Der größte Wahlsieger der letzten drei Landtagswahlen heißt „Alternative für Deutschland“ (AfD). Selbstbewusst sehen sich deren Repräsentanten schon als dauerhafte Kraft im deutschen Parteiensystem. Solche Sätze sind im Taumel des Wahlabends schnell in die Mikrofone gesprochen. Ist diese Einschätzung jedoch realistisch? Was spricht dafür und was spricht dagegen? Auch vor dem Hintergrund eines möglichen Umgangs mit dieser Partei sind nun genauere Analysen nötig.
Es gab auch in der Vergangenheit temporär erfolgreiche Rechtsaußen-Parteien
Blickt man in die jüngere deutsche Vergangenheit zeigt sich, dass es im rechten Parteienspektrum jenseits von CDU/CSU immer wieder auch temporär erfolgreiche Parteiformationen gegeben hat. Dazu zählten z. B. die Schill-Partei, die Republikaner, die NPD und die Deutsche Volksunion (DVU), die alle zumindest auf Landesebene und z. T. bei Europawahlen Erfolge erzielen konnten. Bei der NPD und der DVU handelte es sich um eindeutig rechtsextreme Parteien. Ihre Wählerbasis bestand aus einer kleinen Stammwählerschaft in ausgesuchten Hochburgen und zahlreichen, mehrheitlich männlichen und bildungsfernen Wählern, die sich von keiner anderen Partei repräsentiert sahen. Während die NPD noch ums Überleben kämpft und in Mecklenburg-Vorpommern im Landtag sowie in zahlreichen kommunalen Räten vertreten ist, hat die DVU diesen Kampf bereits verloren und ist weitgehend spurlos verschwunden.
Vertreter des Establishments plus Querulanten und Nein-Sager
Etwas anders verhielt es sich mit den Republikanern und der Schill-Partei. Beide Parteien wurden von früheren Vertretern des Establishments gegründet. Schill war ein von der örtlichen Boulevard-Presse geförderter Richter in Hamburg und Schönhuber ein bekanntes Gesicht der bayerischen Medienwelt. Beide Parteien versuchten zumindest temporär sich vom eindeutig rechtsextremen Sumpf zu distanzieren. Der Schill-Partei gelang das besser als den Republikanern. Untergangen sind beide, als ihre jeweiligen Führungsspitzen ihre Parteien nicht mehr zusammenhalten konnten. Die Fraktionen versanken im Chaos. Die Parteien wurden zu einem Eldorado bunter Paradiesvögel, von Querulanten, Nein-Sagern, bekennenden Rechtsextremisten und frustrierten Karrieristen. Statt Recht und Ordnung repräsentierten sie schnell Chos und Destruktion und gingen unten.
Erfolge mit den Ängsten der Menschen
Was lehrt das nun in Bezug auf die AFD? Vermutlich nicht sehr viel, mit einer Ausnahme. Ob die AFD sich als dauerhafte Partei in Deutschland etablieren kann, wird sehr stark von ihr selbst abhängen. Gelingt es der Partei, ihre Programmatik auszuarbeiten und zumindest den Eindruck eines totalen Chaos und der völligen Zerstrittenheit zu vermeiden, sind ihre Chancen erstaunlich gut. Dafür spricht vor allem der Blick in die europäischen Staaten.
In zahlreichen europäischen Staaten ist eine EU-kritische bis EU-feindliche, oft auch offen rechtspopulistische Partei mit Stimmenanteilen zwischen 8% und 20% (bei einzelnen Wahlen auch mehr) absolute Normalität. Das Aufblühen der AFD ist somit kein spezifisch deutsches Ereignis, sondern die nachträgliche Angleichung Deutschlands an die europäische Normalität. Solche Parteien sammeln ihre Stimmen aus unterschiedlichen Milieus. Dazu gehören verängstigte Konservative, Wohlstandschauvinisten, Arbeiter- und Arbeitslosenmilieus, aber auch Rechtsextremisten. Alle eint die Sehnsucht nach einer heilen Welt mit weniger Vielfalt, klaren Grenzen, weniger Abhängigkeiten und einem ökonomisch starken Nationalstaat. Die Globalisierung mit ihren kulturellen, sozialen und ökonomische Folgen ängstigt sie alle. Der Wohlstand soll nicht an Externe verteilt werden. Zahlreiche Untersuchungen z. B. des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung weisen seit Jahren darauf hin, dass es auch in Deutschland ein relativ festes Einstellungspotential von ca. 10% der Bevölkerung gibt, das für eine rechtspopulistische Partei ansprechbar wäre.
