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Die „Jerusalemer Erklärung“ Eine Kritik aus Sicht der Antisemitismusforschung

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Zwei Antisemitismus-Definitionen, die darüber hinaus wenig gemeinsam haben.

Abstract: Jüngst haben einige Intellektuelle und Geisteswissenschaftler:innen eine „Jerusalemer Erklärung“ vorgelegt, welche die mittlerweile weithin global anerkannte Antisemitismus-Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und ihre Leitlinien und Beispiele ersetzen soll. Dabei ist diese „Erklärung“, verfasst in der Form eines politischen Manifests oder Rechtsdokuments mitsamt „Präambel“, nicht nur inkonsistent, sondern fällt auch weit hinter den Stand der Antisemitismus- und Rassismusforschung zurück. Als Antisemitismus sollen demnach nur noch die Dämonisierung und Diskriminierung von Juden „als Juden“ gelten—camouflierte, kulturelle und institutionelle Formen fallen so aus dem Blickfeld. Diffuse Verweise auf „Identitäten“ und vermutete „Intentionen“ ersetzen dabei zusätzlich klare Kriterien, um Antisemitismus als solchen zu erkennen. Zudem verschwindet die Besonderheit von Antisemitismus als Verschwörungsmythos sui generis in einem antiquierten Verständnis der Judenfeindschaft als Vorurteil. Insbesondere aber bagatellisiert die „Erklärung“ israelbezogene Formen des Antisemitismus. Entgegen den Befunden der historischen und empirischen Antisemitismusforschung, die auf enge Verbindungen von Israel- und Judenhass verweist, wird deklariert, Antizionismus sei „grundsätzlich“ von Antisemitismus zu scheiden. Das politische Manifest gipfelt in einer Reihe beispielhafter Aussagen und Handlungen, die angeblich „nicht per se antisemitisch“ sein sollen: von der Täter-Opfer-Umkehr, die sich in der Beschimpfung von Juden und des jüdischen Staates als Nazis manifestiert, bis zum Vernichtungswunsch exklusiv gegenüber dem jüdischen Staat in der Parole der Befreiung „vom Fluss bis zum Meer“, die als „verfassungsrechtliche Lösung für Juden und Palästinenser“ verharmlost wird. Aber auch antisemitische Gewaltfantasien wie „Bombardiert Tel Aviv!“, empirisch oft flankiert mit offenem Judenhass auf jüngsten Demonstrationen in Deutschland, wären dieser Erklärung zufolge nicht antisemitisch. Die wissenschaftlich inkohärente „Erklärung“ wird dabei vom politischen Anliegen überfrachtet, die BDS-Kampagne vom Antisemitismus freizusprechen. Sie zielt de facto darauf, gegenüber verschiedenen Formen von Judenfeindschaft zu desensibilisieren und die Perspektive jüdischer Opfer von Antisemitismus auszugrenzen. In der Bagatellisierung antisemitischer Exklusionsformen spiegelt sich eine anti-universalistische Stoßrichtung des Textes, der Rassismus gegen Antisemitismus ausspielt, obwohl empirisch Antisemitismus (auch israelbezogener) trotz seiner Besonderheit als Ressentimentsstruktur stark mit Rassismus korreliert—und umgekehrt die Sensibilisierung gegenüber Antisemitismus meist mit der Sensibilität gegenüber Rassismus einhergeht. Aufbauend auf der IHRA-Definition müsste der Blick deshalb—analog zum Rassismus—auch auf institutionellen Antisemitismus ausgeweitet werden, der sich u.a. darin manifestiert, wenn innerhalb einer Organisation oder Kampagne judenfeindlicher Hass und antisemitische Gewalt toleriert werden und Opfer, die dies beklagen, ausgegrenzt werden.

Vor kurzem haben 200 Personen aus unterschiedlichen Berufsfeldern, darunter vor allem zahlreiche Intellektuelle aus den USA, Deutschland und Israel, in den entsprechenden drei Sprachen eine „Jerusalemer Erklärung“ veröffentlicht, die sich u.a. zum Ziel setzt, Antisemitismus zu definieren. Diese „Erklärung“ erzielte in Teilen der deutschen Öffentlichkeit eine teils erhebliche, wenn auch eher kurzzeitige Medienresonanz. Sie ist aber, wie einige andere neue Erklärungen, Manifeste und Definitionen, durchaus Teil des politischen Gesprächs über Antisemitismus geworden. Ausgangspunkt der „Erklärung“ ist die Kritik ihrer Autor:innen an der mittlerweile breit, international und weithin institutionell anerkannten Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Die Arbeitsdefinition der IHRA, die mittlerweile von etlichen Länderparlamenten in der ganzen Welt sowie u.a. vom Europäischen Parlament, der Europäischen Kommission und der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Council of Europe unterstützt wird, lautet: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Antisemitismus umfasse hierbei, so wird von der IHRA erläutert, „oft die Anschuldigung, die Juden betrieben eine gegen die Menschheit gerichtete Verschwörung und seien dafür verantwortlich, dass ‚die Dinge nicht richtig laufen‘. Der Antisemitismus manifestiert sich in Wort, Schrift und Bild sowie in anderen Handlungsformen, er benutzt unheilvolle Stereotype und unterstellt negative Charakterzüge.“[1]

Dazu wird ergänzend von der IHRA definiert, was als antisemitische Straftaten und als antisemitische Diskriminierung zu verstehen ist: „Straftaten sind antisemitisch, wenn die Angriffsziele, seien es Personen oder Sachen – wie Gebäude, Schulen, Gebetsräume und Friedhöfe – deshalb ausgewählt werden, weil sie jüdisch sind, als solche wahrgenommen oder mit Jüdinnen und Juden in Verbindung gebracht werden. Antisemitische Diskriminierung besteht darin, dass Jüdinnen und Juden Möglichkeiten oder Leistungen vorenthalten werden, die anderen Menschen zur Verfügung stehen.“[2] Die IHRA bietet dazu zur Orientierung elf Beispiele von aktuellem Antisemitismus „im öffentlichen Leben, in den Medien, Schulen, am Arbeitsplatz und in der religiösen Sphäre” und betont dabei, dass sich Erscheinungsformen von Antisemitismus können „auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten“ können. Unter den Beispielen finden sich sieben, die auch israelbezogenen Antisemitismus einbeziehen, so etwa: „Der Vorwurf gegenüber den Jüdinnen und Juden als Volk oder dem Staat Israel, den Holocaust zu erfinden oder übertrieben darzustellen.“ Ferner: „Das Verwenden von Symbolen und Bildern, die mit traditionellem Antisemitismus in Verbindung stehen (z.B. der Vorwurf des Christusmordes oder die Ritualmordlegende), um Israel oder die Israelis zu beschreiben.“[3] Oder: „Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.”[4] Letzteres Beispiel spiegelte sich u.a. in der UN-Resolution 3379 von 1975, die kategorisch „Zionismus“, also die Bewegung für ein Recht auf jüdische politische Selbstbestimmung und die Existenz des Staates Israel, als eine Form des „Rassismus“ brandmarkte; sie wurde 1991 selbst von der traditionell nicht gerade pro-israelischen UN-Generalversammlung mit deutlicher Mehrheit zurückgenommen und wurde wegen ihres Antisemitismus 1998 von UN-Generalsekretär Kofi Annan als ein „Tiefpunkt“ der UN-Geschichte bezeichnet. Doch zurück zur IHRA. Von ihr wird im Anschluss an die Definition unterstrichen: „Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.“[5]

Die Autor:innen der „Jerusalemer Erklärung“ behaupten dagegen, jene IHRA-Definition—nunmehr in der Tat von vielen Institutionen unterstützt, aber ohne jeden Anspruch auf Rechtsverbindlichkeit oder als Instrument der Strafverfolgung konzipiert und institutionalisiert — sei „unklar“. Sie verwische „den Unterschied zwischen antisemitischer Rede und legitimer Kritik am Staat Israel und am Zionismus“ und „delegitimiert gleichzeitig die Stimmen von Palästinenser:innen.“[6] Die Verfasser:innen der „Deklaration“ meinen, eine „präzisere Kerndefinition“ und ein „kohärentes Set von Leitlinien“ als „Alternative zur IHRA“ vorlegen zu können, die „klarer, kohärenter und nuancierter“ sei und den „Schutz von Meinungsfreiheit“ biete. Wesentliches Ziel neben einer Neudefinition von Antisemitismus sei der Kampf darum, „Räume für eine offene Debatte über die umstrittene Frage der Zukunft Israels/Palästinas zu wahren”, einschließlich „möglicher politischer Lösungen, zum Beispiel Ein-Staaten- oder Zwei- Staaten-Lösung“. Flankiert werden diese expliziten Ziele der „Erklärung“ von zahlreichen Äußerungen von Aktivist:innen der „Erklärung“, die IHRA-Definition würde die „freie Meinungsäußerung beschneiden“ und dazu benutzt, „Israelkritik“ zu verbieten, Kritik an Israels Regierung „mundtot“ machen, und insbesondere die Bewegung BDS als antisemitisch zu stigmatisieren und zu kriminalisieren—weshalb die „Jerusalemer Erklärung“ entstanden sei. Was aber ist die Substanz dieser Kritik? Und was liefert diese neuerliche „Jerusalemer Erklärung“ gegenüber der anerkannten IHRA-Definition—und was liefert sie nicht?

