Von Toralf Staud
Zur Abwechslung mal eine gute Nachricht aus Ostdeutschland: Im sächsischen Wurzen gibt es seit dieser Woche ein Haus der Demokratie. Nach fast fünf Jahren und Tausenden ehrenamtlicher Arbeitsstunden bezieht die lokale Bürgerinitiative gegen Rechtsextremismus, das Netzwerk Demokratische Kultur, ein eigenes Domizil. Der Renaissance-Bau am Wurzener Domplatz ist zwar erst halb saniert, das Geld reichte nur für einen Kulturraum im Keller und ein paar Büros im Erdgeschoss. Aber das Haus ist ein Symbol: Missgunst, Anfeindungen und sogar einem Bombenanschlag zum Trotz wird der Verein langfristig arbeiten.
Wurzen ist ein Beispiel dafür, dass nicht immer alles schlimmer wird im Osten. Im Vergleich zur Situation von vor fünf oder zehn Jahren hat sich einiges getan: Der »Aufstand der Anständigen« ist nicht wirkungslos verpufft, die Medien sind heute aufmerksamer, die Polizei tritt vielerorts entschiedener auf. Doch auch die Rechtsextremisten haben sich weiterentwickelt: Mit der NPD gibt es heute einen straff geführten Organisationskern. Die Kultur- und Identitätsangebote der modernen Nazis erreichen heute die breite Jugend ? Läden für rechtsextreme Musik und Kleidung finden sich längst auch in Haupteinkaufsstraßen.
Aber fast überall, und das auch in Ostdeutschland, gibt es inzwischen Bürger und Initiativen, die dem nicht mehr tatenlos zuschauen ? das ist der größte Fortschritt gegenüber den neunziger Jahren. Doch diese zivilgesellschaftlichen Strukturen sind schwach, meist werden sie nur aktiv, wenn eine NPD-Demo am Ort stattfindet ? und schlafen danach oft wieder ein. Viele Gruppen sind heillos überfordert, schlecht informiert und haben kein Geld. Die Sonderprogramme der rot-grünen Bundesregierung namens Civitas, Entimon und Xenos haben hier vieles verbessert. Doch zum Jahresende laufen die Programme aus, und was danach kommt, ist nicht entschieden.
Private Spender zu finden ist für die Initiativen schwer. Der Wittenberger Verein Demokratieanstiftung zum Beispiel versucht seit Jahren, einen Kapitalstock für mustergültige Projekte zu sammeln. Aber die meisten Unternehmen, sagt der Vorsitzende Stephan Dorgerloh, »geben Geld lieber für unpolitische Dinge, die Kinderkrebshilfe etwa oder die Dresdener Frauenkirche«. In Wurzen wäre der Hauskauf ohne die Leser der ZEIT nicht möglich gewesen, die nach einer Reportage fast 80 000 Mark spendeten.
Wenig geändert hat sich in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus. Die Medien berichten zwar häufiger, doch fragen sie bei jeder Gewalttat aufs Neue, ob es sich um einen Einzelfall handelt. Lokalzeitungen versuchen, das heikle Thema eher zu meiden. An Schulen wurde das Problem früher aus Angst um den guten Ruf oft totgeschwiegen. Das hat sich geändert, aber über das Verbot von Springerstiefeln sind viele noch nicht hinaus.
Es gibt heute mehr engagierte Lehrer als vor ein paar Jahren, systematische Unterstützung bekommen sie jedoch selten. Als die NPD im vergangenen Jahr bundesweit kostenlose »Schulhof-CDs« mit rechtsextremer Musik verteilte, hätte das die Chance zu einer pädagogischen Offensive sein können. Doch statt die perfiden Texte im Unterricht zu diskutieren und decodieren, wurden die CDs bloß verboten und eingesammelt. Es ist eine Fiktion, Kinder und Jugendliche per Verbot gegen rechtsextremistische Propaganda abschirmen zu können, im Internet ist ohnehin alles frei verfügbar. Doch in Sachsen-Anhalt weigerte sich die Schulaufsicht sogar explizit, Aufklärungsmaterial an die Lehrer weiterzuleiten.
Die Polizei ist anders als in den neunziger Jahren heute nicht mehr auf dem rechten Auge blind. Aber immer noch kommt es zu individuellem Versagen: Da lässt sich bei einer Neonazi-Demo in Magdeburg der Einsatzleiter von einem Kameradschaftskader herumkommandieren. Da will die Polizei im brandenburgischen Rheinsberg rassistische Hintergründe von Überfällen einfach nicht wahrhaben. Auch die Ermittlungen sind oft unprofessionell ? das wäre sicherlich anders, wenn es wie in Brandenburg überall Schwerpunktstaatsanwaltschaften für rechtsextremistische Taten gäbe.
Und die Politiker? Die leugnen das Problem zwar nicht mehr, wie es Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf noch im Jahr 2000 tat. Aber allzu oft sorgen sie sich eher um das Image ihrer Stadt/ihres Landes/der Bundesrepublik als um die Opfer rechtsextremer Gewalt. Bis heute schafft es die CDU/CSU nicht, Rechtsextremismus beim Namen zu nennen. Sie distanziert sich in der Regel allgemein von »Gewalt und Extremismus« und geißelt den Linksextremismus immer gleich mit, obwohl der im Osten praktisch bedeutungslos ist. Das verstellt den Blick auf die Ursachen und verharmlost die ganz reale Lebensgefahr für einen Teil der Bevölkerung.
Dieser Text erschien in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 01.06.2006