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„Dein Haus wird brennen“

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Plötzlich bekam der 48-Jährige Angst. Bürgermeister Steffen Harzer (Die Linke) wollte die Situation auf dem Hildburghausener Sportplatz nicht eskalieren lassen und verzichtete darauf, noch mehr Polizei zu rufen. Das war vor gut zwei Wochen. 50 Neonazis hatten ohne Genehmigung mit einem „nationalen Fussballturnier“ den Sportplatz der Gemeinde besetzt. Steffen Harzer, seit zehn Jahren Bürgermeister in der 12 000-Einwohnerstadt und in Begleitung von drei Polizisten, versuchte zunächst die Spieler vom Platz zu weisen. Doch er erntete nur Spott von den Rechtsextremen. Ein Neonazi rempelte ihn an. Dann erhielt er einen heftigen Schlag gegen den Kopf. Nur mühsam habe er sich auf den Füßen halten können, sagt Harzer. Jemand habe ihm gedroht: „Beim nächsten Mal brechen wir dir beide Beine.“

Drohungen beim Halbfinale

Steffen Harzer wird von den Neonazis bedroht, immer wieder. Zuletzt in der Nacht nach dem EM-Halbfinalspiel Deutschland – Türkei. Ein lauter Autokorso hielt vor dem Wohnhaus des Bürgermeisters. Schwarz-weiß-rote Fahnen, rechte Parolen, Hitlergruß. „Dein Haus wird brennen“, soll der Vorsitzende des NPD-Kreisverbands, Tommy Frenck, geschrieen haben. Im Haus schlief Harzers Familie, „darunter mein fünfjähriger Sohn“, erzählt er deutlich gestresst. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Meiningen wegen des Verdachts auf Bedrohung und Landfriedensbruch gegen Frenck. Immerhin: Es gab Zeugen für die Bedrohung, Passanten eilten dem Bürgermeister spontan zur Hilfe.

Ratlose Politiker

Fragt man den Ingenieur Harzer, woher das Selbstbewusstsein der Neonazis kommt, weiß er nicht recht, was er sagen soll: „Die Szene ist durch Tommy Frenck aktiver geworden“, konstatiert er trocken. Neben dem NPD-Kreisverband Hildburghausen-Suhl gibt es im Ort auch noch eine Gruppe von rechtsextremistischen Black-Metal-Anhängern sowie die Kameradschaft Hildburghausen. Die Auseinandersetzung mit Neonazis ist seit Jahren ein Dauerthema in der Stadt. Erst Anfang Mai waren vier Stolpersteine mit rechtsextremistischen Parolen beschmiert worden. Die Steine sollen an Juden aus Hildburghausen erinnern, die im Nationalsozialismus ermordet wurden. Dazu kommen: häufige NPD-Infostände, ein rechtsextremer Sportverein in Gründung, Rechtsrock-Konzerte, kaputte Scheiben bei der Geschäftsstelle der Linken, ein Laden mit Szeneklamotten und Nazi-Schmierereien. Es ist nicht übertrieben, festzustellen, dass die extreme Rechte hier massiv präsent ist.

NPD und „Freie Kameradschaften“

Zugenommen haben die rechtsextremen Aktivitäten nach Ansicht des Bürgermeisters und vieler Beobachter, seitdem Tommy Frenck vor zwei Jahren aus dem benachbarten Schleusingen in die Kreisstadt Hildburghausen umgezogen ist. Hinzu kommt, dass der erst 21-jährige NPD-Kreisvorsitzende seit einiger Zeit umgeschwenkt ist zum militanteren Flügel innerhalb der NPD in Thüringen. Lange Zeit galt Frenck als politischer Ziehsohn des NPD-Bundesgeschäftsführer und Thüringer Landesvorsitzende Frank Schwerdt. Doch in letzter Zeit ist Tommy Frenck näher an Kai-Uwe Trinkaus gerückt, Chef des NPD-Kreisverbandes Erfurt. Trinkaus wiederum steht den „Freien Kameradschaften“ nahe. Dem NPD-Landesvorsitzenden passt diese Verbindung zu den ?Freien Kameradschaften? derzeit nicht ins Konzept, er ist bemüht, der NPD einen bürgerlichen und biederen Anstrich zu verpassen.

Dieses Saubermann-Image soll die NPD 2009 in den Landtag und die Kommunalparlamente bringen – vorausgesetzt, die DVU tritt vom Deutschlandpakt zurück und überlässt der NPD den Wahlantritt. Sollte es dazu kommen, befürchten die Rechtsextremismusexperten vom Mobilen Beratungsteam in Thüringen (Mobit e.V.) „sächsische Verhältnisse“, so der Vereinschef und Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Thüringen, Wolfgang Nossen vor Kurzem. Dazu passt, dass die Thüringer NPD laut Verfassungsschutz im vergangenen Jahr einen Mitgliederzuwachs von 380 auf 550 verzeichnen konnte. Und dass in Thüringen sowohl die Zahl rechtsextremer Straf- als auch Gewalttaten im vergangenen Jahr ebenfalls gestiegen sind.

Mehr Geld gegen Rechts

Fragt man die CDU-Landesregierung nach Rechtsextremismus, wird es oft allgemein. Er räume der Extremismusbekämpfung „oberste Priorität“ ein, sagte Innenminister Manfred Scherer (CDU) bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes vergangene Woche – und präsentierte einen Handlungsleitfaden, der die Kommunen in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus unterstützen soll. Doch der nützt Hilburghausens Bürgermeister Steffen Harzer wenig. Er wünscht sich ?mehr Geld?, vor allem für die Jugendarbeit gegen Rechts. Harzer sagt, Thüringen brauche dringend einen Landesbeauftragten gegen Rechtsextremismus. Und die Opposition im Erfurter Landtag aus SPD und Linke plant für den Fall eines Wahlsiegs ein eigenes Landesprogramm gegen Rechtsextremismus.

Zurückhaltende Schutzmänner

Die Polizei hält sich bedeckt bei diesen Themen. Der Leiter der Polizeiinspektion Hildburghausen, Reinhardt Rabe, will nicht einmal eine Antwort geben auf die Frage, ob Hildburghausen ein Neonazi-Problem habe. Landkreis und Polizei würden rechtsextrem motivierte Straftaten oft verharmlosen, sagt Stadtrat Mathias Günther (Linke). Und, fügt er hinzu, man habe lange gebraucht, um die Polizei davon zu überzeugen, ihre Sicht auf die Lage zu verändern. Immerhin, Eberhard Wagner von der Polizeidirektion Suhl sagt, es sei nicht zu übersehen, dass im Ort ein kleiner, aber emsiger NPD-Kreisverband agiere. Dann kündigt Wagner an: „Wir richten besonderes Augenmerk auf die Stadt.“

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