Ohne eine umfassende Textexegese aller aus wissenschaftlicher Sicht problematischen Formulierungen der „Jerusalemer Erklärung“ bieten zu wollen, sollen im Folgenden die grundlegenden Schwächen dieses Textes aufgezeigt werden, die seine Brauchbarkeit für die Auseinandersetzung mit Antisemitismus grundsätzlich in Frage stellen. Dabei geht es insbesondere um die (1) die Unklarheit der vorgeschlagenen Definition(en) der „Jerusalemer Erklärung“, die deutlich inkohärenter ist als die IHRA-Definition und schwer anzuwenden ist, (2) den—in mehrfacher Hinsicht signifikanten—Rückschritt dieses Textes im Vergleich zum Stand der neueren empirischen Antisemitismus- und Rassismusforschung sowie (3) seine politische Schlagseite im Sinne traditioneller Diskurse einer partikularistischen ‘Palästina-Solidarität‘, die jüdische Identitäten, Gewalt- und Ausgrenzungserfahrungen im Nahen Osten und im Rest der Welt weitgehend außen vor lässt. Die hier dargelegte Kritik kann zugleich als Handreichung und Argumentationshilfe für Kolleg:innen in Wissenschaft und pädagogischer Praxis dienen, um aufzuzeigen und verständlich zu machen, warum dieser Text in der empirischen Antisemitismusforschung und den jüdischen Communities auf so breite Ablehnung stößt.

1. Was ist Antisemitismus? Zu definitorischen Inkohärenzen, subjektiven „Intentionen“ und kulturellen „Identitäten“, die den Blick auf Judenfeindschaft verstellen

 Jede Definition kann kritisiert werden und mag ihre Schwächen haben—kaum ein/e Antisemitismusforscher:in wird den Gegenstand Antisemitismus genau identisch fassen. So ist dies grundsätzlich in den Sozialwissenschaften. Die zitierte IHRA-Arbeitsdefinition reflektiert indes sehr weitgehend den Konsens in der Forschung. Sie ist präzise formuliert in ihrem Kern und bietet in ihren Erläuterungen und Beispielen klare Kriterien zum Erkennen antisemitischer Phänomene. Sie adressiert dabei alle Formen des gegenwärtigen Antisemitismus, einschließlich israelbezogener und alltagskommunikativer. Auch unterscheidet sie deutlich Antisemitismus von jeglicher—auch möglicherweise unfairer oder überzogener—Kritik an israelischen Regierungen; Kritik an Israels Politik und an Israelis muss nicht, kann aber antisemitisch sein.[7] Kein Aspekt der IHRA-Definition oder ihrer Beispiele beschneidet, anders als von dieser „Jerusalemer Erklärung“ insinuiert, in irgendeiner Weise die Meinungsfreiheit oder die „Rechte der Palästinenser:innen“. An keiner Stelle werden „Stimmen von Palästinenser:innen“ „delegitimiert“, wenn sie sich nicht antisemitisch äußern. Allerdings werden von der IHRA ebenso klar Formen eines israelbezogenen Antisemitismus angeführt, der mit Bezug auf „Israel“ oder „Zionismus“ Juden diskriminiert oder Israelis dämonisiert. Solcher Antisemitismus ist empirisch oftmals verschränkt mit neuen verschwörungsmythischen Fantasien—und stellt mit diesen die vorherrschende Form des Antisemitismus heute dar.[8]

 Dagegen ist die „Jerusalemer Erklärung“ schon in ihrem Ansatz unpräzise. Dort heißt es: „Antisemitismus ist Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden (oder jüdische Einrichtungen als jüdische).“[9] Was aber soll das heißen? Wenn jemand etwa dazu aufruft, „die Zionistenschweine“ zu „vernichten“—richtet sich das überhaupt gegen Juden „als Juden“ oder dann „nur“ gegen „die Zionisten“ und wäre demnach als ‚legitime Israelkritik‘ zu verstehen? Und wie verhält es sich beim Propagandaslogan der Neonazi-Partei „Die Rechte“, „Israel ist unser Unglück“? Der Definition zufolge wäre nicht mal dies antisemitisch, denn hier werden Juden und der jüdische Staat ja nicht „als Juden“ angegriffen, sondern „nur“ Israel—in Adaption der Parole „die Juden sind unser Unglück!“ des deutschen Historikers Heinrich von Treitschke—für „unser Unglück“ verantwortlich gemacht. Reicht es dann dieser Definition nach, wie heute unter Antisemit:innen üblich, einfach das Wort Jude durch „Zionist“ zu ersetzen, und der Judenhass wird koscher? Ist es demnach auch „nicht antisemitisch“, Juden und allen Israelis „als Israelis“ den Tod zu wünschen oder ihnen Gewalt anzutun? Wenn israelische Bürger:innen in Berlin auf offener Straße angespuckt, angegriffen oder bepöbelt werden, wenn sie Hebräisch reden, richtet sich die Gewalt der Definition nach „nur“ gegen Israelis und Israel, also nicht gegen Juden „als Juden“—dürfte es sich demnach auch hier nicht um Antisemitismus handeln, sondern z.B., wie der Jugendforscher Michael Kohlstruck jüngst im Hinblick auf einen Gewaltakt gegen einen als Jude markierten Menschen auf offener Straße insinuiert hat, etwa um „jungmännertypisches Macht- und Selbstdarstellungsgebaren im politisierten Kontext des Nahost-Konflikts“[10]? Gilt ein Brandanschlag auf eine Synagoge dann als nicht antisemitisch, wenn explizit auf „Gaza“ verwiesen wird und nicht auf Juden „als Juden“ und Einrichtungen „als jüdische“? Analog dazu könnte man fragen, ob etwa Rassismus nur dann solcher wäre, wenn Schwarze offen „als Schwarze“ oder begleitet von offen rassistischen Diffamierungen diskriminiert und Objekt von Gewalt werden. Das kann wohl kaum—weder im Fall von Rassismus, noch im Fall von Antisemitismus—ernsthaft gemeint sein, aber genau dies suggeriert diese „Definition“.

Diskriminierung oder Gewalt müssen sich demnach gegen Juden „als Juden“ richten, um als Antisemitismus gelten zu können—und nicht etwa, weil sie Juden sind und/oder als Juden wahrgenommen werden, wie es trefflich und zugleich präzise bei der IHRA-Definition formuliert wird. Der Unterschied ist keinesfalls geringfügig. Die interpretationsoffene, unklare Formulierung, Antisemitismus sei Diskriminierung gegen „Juden als Juden“ geht auf einen alten Text von Brian Klug—einen der Autor:innen der „Erklärung“—aus dem Jahre 2003 zurück; ein Text, der seither nicht an Plausibilität und empirischer Triftigkeit gewonnen hat.[11] Zwar gestehen die Autor:innen später in ihren „Leitlinien“ allgemein zu, dass es auch „kodierte“ Formen von Antisemitismus geben könne. Doch dies steht im grundsätzlichen, auch logischen Widerspruch zur Formulierung in der Definition. Kodierte Formen werden dabei von den Autor:innen zudem auf wenige Extrembeispiele eingehegt—auf die Rede von „den Rothschilds“, oder die Darstellung von Israel als dem „ultimativ Böse[n]“. Aber inwiefern ist das der Logik dieser Definition zufolge überhaupt eine Feindseligkeit gegen Juden, wenn doch Juden „als Juden“ keine Erwähnung finden? Wer und wie soll dann etwas als Antisemitismus bewertet werden, wenn Juden prima facie nicht „als Juden“ diskriminiert werden? Die Formulierung „als Juden“ führt jede Definition, die auch Formen des modernen oder modernisierten—kulturellen, institutionellen, camouflierten oder israelbezogenen—Antisemitismus einbeziehen will, ad absurdum und erfasst nach strenger Auslegung fast gar keinen Antisemitismus mehr; nicht mal den, der in den „Leitlinien“ bzw. einigen Beispielen als solcher von den Autor:innen dieser „Erklärung“ ausgemacht wird.

