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Der Parteisoldat

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Udo Voigt glaubt, er müsse das deutsche Volk retten. Er glaubt das wirklich. Er ist überzeugt, die Deutschen stünden kurz vor dem Untergang. Überall sieht er Zeichen von Dekadenz und Verderbtheit. Er meint, Deutschland sei von den USA unterjocht. Und er hat ein einfaches Rezept gegen alle Probleme: Die Volksgemeinschaft müsse im Mittelpunkt der Politik stehen. Dann gäbe es keine Ausländer mehr, keine Arbeitslosigkeit, keine Armut.

Ein italienisches Restaurant am Müggelsee in Ostberlin. Der NPD-Vorsitzende Udo Voigt begrüsst den Kellner mit „buona sera!“. Er bestellt Tagliatelle mit Lachs und ein Glas Merlot. Vielleicht liebt Voigt wirklich die italienische Lebensart, vielleicht hat er den Reporter auch bloß hierher geführt, um sich beim Interview als weltoffen präsentieren zu können. Voigt ist der Architekt des Aufschwungs, den die NPD in den vergangenen Jahren erlebte. Als er 1996 den Vorsitz übernahm, war die rechtsextremistische Partei ein Trümmerhaufen: Die Konten gepfändet, sein Vorgänger im Knast, die greisen Mitglieder starben langsam aus.

Heute zieht die NPD wieder junge Mitglieder an. Sie kassiert Staatsgelder. Im September gelang ihr der Sprung in den Sächsischen Landtag, und dank einer Wahlabsprache mit der DVU ist ein Erfolg bei der Bundestagswahl 2006 zumindest möglich. Voigt ist der erfolgreichste Politiker der extremen Rechten seit Franz Schönhuber. Und der Gang zum Italiener illustriert sein Erfolgsgeheimnis: Er ist ein pragmatischer Fundamentalist.

Udo Voigt war 16 Jahre alt, als er der NPD beitrat. Damals, 1968, setzte sich die Jugend gerade mit den Verbrechen der Elterngeneration auseinander. Voigt aber hing an den Lippen seines Vaters: Der war Hitlerjunge, SA-Mitglied, Stabsgefreiter der Wehrmacht, kam 1949 aus russischer Gefangenschaft zurück. Noch mit 52 Jahren sagt Udo Voigt „Papa“, wenn er von seinem Vater spricht. Der sei sehr sportlich gewesen und ein richtiger Kumpel. Als in der Schule ein Lehrer sagte, die Deutschen hätten den Krieg gegen England begonnen, widersprach Voigt junior. Sie stritten lange. Irgendwann musste der Lehrer einräumen, dass es tatsächlich Chamberlain war, der offiziell den Krieg erklärt hatte. Voigt: „Das war mein erster Triumph.“

Dass die Deutschen mit dem Überfall auf Polen den Krieg begannen, leugnet Voigt noch heute. Dieser nämlich sei nur „eine Schutzmaßnahme“ gewesen. Sein Vater habe es so erzählt. Sein Großvater auch. Voigt glaubt nicht den Historikern, sondern denen, die dabei waren. „Die wissen es besser“, sagt der Diplompolitologe allen Ernstes. Als sein Vater im Jahr 2000 starb, schrieb Voigt in die Traueranzeige: „Denn was immer auf Erden besteht / besteht durch Ehre und Treue. / Wer heute die alte Pflicht verrät / verrät auch morgen die neue.“

„Ich wäre lieber Offizier als Parteivorsitzender“

So ging es wohl los. Udo, das Einzelkind, das seinen Vater bewunderte. Den Vater, der von soldatischen Tugenden schwärmte, aber keine Uniform mehr tragen durfte. Der – eine zusätzliche Demütigung – als Fahrer für die britische Rheinarmee arbeitete, um die Familie zu ernähren. Voigt ging zur NPD, die damals als einzige Partei den Abzug der Besatzungstruppen forderte. Die Ortsgruppe Viersen schickte ihn gleich zu Schulungen. Er bekam Lob, Bestätigung, er grub sich tiefer und tiefer in die nationalistische Ideologie, und es dauerte nicht lange, bis er jeden Widerspruch als Bestätigung verstand und alle Kritiker als Opfer der alliierten re-education – sich selbst dagegen als einen der letzten aufrechten Deutschen. Das funktioniert bis heute.

