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Bayern 2013 Der NSU, ein braunes Haus und „Chrysi Avgi“

Klare Bekenntnisse beim Aufmarsch des FNS am 1. Mai 2013 in Würzburg (Quelle: Jan Nowak)

Am 6. Mai 2013 begann vor dem Münchner Oberlandesgericht (OLG) der Strafprozess gegen Beate Zschäpe und weitere Mitangeklagte aus dem Umfeld des selbsternannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Ein am Vortag des ursprünglich vorgesehenen Prozessauftaktes in der Umgebung des OLG verteilter und durch Norman Kempken presserechtlich verantworteter Flyer verdeutlicht die Bewertung des NSU durch die freien Kräfte in Bayern: Zschäpe spielt als Hauptangeklagte im „Schauprozess“ kaum eine Rolle, vielmehr wird verschwörungstheoretisch vom „NSU-Phantom“  gesprochen und die zentrale Forderung lautet „Freiheit für Wolle“, Ralf Wohlleben, der auch in Bayern gut vernetzt ist.

Etliche Straftaten von Nazis in Bayern – sogar ein Todesopfer

Eine Landtagsanfrage ergab, dass in der Zeit zwischen dem Bekanntwerden Münchens als Verfahrensort am 8. November 2012 und dem tatsächlichen Prozessbeginn bayernweit 588 Straftaten im Bereich der politisch motivierten Kriminalität „rechts“ (PMK „rechts“) verzeichnet wurden. Bis Ende Mai kamen weitere 36 PMK „rechts“-Delikte hinzu. Mit 151 dort registrierten Straftaten war München absoluter Spitzenreiter – so gab es im Mai mehrere Übergriffe u.a. auf den Bayerischen Flüchtlingsrat, das Wohnprojekt Ligsalz8, das Kafe Marat und das Büro einer Anwältin, die eine Nebenklagevertretung im NSU-Prozess innehat. Aufgrund rechtsextremer Gewalt gab es in diesem Jahr ein Todesopfer in Bayern: ein aus Kasachstan stammender Mann starb im Juli infolge eines tätlichen Übergriffs auf dem Tänzelfest in Kaufbeuren. Der Tatsache, dass der Hauptverdächtige Falk H. in Thüringen wohnhaft ist und nur beruflich in Bayern war, wurde leider auch in den Medien zu viel Beachtung geschenkt, da dies unserer Meinung nach eher irrelevant ist und zu einer Verharmlosung des Geschehens vor Ort beiträgt. Schwerer wiegt, dass er wegen rechtsmotivierter Taten bereits polizeibekannt war.

Dass MigrantInnen, AntifaschistInnen und politisch Andersdenkende im Fokus rechter Gewalt stehen, spiegelt sich in Bayern sowohl in behördlichen Statistiken als auch in den Beratungsfällen von B.U.D. (Beratung, Unterstützung, Dokumentation für Opfer rechtsextremer Gewalt) wider. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass die wenigsten Übergriffe zur Anzeige gebracht werden und die Dunkelziffer ungleich höher liegt.

Freies Netz Süd ist bayernweit nach wie vor die wichtigste Organisationsstruktur

Die wichtigste neonazistische Organisationsstruktur in Bayern ist nach wie vor das Freie Netz Süd (FNS). Es fungiert als Dachverband freier Kameradschaften und bietet mit Aktionen und der täglich aktualisierten Homepage einen hohen Mobilisierungs- und Vernetzungsgrad. Wie bereits im Vorjahr wurde mit der Kampagne „Zeitarbeit abschaffen“ agiert – die diesjährige 1. Mai-Demo des FNS in Würzburg fand unter dem Motto „Arm trotz Arbeit – Kapitalismus zerschlagen“ mit etwa 350 TeilnehmerInnen statt. Auch die Hetze gegen AsylbewerberInnen schritt intensiviert fort – mit dem Propagieren von angeblichem Lärm, Polizeieinsätzen, sinkenden Immobilienpreisen und steigender Kriminalität im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften wird versucht, Ressentiments in der Bevölkerung zu schüren und gezielt auszunutzen. Durch neue Aktionsformen und Themen sollte darüber hinaus öffentliche Aufmerksamkeit gewonnen werden. So etwa durch die Teilnahme an mehreren Faschingsumzügen unter antiamerikanischem Motto oder die aktuelle Kampagne „Manege frei der Tierquälerei“, die sich gegen den (Wild-)Tierbestand in Zirkussen richtet.