Ohne Fundierung in einer klaren Definition und von Kriterien im Umgang mit Fällen von Antisemitismus, in denen Juden nicht „als Juden“ dämonisiert und diffamiert werden, öffnet die „Jerusalemer Erklärung“ so zugleich einer vollkommen willkürlichen, Bewertung dessen Tür und Tor, was Antisemitismus sein soll und was nicht, die dann auf subjektive politische Präferenzen der Autor:innen zurückgreift. Eine „anwendbare, prägnante und historisch fundierte Kerndefinition von Antisemitismus“ ist das gerade nicht. Wir finden hier eine ins Groteske übersteigerte Engführung einerseits, welche eine Anwendung so weit erschwert, das am Ende gar nichts mehr als antisemitisch erscheint, die andererseits dann durch beliebige Setzungen flankiert wird, die gänzlich ohne Kriterien operieren. Die Definition dieser „Jerusalemer Erklärung“ ist nicht einfach umstritten; sie ist, unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der empirischen Antisemitismusforschung, schlichtweg falsch und analytisch unbrauchbar.

Noch abenteuerlicher, wenngleich in Verlängerung jener subjektivistischen Willkür, wird es bei den Erläuterungen, die der „Erklärung“ in einer „Präambel“ vorangestellt werden, welche dem Text entweder den Anschein eines Rechtsdokuments verleihen sollen oder als ein politisches Manifest ausweisen (in wissenschaftlichen Texten gibt es weder „Präambeln“ noch „Declarations“). Die Autor:innen schreiben hier, sie wollen die „Intention hinter einer Äußerung“ und die „Identität des Sprechers“ bei der Bewertung, ob eine Aussage antisemitisch ist oder nicht, berücksichtigt sehen. Wir wissen indes aus der empirischen und rekonstruktiven Sozialforschung, wie schwer es ist, die subjektiven, vermeintlich „wahren Intentionen“ von Menschen hinter Aussagen zu rekonstruieren oder gar zu klären. Die Frage nach den „wirklichen Intentionen“ ist schon deshalb problematisch, weil Menschen vielfach solche angeblich wahren Intentionen selbst nicht kennen. Auch ist diese Frage kaum operationalisierbar—selbst im Forschungskontext nicht. Nicht die vermeintlich mögliche, hypothetisch wirkliche „Intention“ hinter Äußerungen, sondern der objektive, d.h. intersubjektiv erzeugte und geteilte Sinngehalt von Aussagen lässt sich bestimmen. Und danach lässt sich auch beurteilen, ob eine Aussage als antisemitisch (oder rassistisch) zu bewerten und zu kritisieren ist oder nicht—unabhängig davon, was jemand ‘eigentlich‘ gemeint haben mag oder welche „Identität“ ein/e Sprecher/in hat.

Und im übrigen: obschon in erster Linie Juden und Israelis Opfer von Antisemitismus sind und es sinnvoll ist, die jüdischen und israelischen Opfer von antisemitischer Diskriminierung ernsthaft und empathisch anzuhören (anstatt ihnen etwa zu unterstellen, sie wollten stets „Antisemitismusvorwürfe“ für bestimmte Interessen oder Zwecke „instrumentalisieren“)[12], so können gleichwohl auch Juden Antisemit:innen sein. Denn beim Antisemitismus handelt es sich um gesellschaftliche Ressentiments und Ideologien, nicht um eine Herkunftseigenschaft, die sich aus einer (Nicht-)Identität ableiten ließe. Identitäten oder Herkunft schützen keineswegs davor, Ressentiments zu internalisieren und zu reproduzieren.[13] Der kriterienlose, diffuse Verweis auf „Kontexte“, Perspektiven, „Intentionen“ und „Identitäten“, die klären sollen, ob eine Aussage antisemitisch ist oder nicht, öffnet diesen Text vollends für die Willkür unterschiedlichster freier Deutung dessen, was als Antisemitismus begriffen werden kann und was nicht. Nicht die IHRA-Definition, sondern die „Jerusalemer Erklärung“ ist unklar und „für unterschiedlichste Interpretationen offen“—im Kern der Definition und mit ihrem Verweis auf „Intentionen“ und „Identitäten“, die entscheidend seien. Was immer die Autor:innen mit ihrer Definition ‚gemeint‘ haben mögen, sie verkürzt Antisemitismus zur Unkenntlichkeit, so dass realer Antisemitismus heute gar nicht erfasst werden kann. Die „Definition“ ist zudem inkohärent und rechtfertigt letztlich eine beliebige subjektive Auslegung.

2. Wann ist ein Ressentiment „nicht per se“ ein Ressentiment? Zum Rückfall hinter die Antisemitismus- und Rassismusforschung und zum Problem der Desensibilisierung

Schwammigkeit und Inkohärenz spiegeln sich dann auch insgesamt in der Präambel sowie den Erläuterungen, Beispielen oder „Leitlinien“. Sie fallen insgesamt deutlich hinter den Stand der Antisemitismusforschung (und im Übrigen auch der Rassismusforschung) der letzten Jahrzehnte zurück. Erstens wird Antisemitismus im Rahmen der „Erklärung“ letztlich auf eine bloße Spielart des Rassismus reduziert. Mehr noch: nachdem zugestanden wird, Antisemitismus weise „einige spezifische Besonderheiten auf,“ wird noch im selben Satz ergänzt, der Kampf gegen ihn sei „jedoch untrennbar mit dem allgemeinen Kampf gegen alle Formen rassistischer, ethnischer, kultureller, religiöser und geschlechtsspezifischer Diskriminierung verbunden.“ Als sei es notwendig, beim Versuch, Antisemitismus zu begreifen und zu analysieren, noch im selben Satz seinen spezifischen Charakter und seine besonderen Funktionen, die sich vom Rassismus unterscheiden, unmittelbar zu relativieren und in einem „Kampf“ gegen rassistische, ethnische, kulturelle, religiöse oder geschlechtsspezifische Diskriminierung aufzuheben—und als sollten Juden, die zum Objekt von Antisemitismus werden, Judenfeindschaft künftig nicht thematisieren dürfen, ohne auch z.B. auf den „Kampf“ gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung zu verweisen. Man würde das zurecht auch nicht von Frauen, Schwarzen oder diskriminierten ethnischen Minderheiten erwarten.

Selbstverständlich existieren dabei auch generalisierbare Dimensionen des Antisemitismus, die mit anderen Formen kollektiver Diskriminierung vergleichbar sind. Im Übrigen ist—auf Erklärungsebene—die aktuelle aggressive globale Dynamik des Antisemitismus sicherlich mit der Zunahme breiter anti-demokratischer, autoritärer und menschenfeindlicher Regressionen und Transgressionen im digitalen Zeitalter verknüpft. Die Bagatellisierung der Besonderheit des Antisemitismus paart sich freilich in der „Jerusalemer Erklärung“ zudem mit einer ausdrücklichen Relativierung der spezifischen Dimensionen des Antisemitismus. Dieser hat nämlich nicht nur „einige Besonderheiten“, sondern fungiert im Unterschied zu anderen Diskriminierungsformen und Formen der Menschenfeindlichkeit als welterklärende, phantasmagorische und personifizierende Verschwörungserzählung sui generis. Diese schreibt Juden projektiv die unterschiedlichsten Eigenschaften zu—Macht und Schwäche, Geld und Geist, Kapitalismus und Kommunismus, Nationalismus und Kosmopolitismus, Individualismus und verschworene Gemeinschaftlichkeit etc.—und macht das Überleben von Nation und Menschheit von der „Befreiung“ von Juden, vom Judentum oder auch vom jüdischen Staat Israel abhängig. Da die Jerusalemer „Erklärung“ diese Spezifik nicht im Ansatz zu begreifen sucht sondern Antisemitismus als ein Vorurteil wie jedes andere beschreibt, beruht sie auf falschen Prämissen einer simplifizierenden, lang überholten Vorurteilsforschung (welche übrigens weder Antisemitismus, noch Rassismus und andere Diskriminierungsformen zureichend beschreibt).

Zweitens verstellen sowohl die vorgeschlagene Definition selbst, als auch die angefügten „Leitlinien“ trotz ihres dünnen Verweises auf potentielle Kodierungen weitgehend den Blick auf die kulturellen, institutionellen, subtilen und camouflierten Formen von Antisemitismus. Wenige würden sich heute noch selbst als „Judenfeinde“, „Antisemiten“ (oder auch als „Rassisten“) bezeichnen. Die Weigerung, mit Beispielen auch gegenüber solch subtilen, kulturellen und institutionellen Formen des Antisemitismus zu sensibilisieren (in diesen Diskussionen geht es ja nicht um rechtliche Sanktionen, sondern um Sensibilisierung und Bewusstmachen), die nicht prima facie „gegen Juden“ agitieren, und sich statt dessen darauf zu konzentrieren, was alles angeblich „nicht per se“ antisemitisch sei, stellt einen großen Rückschritt sowohl gegenüber den Leitlinien der IHRA als auch gegenüber der Antisemitismus- und Rassismusforschung im Allgemeinen dar.

