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Die Attentate finden kein Ende 21-jähriger Trump-Fan feuert in 4. Juli-Parade – Sechs Menschen ermordet

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Niedlich kaschierter Horror: Screenshot von der Spotify-Playlist des Täters mit einem "Catboy" mit Waffe im Anschlag als Titelbild. (Quelle: Screenshot)

Der 4. Juli ist der US-Nationalfeiertag, landesweit wird er mit Paraden und Feuerwerk begangen. Eine dieser Feiern, eine Parade in Highland Park, einer Ortschaft nahe Chicago, erlebte den Horror eines Attentäters, der nach aktuellem Ermittlungsstand von einem Hausdach in die Menge feuerte. Während Menschen von Säugling bis Greis die Straßen säumten, um die Parade zu beklatschen, schoss der 21-jährige Täter in die Menge (Name ist der Redaktion bekannt, wird aber nicht genannt, um nicht seinem Wunsch nach Ruhm zu entsprechen). Er tötete sechs Menschen, und rund 25 weitere Personen zwischen acht und 85 Jahren mussten mit Schusswunden im Krankenhaus behandelt werden. Sein laut Polizeiangaben „leistungsstarkes Gewehr“ fanden die Ermittler*innen am Tatort, der Täter konnte nach kurzer Verfolgungsjagd verhaftet werden. Er ist ein schmächtiger junger Mann, der zeitweise bunte Haare trägt, dazu Gesichtstattoos. Bisweilen stellt er sich auf Social Media als „Catboy“ mit Katzenohren (und Gewehr) dar. Er stammt aus der Gegend, ist das mittlere von drei Kindern. Der Vater betreibt einen Lebensmittelladen und kandidierte als Bürgermeister seines Ortes.

Bezüge zu Verschwörungsideologien und QAnon

Was treibt einen jungen Mann zu so einer Tat? Der 21-Jährige hat ein lebhaftes Internet- und Social-Media-Leben, das zwar noch nichts über die endgültige Motivation zur Tat aussagt, aber Schlüsse zulässt, welche Themen ihn beeinflusst haben. Er agiert nicht nur mit seinem Klarnamen, sondern hat einen Alias-Namen als Hobby-Rapper, der passenderweise bereits „Awake“ lautet – als „aufgewacht“ bezeichnen sich Verschwörungsideolog*innen, die eine selbst erfundene Wahrheit hinter der Welt erkannt haben wollen. Auch in rechtsaffinen, alt-right Internetszenen ist das Aufgewacht-Sein ein beliebter Topos – hier bezogen auf die Pillen aus dem Film „Matrix“ – die blaue, mit der man weiter schlummert, und die rote, mit der man „aufwacht“ und die „Wahrheit“ erkennt – dann ist die Person „redpilled“. Die berühmteste Verschwörungsideologie, die in den USA entstand und das „Awake“-Sein propagiert, ist QAnon. Passenderweise finden sich im Internet Fotos einer Trump-Unterstützer-Demonstration, die der Täter besuchte, in einem „Wo ist Waldo?“-Kostüm. Auf der Trump-Demo läuft er unter anderem in einer Gruppe junger Menschen mit der Gadsen-Flagge mit einer Schlange auf gelbem Grund mit, die auch im QAnon-Umfeld beliebt ist und für eine autoritäre Revolte steht. Einer der Songs des Täteres, dokumentiert auf seinem Spotify-Account, heißt dann auch „I am the storm“ – auch das ein QAnon-Motto, der Sturm zu sein, also selbst aktiv zu werden und die Sache, hier den System-Umsturz, in die Hand zu nehmen. Daraus entstanden sowohl der Sturm auf den Reichstag in Berlin im Sommer 2020 als auch der Sturm auf das Kapitol im Januar 2021. Ein anderer Song heißt „Brainwashed“, zielt in dieselbe Richtung.

Akzelerationismus

Allerdings wird aus allen Social-Media-Accounts – u.a. YouTube, Facebook, Instagram, Soundcloud, Spotify, Discord und Nischen-Plattformen wie die Plattform „Documenting Reality“ – klar, dass der Täter nicht nur „redpilled“ ist, sondern darüber hinaus Akzelerationist. Das ist eine Person, die nicht nur eine selbsterfundene „Wahrheit“ erkannt haben möchte, sondern zudem denkt, dass die Menschheit als Ganzes dem Untergang geweiht ist und dieser Untergang beschleunigt werden müsse, um aus dem Chaos und dem Tod etwas Besseres, Größeres zu schaffen. Nicht alle Akzelerationisten – meist sind es Männer – sehen in dem Größeren, das zu schaffen sei, eine nationalistische Welt, in der „die Weißen“ wieder „überlegen“ seien, die Moderne und der Feminismus überwunden wurden und wieder weiße Männer über Frauen, Minderheiten, Migrant*innen und LGBTIQ* herrschen und richten. Aber viele.

