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Deutsche Filmförderung Vom ukrainischen Neonazi zum internationalen Filmstar

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Im Film spielt Serhii Filimnov (mitte) den namensgebenden Protagonisten „Rhino“
Im Film spielt Serhii Filimnov (mitte) den namensgebenden Protagonisten „Rhino“ (Quelle: Westend Films)

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Eigentlich ist Serhii Filimonov eher für Straßenschlachten als Schauspielkunst bekannt, doch für sein Leinwand-Debüt als ukrainischen Gangster konnte er bereits zwei Preise abräumen: Nach der Premiere von „Rhino“ (zu Deutsch: „Nashorn“) bei den 78. Internationalen Filmfestspielen von Venedig im September 2021 wurde er im gleichen Monat zum „besten Schauspieler“ beim Batumi International Art-House Film Festival in Georgien gekürt. Zwei Monate später im November wurde er als „bester Schauspieler“ beim Stockholm International Film Festival ausgezeichnet. „Rhino“, eine Erlösungsgeschichte, die in der ukrainischen Unterwelt der 1990er Jahre spielt, gewann in Stockholm auch das prestigeträchtige „Bronze Horse“. Die Kritiker:innen jubeln.

Das Problem: Filimonov ist gewaltbereiter Hooligan und in der ukrainischen Neonazi-Szene bestens vernetzt. Er ist seit seiner Jugend Mitglied in den einschlägigen rechtsextremen Gruppen des Landes. Auf Instagram posiert er mit Szene-Tattoos und automatischen Schusswaffen. Seine neue Karriere als Schauspieler hat das allerdings nicht geschadet. In Deutschland wurde der Film vom ZDF/Arte unterstützt und vom Medienboard Berlin-Brandenburg mit 150.000 Euro gefördert. In einer Besprechung des Filmes von Euronews wird Filimonov lediglich als „Aktivist und ehemaliger Soldat“ beschrieben.

Die Entstehungsgeschichte von „Rhino“ ist unmittelbar mit der Turbulenz der jüngsten Vergangenheit in der Ukraine verbunden. Der Regisseur Oleh Senzow hatte bereits 2012 die Idee für den Film und das Drehbuch wurde beim Sofia Filmfestival als „bestes Pitching“ und „bestes Projekt“ ausgezeichnet. Doch dann wurde Senzow 2014 von russischen Kräften illegal verhaftet, nachdem die Krim annektiert wurde. Der Vorwurf: Terrorismus. Er wurde zur Ikone des Widerstands gegen Russland. Erst 2019 wurde er befreit – und konnte weiter an dem Film arbeiten.

Für die Hauptrolle wollte der Regisseur Senzow keinen professionellen Schauspieler, er castete stattdessen ehemalige Soldaten, Sportler und Strafgefangene – und wurde mit Filimonov fündig. Im Film spielt er den namensgebenden Protagonisten „Rhino“, einen jungen Mann, der im Machtvakuum der Nachwendejahre „nur Macht und Grausamkeit“ kennt, in der Unterwelt aufsteigen will. Filimonovs politische Laufbahn ist der von „Rhino“ nicht unähnlich: Auch er hat eine Karriere in der Illegalität hinter sich, auch sein Leben wird von den wechselnden Machtdynamiken des Landes geprägt.

Der 1994 geborene Filimonov war als Teenager in der Neonazi-Gruppe „C14“ aktiv – der paramilitärischen Jugendorganisation der ultranationalistischen Partei „Svoboda“ (siehe Bellingcat). Ein Foto des jungen Filimonov, das Belltower.News vorliegt, zeigt ihn mit einem Edding-Hakenkreuz auf seiner Brust. Laut seinem VK-Profil lautete sein Twitter-Username „SoberNazi“. „C14“ sorgte 2018 international für Schlagzeilen, als die Gruppe am 20. April – Hitlers Geburtstag – ein Roma-Camp in Kiew mit Steinen und Pfefferspray attackierte und niederbrannte (siehe RFE/RL). Es war einer von vielen Angriffen auf die ukrainische Roma-Community im Jahr 2018. Laut der israelischen Zeitung Haaretz fungierte Filimonov als Anführer bei einer Attacke. Auf eine Anfrage von Belltower.News reagierte Filimonov nicht.

