Das Gespräch sei ein „weiterer Schritt in Richtung einer intensiveren Zusammenarbeit“. Die Begrüßungsworte des NPD-Kaders Claus Cremer im Interview mit dem rechtsextremen polnischen Online-Portal „Nacjonalista.pl“ sind alles andere als selbstverständlich. Denn die Beziehung zwischen deutschen und polnischen Rechtsextremen ist gelinde gesagt nicht immer leicht gewesen, nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen geografischen Vorstellungen davon, wo Deutschland denn eigentlich genau endet und Polen beginnt. Hinzu kommt Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine: Der teilweise prorussische Kurs der NPD sorgt für Kopfschütteln unter Kadern auf der anderen Seite der Oder-Neiße-Linie. Beziehungsstatus: kompliziert.
Beide Streitpunkte sind Thema des „Nacjonalista“-Interviews, geführt von Michał Lewandowski der rechtsextremen Gruppierung „Narodowe Odrodzenie Polski“ (NOP, Nationale Wiedergeburt Polens), das am 21. März 2023 in polnischer und englischer Sprache veröffentlicht wurde. Mit Claus Cremer vertritt jemand die NPD, der seit den Teenagerjahren in der deutschen Neonazi-Szene aktiv ist. Cremer ist in der Kameradschaftsszene bestens vernetzt und gilt als Kopf des „Freien Widerstands Wattenscheid“. Früher saß er im Bochumer Stadtrat für die NPD. Heute ist er Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen und Teil des Bundesvorstands. Er soll die internationalen Beziehungen der rechtsextremen Partei pflegen.
Ein Versöhnungsversuch also, wenn auch nur ein lauwarmer. Aber vor allem einer, bei dem Cremer den Politiker spielen will, mit vorsichtigen, teils ausweichenden Antworten. Die Bruchlinien bleiben. Und die inhaltlichen Differenzen kann das Gespräch am Ende doch nicht komplett überwinden.
Im Interview geht es zunächst um die Herausforderungen für die extreme Rechte in den vergangenen Jahren. Es sei während der Pandemie schwierig gewesen, „das Tempo zu halten“, so Cremer. Die Infektionsschutzmaßnahmen hätten Rechtsaußen „Spuren hinterlassen“, beklagt der NPDler. Aber die Krise sei auch eine Chance für die rechtsextreme Partei gewesen: Mit dem „Covid-Terror“ seien die Menschen „aufgewacht“ – und die rechtsextreme Partei habe die Proteste „massiv unterstützen“ können, so der NPD-Mann – eine ziemlich beschönigende Darstellung der Rolle seiner kriselnden Partei während der Pandemie.
Die nächste Herausforderung sei Putins Krieg in der Ukraine. Es sei ein umstrittenes Thema, zu dem es viele Diskussionen in der Szene gegeben habe, drückt sich Cremer diplomatisch aus. „Ich finde es traurig, dass es den globalen Eliten (auf beiden Seiten) gelungen ist, einen kleinen Keil in den Widerstand zu treiben“, so der NPD-Mann. Bereits diese Haltung sorgt für Spannung mit Rechtsextremen im Nachbarland. Interviewer Lewandowski fragt kritisch: „In einer Erklärung des NPD-Vorstandes vom 24. Februar 2022 sieht die Partei die Notwendigkeit eines neuen Militärbündnisses zwischen Europa und Russland. Können Sie erklären, warum es besser ist, sich dem russischen Imperialismus zu unterwerfen, als heute unter dem Einfluss des US-Imperialismus (NATO) zu stehen?“
Cremers Antwort bleibt vage, er muss einräumen, dass die Position der Partei zu Russland „vielleicht etwas unklar oder zu knapp“ sei. Er behauptet, die NPD sei „neutral“ in diesem Krieg, der vor allem ein Krieg „des Systems und ausländischer Interessen“ sei. Aller Verbindungen und Sympathien der NPD nach Moskau zum Trotz. Im März 2022, nach Russlands Überfall auf die Ukraine, forderte zum Beispiel der ehemalige Parteivorsitzende und Europaabgeordnete Udo Voigt auf der Parteiwebseite sogar die Entschädigung „russischer Opfer“, die mit deutscher Waffenlieferungen im Krieg getötet werden. Cremer weiter: „Historisch gesehen müssen wir jedoch ehrlich sein und sagen, dass die Ukraine so etwas wie die Wiege Russlands ist“, als würde das den Krieg irgendwie rechtfertigen.