Am 10. Juli fand eine großangelegte, bayernweite Razzia gegen Mitglieder des FNS statt. Ziel der Durchsuchung von Wohnungen und Arbeitsplätzen, an der 700 PolizistInnen beteiligt waren, war die Beweissicherung hinsichtlich eines angestrebten Verbotsverfahrens des FNS als Nachfolgeorganisation der Anfang 2004 verbotenen Fränkischen Aktionsfront (FAF). Eine Vielzahl unterschiedlicher Waffen wurde sichergestellt, Festplatten beschlagnahmt und allerlei NS-Devotionalien bei der anschließenden Pressekonferenz im Innenministerium präsentiert. Weder die genauen Auswertungsergebnisse noch das weitere Vorgehen wurden jedoch bisher öffentlich bekannt gegeben.

In München-Obermenzing existiert ein wichtiger Nazitreffpunkt

Seit Dezember 2012 bewohnen drei Neonazis aus den Reihen des FNS ein freistehendes Mietshaus in München-Obermenzing, das in der Presse als „Braunes Haus“ tituliert wird und 2013 zum Szenetreffpunkt für interne Schulungen, Vorträge und Feste avancierte. Im Oktober trat dort etwa Michael „Lunikoff“ Regener auf, vormaliger Sänger von Landser. Nur wenige Tage nach der FNS-Razzia wurden BürgerInnen aus der Nachbarschaft zum Sommerfest mit Kinderschminken und Spanferkelgrillen eingeladen. Das per Banner kundgetane Motto „Das Braune Haus heute ganz bunt“ verleitete zwar nicht die Nachbarschaft zum Kommen, dafür aber (führende) Neonazis aus ganz Bayern. Darunter auch den verurteilten Rechtsterroristen Martin Wiese, der versuchte, durch ein offenes Autofenster auf vorbeifahrende JournalistInnen einzutreten. Ende Oktober, als in Obermenzing zum „Samhain – Fest der Toten und der Anderswelt“ geladen wurde, wurde Wiese infolge einer Konfrontation mit anwesenden GegendemonstrantInnen durch die Polizei vorübergehend in Schutzgewahrsam genommen.

Bayerische Nazis vernetzen sich international

Auch die szeneeigene Immobilie in Oberprex gilt weiterhin als zentrale Anlaufstelle. Mittlerweile zum „Nationalen Zentrum Hochfranken“ hochstilisiert, fanden dort etwa Vorträge zur „Vorgeschichte des 2. Weltkrieges“ und der „Europäischen Aktion“ (EA) statt. Im September referierte der FNS-Kader Matthias Fischer in Oberprex zur griechischen Partei „Chrysi Avgi“ (dt. Goldene Morgenröte). Die Ende 2012 begonnene Vernetzung bayerischer Neonazis mit der extrem rechten Partei wurde 2013 noch verstärkt. Im Februar reiste Fischer gemeinsam mit Sebastian Schmaus, der für die „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ (BIA) im Nürnberger Stadtrat sitzt, nach Athen und besuchte dort auf Einladung nicht nur die Parlamentsräume von „Chrysi Avgi“, sondern nahm auch an dem von der Partei organisierten „Imia-Marsch“ teil. Bayerische Neonazis aus dem FNS veranstalteten im Herbst Solidaritätskundgebungen für „Chrysi Avgi“ in München und Fürth, jüngst auch in Aachen. Gute Verbindungen in extrem rechte Kreise werden aber u.a. auch nach Tschechien, Ungarn und Österreich gepflegt. Das FNS mobilisierte zum „Tag der Ehre“ in Budapest, deutsche und tschechische Neonazis marschierten gemeinsam in Ostrava unter dem Motto „Ein Licht für Dresden“, im Zuge der Verurteilung von Gottfried Küssel, österreichische Führungsfigur und Holocaust-Leugner, fanden in Bayern mehrere Kundgebungen und Flugblattaktionen statt.