Auf Instagram posiert Filimonov gerne oben ohne, hier mit Sashko Vovk aka Lysyi (links), der eindeutige Neonazi-Tattoos trägt. Alle drei sind in „Honor“ aktiv. (Quelle: Screenshot)

Auch wenn Filimonov in der Filmwelt neu ist, ist er in den sozialen Netzwerken bereits ein Maestro der Inszenierung. Auf Instagram präsentiert er seinen mehr als 21.000 Follower:innen eine krude Mischung aus Familienleben und Militanz. Vor allem zeigt er stolz seine Körperkunst: am Bein ist ein Molotowcocktail gestochen, auf seiner Brust der Schriftzug „Victory or Valhalla“ sowie das „Valknut“ – ein unter Neonazis beliebtes germanisches Dreiecksymbol. Tattoos, die im Film „Rhino“ nicht vorkommen. In anderen Fotos posiert Filimonov neben Männern mit eindeutigen Neonazi-Tattoos wie „88“, „14“ oder Adaptionen der „Schwarzen Sonne“. Oder er lässt sich lässig mit schweren Schusswaffen ablichten.

Filimonov gehört zur gewaltbereiten Hooligan-Szene in der Ukraine, dort ist er unter dem Spitzennamen „Sohn von Perun“ bekannt. Er galt als aktives Mitglied der rechtsradikalen Fangruppe „Dynamo Rodichi“ (die „Verwandten“), laut der britischen Zeitschrift Delayed Gratification, die sich mit Filimonov getroffen hat, sei er sogar deren Kopf gewesen. 2015 – damals etwa 20 Jahre alt – war er an einem rassistischen Angriff auf schwarze Fußballfans bei einem Champions-League-Spiel in der ukrainischen Hauptstadt zwischen Chelsea und Dynamo Kiew beteiligt (siehe das ukrainische Nachrichtenportal Bykvu). Neben Hooligans von „Rodichi“ waren auch zahlreiche Mitglieder der rechtsextremen „Asow“-Bewegung involviert.

„Asow“ wurde 2014 als Bataillon gegen prorussische Kräfte im Ukrainekonflikt gegründet. Heute besteht es aus drei Flügeln: Das originale Freiwilligenregiment (das inzwischen zu den offiziellen ukrainischen Streitkräften gehört), die paramilitärische Bürgerwehr „Nationale Miliz“ (als deren Nachfolgeorganisation „Centuria“ gilt) sowie die politische Partei „Nationalkorps“. Alle drei treten uniformiert auf martialisch inszenierten und militanten Demonstrationen auf. Ein Paramilitär, das sich auch Straßenschlachten mit der Polizei liefert oder Politiker:innen einzuschüchtern versucht. Ihre Ideologie ist neonazistisch: Mitglieder tragen NS-Symbole und SS-Runen. Ihr Abzeichen enthält eine „schwarze Sonne“ und die Wolfsangel.

Filimonov war erst 19 Jahre alt, als die Euromaidan-Proteste gegen Wiktor Janukowytschs Regierung im November 2013 ausbrachen. Wie viele junge Männer aus der Hooligan-Szene zogen sie ihn an: Er kämpfte im Konflikt, zunächst auf den Straßen von Kiew, bevor er sich dann schnell dem neugegründeten „Asow“-Regiment anschloss. Er wurde im ostukrainischen Donetsk eingesetzt, laut der ukrainschen Nachrichtenseite Bykvu kämpfte er auch auf der Krim. Fotos auf Instagram zeigen ihn uniformiert an der Front – mit Panzer oder Raketenwerfer. In anderen Fotos posiert er in „Asow“-T-Shirts.

Doch es blieb nicht nur beim Kämpfen, Filimonov hat auch politische Ambitionen: Ab 2016 war er Chef des Kiewer Verbands der „Asow“-Partei „Nationalkorps“, bis er 2019 aus der Partei austrat – angeblich wegen eines „Korruptionsskandals“ bei „Asow“, wie Delayed Gratification berichtet. Was auch eine Rolle gespielt haben dürfte: Kurz zuvor war er gescheitert, als Listenkandidat bei den Wahlen nominiert zu werden.

Schwarzer Block: Auf Instagram pflegt „Honor“ ein militantes Image (Quelle: Screenshot)

Nach seinem Parteiaustritt 2019 gründete Filimonov „Honor“ (zu Deutsch: „Ehre“), aus dem kyrilischen Alphabet auch als „Gonor“ transliteriert. Bis heute ist er in der Gruppe aktiv, in seiner Instagram-Bio verlinkt er auf den Telegramkanal von „Honor“. Schon ihr Logo präsentiert ein kämpferisches Image: Drei Dolche auf schwarzem Hintergrund. Auf der Instagram-Seite der Gruppe posieren Mitglieder schwarz gekleidet und vermummt, einige tragen Hoodies oder T-Shirts mit „ACAB“-Schriftzug. Ein Logo-Design der Gruppe besteht aus einem Molotowcocktail. Doch Filimonov selbst stellt die Gruppe relativ harmlos dar: Gegenüber VICE  beschreibt er „Honor“ als „new youth civic movement“.

