Interview von Stefan Lauer
Romy Fröhlich ist Professorin für Kommunikationswissenschaft am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München und warnt davor, Filterblasen und Echokammern für Rechtsruck und Radikalisierung verantwortlich zu machen. Ein Gespräch über unredliche Reizwörter, Wutbürger_innen in sozialen Netzwerken und Forschung, die an die eigenen Grenzen stößt.
Belltower.News: Sie sagen, dass es keine wissenschaftlichen Belege dafür gibt, dass es Filterblasen und Echokammern gibt. Wie müsste man das beweisen?Romy Fröhlich: Indem man Wirkungsforschung mit den Leuten betreibt, die im Internet unterwegs sind. Ist deren Meinungsspektrum tatsächlich eingeschränkter, als das von Leuten, die nicht in Social Media unterwegs sind und ihren Schwerpunkt der Meinungsbildung im Offline-Bereich haben?
Algorithmen haben aber doch einen Einfluss darauf, welche Nachrichten wir in unseren Newsfeeds sehen?Das heißt aber noch lange nicht, dass sie eine Wirkung haben. Sondern nur, dass sie etwas vorstrukturieren. Was die Menschen mit dieser Vorstrukturierung machen, ist eine ganz andere Sache. Der simple Kausalitätsschluss, der zwischen der technischen Struktur und der Meinungs- und Wissensstruktur gezogen wird, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Solange diese behauptete Kausalität – für die wir bisher überhaupt keine Befunde haben – nicht klar belegt ist, ist es unredlich und unlogisch so etwas zu behaupten.
Foto mit freundlicher Genehmigung von Prof. Fröhlich.
Was genau meinen Sie mit „unlogisch“?Seit Menschen Medien nutzen, gehen unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Situationen, in unterschiedlichen Altersgruppen mit Medien völlig unterschiedlich um. Unlogisch ist deswegen schon diese Generalisierung in Sachen Echokammern und Filterblasen: Die Gesellschafft radikalisiert sich angeblich, verkommt und verblödet. Es hat noch nie gestimmt, dass Menschen aufgrund von Informationsstrukturen verblöden, auch nicht in der Zeit vor dem Internet.
Man kann beobachten, dass sich „Wutbürger“-Gruppen über soziale Medien organisieren und eigentlich so oft erst zusammenkommen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?Das ist eine völlig andere Frage: Wie Hobbygruppen, Jägergemeinschaften, Wutbürger, entrüstete Eltern usw. zusammenfinden in unserer heutigen Zeit. Natürlich bietet die neue Technologie eine viel bessere Möglichkeit, sich kurzzuschließen oder zu versammeln, obwohl man 400 Kilometer oder noch weiter auseinander lebt. Das hat aber nichts mit einer angeblichen Gefährdung durch Filterbubbles und Echochambers zu tun. Wenn wir wissen, dass es bestimmte Gruppen gibt, die sich versammeln, weil sie ein gemeinsames Hobby oder eine gemeinsame politische Überzeugung haben, dann heißt das noch lange nicht , dass wir wissen, was die Leute außerhalb dieser Gruppe machen. Ob sie vielleicht Zeitung lesen, ob sie Fernsehen schauen, was sie da anschauen, was sie mit den Informationen anfangen, die sie bekommen.
Man muss also eher den gesamten Menschen sehen.Genau, aber es gab noch kein einziges sozialwissenschaftliches Projekt, das mit genügend Ressourcen, Geld und Zeit ausgestattet worden wäre, um so etwas zu untersuchen. Das wäre ein Riesen-Projekt. Es gibt die große ARD/ZDF-Online-Studie, die aber nur Aussagen über das Nutzungsverhalten trifft. Wie lange jemand ein bestimmtes Medium oder Inhalte konsumiert, sagt aber nichts darüber aus, was das Medium oder dessen Inhalte mit der betreffenden Person anstellt. Wird sie aggressiver, wenn sie Fernsehen schaut, wird sie politisch gebildeter, wenn sie Zeitung liest? Welche Art von Zeitung muss sie lesen, um politisch gebildet zu sein? Was ist überhaupt politisch gebildet? Diese Art von Großprojekten sind extrem aufwändig und teuer. Generationen von Forschern brauchen sehr viel Zeit und Ressourcen dafür und damit stoßen wir dann an die Grenzen des Machbaren.
Ohne so eine Forschung bleiben die Behauptungen also unseriös?Es wird vor allem dort unseriös, wo man mit politischen Wirkungen arbeitet – wenn ein schlichter Bogen zwischen Radikalisierungstendenzen einerseits und dem Web 2.0 andererseits geschlagen wird. Wenn das stimmen würde, hätten wir in der Weimarer Republik keine Probleme gehabt. Damals –– ohne Web 2.0 –– sind breite Bevölkerungsgruppen radikalisiert worden. Radikalisierung ist ein völlig anderes Thema. Dass wir heute Botschaften in die Welt hinausschicken können, die unheimlich viele Menschen gleichzeitig unheimlich schnell erreichen, ist eine völlig andere Frage. Wenn man zurück geht zur Wurzel der Behauptung: Die Technik macht dumm oder radikal oder sie ist demokratiegefährdend, dann wird es sehr schnell problematisch.