Denn gerade die Rassismusforschung hat z.B. in den letzten Jahrzehnten in analytischen und empirischen Weiterentwicklungen aufgezeigt, dass auch kulturelle Mechanismen der Ausgrenzung sowie die Tolerierung und Akzeptanz von rassistischer Diskriminierung innerhalb einer Organisation als institutionell rassistisch gelten können. Die von Antisemiten in ganz Europa und der Welt propagierte (und auch von Neonazis sowie Terrororganisationen wie Hamas getragene oder unterstützte) israelfeindliche Bewegung „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS) sollte im Sinne einer kritischen Antisemitismus- und Rassismusforschung auf der Höhe der Zeit schon deshalb als antisemitisch begriffen werden, weil sie den teils offenen Antisemitismus und Judenhass ihrer prominentesten Wortführer:innen widerspruchslos toleriert und akzeptiert.[14] Dazu zählen Prominente wie der Musiker Roger Waters, der Juden mit „Schweinen“ identifiziert, auf die er Davidsterne und Dollarscheine malt. Dessen judenfeindliche Ressentiments werden von BDS genauso toleriert wie der Wunsch ihres Mitbegründers Omar Barghouti, der sich eine „Euthanasie“ des jüdischen Staates wünscht. Eine Gruppe, Institution oder Bewegung, die solche Judenfeindschaft in ihrer Mitte toleriert und ein entsprechendes judenfeindliches Klima schafft, sollte deshalb als institutionell antisemitisch begriffen werden. Selbst die IHRA-Leitlinien und Beispiele könnten hier ergänzt und erweitert werden, um auch solche institutionellen Formen von Antisemitismus, verstanden als kulturell selbstverständliche Tolerierung von antisemitischer Hasssprache in Gruppen, Organisationen, Bewegungen und Institutionen, noch besser zu erfassen. Die Jerusalemer Erklärung zielt jedoch augenscheinlich auf das Gegenteil: sie scheint solch institutionellen Antisemitismus kategorisch bestreiten zu wollen—zu fragen wäre folgerichtig, ob die Autor:innen auch institutionellen Rassismus bestreiten—und erstellt statt dessen eine lange Liste von Beispielen, die „nicht per se“ antisemitisch seien. Die „Erklärung“ ruft mit dieser Liste, wie ich im Folgenden erläutere, zu einer größeren Tolerierung statt einer größeren Sensibilisierung gegenüber antisemitischen Codes auf.

Vor allem werden in der „Erklärung“ also alle möglichen Aussagen darüber gemacht, was alles “nicht per se“ oder gar nicht antisemitisch ist. Dies geschieht im Besonderen in Bezug auf Israel(feindschaft).[15] Einerseits werden dabei Binsenweisheiten formuliert, die sich der rhetorischen Figur des Strohmann-Argumentes bedienen, d.h. es werden Positionen ‘widerlegt‘, die gar nicht im öffentlichen Raum existieren und mindestens implizit—und fälschlich—der IHRA-Definition zugeschrieben werden. Kritik an Israel, die „übertrieben oder überzogen“ sei, sei „nicht per se antisemitisch“, ebenso wenig „faktenbasierte Kritik am Staat Israel“—doch wirklich niemand in Forschung und Politik behauptet weder das eine oder das andere. Im Geiste dieser „Leitlinien“ reklamierte flankierend Monique Eckmann jüngst in Unterstützung der „Erklärung“, „sich für die Rechte der Palästinenser einzusetzen, ist nicht per se antisemitisch.“[16] Gibt es, so wäre zu fragen, überhaupt eine Person auf der Welt, die behaupten würde, es sei „per se antisemitisch“, sich für Rechte von Palästinenser:innen einzusetzen? Andererseits werden freilich alle möglichen Formen und Beispiele eines faktisch existierenden israelbezogenen Antisemitismus von den Autor:innen hier mit dem Mittel hypothetischer Formulierungen als „nicht per se“ antisemitisch begriffen—und damit gezielt verschiedenste Formen insbesondere des israelbezogenen respektive antizionistischen Antisemitismus bagatellisiert, legitimiert und satisfaktionsfähig gemacht.

Die zuvor dargelegte Bagatellisierung von institutionellem, kulturellem und codiertem Antisemitismus—de facto eine Aufforderung zur De-Sensibilisierung gegenüber antisemitischen kulturellen Codes und camouflierten Ressentiments—führt uns dergestalt also drittens zum Problemkomplex des israelbezogenen Antisemitismus. Obwohl es sich hierbei um eine, wenn nicht die dominante Form gegenwärtiger antisemitischer Artikulationsformen handelt, wollen die Autor:innen der „Erklärung“ den israelbezogenen Antisemitismus weitgehend ausgespart sehen und verwenden auf dessen Relativierung die Mehrheit ihrer „Leitlinien“. Dass der „Zionismus“ wie der Nationalsozialismus sei; dass es sich bei dem jüdischen Staat um einen einzigartigen Fall von „Siedlerkolonialismus“ und „Apartheid“ handele; dass an den jüdischen Staat Maßstäbe angelegt werden, die für kein anderes politisches Gemeinwesen geltend gemacht werden; dass der jüdische Staat zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer eliminiert bzw. „vom Fluss bis zum Meer“ ‚befreit‘ werden soll—wovon, wenn nicht von Juden?— all das soll nun, so wünschen es die Verfasser:innen der “Erklärung“, nicht mehr „per se“ als antisemitisch gelten, obwohl es von der überwältigenden Mehrheit von Juden genau so verstanden wird—als antisemitisch. Und obwohl Israel heute das „wichtigste und prägnanteste Symbol für jüdisches Leben und Überleben“ darstellt[17] und die Diskussion in israelfeindlichen Kreisen um die Befreiung „Palästinas“, für welche die Autor:innen den „Raum“ öffnen wollen–nach aller historischer Erfahrung bisheriger Vertreibungen und Gewalt–nicht nur die Vernichtung Israels, sondern auch das Ende jüdischen Lebens im Nahen Osten überhaupt bedeuten würde.

Hier sind wir beim offen politischen Charakter, der Agenda dieses Textes angelangt—und bei der erstaunlichen, wissenschaftlich kaum haltbaren politischen Kernaussage der „Erklärung“, dass „Antizionismus und Antisemitismus“ sich „grundsätzlich“ unterschieden.[18] Die Aussage findet sich im erläuternden Teil „Fragen und Antworten“. Aber der Geist dieser Behauptung, welche den Sound der so genannten „Palästina-Solidarität“ seit 1967 sowie der 1970er und 1980er Jahre atmet[19], durchzieht den ganzen Text. Die Behauptung dieser „grundsätzlichen“ Differenz ist historisch und empirisch falsch. Sie steht im Widerspruch zu den Erkenntnissen der Antisemitismusforschung. Die Aussage überrascht freilich insbesondere angesichts der historischen Bildung von nicht wenigen der Unterzeichner:innen.

Nur weil es geschichtlich auch antizionistische Positionen gegeben hat, die nicht antisemitisch gewesen sind, sind Antizionismus und Antisemitismus keinesfalls „grundsätzlich“ verschieden. Im Gegenteil: Sogar vor der Staatsgründung Israels war die überwältigende Mehrheit antizionistischer Positionen antisemitisch—man denke allen voran an die Nationalsozialisten. Denn der rassistische Vernichtungsantisemitismus der Nazis war von Anfang an dezidiert antizionistisch. Vorangetrieben wurde der Hass auf „den Zionismus“ vor allem von Adolf Hitler in seiner „grundlegenden“ Rede über Antisemitismus, „Warum sind wir Antisemiten?“, gehalten vor über hundert Jahren am 13. August 1920. „Der ganze Zionistenstaat“, so Hitler „soll nichts werden als die letzte vollendete Hochschule ihrer internationalen Lumpereien, und von dort aus soll alles dirigiert werden.“[20] Diese antizionistische Propaganda überlagerte alsbald, und schon lange vor der Staatsgründung Israels, die nicht-antisemitische Zionismus-Kritik durch Juden, die assimilatorisch argumentierten. Die Fantasie vom Zionismus als Agent einer jüdischen Weltverschwörung wurde dabei rasch zu einem „Eckpfeiler der NS-Ideologie“.[21] Der NS-Ideologe Alfred Rosenberg sah, so Francis Nicosia in seiner Studie, dabei „alle Juden als Zionisten und Zionisten als Stellvertreter des gesamten Judentums.“[22] Hitler und Rosenberg sahen den Zionismus als globale ‚Gefahr für den Weltfrieden‘ und einen jüdischen Staat im Nahen Osten als wurzelloses, illegitimes ‚Gebilde‘, das keine Existenzberechtigung habe.

