Kinder haben das Recht, ihre Meinung frei zu äußern. Sie haben ein Anrecht darauf, dass ihre Meinung bei Fragen, die sie betreffen, gehört und berücksichtigt werden. Diese – wie soll man sagen – eigentlich Selbstverständlichkeit ist seit 1989 verbrieftes Kinderrecht im Rahmen von Artikel 12 der UN-Kinderrechtscharta. Die insgesamt 42 Artikel umfassende Charta haben mittlerweile 193 Länder verabschiedet, seit 1992 auch die Bundesrepublik, doch ihr Bekanntheitsgrad geht gegen Null. Sogar bei Talkmasterin Sabine Christiansen. Dort wurde am Sonntagabend, dem 15. April 2007 im Rahmen der jetzt zu Ende gegangenen ARD-Motto-Woche „Kinder sind Zukunft“ debattiert: „Was können die Jungen von den Alten lernen“. Von den Alten lernen? Also von oben herab. Dementsprechend überaltert waren die eingeladenen Gesprächspartner, nicht einer oder eine war mehr Kind oder jugendlich, allenfalls 16-jährige saßen mit im Publikum, aber nicht gleichberechtigt ernstgenommen neben Sabine Christiansen. Eine peinlich vertane Chance der ARD, gerade zu diesem Thema neben den Alten auch jungen Leuten Gehör zu verschaffen – so wie es Artikel 12 eigentlich will.
Doch wie gesagt, wer kennt schon (UN-)Kinderrechte? Zum Beispiel Bildung betreffend jenen Satz in Artikel 28: „Die Disziplin in einer Schule muss mit den Rechten und der Würde eines Kindes im Einklang stehen“. Oder Artikel 29: „Bildung sollte darauf ausgerichtet sein, Kinder zu unterstützen, ihre Persönlichkeit, ihre Talente sowie geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zu entfalten. Kinder sollten die Achtung vor den Menschenrechten vermittelt werden. Kinder sollten auf eine aktive Teilhabe an einer freien Gesellschaft vorbereitet werden und lernen, ihre eigene Kultur sowie die anderer zu respektieren“.
Ein Schuljahr lang hat die Berliner Amadeu Antonio Stiftung in Berlin ein Musterprojekt an drei Schulen in Berlin und Sachsen durchgeführt, das sich genau um jenen Artikel 29 dreht: wie lässt sich Menschenrechtsbildung bereits an Grundschulen effektiv umsetzen?
Ohnmachtsgefühlen vorbeugen
Eine Erkenntnis, die Bildungsforscher und Soziologen schon lange teilen: eine ausgeprägte Anerkennungskultur, die Ohnmachtsgefühle verhindert, hilft vielen sozialen Konflikten vorzubeugen.
Aber zu sehr wird zu oft in Schulen nur Wert auf normierte Leistung gelegt, zu wenig auf individuelle Fähigkeiten. Die Würde des Menschen zu respektieren heißt aber auch, die Würde des Schülers ernst zu nehmen, doch damit tun sich viele Lehrer schwer, denn sie glauben, auf diese Weise Autorität zu verlieren – obwohl sie Respekt gewinnen könnten.
Um all das diskutierten am Montagabend Experten und Publikum in den Räumen der Amadeu Antonio Stiftung. Noch einmal sollte Bilanz aus dem zu Ende gegangenen Modelljahr gezogen werden. Timo Reinfrank, Hilke Falkenhagen und Berit Lusebrink berichteten aus der Arbeitspraxis und stellten die entstandenen Fachpublikationen vor (Zum einen: „Unser Haus der Kinderrechte. Menschenrechtsbildung für demokratische Kultur“ aus der Reihe Interkulturelle Beiträge Jugend & Schule No.8. Und die Handreichung: „Reflektieren. Erkennen. Verändern. Was tun gegen gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit?“ Beide Schriften können über die Amadeu Antonio Stiftung bezogen werden).
„Spaß an der Mitwirkung“
Professor Lothar Krappmann, Soziloge, Pädagoge und Mitglied des UN-Ausschusses für die Rechte der Kinder und Sascha Wenzel von der RAA Berlin legten in abschließenden Referaten dar, welche Fragen darüber hinaus noch vertieft werden müssen. Für Krappmann dürfen Gesundheit, Bildung, gewaltlose Erziehung und andere Kinderrechte nicht vom Wohlwollen der Erwachsenen abhängen, „sondern Kinder haben ein unveräußerliches Recht auf Gesundheit, Förderung, Mitsprache und Mitsprache und Schutz“.
Wie solcher Spaß aussehen kann, untermalte Sascha Wenzel mit praktischen Beispielen aus Berliner Schulen. Demokratie ist für ihn „nicht nur eine Gesellschaft- und Regierungsform, sondern auch eine Form des Miteinander-Lebens. Sie berührt damit auch die Alltagskultur im Unterricht, in Projekten, dem Schulleben und Kooperationsvorhaben mit schulischen Partnern“.
Als etwa in der Kreuzberger Fichtelgebirgsschule Konfliktlotsen unter den Schülern in der Pause sichtbare rote Westen anziehen sollten, weigerten die sich zunächst. Für sie käme das nicht infrage, solange die aufsichtsführenden Lehrer und Erwachsenen nicht auch solche Westen anziehen würden. Auf diese Weise zwangen die Schüler die Erwachsenen, die Angelegenheit auch aus Kinderperspektive zu betrachten und lenkten ein. Diese Schülermitbestimmung führte zu gegenseitigem Respekt. Auch solcher schuldemokratischer Geist ist eigentlich ein selbstverständliches Schüler- bzw. Bürgerrecht.
Mitfühlende Herzen gefragt. Oder Autorität?
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).