Die Leute die sich in sozialen Medien finden, bleiben nicht immer friedlich. Die mutmaßlichen Rechtsterroristen der „Gruppe Freital“ haben sich unter anderem über Facebook kennengelernt.Das gab es früher auch ohne Internet. Auf einer Party hat man vielleicht jemandem getroffen, der krude Parolen verbreitet hat. Die haben einem gefallen, man kannte sie noch nicht und man hätte selbst nie danach gesucht. Im Zweifelsfall hätte man sogar weit von sich gewiesen, dass man mit so jemanden überhaupt spricht. Dann geht man raus und sagt: „Wir bleiben in Kontakt, ich möchte mehr darüber wissen.“ Was ist daran neu? Und wo ist der Beleg, dass es allein mit der Digitalisierung zu tun hat?
Mittlerweile sind im Internet ganze „alternative“ Medien-Ökosysteme entstanden. Es gibt unzählige Seiten in sozialen Medien, Blogs, Internetplattformen und viele davon verbreiten Fake News. Sehen Sie da eine Gefahr?Warum kommt eigentlich niemand auf Idee zu sagen: „Fake News haben in unserer Zeit überhaupt keine Chance“? Wenn früher Fake News in einer Zeitung abgedruckt wurden, musste ich erstmal warten, bis eine Gegendarstellung kam. In der Regel hat das Monate gedauert. Erst dann habe ich überhaupt erfahren, dass ich vor drei oder vier Monaten etwas Falsches in der Zeitung gelesen habe. Oder ich hatte Glück und ein Leser oder eine Leserin hat einen Brief dazu geschrieben, der abgedruckt wurde. Heute haben wir durch das Internet eine wunderbare Möglichkeit, in Minuten Bullshit als Bullshit zu entlarven. Es ist natürlich komplizierter geworden. Ich muss verschiedene Seiten lesen, rausfinden wie das begründet wird, was ist die Argumentationsstruktur. Die Schwarmintelligenz im Internet kann mir dabei aber auch helfen. Die Möglichkeiten sind heute sehr viel besser und deshalb ist heute eigentlich so schwer wie noch nie, Falschmeldungen zu streuen: An jeder Ecke warten Initiativen darauf, Fake News als solche zu enttarnen.
Geglaubt wir ihnen aber trotzdem.Ein Pegida- oder ein AfD-Anhänger glaubt nicht, dass die Nachrichten, die ihm oder ihr in den Kram passen, falsch sind. Auch wenn andere beweisen, dass sie falsch sind. Das hat allerdings nichts mit der Digitalisierung oder dem Internet zu tun. Es hat mit dem Menschen zu tun, der nicht glaubt, was er nicht glauben möchte. Wenn etwas nicht in unser Weltbild passt, dann konsumieren wir das nicht oder lehnen es ab.
Aber was kann man denn dann überhaupt machen?Das ist ein ganz langwieriger Prozess und ich kann immer nur sagen: Bildung, Bildung, Bildung. Das fängt nicht bei einem 35-Jährigen an, der bei einer Pegida-Versammlung eine Fahne schwenkt und nichts hören möchte, was jenseits seiner eigenen politischen Meinung liegt. Es fängt im Kindergarten an und geht über die Schulbildung weiter. Es hat damit zu tun, wie gut unsere Lehrer ausgebildet werden, ob wir endlich ein Fach wie Medienkompetenz unterrichten, ob wir ein Konzept dafür haben, wie man ‘Lernen‘ lehrt und lernt. Was muss man Menschen beibringen, wenn man sie lehren möchte, wie man sich umfassend informiert oder wie man z.B. Filterbubbles vermeidet? Und: Wenn Menschen erst einmal nachhaltig frustriert sind und völlig dichtmachen , sind sie für alternative Sichtweisen oft nicht mehr erreichbar.
Das heißt man muss viel früher ansetzen, um zu vermeiden, dass Leute überhaupt erst in so eine Situation geraten?Ja. Damit muss man früh anfangen. Darüber zu lamentieren, wie wenig informiert oder politisch interessiert eine Generation ist, ist so lange heuchlerisch, wie man zugleich Anstrengungen unterlässt, diese Generation diskursfähig zu machen. Man muss z.B. dafür sorgen, dass auch Kinder aus ressourcen-armen Umfeldern gleichberechtigte Bildungschancen haben, dass sie z.B. am internationalen Schüleraustausch teilnehmen können, etwas über andere Kulturen lernen und dabei Ausländer zu Freunden werden. Solange wir dafür kein Geld ausgeben, müssen wir uns nicht wundern, wenn Menschen heranwachsen, die keine Lust mehr haben, einer – als solche verstandenen – Elite zuzuhören, die ihnen sagt: ‚Wir wissen, was gut für unser Land ist; deine Sichtweise gehört nicht dazu‘. Die Sache ist komplizierter als Filterbubbles und Echochambers.