Voigt nimmt sich viel Zeit für das Interview beim Italiener. Er ist ein freundlicher Herr mit Schnauzbart, Pullunder, Hemd und Krawatte. Er müht sich um Erklärungen, um Mäßigung. Und sagt dann plötzlich Sätze wie: „Man muss ja einige Kröten schlucken, wenn man in Deutschland Soldat werden will. Aber irgendwann wird Deutschland frei sein. Dann sollte man das Soldatenhandwerk nicht verlernt haben.“

Voigt ging 1972 zur Bundeswehr, Jetpilot wollte er werden, war aber nicht tauglich und diente stattdessen in einer Flugabwehrraketeneinheit in Freising. Noch heute schwärmt Voigt von der Ausbildung, von Kameradschaft und Korpsgeist. 1984, Voigt war inzwischen Hauptmann, stellte ihn der Militärische Abschirmdienst vor die Wahl: Wenn er Berufssoldat werden wolle, müsse er aus der NPD austreten. Voigt lehnte das ab, versuchte sich als Unternehmer, erst mit einer Textilreinigung, später mit einem Wohnmobilverleih. Nach Feierabend studierte er Politikwissenschaft, stieg gleichzeitig in der NPD auf.

„Ich wäre lieber Offizier als Parteivorsitzender“, sagt Voigt. Der Rausschmiss aus der Bundeswehr hat ihn tief getroffen. Nachdem er eine bürgerliche Karriere aufgegeben hatte, konnte – und musste – er mit aller Kraft Nationalist sein. Die Ehe mit seiner Frau blieb kinderlos – ein Makel in völkischen Kreisen, wo das Überleben der Rasse höchstes Gut ist. Voigt deutet das Schicksal zur Tugend um: Mit Kindern wäre er nicht Parteivorsitzender geworden, „meinen Terminkalender würde ich ihnen nicht zumuten“. Voigt lebt bescheiden, das Vorsitzendengehalt einer Splitterpartei ist mager. Er fährt einen alten Mercedes 190. Er wohnt in einem kleinen Reihenhaus in Moosburg bei München. Der Blumenkübel vor der Haustür ist eine ehemalige Munitionskiste.

Von anderen etwas über Voigt zu erfahren ist nicht einfach. Aus der NPD hört man nur Lob – in der Partei herrscht Kadavergehorsam, den Vorsitzenden zu kritisieren schickt sich nicht. Bei Aussteigern wiederum überrascht es wenig, wenn sie schlecht über Voigt reden. Der Verfassungsschutz ist bei seinen Auskünften womöglich nicht ohne eigene Interessen. Und weder bei der Bundeswehr noch an seiner ehemaligen Hochschule ist jemand zu finden, der sich an Udo Voigt erinnert. Vielleicht, weil er nicht auffiel damals. Vielleicht, weil es peinlich ist, was aus dem Kameraden und Studenten von einst wurde.

Inzwischen ist die NPD in etlichen Regionen im Osten fest verankert

Aufsätze, Briefe und Pressemitteilungen unterzeichnet Voigt gern mit seinem Titel „Dipl. sc. pol.“. Seit Voigt im Rampenlicht steht, hält die Münchner Hochschule für Politik seine Diplomarbeit – anders als bisher üblich – streng unter Verschluss. Der NPD?Chef gibt sie gern weiter. Ihr Titel lautet: Die Deutschlandtheorien der Bundesregierungen nach der Ostvertragspolitik unter besonderer Berücksichtigung der Souveränitätsproblematik. Da ist sie wieder, die Halluzination, die Deutschen seien fremdbestimmt, nicht souverän. Voigt untermauert seine These unter anderem mit einem Dokument aus dem Berliner NPD-Landesverband, dem die Alliierte Kommandantur die Teilnahme an der Abgeordnetenhauswahl 1985 untersagt hatte. Die Besatzungsbehörden, schreibt er, hätten „ihre Befugnisse nicht aus dem Recht, sondern aus dem Sieg“ bezogen. Er nennt die Brandtsche Ostpolitik „etwas Ungeheures“. Ausgiebig zitiert Voigt Autoren vom rechten Rand und seinen eigenen Professor Dieter Blumenwitz. Der lässt heute seine Sekretärin an der Universität Würzburg ausrichten, er könne sich bei bestem Willen an keinen Udo Voigt erinnern.