Die Social Media-Kanäle des Täters von Highland Park verraten – ähnlich wie die des Täters von Kopenhagen – viel von einer Faszination für Gewalt, Terror, Waffen, gegen andere und sich selbst in Form von Suizid-Fantasien. Dazu gehören beim Täter von Highland Park selbst animierte HipHop-Videos, die Terrorattentate und Amokläufe in Schulen mit viel Blut darstellen.  Es gibt aber auch Belege seines Interesses für Amokläufe in Schulen (School Shootings) und an Mördern wie Lee Harvey Oswald, der John F. Kennedy ermordete. Der Täter ist auch auf der Plattform “Documenting Reality” aktiv, die sich “True Crime”-Plattform nennt (“Wahre Verbrechen”), aber Gore-Inhalte hostet (splatterfilmhaft aufgemachte Verstümmelungen und Verletzungen). Sie ist nicht zu Unrecht nur für Mitglieder mit einer speziellen Einladung zugänglich. Hier veröffentlicht der Täter Enthauptungsvideos und andere menschenfeindliche Inhalte. Einige Fotos auf der Plattform zeigen den Täter zudem mit einer recht kindlich wirkenden Sexpuppe. Auch in einigen seiner Liedern zeigt sich die Frauenverachtung des Täters, so singt er beispielsweise über „Thots“: Dies ist sexistischer Internet-Slang und steht für „That whore over there“, also „Die Schlampe da drüben“.

Die tief sitzende Menschenverachtung des Täters von Highland Park ist omnipräsent: In zahlreichen Netzwerken hinterlässt er rassistische Kommentare gegen „Orientalen“ oder antisemitische Kommentare wie „Die Rechnung geht nicht auf. Die Logistik von 6 Millionen Juden macht keinen Sinn – aber ich bin vielleicht einfach nur zurückgeblieben“ – eine Holocaust-Leugnung.

NS-Begeisterung

Dazu kommt Begeisterung für den Nationalsozialismus. In seiner Welt im Spiel „Roblox“ regnen Hakenkreuze vom Himmel. Seinen Discord-Server – und seinen Soundcloud-Account – nennt er „Sleeping Squad“ – abgekürzt: SS. Damit schreibt er Begrüßungen wie „Te damos la bienvenida a SS“ – “Willkommen bei der SS”. Auf Soundcloud verweist er auf seinen “SS-Server” (Discord) und die “SS-Website”.  Auf dem Discord-Server hetzte er gegen Kommunist*innen und Antifaschist*innen, andere User*innen betrieben Werbung für die schwedische Neonazi-Gruppierung “Nordfront”.

Er gibt sich sogar ein eigenes Symbol, dass er auch als Rapper verwendet. Es erinnert an einen heraldischen, keltischen Bowen-Knoten, der aber mit spitzen Ecken gestaltet ist, so dass er auch an ein Hakenkreuz erinnert und aussieht, als sei es viermal aus der Ziffer 4 zusammengesetzt. 2×44 ist ein rechtsextremer Zahlencode und steht zusammengerechnet für 88 – also dem Zahlencode für „Heil Hitler“

Tätowiert hat er dagegen eine 47 – diese eine Anspielung auf das Computerspiel „Hitman“. Das handelt von einem im Genlabor erschaffenen Auftragsmörder Agent 47, dessen Fähigkeiten darauf ausgerichtet sind, emotionslos und zielgerichtet zu töten. Auch dies passt zur Ausrichtung von Akzelerationisten, die sich selbst in Tötungsmaschinen verwandeln und abhärten wollen, um möglichst viel Schaden anzurichten. Diesen Ansatz des „Abhärtens“ verfolgte unter anderem auch der Attentäter von Halle. Dennoch wäre es verkürzt, eine Affinität zu Videospielen als Grund für den Terrorakt zu bezeichnen.