Die innige Verschränkung von Antizionismus, als spezifische Ideologie der grundsätzlichen Negation jüdischer kollektiver Selbstbestimmung und als Feindschaft gegen Israel, und Antisemitismus hat seither weiter zugenommen. Auch die aktuelle empirische Forschung zeigt immer wieder die enge Affinität von Antizionismus und Antisemitismus. Edward H. Kaplan und Charles A. Small zeigen in einer empirischen Studie auf Grundlage einer Befragung in zehn europäischen Ländern, dass Antisemitismus mit dem Grad anti-israelischer Einstellungen stark korreliert.[23] Befragte mit ausgeprägt anti-israelischen Einstellungen sind um ein Sechsfaches wahrscheinlicher ebenfalls antisemitisch als Befragte, die keine anti-israelischen Aussagen unterstützen.[24] Andere Untersuchungen belegen übrigens, dass Israelfeindschaft nicht nur mit Antisemitismus, sondern auch mit Rassismus stark korreliert, u.a. gegenüber Palästinenser:innen.[25] Den Verfasser:innen, die in ihrer “Erklärung“ insbesondere „Universalismus“ einklagen (siehe unten), scheinen indes auch diese empirischen Befunde—wie die Befunde zum israelbezogenen Antisemitismus überhaupt—nicht bekannt zu sein.[26]

3. Der inszenierte Sprechakt: Wissenschaftlicher Beitrag oder politisches Manifest?

Der unerklärt politische Charakter und die besondere politische Schlagrichtung der „Erklärung“, die zugleich im wissenschaftlichen Gewand erscheinen möchte, zeigen sich zudem in der Inszenierung des Sprechaktes. Am Anfang der „Erklärung“ heißt es, sie sei von „Wissenschaftler:innen“ verfasst, „die in der Antisemitismusforschung und in verwandten Bereichen arbeiten, darunter Jüdische Studien, Holocaust-, Israel-, Palästina- sowie Nahoststudien“ unter „Einbeziehung“ von „Vertreter:innen der Zivilgesellschaft“[27]. Dieser selbstbewusst proklamierte Ort des Sprechaktes ist in mannigfacher Hinsicht problematisch.

Es handelt sich bei den Autor:innen nämlich mehrheitlich um fachfremde Autor:innen, die sich bisher wenig oder gar nicht in ihrem Berufsleben für Antisemitismus interessiert oder diesen erforscht haben. Die „Palästina-Studien“ können z.B. wohl kaum als ein „verwandter Bereich“ der Antisemitismusforschung gelten. Personen, die sich in ihrer Arbeit wissenschaftlich mit dem Holocaust und Antisemitismus auseinandersetzen, sind tatsächlich überhaupt nur sehr wenige vertreten, dafür u.a. literarische Schriftsteller:innen, freie Autor:innen, Wissenschaftsmanager:innen, Philosoph:innen, (Alt-)Historiker:innen, durchaus zahlreiche Vertreter:innen aus Jüdischen und Islamischen Studien, etliche bekannte politische Aktivist:innen der ‘Israelkritik‘ sowie einige wenige Holocaustforscher:innen. Deshalb mutet es besonders merkwürdig an, dass die Autor:innen von sich selbst behaupten, sie spiegelten „klar die fachliche Autorität wissenschaftlicher Expert:innen aus den relevanten Feldern wider.“

Die Aussage ist vor dem Hintergrund der mangelnden fachlichen Forschungsexpertise bemerkenswert, sie strapaziert die faktische Realität aber auch darüber gleich mehrfach. In Bezug auf das, wofür die Unterzeichner:innen dieses Aufrufs sich „klare fachliche Autorität“ bei ihrem Sprechakt zuschreiben und ein Recht auf Definitionsmacht beanspruchen—nämlich Antisemitismus und Antisemitismusforschung—repräsentieren selbst diejenigen wenigen Autor:innen, die Fachautorität besitzen, bestenfalls eine sehr kleine Minderheiten-Position; anders als unglücklicherweise auch in einigen Medien unkritisch kolportiert. Die große Mehrheit international anerkannter Antisemitimusforscher:innen und entsprechender Institutsleitungen fehlt, und dies nicht ohne Grund. Vom 28-köpfigen Advisory Board der international führenden Fachzeitschrift der Antisemitismusforschung, „Antisemitism Studies“, sind es z.B. gerade einmal zwei, Sander L. Gilman und Miri Rubin, welche diese „Erklärung“ unterstützen. Dafür finden sich bei den Autor:innen der „Erklärung“—in manchen medialen Meldungen sind es nicht nur fälschlicherweise 200 „Holocaustforscher:innen“, sondern gleich die „renommiertesten“ unter ihnen (Deutschlandfunk)—auch notorische Antisemitismusverleugner:innen oder solche, die selbst bereit sind, antisemitische Ressentiments zu ventilieren. Mit dabei sind z.B. der Verschwörungsideologe Richard Falk, der 9/11 für einen „inside job“ hält, offen antisemitische Cartoons verbreitet hat und Israels Politik gegenüber Palästinenser:innen mit dem Holocaust gleichsetzt, sowie der Historiker Sergio Luzzatto, der 2007 insinuierte, antisemitische Ritualmordlegenden seien „wahr“ und deshalb das antisemitische Buch „Passover of Blood“ von Ariel Toaff lobte.[28] Darin behauptet Toaff, Juden würden Kinder töten, um Matzebrot zu backen.[29] Die Qualifikation oder „klare fachliche Autorität“ ausgerechnet solcher Autor:innen, definieren zu wollen, was Antisemitismus ist und vor allem was angeblich alles nicht Antisemitismus ist, ja dabei sogar noch „klar“ Definitionsmacht beanspruchen zu wollen, erscheint trotz der Selbstdarstellung, hier würden sich wissenschaftliche Autoritäten zum Thema melden, äußerst fragwürdig. Insgesamt liest sich die Autor:innenliste des Aufrufs neben einigen seriösen, jedoch zumeist fachfremden Wissenschaftler:innen weitgehend wie ein Who is Who einschlägiger jüdischer und nicht-jüdischer „Israelkritiker:innen“, die sich bereits seit Jahren in etlichen politischen Kampagnen gegen Israel engagiert haben—wie u.a. der BDS-Aktivist Neve Gordon oder auch Moshe Zuckermann, der seit langem nicht den Antisemitismus sondern den „Antisemitismus-Vorwurf“ als größere Gefahr, als „Herrschaftsinstrument“, ja als eine „fürchterliche Epidemie“ erachtet.[30]

Es ist, nebenbei bemerkt, auch nur eine sehr kleine Minderheit in den jüdischen Gemeinschaften und im jüdischen Staat Israel, welche im Geist dieser „Erklärung“ vornehmlich „Antisemitismusvorwürfe“ als Problem sieht. Für die überwältigende Mehrheit von Juden weltweit ist ein in unserer Zeit global grassierender, nicht nur über soziale Medien auch politisch immer unverhüllter artikulierten Antisemitismus das Problem. Dieser bedient sich insbesondere des Mediums Antizionismus und reicht weit in etablierte Medien und Öffentlichkeiten. Für die große Mehrheit von Juden ist die mangelnde gesellschaftliche Auseinandersetzung mit—auch und gerade israelbezogen artikulierten sowie subtilen, camouflierten und institutionellen Formen des—Antisemitismus und judenfeindlicher Gewalt. Wissenschaftliche Umfragen unter und Interviews mit Juden zeigen, dass Mitglieder jüdischer Gemeinden in großer Mehrheit beklagen, dass Antisemitismus aggressiver öffentlich artikuliert wird—und dass gegen sie gerichtete antisemitische Ausgrenzung und Gewalt nicht als solche erkannt wird, sobald „Israel“ oder „die Zionisten“ in den Diskurs geschoben wird.[31] Man denke nur an das Beispiel des antisemitischen Brandanschlags auf die Wuppertaler Synagoge im Juli 2014, bei dem das Amtsgericht zunächst urteilte, es lägen keine „Anhaltspunkte“ für ein judenfeindliches Motiv vor. Die männlichen Täter hätten lediglich die „Aufmerksamkeit auf den Gaza-Konflikt lenken“ wollen.[32] Dieses Urteil, in höherer Instanz glücklicherweise revidiert, exemplifiziert den Grad der gesellschaftlich signifikanten Antisemitismusverleugnung, insbesondere sobald „Israel“ als Schlagwort in der Begründung von Hass, Ausgrenzung und Gewalttaten erscheint.

Worum es in der „Erklärung“ politisch geht—und dies nicht nur in deren Subtext—ist nicht zuletzt auch die Exkulpation der BDS-Bewegung vom Antisemitismus (auch wenn die Autor:innen reklamieren, sie hätten „unterschiedliche Ansichten“ zu BDS, also nicht alle selbst BDS unterstützen). Mehrere Autor:innen des Textes haben dies bereits öffentlich bezeugt, und die Leitlinie 14 sagt dies zudem explizit.[33] Rhetorik und Methoden der BDS-Kampagne werden in den „Leitlinien“ und Beispielen direkt und indirekt zitiert und in allen möglichen Wendungen als „nicht per se antisemitisch“ deklariert. Formulierungen aus der BDS-Kampagne und aus der aggressiven, gegen Juden im Nahen Osten gerichteten Rhetorik des militanten palästinensisch-nationalistischen und des radikal-islamistischen ‘Befreiungskampfes‘—welcher „Palästina“ “vom Fluss bis zum Meer“ befreit sehen will—werden dabei direkt übernommen und als Beispiele für die Abwesenheit von Antisemitismus herangezogen. Sie werden nicht als Angriff auf die jüdische Existenz im Nahen Osten bewertet. [34] Sondern solch israelfeindliche Parolen werden seitens der „Erklärung“ umgedeutet zu harmlosen, gewaltfreien Vorschlägen „diverse[r] verfassungsrechtliche[r] Lösungen für Juden und Palästinenser in dem Gebiet zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer“—und damit als eine bloße friedliche, verfassungsrechtliche Debatte verharmlost  und nicht als das erkannt, was diese Parole de facto darstellt: einen Mordaufruf gegenüber Juden im Nahen Osten, den nicht nur Hamas und Hisbollah als solchen faktisch formulieren und mit wahllosem Terror gegen Juden praktizieren. Die gewalttätigen Implikationen und auch aktuell wieder erfahrbaren Realitäten einer solchen, angeblich „nicht per se“ judenfeindlichen „Lösung“ für Juden werden ignoriert.[35] Und dies, obwohl der innige Zusammenhang zwischen Israelhass, Vernichtungswünschen gegenüber dem jüdischen Staat und Antisemitismus immer wieder empirisch bestätigt wird. Auch hierzulande amalgamieren Judenfeinde ihre bedingungslose „Israelkritik“ gerne mit offen judenfeindlichen Agitationen—u.a. auf den gewalttätigen israelfeindlichen und antisemitischen Demonstrationen unter Beteiligung der BDS-Kampagne, auf denen vor Synagogen „Freiheit für Palästina…zwischen Fluss und Meer“ ebenso skandiert wird wie „Kindermörder Israel“ und „Scheißjuden“.[36]

Ferner wird u.a. fälschlicherweise in der „Erklärung“ behauptet, „Boykott, Desinvestition und Sanktionen” seien „gängige, gewaltfreie Formen des politischen Protests gegen Staaten.“ In Wahrheit existiert eine entsprechend umfassende Total-Boykott-Politik und Parole von „BDS“ einzig im Kontext der Bekämpfung des jüdischen Staates Israel und nirgendwo sonst. Die hier behauptete ‘gängige Protestform‘ ist eine Erfindung. Es ist ansonsten kein einziger Fall im 21. Jahrhundert bekannt, bei dem neben Sanktionen beispielsweise auch „Desinvestition“ gefordert worden wäre, oder bei dem Menschen in einer globalen Kampagne aufgrund ihrer bloßen Herkunft oder Staatsbürgerschaft boykottiert, diskriminiert und perhorresziert werden. Und das, obwohl schon jetzt auch dieses 21.Jahrhundert ein Zeitalter von Krieg und Massenverbrechen ist, und zwar jenseits des israelisch-arabischen Konfliktes sowohl im Nahen Osten als auch weltweit—man denke allein an die mindestens 500.000 Toten, darunter viele mit palästinensischem Hintergrund, des Assad-Regimes mit Unterstützung Russlands und des Irans. Jakob Baier sieht BDS auch deshalb als eine „programmatisch und methodisch antisemitische Kampagne“.[37] Und Natascha Müller resümiert auf Basis einer empirischen Analyse der BDS-Kampagne triftig über deren „Antisemitismus im Menschrechtskostüm“: „Der transnationale BDS-Aktivismus … ist ein Aktivismus, der durch antisemitische Fantasien und einseitige Menschenrechtsforderungen für Palästinenser*innen den transnationalen Bokykottaktivismus gegen Israel legitimiert, während israelische Sichtweisen, Rechte und Forderungen delegitimiert, dämonisiert und hinter den Forderungen nach Rechten zum Schweigen gebracht werden. Die normative Unterscheidung zwischen legitimen – palästinensischen – und illegitimen – israelischen – Rechten folgt dabei der tradierten antisemitischen Fantasie von ‚Juden‘ als dem Anderen, dem ‚Bösen‘ der Menschheit.”[38]

In der „Erklärung“ lesen wir statt dessen zudem, dass weder die bedingungs- und kompromisslose “Ablehnung des Zionismus“—also eine Haltung, die exklusiv der jüdischen politischen Gemeinschaft ihre Existenzberechtigung abspricht—per se antisemitisch sei, noch offen „doppelte Standards“ als antisemitisch gelten sollten, die Juden und Israel aussondern und an diese exklusive Verhaltensmaßstäbe anlegen.[39] Der Boykott ausschließlich von Waren aus dem jüdischen Staat (und die entsprechende Erstürmung von Kaufhausregalen in Europa durch BDS-Aktivist:innen) sei demzufolge „nicht per se antisemitisch“ sondern allenfalls „unvernünftig“—selbst dann, wenn man zugleich keine Bedenken hat, auf Produkte zurückzugreifen, die aus chinesischen Arbeitslagern für Uigur:innen stammen. Schließlich wird im Sinne der BDS-Rhetorik sogar suggeriert, es sei nicht antisemitisch, Israel in toto als rassistisches Gemeinwesen zu verdammen. Ein vermeintlicher israelischer „Siedlerkolonialismus“ und „Apartheid“ könne dabei legitimer Weise für den Hass auf Israelis verantwortlich gemacht werden (auch das sei nicht „per se antisemitisch“). Selbst Israelhass, der sich unterschiedslos auf alle israelischen Juden richtet, sei demnach möglicherweise per „Identität“ nicht antisemitisch sondern nur eine „Emotion, die eine palästinensische Person aufgrund ihrer Erfahrungen durch Handlungen seitens der staatlichen Institutionen Israels empfindet.“ Solche Gruppenkonflikt-Theorie, wonach das Verhalten von Gruppen Ressentiments bei anderen Gruppen erzeugt, ist selbst in der antiquierten Vorurteilsforschung eigentlich lange—glücklicherweise—empirisch widerlegt. Denn diese seit langem wissenschaftlich obsolete These, die hier durch die Hintertür aktualisiert wird, macht die Objekte rassistischen oder antisemitischen Hasses letztlich für den Hass, den sie erfahren, selbst verantwortlich. Sie ist in der anti-israelischen Version gefährlich nah an den einstigen Hasskampagnen Jürgen Möllemanns. Der FDP-Politiker hatte im Bundestagswahlkampf 2002 u.a. den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon für Antisemitismus verantwortlich gemacht.[40] In Wahrheit ist Antisemitismus aber nicht die Folge eines Konfliktes im Nahen Osten, sondern der arabisch-israelische Konflikt im Nahen Osten wird zum Anlass genommen und genutzt, um Antisemitismus auszudrücken—wie sich im Frühjahr 2021 wieder gezeigt hat, als radikal vernichtungsantisemitische Fantasien sowohl zigtausendfach online geteilt als auch auf den Straßen Ausdruck fanden sowie Juden in Europa und auch in New York oder Los Angeles gewalttätig attackiert wurden, nachdem die Hamas mehrere tausend Raketen auf die jüdische und arabische Zivilbevölkerung in Israel abfeuerte.

Von manch anderen Formen des offenen sowie des institutionellen Antisemitismus von BDS ist in der „Erklärung“ wiederum keine Rede, obwohl jene Kampagne ein besonders großes Beispielsreservoir für Formen eines institutionellen Antisemitismus böte. Man denke an den BDS-Mitbegründer Omar Barghouti, der sich die „Euthanasie“ des jüdischen Staates wünscht[41]; oder an den von BDS nicht nur tolerierten, sondern gefeierten führenden Aktivisten Roger Waters, der Ballon-Schweine mit Davidsterne versieht und erst im Sommer 2020 in dem der antisemitischen Terror- und BDS-Unterstützerorganisation Hamas nahestehenden Nachrichtenportal Shehab behauptete, dass reiche Jüdinnen und Juden die US-Politik kontrollierten. Er bediente damit das antisemitische Phantasma von jüdischen Strippenziehern in der amerikanischen Politik und Wirtschaft.[42] Solch durch BDS faktisch positiv sanktionierter Antisemitismus, der sich nun wirklich offen gegen Juden „als Juden“ richtet, wäre selbst nach den diffusen Kriterien dieser „Jerusalemer Erklärung“ schwerlich in Abrede zu stellen—doch solche Beispiele tauchen erst gar nicht auf. Der Erklärung zufolge ist es wiederum explizit nicht „per se“ antisemitisch, wenn BDS Kaufhäuser und Läden in jüdischem Besitz boykottieren und bestürmen, die israelische Waren anbieten—trotz der besonderen Geschichte des April-Boykotts von 1933, der am Anfang der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden durch die NSDAP stand.[43] Dass BDS dabei repetitiv ausgerechnet den demokratischen Staat Israel, in dem anders als in anderen Staaten des Nahen Ostens Juden und Araber:innen gleiche Rechte haben und in allen grundgesetzlich verankerten, demokratischen Institutionen vertreten sind, in die Nähe des judenvernichtenden Nationalsozialismus rückt, und damit Juden zu den Nazis von heute erklärt, die man dann legitimer Weise dehumanisieren und angreifen darf—auch diese kollektive Täter-Opfer-Umkehr, die im Umgang mit den Opfern von Rassismus und Sexismus ebenfalls immer noch gängig ist, soll laut der „Erklärung“ und im Widerspruch zu den empirischen Befunden der Antisemitismusforschung nun nicht mehr „per se“ als antisemitisch gelten.[44] Vollkommen triftig hat der Deutsche Bundestag folgerichtig—auch hier ohne jegliche Rechtsverbindlichkeit—erklärt, BDS solle möglichst nicht mehr staatlich finanziert oder gefördert werden.[45]

Allerdings gibt es einen Punkt in den „Leitlinien“ der „Erklärung“, der BDS entgegen dem restlichen Framing des Textes de facto doch zu einer antisemitischen Kampagne erklärt. So heißt es, es sei antisemitisch, „Menschen, weil sie jüdisch sind, aufzufordern, Israel oder den Zionismus öffentlich zu verurteilen (z.B. bei einer politischen Versammlung).“ Solche Aufforderung ist ein unverrückbares Grundprinzip der BDS-Kampagne und gehört zu deren Kernrepertoire, wie u.a. Cary Nelson aufgezeigt hat.[46] Die öffentliche, ausschließlich an Juden gerichtete Aufforderung (und zwar nicht notwendig als Juden, aber weil sie Juden sind), sich von Israel zu distanzieren, reproduziert den christlich-antisemitischen Konversionszwang. Sie richtet sich bei BDS an alle jüdischen Israelis und oft auch an nicht-israelische Juden—aber immer exklusiv an Juden. Israelische Juden werden qua Herkunft, weil sie jüdisch sind von BDS-Aktivist:innen ohne Unterlass dazu aufgefordert, Israel und den Zionismus öffentlich zu denunzieren—und wer sich weigert, wird boykottiert, diffamiert oder niedergeschrien. Die BDS-Bewegung praktiziert dies konsequent. Die Beispiele hierfür sind zahllos. So wurde der amerikanisch-jüdische Reggae-Sänger Matisyahu im Vorfeld seines Auftritts beim spanischen Rototom Sunsplash Festival 2015 als einziger Musiker von BDS-Aktivist:innen dazu genötigt, weil er Jude ist eine BDS-Erklärung zu unterzeichnen. Als er sich weigerte, luden ihn die Festival-Verantwortlichen kurzerhand aus.[47] Ein Dokumentarfilm eines israelischen Filmemachers wurde vom Oslo Human Rights Film Festival abgelehnt, da er nicht von der Unterdrückung von Palästinenser:innen handele; bis seine Filme von der „illegalen Okkupation“ berichteten, würden sie nicht gezeigt werden.[48] Ein Vortrag der Holocaust-Überlebenden Deborah Weinstein wurde in Berlin niedergeschrien, weil sie sich als jüdische Israelin weigerte, Verachtung gegenüber ihrem Herkunftsland Israel auszudrücken.[49] Oftmals reicht den BDS-Aktivist:innen indes nicht einmal die faktische politische Distanzierung von Israel durch Juden und jüdische Israelis, sondern diese werden bedingungslos wegen ihrer Herkunft diskriminiert. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftler:innen hatte z.B. Achille Mbembe eine Teilnahme der renommierten Friedensforscherin Shifra Sagy an der Tagung „Anerkennung, Wiedergutmachung, Versöhnung: Licht und Schatten historischer Traumata“ im südafrikanischen Stellenbosch verhindert – weil Sagy jüdische Israelin ist.[50] Wer also erkennt, dass solche Praxis der Exklusion von Juden qua Herkunft antisemitisch ist, müsste folgerichtig auch zwingend erkennen, dass die BDS-Kampagne antisemitisch ist.

4. Alternativen zur Bagatellisierung von Judenfeindschaft durch die „Jerusalemer Erklärung“: Antisemitismusforschung und kosmopolitisches Ethos jenseits eines verzerrten Universalismus

Die „Jerusalemer Erklärung“, verfasst in der Form eines politischen Manifests oder Rechtsdokument mitsamt „Präambel“, ist nicht nur inkonsistent, sondern fällt auch weit hinter den Stand der Antisemitismus- und Rassismusforschung zurück. Mit dieser „Erklärung“ haben sich deren Autor:innen und Unterzeichner:innen sicherlich keinen Gefallen getan—trotz der partiellen öffentlichen Resonanz, die sie mit ihr erzielt haben.[51] Es konnte gezeigt werden, dass diese „Erklärung“ eine ungeeignete, für die Anwendung unklare und letztlich diffuse Definition bereitstellt, welche die meisten Ausdrucksformen von Antisemitismus nicht erfasst—nämlich diejenigen, in denen Juden semantisch nicht „als Juden“ ressentimentgeladen dämonisiert, diskriminiert und phantasiert werden. Camouflierte, kulturelle und institutionelle Formen fallen so a priori aus dem Blickfeld. Die vorgeschlagene Definition wird zudem mit nebulösen Verweisen auf Kontexte, „Identitäten“ und vermeintliche „Intentionen“ unterfüttert. Diese Verweise ersetzen zusätzlich klare Kriterien, um Antisemitismus als solchen zu erkennen. In der Konsequenz wird die Bewertung, ob etwas antisemitisch ist oder nicht, fast gänzlich von Kriterien befreit und subjektivistischer Willkür unterworfen—es ist dann alles eine bloße Frage der Perspektive. Schon im Kern fällt die „Erklärung“ so weit hinter die IHRA-Arbeitsdefinition zurück. Zudem verschwindet die Besonderheit von Antisemitismus als Verschwörungsmythos sui generis in einem antiquierten Verständnis der Judenfeindschaft als Vorurteil.

Auch die Beispiele und „Leitlinien“ der „Erklärung“ zeugen im Unterschied zur IHRA von einer erstaunlichen Unkenntnis der Antisemitismus- und Rassismusforschung der letzten Jahrzehnte. Jene haben auch subtile, camouflierte, kulturelle und institutionelle Formen von Diskriminierung, Dämonisierung und Judenhass in den Blick genommen, die nicht sofort als unverhüllte Judenfeindschaft erscheinen. Mehrheitlich werden in der „Erklärung“ im Gegensatz dazu Beispiele von Aussagen und Handlungen angeführt, die angeblich „nicht per se antisemitisch“ sein sollen. Darunter sind aggressive Formen der Täter-Opfer-Umkehr, die sich u.a. in der Gleichsetzung von Juden und des jüdischen Staates als Nazis oder Nationalsozialismus manifestieren kann, sowie doppelte, exklusiv an Juden und den jüdischen Staat angelegte Standards oder auch aggressive Vernichtungswünsche, die exklusiv gegen den jüdischen Staat Israel gerichtet sind—manifest etwa in der Parole einer Befreiung ‘Palästinas’ „vom Fluss bis zum Meer“, die in der „Jerusalemer Erklärung“ in Absehung der realen Gewaltdrohung als „verfassungsrechtliche Lösung für Juden und Palästinenser“ verharmlost wird. Aber auch antisemitische Vernichtungsfantasien wie „Bombardiert Tel Aviv!“, empirisch oft flankiert mit offenem Judenhass auf jüngsten Demonstrationen in Deutschland, wären der Definition und den Leitlinien der „Erklärung“ zufolge nicht antisemitisch. Insbesondere bagatellisiert die „Erklärung“ dabei israelbezogene Formen des Antisemitismus—einen antizionistisch legierten Antisemitismus, der den Hass auf „Zionisten“, „Zionazis“, den jüdischen Staat und die Phantasie von der Vernichtung jüdischen Lebens im Nahen Osten als Medium für Judenfeindschaft nutzt. Im Kontrast zu den gesicherten Befunden der historischen und empirischen Antisemitismusforschung, die auf enge Verbindungen von Israel- und Judenhass verweist, wird von den Autor:innen der „Erklärung“ behauptet Antizionismus sei „grundsätzlich“ von Antisemitismus zu scheiden. Wie sehr Israel- und Judenfeindschaft empirisch miteinander tatsächlich verwoben sind, zeigt sich heute einmal mehr bei den von BDS unterstützten Demonstrationen gegen Israel auf den Straßen Deutschlands und Europas, die auch von physischen Angriffen auf Juden, Synagogen und jüdische Einrichtungen flankiert werden.