Die Verhinderung zivilgesellschaftlichen Protests

Mit rund tausend Besuchern aus ganz Bayern, Deutschland und dem benachbarten Ausland erfolgte am 12. Oktober das seit Jahren größte Rechtsrock-Konzert in Bayern. Das über Wochen hinweg vom neonazistischen Internet-TV-Projekt „FSN-TV“ konspirativ für „Mittel-„, später „Zentral-Deutschland“ angekündigte „Live H8“ fand in der Diskothek „Nachtwelt“ im mittelfränkischen Ort Scheinfeld statt. Unter anderem traten die Bands „Act of Violence“, „Division Germania“ und „Überzeugungstäter“ auf. Obgleich den Behörden der genaue Veranstaltungsort seit spätestens 10. Oktober bekannt war, wurde er nicht veröffentlicht. Die BürgerInnen vor Ort wurden so von der Veranstaltung und ihren Gästen völlig überrascht, zivilgesellschaftlicher Gegenprotest gleichsam unmöglich gemacht.

NPD zur Landtagswahl erfolglos

Trotz zahlreicher Aktivitäten im Vorfeld der Landtagswahl war die NPD in Bayern weitgehend erfolglos. Auch der Ende 2012 zum Landesvorsitzenden gewählte Karl Richter, der für die BIA im Münchner Stadtrat sitzt und über gute Verbindungen in die freie Szene verfügt, konnte die Kluft zwischen Partei und freien Kräften nicht schließen. Aufgrund mangelnder Organisation und Personenpotentials gelang es der NPD nicht einmal, in den stimmkräftigsten Regierungsbezirken Oberbayern und Unterfranken die erforderlichen Unterstützerstimmen zur Teilnahme an der Landtagswahl zu sammeln. In Konsequenz halbierte sich der Stimmanteil der NPD im Vergleich zum letzten Wahlergebnis. Amüsanter Nebeneffekt: Die Bundesvorsitzende des Rings nationaler Frauen (RNF) und zur bayerischen Spitzenkandidatin ausgerufene Sigrid Schüßler stand aufgrund ihres unterfränkischen Stimmkreises gar nicht zur Wahl.

Was ist für 2014 zu erwarten?

Durch die 2014 anstehenden Kommunalwahlen ist wie auch 2013 mit einem verstärkten Auftreten der NPD, von rechtspopulistischen Parteien und der unter dem verharmlosenden Terminus „Bürgerinitiative“ agierenden Neonazi-Tarnlisten wie Bürgerinitiative Soziale Alternative Oberpfalz und Bürgerinitiative Soziales Fürth zu rechnen. Besondere Aufmerksamkeit muss der BIA in Nürnberg und München gelten, die offiziell durch das FNS unterstützt wird.

Die Vielzahl registrierter PMK „rechts“-Straftaten allein im Vorfeld des NSU-Prozesses spricht für die fortschreitende Radikalisierung der extremen Rechten in Bayern.

Abzuwarten bleibt, ob die dem rechtspopulistischen und islamfeindlichen Spektrum zuzuordnende Partei „Die Freiheit“ (DF) unter Michael Stürzenberger Aufnahme in den bayerischen Verfassungsschutzbericht finden wird, seit März steht sie offiziell unter Beobachtung. Wie Ende November bekannt gegeben wurde wird Stürzenberger, der rassistische Einstellungen und eine Nähe seiner Partei zu rechtsextremen Gruppierungen stets verneint, bei den Kommunalwahlen in München auf einer gemeinsamen Liste mit den REPUBLIKANERN antreten. Dieses Vorgehen zur gegenseitigen Unterstützung soll vorrangig die Aufstellung der Listen in den Großstädten umfassen und bezieht sich auch auf die Städte Nürnberg und Fürth.

Weitere Infos unter

www.lks-bayern.dewww.bud-bayern.dewww.bjr.de

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Thüringen Hakenkreuz-Bombe und verhinderte Explosion nahe Flüchtlingsunterkunft

Zwei möglicherweise rechtsextrem motivierte Vorfälle beschäftigen derzeit Thüringen: Eine verhinderte Gasexplosion in der Nähe einer Geflüchteten Unterkunft in Apolda und eine mit einem Hakenkreuz bemalte Rohrbombe am Bahnhof Straußfurt. Auch der NSU versuchte in den Neunzigern, mit Hakenkreuz bemalten Bombenattrappen Angst und Schrecken in Thüringen zu verbreiten.

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