Was macht die AfD erfolgreich?
Die Frage ist somit weniger, warum die AFD erfolgreich ist, sondern eher warum es sie erst jetzt gibt. In Deutschland gab es bis zur AFD einige Faktoren, die einen Aufschwung solcher Projekte verhinderten. Dazu gehörten:
Bisher fehlten vorzeigbare Führungspersönlichkeiten mir rhetorischer Kraft und medialem Talent. Der AFD Chef Lucke mag zwar kein begnadeter Redner sein. Er ist aber auch nicht peinlich, kann sich in Talkshows behaupten und seine Partei zumeist auch emotional ansprechen. Das unterscheidet die AFD von früheren EU-kritischen Parteien in Deutschland z. B. aus dem Kreis der Pro-Bewegungen.Bei den Führungskräften der AFD ist die Distanz zum Rechtsextremismus glaubhaft. Sie stammen aus konservativen oder wirtschaftsliberalen Eliten und wurden in den Unionsparteien sozialisiert. Der Rechtsextremismusverdacht perlt an ihnen ab.Die drei klassischen Volksparteien CDU, CSU und SPD haben erkennbar an Integrationskraft verloren. In Thüringen schafft es die „große“ Koalition aus CDU und SPD gerade noch auf eine Stimme Mehrheit. Dies schafft Freiräume für neue Experimente zumindest auf Landesebene. Zentral wird aber erst die nächste Bundestagswahl sein. Auf Bundesebene wählen viele vorsichtiger und konservativer, während auf kommunaler oder Landesebene eher mal protestiert oder experimentiert wird. Der Föderalismus war somit auch einer der Gründe, warum EU-kritische Parteien es bisher schwer hatten. Die beschriebenen Wählermilieus werden von anderen Parteien kaum noch erreicht. Lediglich der Linken gelingt es temporär noch, frustrierte Verlierer der Gesellschaft an sich zu binden. Spätestens im Falle von Regierungsbeteiligungen schwindet diese Anbindung jedoch schnell, ohne dass jenseits der NPD in wenigen Regionen irgendeine politische Kraft sich ernsthaft um diese Wähler bemüht. Der liberale Kurs der Regierung Merkel ängstigt den konservativen Flügel der Union. Dieser müsste auch emotional wieder eingebunden werden, was unter der derzeitigen Führung jedoch kaum gelingen wird. Der Niedergang der FDP setzt ein kleines Milieu an liberalen Wohlstandschauvinisten frei, denen jeder europäischer Solidargedanken fern und der Eigennutz heilig ist.Erfolgreiche Parteigründungen brauchen neben einem parteiaffinen Milieu auch Themen mit Relevanz, die sie möglichst alleine repräsentieren. Bei den Grünen war dies einst die Ökologie. Bei der AFD ist das die Kritik am Euro. Europapolitische Fragen waren in der Vergangenheit zumeist nicht wahlentscheidend. Mit den zunehmenden Krisenerscheinungen der Europäischen Union und in ihren Ländern hat sich das zumindest kurzfristig verändert. Ob das jedoch Bestand hat, ist derzeitig noch völlig offen. Für die AFD heißt dies, dass ihr thematisches Alleinstellungsmerkmal alles andere als sicher und damit nachhaltig ist.
Die politische Formierung bisher frei schwebender Ressentiments
Blickt man nun auf diese Faktoren sind die Chancen der AFD, sich politisch zu etablieren, insgesamt erstaunlich gut. Ihr Führungspersonal ist nicht peinlich und mit dem Rechtsextremismusvorwurf nicht glaubhaft zu diskreditieren. Sie verfügen über ein beschreibbares Wählermilieu und mit der Euro-Distanz über ein – von der Linken abgesehen – inhaltliches Alleinstellungsmerkmal mit politischer Relevanz, die jedoch auch schnell wieder vergehen kann und von der weiteren Entwicklung der EU zentral abhängig ist. Für die demokratische Kultur bedeutet die AFD eine politische Formierung bisher frei schwebender Ressentiments und ungebundener Kräfte. Welche Folgen das langfristig hat, ist derzeitig noch nicht absehbar. Für ihre politischen Gegner heißt das nun, sich ernsthaft über eine offensive und politische Auseinandersetzung Gedanken zu machen. Sich auf den Zerfall der Partei zu verlassen, könnte ein kurzsichtiger Fehler sein und unterschätzt die europäische Dynamik des Phänomens. Der Gewinner wäre dann tatsächlich die AfD, die noch das Zeug zur temporären Erscheinung hat.
Mehr im Internet: