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Der ewige Verdacht Wie Racial Profiling bekämpfen?

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Kampagne gegen Racial Profiling (Quelle: ngn)

Jeder kennt den Moment, wenn es in der Bahn heißt „Die Fahrausweise bitte“. Dieser kurze Augenblick der Panik, obwohl man doch eigentlich weiß, dass man das Ticket dabei hat, nichts falsch gemacht hat. Und wenn man dann feststellt, dass der Geldbeutel zu Hause liegt anstatt im Rucksack, die Kontrolleure einen aus dem Waggon hinausgeleiten und die mitleidigen bis scharfen Blicke der anderen Fahrgäste registriert – dann macht sich schnell ein Gefühl der Erniedrigung breit.

Nun stelle man sich vor, man wäre der einzige Fahrgast, der kontrolliert wird – Tag für Tag für Tag. Und das, obwohl man einen Fahrschein hat, immer. Dennoch bekommt man ständig Misstrauen zu spüren, steht unberechtigt und willkürlich unter Verdacht – nicht nur unter dem der Kontrolleure, sondern auch dem der Mitreisenden. Die Vorstellung ist demütigend – aber für viele Menschen in Deutschland harte Realität. Nämlich dann, wenn sie einen sichtbaren Migrationshintergrund haben, wie es heißt. Mit anderen Worten: Wer vermeintlich ausländisch aussieht, wird schnell Opfer von Racial Profiling.

Gesetzlich legitimierter Rassismus

Mit Racial Profiling ist die Praxis gemeint, bei der körperliche Merkmale darüber entscheiden, ob man von der Polizei kontrolliert wird oder nicht. So rassistisch diese Vorgehensweise klingt, ist sie doch hierzulande gesetzlich legitimiert durch verschiedene Paragrafen in Bundes- und Landespolizeigesetzen. So heißt es etwa in § 22 BPolG Absatz 1a

Zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet kann die Bundespolizei in Zügen und auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes (§ 3), soweit auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung anzunehmen ist, daß diese zur unerlaubten Einreise genutzt werden, sowie in einer dem Luftverkehr dienenden Anlage oder Einrichtung eines Verkehrsflughafens (§ 4) mit grenzüberschreitendem Verkehr jede Person kurzzeitig anhalten, befragen und verlangen, daß mitgeführte Ausweispapiere oder Grenzübertrittspapiere zur Prüfung ausgehändigt werden, sowie mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen.

Genau diese Norm verstoße nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern auch gegen europäisches Recht und mehrere Antirassismus-Abkommen, die Deutschland unterzeichnet hat – so das Fazit einer Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR). „Die Ermächtigungsgrundlage der Polizei ist auf rassistisches Handeln ausgelegt“, fasst Hendrik Cremer, Autor der Studie, zusammen.

Dabei wirke die Norm auf den ersten Blick nicht diskriminierend. Der Diskriminierungsschutz erfasse aber auch faktische Diskriminierung, die sich aus der Anwendung einer Norm ergebe. Cremer sagt dazu: „Diese Norm suggeriert, dass sich der Aufenthaltsstatus eines Menschen aus seiner physischen Erscheinung ableiten lasse.“ Der viel gebrauchte Begriff der „verdachtslosen Kontrollen“ sei in dem Zusammenhang irreführend: „Denn die Hautfarbe, das Erscheinungsbild sind Kriterien, nach denen die Polizei regelmäßig auswählt.“

Polizei versteht den Vorwurf nicht

Immer wieder würden Polizistinnen und Polizisten mit dem Vorwurf des Rassismus konfrontiert, so Cremer weiter – ohne diesen jedoch zu verstehen. Stattdessen würde er bestritten und Situationen oft zur Eskalation gebracht. „Das kann man verstehen, wenn man sieht, dass das Handeln der Polizei derart angeleitet wird.“ Die Praxis des Racial Profiling sei in der Gesetzgebung institutionalisiert.

Schon seit längerem ist Racial Profiling Gegenstand heftigen Widerstands und zuletzt auch gerichtlicher Auseinandersetzungen: Ein schwarzer Student hatte 2012 gegen die ständigen Kontrollen geklagt – und bekam in zweiter Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht Koblenz Recht. Mehr noch: Die Bundespolizei entschuldigte sich bei dem jungen Mann.

Sinnlose Praxis

Neben dem institutionalisierten Rassismus führt die Studie noch einen weiteren Befund auf: Racial Profiling erfüllt die selbst gesteckten Ziele nicht. Von den 2,5 Millionen Menschen, die zwischen 2002 und 2006 „verdachtsunabhängig“ kontrolliert wurden, waren tatsächlich gerade einmal ein Prozent Ausländer ohne Einreise- oder Aufenthaltsgenehmigung. Die Daten stammen aus Evaluierungsberichten des Bundesinnenministeriums, welche das Deutsche Institut für Menschenrechte erst nach Bemühung des Informationsfreiheitsgesetzes einsehen durfte.

Diese Evaluierungsberichte waren ein Ergebnis der starken Bedenken, die bereits bei der Einführung der Kontrollen geäußert wurden. Für das DIMR ist das Fazit der Studie daher ganz klar: Paragraph 22 Absatz 1a des Bundespolizeigesetztes müsse gestrichen werden. Zudem sollten alle weiteren entsprechenden Gesetze auf Bundes- und Landesebene überprüft werden.

Erfahrungen aus Großbritannien

Mit dem Thema Racial Profiling beschäftigte sich auch der Fachtag „Struktureller/institutioneller Rassismus in der Polizei – Was können zivilgesellschaftliche Organisationen tun?“, der Mitte Juni in Berlin stattfand. Hier ging es vor allem um Erfahrungen, die in Großbritannien gemacht wurden: Im April 1993 war der 18-Jährige Schwarze Brite Stephen Lawrence in London ermordet worden. Erst in 2012 konnten zwei der vermutlich fünf Täter verurteilt werden.  Dabei hatte die Polizei für ihr Verhalten während der Aufklärung der Tat heftige Kritik geerntet. Konsequent war die rassistische Motivation des Mordes verneint worden. Der öffentliche Druck steigerte sich derart, dass 1997 eine Untersuchungskommission eingerichtet wurde, die zwei Jahre später weitreichende Empfehlungen veröffentlichte. Diese Empfehlungen der „Stephen Lawrence“-Kommission wurden schließlich in die Polizeiarbeit integriert.

Dazu gehören Qualitätsstandards und die Einführung einer Datenbank, in der alle Kontrollen mit den kontrollierenden Polizeibeamten erfasst werden. Kontrollierte Personen erhalten einen Durchschlag der erfassten Informationen. Neu eingeführt wurden Familienverbindungsbeamte, die sich aus Freiwilligen rekrutieren und die Kooperation mit Angehörigen und Zeugen durch eine stärkere kulturelle Sensibilität verbessern sollen. Die Polizistinnen und Polizisten erlangen zudem in Aus- und Weiterbildungen Kompetenz zu Rassismus und Diversity. Rassistische Vorkommnisse werden erfasst und veröffentlicht. Dabei gilt jeder Vorfall als rassistisch, der von den Betroffenen so wahrgenommen wird. Dazu gibt es die Unabhängige Beschwerdekommission der Polizei (Independent Police Complaints Commission, IPCC).

Was kann man tun?

Nicht alle Erfahrungen aus Großbritannien lassen sich auf Deutschland übertragen, zudem sind auch bei den britischen Maßnahmen Erosionsprozesse zu beobachten. Dennoch bot der Fachtag die Gelegenheit, über mögliche Maßnahmen hierzulande zu diskutieren. Konkret wurden folgende Forderungen formuliert:

eine Kampagne, um für das Thema Racial Profiling zu sensibilisierendie Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle, demokratisch legitimiert und mit einer heterogenen Zusammenstellung, die auch die Zivilgesellschaft berücksichtigtein Monitoring entsprechender VorfälleSensibilisierung und Empathisierung der Polizei durch entsprechende Maßnahmen in der Aus- und WeiterbildungEinführung einer Rechenschaftspflicht für Polizeibeamtinnen und PolizeibeamteErmittlungen gegen die Polizei sollten von einer externen Stelle und nicht von der Staatsanwaltschaft geführt werdenErweiterung der Sprachkompetenz bei der Polizei

Nicht zuletzt gehört zu den diskutierten Maßnahmen auch die Abschaffung aller diskriminierenden oder Diskriminierung fördernden rechtlichen Bestimmungen, wie sie nun auch das Deutsche Institut für Menschenrechte fordert. Hier sollte laut Hendrik Cremer zunächst auch der Schwerpunkt der Gegenmaßnahmen liegen. Vor allem, so Cremer, „weil es sich um eine sehr etablierte Praxis handelt“.

ID–WITHOUTCOLORS – The Trailer from Riccardo Valsecchi on Vimeo.

 

Hintergrund:„Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1 a Bundespolizeigesetz. Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei (Studie des DIMR)Institut fordert Abschaffung rassistischer Personenkontrollen durch die Bundespolizei (DIMR)Ist Polizeiarbeit ohne das so genannte Racial/Ethnic Profiling möglich? Ein Blick nach Großbritannien (Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung)Dossier „Ethnic Profiling“ (Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung)

Mehr Informationen im Netz:

Menschenrechtler wollen Verbot „rassistischer Personenkontrollen“ (Sueddeutsche.de)Hautfarbe darf kein Grund für Kontrolle sein (Tagesspiegel)Rassistische Polizei-Kontrollen vor Gericht (Amadeu Antonio Stiftung)Racial Profiling: Nicht „verdachtsunabhängig“ sondern rassistisch (netz-gegen-nazis.de)“Ihre Papiere bitte!“ Racial Profiling in Deutschland (Mut gegen rechte Gewalt)

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