1992 wurde Voigt NPD?Chef in Bayern, 1996 Vorsitzender der Gesamtpartei. Seine strategischen Entscheidungen sind die Basis heutiger Erfolge. Er kassierte alle Unvereinbarkeitsbeschlüsse und öffnete die Partei für Neonazis. Voigt erkannte, dass sich in Ostdeutschland eine rechtsextreme Jugendkultur entwickelt hatte, die sich für die Partei nutzen ließ, und holte einen der Köpfe der Nazi?Rock?Szene in die Partei. Vor der Bundestagswahl 1998 erklärte er einmal, wie er Unterstützungsunterschriften für die NPD sammelte: „Ich fahr halt durch die Ortschaften, und wenn ich da drei oder vier Glatzen am Marktplatz stehen sehe, halt ich an.“ Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 1998 warb er gezielt um die rechte Jugend. So bekam die NPD erstmals seit Jahren wieder mehr als ein Prozent der Stimmen und fortan Wahlkampfkostenerstattung. 1999 gab Voigt die Parole aus, man müsse Wähler ansprechen, die „eine nationale und soziale Ader in sich tragen“. Sein Konzept eines „nationalen Sozialismus“ war umstritten in der bis dahin strikt antikommunistischen Partei, aber es kommt an im Osten und hat den Anti?Hartz?Wahlkampf von Sachsen erst ermöglicht. Seit Jahren konzentriert Voigt alle Kräfte der Partei auf die neuen Länder. Er schickte verdiente Westkader, der Parteiverlag zog ins sächsische Riesa, so entstanden sichere Jobs für NPD?Aktivisten. Inzwischen ist die Partei in etlichen Kommunen in Sachsen und Vorpommern fest etabliert.

Voigt sagt, was er bei der Bundeswehr gelernt habe, nütze ihm heute sehr, Strategien der Lageanalyse etwa oder der Menschenführung. Das Soldatische geht bei Voigt bis ins Detail: Als zum Abschluss des NPD-Parteitages Ende Oktober im thüringischen Leinefelde das Deutschlandlied gesungen wird, steht Voigt im Unterschied zu einigen Vorstandskollegen kerzengerade auf der Bühne, die Hände an der Hosennaht, die Fäuste leicht geballt. Auf diesem Parteitag hat Voigt die extreme Rechte der Bundesrepublik geeint wie nie zuvor. Er öffnete die NPD in zwei entgegengesetzte Richtungen, zur nationalpopulistischen DVU ebenso wie zu militanten Neonazis. Alle Beobachter wunderten sich, wie Voigt das hinbekam. Zum einen kann er seine Eitelkeit zügeln. Er überliess es dem eigensinnigen DVU?Vorsitzenden Gerhard Frey, die Kooperation der Rechtsextremen in den Tagesthemen bekannt zu geben. Voigt stört es auch nicht, dass das Gesicht der NPD seit dem Wahlabend von Dresden der dortige Fraktionschef Holger Apfel ist. Als sich der Landtag konstituierte, saß Voigt unauffällig auf der Besuchertribüne.

Zum anderen hilft Voigt ein Talent, das man sich am besten von einem NPD?Aussteiger erklären lässt, jemandem wie Steffen Hupka. Der 41-Jährige ist einer der radikalsten deutschen Neonazis, Voigt hatte ihn 1997 in die NPD geholt. „Er kann das Gefühl vermitteln, dasselbe zu wollen wie man selbst“, erinnert sich Hupka. Voigt finde sehr schnell heraus, was der andere wünsche – und verspreche dann genau dies. Gekonnt baue er beim Bier „eine kumpelhafte Atmosphäre“ auf. Ihm, Hupka, sei aber bald klar geworden, „dass ich nur ein Lockvogel war“. Voigt habe ihn bloß geholt, um neue Mitgliederschichten zu erschließen, „nicht weil er radikale Politik wollte“. Als wenig später wegen exakt dieser Neumitglieder das Verbot der NPD drohte, drängte Voigt ihn schnell wieder aus der Partei.