Auf Facebook gibt es noch einen religiösen Bezug. Hier postet der Täter vor seinem Attentat „Ihr seid alle Sünder“.

Warum konkret der 21-Jährige die Unabhängigkeitstag-Parade angegriffen hat – neben dem Motiv, Tod und Chaos zu verbreiten – werden die Ermittlungen zeigen. Offensichtlich ist allerdings, dass er sich gegen das heutige, liberale, vielfältige Amerika wendet, das für ihn offenbar die Parade repräsentiert. Es ist eine Attacke gegen ein Amerika, das vom Demokraten Joe Biden regiert wird. Da helfen auch ultrakonservative Entscheidungen wie die Rücknahme des „Roe vs. Wade“-Gesetzes, das Abtreibungsverbot, nicht: Die amerikanischen Nationalist*innen, die die letzten Jahre viel im Kontakt mit Verschwörungsgläubigen verbracht haben, greifen nun zur Waffe und attackieren Amerikaner*innen, die den amerikanischsten aller Feiertag begehen. Es wird nicht die letzte dieser Taten bleiben.

(Text von Simone Rafael, Recherche: Veronika Kracher, Una Titz)

 

Update 06.07.2022

Ein weiteres Opfer erlag seinen Verletzungen. Der 21-jährige Täter wird wegen siebenfachen Mordes angeklagt und hat eine lebenslängliche Haftstrafe ohne vorzeitige Entlassung zu erwarten. Er hatte am 70 Gewehrschüsse abgefeuert und damit sieben Menschen getötet und mehr als 35 weitere Menschen verletzt. Polizeiermittlungen haben ergeben, dass die Tat wochenlang vorbereitet worden war. Der Täter trug am Tattag Frauenkleider, um seine Identität zu verschleiern und ein Flucht zu erleichtern. Er floh im Auto seiner Mutter, in dem die Polizei später ein zweites Gewehr fand. Beide Waffen hatte der 21-Jährige legal erworben.

Der mutmaßliche Schütze hatte aber in der Vergangenheit psychische Probleme und war durch drohendes Verhalten aufgefallen. 2019 wurde die Polizei gleich zweimal zu dessen Haus gerufen, wie ein Polizeisprecher sagte. Beim ersten Mal wegen eines Suizidversuchs und beim zweiten Mal, nachdem der Mann nach Angaben eines Verwandten gedroht hatte, in der Familie „alle zu töten“. Damals beschlagnahmte die Polizei 16 Messer, einen Dolch und ein Schwert. (vgl. ZEIT)

Die Nachrichtenseite Anash.org berichtet, dass der Schütze bereits im April zum Pessach-Fest die  Synagoge von Highland Park besuchte – wohlmöglich, um sie auszuspionieren. Rabbi Yosef Schanowitz erkannte den 21-Jährigen auf Pressefotos wieder. Der junge Mann hatte zum Pesach-Fest die Synagoge betreten und der Rabbi sprach ihn an, weil er erkannte, dass er kein Gemeindemitglied war. Daraufhin verließ der Täter die Synagoge wieder. Der Rabbi kann sich daher auch eine antisemitische Tatmotivation vorstellen. In Highland Park lebten viele jüdische Familien, rund 30 Prozent der Bevölkerung sind jüdischen Glaubens. Unter den Toten des Attentats ist eine jüdische Lehrerin, zwei Gemeindemitglieder wurden durch die Schüsse verletzt. Zum Pessach-Fest wurden außerdem antisemitische Flyer in den Briefkasten der Synagoge von Highland Park geworfen (vgl. Twitter).

Nach der Tat wurde ein zwei Jahre alter Junge aufgefunden. Wie sich herausstellte, hat der Täter seine beiden Elternteile, den 37-jährigen Vater und die 35-jährige Mutter, erschossen und das Kind zum Vollwaisen gemacht (vgl. t-online.de). Er wurde nun in die Obhut seiner Großeltern gegeben.

In den USA hat es in den vergangenen Wochen eine ganze Serie besonders ähnlicher Schusswaffenangriffe gegeben. Mitte Mai erschoss ein 18-Jähriger an einer Grundschule der texanischen Kleinstadt Uvalde 19 Kinder und zwei Lehrerinnen. Zehn Tage zuvor hatte ein 18-Jähriger in und vor einem Supermarkt in Buffalo im Bundesstaat New York aus rassistischen Motiven zehn Menschen erschossen.

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