In der pädagogischen Arbeit gegen Rechtsextremismus wird zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention unterschieden. Die primäre Prävention hat zum Ziel, die demokratische Orientierung und ein Weltbild von der Vielfalt und Gleichheit aller Menschen zu stärken. Sekundäre Prävention richtet sich an rechtsextrem affine Jugendliche, also junge Menschen, die erste Berührungen mit und Orientierung hin zum Rechtsextremismus aufzeigen. Bei der tertiären Prävention richtet man sich an Menschen mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild. Wir unterteilen diese drei Grade der Prävention in zwei Bereiche und sprechen bei primärer und sekundärer Prävention von Radikalisierungsprävention, bei tertiärer Prävention von Deradikalisierung. In der Praxis stellen sich die Übergänge zwischen den einzelnen Präventionsgraden häufig als fließend heraus, so dass die Unterteilung idealtypisch ist.
Für no-nazi.net stellte sich also anfänglich die Frage, welche Präventionsgrade auch im digitalen Raum realisierbar sind und welche nicht. Das Web 2.0 und speziell Soziale Netzwerke sind zum elementaren Bestandteil des Alltags und Handelns der Zielgruppe geworden: Viele Jugendlichen sind täglich bis zu 3 Stunden am Tag online. Die Netzwerke sind Orte, über die soziale Beziehungen gebildet und gepflegt werden, Orte der Identitätsarbeit und Orte der gesellschaftlichen Teilhabe. Allerdings entstehen diese Orte erst, wenn man etwas über sich preisgibt. Es klingt paradox: Soziale Netzwerke vermitteln einen tiefen Einblick in das Leben der Menschen, sind zugleich jedoch relativ unpersönlich. Man erfährt etwa, was eine Nutzerin oder ein Nutzer mag, welche Interessen er/sie hat, welche Filme, Musik oder welche Bücher er/sie konsumiert – daraus erschließt sich allerdings nicht zwingend, wie diese Person sich verhält.
Kontinuierliche Beziehungsarbeit mit einzelnen Nutzer/innen ist zwar möglich, jedoch auf Grund der Kommunikationsoptionen limitiert. Am Ende bleibt zum persönlichen Austausch lediglich die private Nachricht bzw. der Chat. Gerade die tertiäre Prävention, also Deradikalisierung, bedarf des Aufbaus einer intensiven Kommunikation und vor allem eines persönlichen (Offline-) Kontakts, also eben jenen Teil der Beziehungsarbeit, der auf reinem Online-Weg nicht möglich ist. Chats können missverständlich sein und Gespräche im Netz schnell abbrechen.
Dennoch muss die Präventionsarbeit den digitalen Raum mit einbeziehen. Nicht nur, weil es ein identitätsbildender Ort ist, sondern auch, weil Rechtsextreme die Sozialen Netzwerke gezielt als Ort der Ansprache junger Menschen nutzen und die kulturellen Praxen des Web 2.0 adaptiert haben. Als erste Anlaufstelle, die ausstiegswillige Menschen berät und weitervermittelt, ist das Netz ob seiner Anonymität sehr geeignet, doch die konkrete Deradikalisierungsarbeit ist wegen der limitierten Kommunikationsmöglichkeiten des Web 2.0 nicht realisierbar.
Resilienz stärken
Primäre Prävention wird in Sozialen Netzwerken auf vielfache Art und Weise von no-nazi.net praktiziert und zielt zum einen auf die Resilienzstärkung in der Zielgruppe und zum anderen auf die Unterstützung demokratischer Akteurinnen und Akteure. Der digitale Raum weist veränderte Handlungsbedingungen gegenüber der so genannten Offline-Welt auf. Es herrschen andere kommunikative Regeln und das Spektrum der Ansprachemöglichkeiten ist sehr variabel. Daher bieten wir über Texte, Grafiken, Videos und Quizzes Aufklärung, Fakten gegen Vorurteile und Informationen an. Diese stellen wir zum einen über unseren Blog und die verschiedenen Netzwerke zur Verfügung, tragen sie aber auch an die verschiedenen Diskussionsorte auf den Plattformen. Denn es reicht nicht, die Informationen nur entsprechend aufzubereiten und dann darauf zu warten, dass sie gefunden werden. Beispiel Facebook: Bei über 26 Millionen Profilen allein in Deutschland ist es illusorisch anzunehmen, dass das eigene Angebot automatisch von der Zielgruppe wahrgenommen wird. Daher trägt no-nazi.net die Informationen dahin, wo sie gebraucht werden. Diskussionen, die eine solche Intervention notwendig machen, können jederzeit und überall in Sozialen Netzwerken entstehen. Häufig diskutieren hier auch schon Menschen, die sich gegen die in der Debatte geäußerte Menschenfeindlichkeit stellen. Diesen Personen bieten wir dann Unterstützung und Beratung an. Gerade bei Diskutierenden aus der Zielgruppe ist positives Feedback auf das freiwillige Engagement wichtig, um den Impuls, sich für eine demokratische Kultur zu engagieren, zu verstärken.
Begrenzen und Motiv bedienen
Sekundäre Prävention ist in Sozialen Netzwerken möglich, jedoch mit einem hohen personellen und zeitlichen Aufwand verbunden, so dass no-nazi.net diese Form der Radikalisierungsprävention exemplarisch demonstriert. Der Aufwand, entsprechende Jugendliche zu identifizieren, ist sehr hoch. Hinzu kommt: Im Schnitt erweist sich von zehn Versuchen der Kontaktaufnahme nur einer als erfolgreich. Da no-nazi.net proaktiv arbeitet, ist bei der Zielgruppe nicht immer mit einer Gesprächsbereitschaft zu rechnen. Daher wurde ein Gesprächsansatz gewählt, der bedürfnisorientiert-konfrontativ arbeitet. Mittels dieses Ansatzes ist es möglich, einerseits eine klare Abgrenzung zu einem menschenverachtenden Weltbild zu verdeutlichen und andererseits das entsprechende Motiv, wie zum Beispiel der Wunsch nach Anerkennung, zu bedienen.
Authentische Ansprache
Wir arbeiten bei den Kontaktaufnahmen mit Projekt-Profilen. Das geschieht zum einen, um die Projektmitarbeiter/innen zu schützen, zum anderen, um die Trennung von Privat- und Berufsleben aufrechtzuerhalten. Obwohl Projekt-Profile scheinbar im Widerspruch zu der nötigen Authentizität stehen, die im Bereich der Arbeit für demokratische Kultur und gegen Rechtsextremismus notwendig ist, werden diese Profile in der digitalen one-on-one-Kommunikation von der Zielgruppe akzeptiert. no-nazi.net operiert mit zwei verschiedenen Profiltypen: Zum einen nutzen wir Profile, die sich offiziell als zum Projekt zugehörig zu erkennen geben und dadurch als Instanz und Autorität akzeptiert werden. Zum anderen werden Profile eingesetzt, die sich nicht als zum Projekt zugehörig zeigen und eine Kommunikation auf gleicher Ebene simulieren. Letztere werden zusätzlich auch dafür genutzt, um in großen öffentlichen Diskussionen die Rolle einer unbeteiligten dritten Person zu simulieren, die politisch unbedarft aber dennoch interessiert ist und stets nachfragt, wie bestimmte Kommentare von Nutzerinnen und Nutzern gemeint sind.
Die Auftrittsstrategien dieser Profile ermöglichen ein authentisches Auftreten, da wir weder versuchen, gekünstelt Jugendsprache zu verwenden, noch von demokratischen Standpunkten abweichen, um uns anzubiedern. Der Aufbau authentischer Profile ist vor allem durch Detailkenntnis und -liebe bestimmt und erfordert die Adaption sowohl von Jugendkulturen als auch (und vor allem) der Netz-Kultur. Zwei Beispiele, wie Kontaktaufnahmen zur Radikalisierungsprävention funktionieren und verlaufen, finden sie in der neuen Broschüre von no-nazi.net: „Digitale Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus“ – hier als pdf zum Download:
no-nazi.net – Digitale Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus (2014)
Aus dem Inhalt:
no-nazi.net – Gemeinsam gegen Hate Speech im Internet +++ Im Nukleus des digitalen Raums: Die Bedeutung von no-nazi.net +++ Die rechte Szene im Fokus: Das Monitoring von no-nazi.net +++ Der direkte Draht zu den Nutzer/innen: Pädagogische Aspekte +++ On- und Offline: Die Materialien +++ no-nazi.net macht Schule – Unsere Workshops +++ Statements von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, Kultusministerkonferenz-Präsidentin Sylvia Löhrmann, Google, Facebook, Knuddels, Jappy, Neonazi-Aussteiger Felix Benneckenstein und Lehrer Malte Gebert
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