Die Realität sieht wesentlich militanter aus: In Videos schießen „Honor“-Mitglieder Köpfe von Schaufensterpuppen ab oder liefern sich Schlachten mit der Polizei. Auch weitere bekannte ukrainische Neonazis gehören zu „Honor“ – wie etwa Nazarii Kravchenko, ehemalige Führungsfigur der „Nationalkorps“ oder Ihor „Maliar“ Potashenkov, der ebenfalls am rassistischen Angriff auf schwarze Fußballfans in Kiew beteiligt war. Potashenkov hat auf seinem Kopf ein Hakenkreuz tätowiert. Auch Sashko Lysyi, ehemals „Nationalkorps“, ist „Honor“-Mitglied und taucht in zahlreichen Fotos der Gruppe auf: Auf seinen Schultern sind die Neonazi-Codes „14“ und „88“ tätowiert, auf seinem Bauch stehen die Buchstaben „WPSH“ – in der Szene eine Abkürzung für „White Power, Skin Head“ oder „Sieg Heil“.

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„Honor“ ist auch international unterwegs: 2019 wurden Filimonov, Potashenkov und Lysyi in der ersten Reihe der pro-demokratischen Proteste in Hongkong gesichtet. Filimonov behauptet gegenüber VICE, er und seine Gruppe seien nur als Touristen dort gewesen. Fotos vom Dezember 2021 auf der Instagram-Seite von „Honor“ zeigen zehn Mitglieder in Berlin mit dem Hashtag „#gonorontour“. Doch es blieb nicht nur bei Urlaubsfotos: Die Gruppe sprühte ihr Logo in kyrillischer Schrift auf eine U-Bahn.

Brisant ist die Verbindungen von „Honor“ zu zivilgesellschaftlichen Akteuren in der Ukraine. Im Mai 2020 gab die Menschenrechtsorganisation „Ukrainian Helsinki Human Rights Union“ bekannt, dass sie „Honor“ als Sicherheitsfirma für Veranstaltungen beauftragt hat. In einem Facebook-Beitrag erwähnte eine Projektmanagerin der NGO Filimonov persönlich und taggte sein Profil. Über die Zusammenarbeit sei sie sehr glücklich gewesen.

Auch in der Filmbranche stellt die rechtsextreme Biografie von Filimonov offenbar kein Problem dar. Informationen darüber liege dem Medienboard Berlin-Brandenburg bereits vor, bestätigte eine Sprecherin gegenüber Belltower.News: „Der Regisseur Oleg Sentsov hat uns seine Beweggründe und die Parallelen zwischen der Hauptfigur und dem Hauptdarsteller offen und ausführlich dargelegt“. Der Film wende sich ausdrücklich gegen Hooligans und Neonazis und die Hauptfigur werde in dieser Rolle keinesfalls heroisiert, sondern ganz im Gegenteil, so das Medienboard weiter. „Dem Regisseur ging es um größtmögliche Authentizität“. Das Medienboard respektiere zudem künstlerische Freiheit, solange diese nicht extreme politische Positionen unterstützt: „Das sehen wir aus den vorgenannten Gründen nicht als gegeben an.“

Eine Anfrage von Belltower.News konnte der Koproduzent ZDF/Arte vor Redaktionsschluss nicht beantworten, da der Sender zunächst mit dem deutschen Verleiher und Produzenten Rücksprache halten wolle, heißt es. Die deutsche Produktionsfirma „ma.je.de“, die am Film mitgewirkt hat, reagierte auf eine Anfrage von Belltower.News nicht. Die ukrainische Premiere folgt dieses Jahr, danach kommt „Rhino“ auch in den deutschen Kinos.

Update 19. Januar 2022: Auf Anfrage von Belltower.News sagte eine Sprecherin vom ZDF/Arte, dass die Redaktion schon von Anfang an über die Biografie von Serhii Filimonov informiert gewesen sei. Nach Aussage vom Regisseur Oleg Sentsov sei Filimonov beim Casting der einzig passende Darsteller gewesen. Zu keiner Zeit der Filmproduktion habe es belastbare Indizien für eine bestätigte fortgesetzte Hooligan- oder bestehende rechtsradikale Aktivität gegeben, so die Sprecherin. „Der entstandene fiktionale Spielfilm mit zeitgeschichtlichem Setting ist in seiner Botschaft und Aussagekraft keinesfalls neonazistisch, rechtsradikal, rassistisch, menschenverachtend oder anderweitig extremistisch angelegt. In unserer Wahrnehmung ganz im Gegenteil.“

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