Der NPD?Chef ist pragmatischer als viele Möchtegern?Führer vor ihm

Leute wie Hupka werfen dem Parteichef vor, er habe „kein festes Weltbild“. Der bayerische Verfassungsschutz sagt, Voigt habe sich in der Partei niemals auf irgendeinem Flügel exponiert, weder im Landesverband Bayern noch auf Bundesebene. Genau das macht Voigt gefährlich: Er ist ein Taktiker, ein Machtpragmatiker, der einfach tut, was im jeweiligen Moment nützt. So diente er lange dem Vorsitzenden Günter Deckert als Stellvertreter – dann stürzte er ihn. Ende der neunziger Jahre bekämpfte er die DVU, er ließ die NPD überall zur Wahl antreten, „wo es gilt, die Konkurrenz auszuschalten“ – heute vertritt er genauso vehement ein Bündnis mit der DVU. Als im Jahr 2001 das Verbot der NPD drohte, schrieb er im Parteiorgan Deutsche Stimme, Hitler und die NSDAP hätten „vor der Geschichte versagt“. Heute, wo die Partei wieder obenauf ist, nennt er Hitler „einen großen deutschen Staatsmann“.

Solange Voigt über seine Biografie sprach, war er ruhig. Nun, da das Interview in die Untiefen seiner Weltanschauung führt, lockert er schon nach wenigen Worten die Krawatte. Dann eifert er gegen das „liberalistische Gleichheitsdogma“. Seine NPD habe das „lebensrichtige Menschenbild“, wenn sie von der „natürlichen Ungleichheit“ der Menschen spreche. Die menschlichen Eigenschaften seien genetisch festgelegt, ihre Gleichbehandlung daher lebensfremd. Aber als Politologe müsse er doch wissen, dass die Liberalen nicht die Gleichartigkeit der Menschen meinen, sondern ihre Gleichheit vor dem Gesetz, hält man Voigt entgegen. Mehrmals. Er überhört das einfach. Er hat inzwischen den Pullunder ausgezogen. Er ist kein dummer Nazi, wie ihn Medien gern zeichnen. Er blendet bloß aus, was ihm nicht passt.

Nur in einer ethnisch reinen Nation, sagt Voigt, könnten „die Deutschen Großes leisten“. Wie er denn darauf komme? „Ich muss mich doch in einer Großgemeinschaft verorten!“, sagt er irgendwann genervt. Vielleicht ist nur mit solchem Selbstbild der öffentliche Druck zu ertragen, die Versammlungen in verräucherten Hinterzimmern oder die schäbige Parteizentrale. Nur so kann sich Voigt im Wahlkampf unverdrossen in den Nieselregen stellen und auf dem zugigen Postplatz von Dresden gegen das Quietschen der Straßenbahnen anbrüllen. Die meisten Leute gucken bloß von ferne. Und diejenigen, die näher kommen, haben oft verbrauchte Alkoholikergesichter. Voigt merkt natürlich, dass es nicht die Elite seiner Rasse ist, die zu NPD?Treffen kommt. Nur kann er sich seine Anhänger eben nicht aussuchen. In Reden distanziert sich Voigt von Gewalt, er sagt Skinheads: „Jeder Schlag mit der Baseballkeule ist ein Schlag gegen Deutschland.“ Doch solange er gegen Ausländer agitiert, wird zumindest ein Teil seiner Gefolgschaft stets Taten folgen lassen.

Udo Voigt glaubt, er müsse das deutsche Volk retten. Die Frage, was nach einer Machtübernahme mit Leuten passieren würde, die nicht ins Konzept passen, empört ihn. „Sie denken wohl, die kommen ins KZ?“ Das sei eine Unterstellung. Wohl aber müssten sie sich „dem Mehrheitswillen unterordnen“, sagt er. Andernfalls „haben sie freies Reiserecht“. Er lächelt freundlich dabei.

Erschienen in DIE ZEIT vom 16.12.2004 Nr.52

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