„Beziehungen zwischen polnischen und deutschen Nationalisten sind nicht immer leicht gewesen“, gibt Interviewer Michał Lewandowski später im Gespräch zu, komplett tot seien sie aber nicht. Er nennt als Beispiele der Zusammenarbeit den Besuch des NPDlers Alexander von Webenau beim Sommerlager der NOP im Jahr 1999. Oder dass die NOP zu einer Konferenz der NPD-Jugend JN eingeladen worden sei. Auch Interviews mit NPD-Chef Frank Franz (2014) oder dem militanten Neonazi und NPD-Vorstandsmitglied Thorsten Heise (2019) nennt er als Beispiele. Oder Treffen auf „neutralem Boden“ in Italien oder Zypern. Aber eine Handvoll Begegnungen über 20 Jahre spricht nicht gerade für eine gelungene bilaterale Diplomatie. Auch wenn deutsche und polnische Neonazis in den vergangenen Jahren mit Rechtsrock-Konzerte zumindest einen gemeinsamen subkulturellen Nenner gefunden haben.
„Nichtsdestotrotz“, setzt Lewandowski fort „bin ich der Meinung, dass wir vor unbequemen Themen nicht davonlaufen oder so tun sollten, als gäbe es sie nicht.“ Zum Beispiel: „die Frage der Grenzrevision, die von den meisten deutschen nationalistischen Bewegungen postuliert wird.“ Da sei die NPD keine Ausnahme, so Lewandowski. Ein Blick in das Parteiprogramm der deutschen Rechtsextremen macht das deutlich: „In Übereinstimmung mit dem Völkerrecht fordern wir eine Politik zur Wiedervereinigung Deutschlands innerhalb seiner geschichtlich gewachsenen Grenzen“, heißt es dort.
Cremers Antwort tut wenig, um diesen Streitpunkt zu entkräften. „Deutsches Land wird immer deutsches Land bleiben“, so die unverblümte Entgegnung. Große Teile des Deutschen Reiches seien nach dem Zweiten Weltkrieg unrechtmäßig geraubt und unter eine neue Verwaltung gestellt worden, so Cremer weiter, „um Deutschland zu zersplittern und kleinzuhalten“. Das betreffe nicht nur Polen, sondern auch Frankreich, Italien und Tschechien. Und dann gibt er sich wieder diplomatisch: Es gebe innerhalb Europas zu viele Probleme zu bekämpfen, man könne sich im Moment einfach keine Streitigkeiten leisten. „Heute geht es vorrangig darum, unseren Kontinent, unsere Kultur und unsere Rasse zu retten.“ In einem späteren „Europa der freundlichen Nationalstaaten“ könne über andere Punkte dann „freundlich“ verhandelt werden, bemüht sich Cremer zu betonen.
So ganz überzeugt von Cremers Freundlichkeit wirkt Lewandowski aber doch nicht. Es sei eine unbestreitbare historische Tatsache, dass die Gebiete, die nach 1945 zu Polen gehörten, historische slawische Gebiete gewesen seien, „die sich bis zum heutigen Berlin erstreckten“, hakt er nach: „Werden wir ihre Rückgabe ans Mutterland auf freundschaftliche Weise, wie Sie sagen, verhandeln können?“
Solche Meinungsverschiedenheiten sollen nicht im Wege einer „europäischen Kooperation weißer Nationalisten“ stehen, kontert Cremer: „Unser oberstes Ziel muss es sein, das europäische Erbe zu bewahren und unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen.“ Der Nachbarschaftsstreit muss also erstmal warten. Aber das Misstrauen bleibt offenbar.