt und die damit einhergehende Positionierung verschiedener Influencer:innen, die immer öfter dem Druck ausgesetzt sind, sich zu äußern.
Ein weiteres Beispiel für die Dämonisierung von Israel findet sich in einem Post des deutschsprachigen Rappers Massiv, der ein großes Publikum erreicht. Auf Instagram, wo er über 600.000 Abonnent:innen hat, vergleicht er die Situation der Menschen in Gaza mit dem Warschauer Ghetto und betreibt damit aktiv Holocaust-Relativierung. Neben Kommentaren von Fans, in denen Israel ebenfalls dämonisiert wird, finden sich auch zustimmende Kommentare
anderer Rapper oder reichweitenstarker Influencer:innen.
Ein anderer Account verbreitete eine eigene Zeichnung, die eine Kolonialisierung Berlins durch Israel veranschaulichen soll, um eine „Idee über die Proportionen des palästinensischen Landes“ zu bekommen. Die Abbildung
knüpft an eine hunderttausendfach geteilte Grafik mit dem Namen „Palestinian Land Loss“ an, die zeigt, wie Israel sich in seiner Geschichte angeblich immer weiter ausgebreitet und ein bereits zuvor existierendes Palästina verdrängt
hat. Das Katapult-Magazin verdeutlicht, wie manipulativ und verfälscht diese Grafik die israelische Geschichte darstellt, und gibt zu bedenken, dass „die Geschichte der Kartographie […] immer auch eine Geschichte von Mani-
pulationsversuchen“ ist. Einen besonderen Stellenwert nimmt hier die Karte als vereinfachtes Modell eines jahrzehntelangen Konfliktes ein, das eine klare Trennung in Freund und Feind vorgibt. Die Anwendung dieser manipulativen Grafik auf das Bundesland Berlin rückt vor allem letzteres in den Vordergrund. Dadurch wird nicht nur ein falsches Geschichtsverständnis verbreitet, sondern auch Israel wieder mit dem Vorwurf der „ethnischen Säuberungen“ angefeindet.
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