In Emilias Klasse setzte sich seit einiger Zeit ein merkwürdiger Trend durch. Schüler_innen sendeten im klasseninternen Whatsapp-Chat Bilder, die sich über die Gräueltaten des Nationalsozialismus lustig machten. „Heil Hitler“ war plötzlich eine witzige Art sich zu begrüßen und „Jude“ wurde zur Beleidigung. „Das Schrecklichste war ein Foto einer Rauchwolke mit der Bildunterschrift ‚jüdisches Familienfoto‘ – da wehrte ich mich und schrieb, sie sollen mit dem Nazigetue aufhören“, so Emilia auf Spiegel Online. Das kam bei ihren Mitschüler_innen allerdings nicht gut an: „Die Quelle der Bilder reagierte mit Nachrichten wie ‚ich möge doch nach Polen auswandern‘ und habe ‚wohl zu viel tote Juden eingeatmet'“, so Emilia weiter. Daraufhin zeigt sie den Mitschüler wegen Volksverhetzung an.
Der „Förderkreis Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ hat sie zusammen mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin mit dem „Preis für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus“ ausgezeichnet. Noch am Abend der Preisverleihung kündigte die Schülerin an, ein Viertel des Preisgeldes an einen 14-Jährigen aus Berlin zu spenden, der von seinen Mitschüler_innen angegriffen und bedroht wurde, weil er Jude ist. Ein Vorfall, der im vergangenen Frühjahr thematisiert wurde.
Nun bezieht sich die sogenannte Neue Rechte angeblich nicht positiv auf den Nationalsozialismus. Vielmehr sind es die Denker der sogenannten „konservativen Revolution“ die als Pate dienen. Autoren wie Carl Schmitt oder Arthur Moeller van den Bruck, die Helden der neuen Rechtsextremen, waren entweder nicht direkt in den Nationalsozialismus involviert oder hatten wenig Einfluss, obwohl ihre Arbeiten prägend dafür waren. Ideale Kandidaten also, um die eigene im Kern genauso menschenverachtende Ideologie anzupreisen. Und obwohl es wieder und wieder Ausfälle von neurechts gibt, wie etwa Alexander Gaulands Forderung wieder stolz auf die Wehrmacht zu sein oder der Neonazi-Vergangenheit vieler Kader der sogenannten „Identitären Bewegung“, will man angeblich mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun haben. Die Reaktionen auf die Anzeige von Emilia und den Preis, den sie dafür erhalten hat, zeigen allerdings das eigentliche Verhältnis zu NS-Positionen.
Carsten Härle, Vorsitzender der AfD-Fraktion im hessischen Heusenstamm bezeichnete die 15-Jährige auf seiner Facebookseite als „Denunziantin“: „Preise für Denunziantentum gehören in die unterste Kategorie des sittlichen Verfalls“, so Härle wörtlich. Das ganze schließt er mit einem Zitat aus George Orwells Roman 1984 ab, mit dem Frauen angehängt werden soll, dass sie „blinde Parteianhänger“ und „freiwillige Spitzel“ sein. Die Kommentatoren schließen sich Härle an und schreiben mit Blick auf Emilia unter anderem: „Schäm dich du Viech. Warte ab, KARMA ist eine Sau und wird dich noch fertig machen“. Auch Vergewaltigung wird der 15-Jährigen gewünscht: „Vielleicht sollte die mal von 10 Goldstücken verwöhnt werden.“ Härles Post ist mittlerweile von seiner Facebookseite verschwunden. Die „Frankfurter Rundschau“ hat den Vorfall allerdings dokumentiert.
Auch andere Akteure der AfD melden sich zu Wort. Unter anderem schreibt Michael Klonovsky, ehemaliger Berater der ehemaligen Parteichefin Frauke Petry und heute Fraktionssprecher der AfD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg, auf seinem Blog: „Regelmäßige Besucher meines kleinen Eckladens wissen, was ich von Hitler und Holocaust-Witzen halte, sie wissen freilich auch, wie ich über die Förderung von Petzen und Denunzianten denke. Man kann eine Plage schwerlich durch eine andere bekämpfen, denn die bliebe am Ende übrig. Letztlich ist dieser Fall aber ein Beleg dafür, wie friedlich es in Sachsen noch zugeht, denn wenn es sich um den Antisemitismus von Araberbuben gehandelt hätte, hätte sich das Mädel doch niemals getraut, seine Mitschüler anzuzeigen, die hätten der deutschen Schlampe schon gezeigt, wo es langgeht, und außerdem wäre es ja ausländerfeindlich gewesen.“
Das wird wiederum von Martin Semlitsch auf Twitter gefeiert, der dort unter seinem Künstlernamen „Lichtmesz“ aktiv ist. Semlitsch ist regelmäßiger Autor auf dem neurechten Blog „Sezession“, gilt unter anderem als Vordenker der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ und propagiert unter anderem die absurde Verschwörungstheorie über die “Umvolkung”.
Auch Martin Sellner, der Chef der österreichischen Identitären, teilt auf Twitter einen Post der Tagesschau und zieht den Bogen zu den immergleichen Vorwürfe der Neuen Rechten gegenüber der Amadeu Antonio Stiftung. Aufgrund des Engagements der Stiftung für eine bessere Debattenkultur im Netz und gegen Rechtsextremismus wird sie aus diesem Lager gerne als „Zensur-“ oder „Denunziationsstiftung“ dargestellt. Anetta Kahane ist die Vorsitzende der Stiftung. Kritik an den Methoden von IB, AfD und Co ist im neurechten Lager bekanntlich unerwünscht. Emilia – und auch hier muss betont werden, dass es um eine 15-Jährige geht – sei „vielversprechender Nachwuchs“. Und auch ein süffisantes P.S. darf nicht fehlen: Emilia sei sicher „volll beliebt jetzt“ (sic). Weniger verblümt formulieren es Sellners Twitter-Fans:
In der Welt von AfD, IB und Co ist der Hitlergruß offenbar eine Bagatelle. Dagegen vorzugehen ist verwerflich. Dabei wird auch nicht berücksichtigt, dass Volksverhetzung am Ende eine Straftat ist. Wenn eine Frau vergewaltigt wird und sie den Täter anzeigt, ist sie dann auch eine Denunziantin? Oder ist man Denunziant, wenn man auf der Straße überfallen wird und danach zur Polizei geht?
Offenbar ist er mit der Distanz zum Nationalsozialismus eben doch nicht so weit her. In der Theorie tut man so, als hätte das eigene Menschenbild nichts mit Rassismus, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit zu tun. Aber den Hitlergruß, den wird man ja wohl noch zeigen dürfen. Menschen die sich gegen rechts positionieren und aktiv werden, sind dann eben nur noch Denunzianten.