Die Autor:innen reklamieren in ihrem Manifest einerseits mit Anspruch auf Definitionsmacht „klar die fachliche Autorität wissenschaftlicher Expert:innen“ für sich und suggerieren, sie wollten die IHRA-Definition lediglich wissenschaftlich präzisieren. Andererseits ist die „Erklärung“ in Form und Inhalt mitsamt „Präambeln“ und Antizionismus-Verteidigung ein kaum verhohlen politisches Manifest, das sich fundamental gegen die IHRA-Arbeitsdefinition richtet und welches ohne Bezug auf den Forschungsstand vor allem einen „Raum“ für die Diskussion „der politischen Zukunft für alle Bewohner:innen Israels und Palästinas“ schaffen will. Bei aller wissenschaftlichen Inkonsistenz, Implausibilität und Empiriefreiheit der in der „Erklärung“ geäußerten Behauptungen—das politische Motiv, BDS kontrafaktisch vom Antisemitismus freizusprechen und deren Israelhass zum legitimen Sprechakt zu erklären, überfrachtet den Text in seiner Gesamtkomposition. Er wird zwar nicht Kriterien wissenschaftlicher Kohärenz und Empirie gerecht, dafür folgt er aber weitgehend seinem politischen Anliegen, den israelfeindlichen Antisemitismus u.a. von BDS vom Makel der Judenfeindschaft befreien zu wollen.

Der Text zielt folgerichtig nicht auf die Diskreditierung aller Formen des Antisemitismus der Gegenwart, sondern auf die Diskreditierung der Kritik an Antisemitismus als überzogen; dabei wäre solche Kritik heute dringlicher denn je im Horizont zunehmender antisemitischer Straftaten, öffentlicher Legitimitätsgewinne von Judenfeindschaft und eines re-politisierten Antisemitismus, der bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. Die „Erklärung“ zielt dagegen de facto darauf, Menschen gegenüber verschiedenen Formen von Judenfeindschaft—einschließlich derjenigen, die sich des Mediums Israelfeindschaft bedient—zu desensibilisieren und die Perspektive jüdischer Opfer von Antisemitismus auszugrenzen. Statt Instrumente zu entwickeln, um Menschen gegenüber Antisemitismus auch jenseits offen judenfeindlicher Äußerungen zu sensibilisieren und zudem das Ausgrenzungs- und Gewaltpotenzial auch subtilerer judenfeindlicher Narrative und Bildsprachen erkenn- und sichtbar zu machen, konzentriert sich die vorgelegte „Erklärung“ auf die Abwehr solcher Erkenntnis und legitimiert jene als Phänomene, die „nicht per se antisemitisch“ seien. Anstatt die Stimmen von Antisemitismus betroffener Juden und jüdischer Gemeinden—von Europa bis in den Nahen Osten—ernst zu nehmen, kommen jüdische Opfer, die israelbezogene und andere Formen antisemitischer Verachtung und Gewalt beklagen, hierbei erst gar nicht vor. Sie werden auch kein Referenzpunkt von Empathie. Vielmehr wird nahegelegt, jüdische Organisationen, die IHRA und insgesamt Juden, die Antisemitismus in all seinen Formen kritisieren, wollten die „Meinungsfreiheit“ beschneiden und Kritik an israelbezogenem Antisemitismus pauschal und illegitimer Weise unter Antisemitismusverdacht stellen.[52] Statt z.B. auch jüdisch-israelische Opfer und deren Delegitimierung in den Blick zu nehmen, wenn sie israelbezogenen Antisemitismus thematisieren, wird ausschließlich vermeintliche „Delegitimierung“ der „Stimmen von Palästinenser:innen“ beklagt.[53]

 

Die IHRA-Definition bietet dagegen eine wissenschaftlich fundierte Grundlage zum Erkennen von Antisemitismus. Sie stellt klare Kriterien bereit, liefert anschauliche empirische Beispiele und beruht zugleich auf deutlichen Unterscheidungen zwischen der Kritik an israelischen Regierungen und antisemitischer „Israelkritik“, welche den Bezug auf Israel dazu nutzt, judenfeindliche Ressentiments und Gewaltfantasien auszudrücken. Anstatt die IHRA-Definition zu relativieren, müsste die in deren Kontext  vorgelegten Beispiele im Sinne der Forschung künftig noch erweitert werden, um noch stärker institutionelle Formen in den Blick zu bekommen—etwa, wenn Juden respektive jüdische Israelis gegenüber Anderen ungleich behandelt werden, oder wenn offener Antisemitismus innerhalb einer Organisation unwidersprochen bleibt (wofür u.a. die BDS-Kampagne mit ihrer Toleranz gegenüber dem Antisemitismus von Roger Waters, Omar Barghouti sowie Hamas und Hisbollah zahlreiche Beispiele liefert). Aufbauend auf der IHRA-Definition müsste also der Blick—analog zum Rassismus—auch auf institutionellen Antisemitismus ausgeweitet werden, der sich u.a. darin manifestiert, wenn innerhalb einer Organisation oder Kampagne judenfeindlicher Hass und antisemitische Gewalt toleriert werden und Opfer, die dies beklagen, ausgegrenzt werden.

Abgesehen davon, dass es zu einem universalistischen (Wahrheits- und Wissenschafts-)Anspruch gehört, den die „Erklärung für sich reklamiert, faktische Besonderheiten des Antisemitismus—der im Unterschied zum Rassismus u.a. als Weltverschwörungsfantasie fungiert—zu erkennen anstatt sie empiriefern zu nivellieren: Entgegen dem vermeintlichen Anliegen der Autor:innen, die Bekämpfung von Antisemitismus mit der Bekämpfung von Rassismus zu verknüpfen—selbstverständlich ist es immer gut und wichtig, sich gegen beides zu engagieren!—wird durch die Erklärung Antisemitismus gegen Rassismus ausgespielt. Denn der Logik der „Erklärung“ und ihrer Autor:innen nach kann man sich scheinbar nicht entschieden gegen israelbezogenen Antisemitismus einsetzen, der sich offen oder camoufliert gegen Juden richtet, und solchen auch benennen, ohne dabei rassistisch und/oder gegen die Rechte und „Stimmen“ von Palästinenser:innen zu sein. Umgekehrt wird ein Schuh aber daraus: Wer gegen eine Gruppe hetzt, das zeigen Studien zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit seit Jahren wieder und wieder (siehe oben), der neigt zugleich viel eher zugleich zu Ressentiments gegen andere Gruppen. Wer also Hass auf Juden und jüdische Israelis hegt—auch wenn dies codiert artikuliert wird im „Kampf“ gegen den „Kindermörder Israel“, im Boykott von Israelis wegen ihrer Herkunft, im Wunsch nach Vernichtung Israels, im „Kampf“ für die Eliminierung „der Zionisten“ vom „Fluss bis zum Meer“ oder der Lächerlichmachung etwa von „britischen Zionisten“—beziehungsweise offenen Antisemitismus toleriert oder institutionell akzeptiert, leistet zumeist auch Rassismus Vorschub. Dies gilt auch für BDS und andere Israelhasser:innen, die z.B. zum Terror und die Lynchjustiz, denen Palästinenser:innen durch den BDS-Partner Hamas täglich ausgesetzt sind und welche freie „Stimmen“ von Palästinenser:innen unterdrücken, beredt schweigen. In der Bagatellisierung von Formen antisemitischer Exklusion spiegelt sich im Kontrast zum angeblich universalistischen Anspruch der „Erklärung“ somit eine zutiefst anti-universalistische Stoßrichtung, die auch BDS selbst zueigen ist: ein de facto partikularistischer respektive „verzerrter“ Universalismus (in den Worten von Robert Fine und Philip Spencer), der nur selektiv Anwendung findet.[54] Jüdische Stimmen, die hierzulande oder in Israel Erfahrungen von antisemitischer Ausgrenzung und Gewalt thematisieren, geraten dabei nämlich ebenso aus dem Blick wie Palästinenser:innen als Opfer von Exklusion, die sich nicht mit Israel in Verbindung bringen lässt. Denn palästinensische „Stimmen“ interessieren auch in der „Erklärung“ nur im Rahmen einer binären Schwarz-Weiß-Logik, insofern sie gegen Israel gerichtet sind, nicht als Stimmen gegen die religiöse Diktatur, und palästinensische Opfer interessieren nur, insofern sie als Opfer von Israel erscheinen oder konstruiert werden können, nicht z.B. als Objekt der Unterdrückung durch Hamas. Die Verharmlosung von Judenfeindschaft im Namen eines solchen selektiven, verzerrten Universalismus begünstigt die Verbreitung und Akzeptanz von Antisemitismus, aber auch von Rassismus und Menschenfeindlichkeit insgesamt—und ignoriert zudem die kulturgeschichtliche, ideologische Spezifik von judenfeindlichen Phantasmagorien, einschließlich ihrer modernisierten und israelbezogenen Formen.

Die Autor:innnen dieser „Erklärung“ behaupten, die IHRA-Definition habe „Irritationen ausgelöst“ und „zu Kontroversen geführt, die den Kampf gegen Antisemitismus geschwächt haben.“ Auch jene These bleibt jeden Beleg schuldig—das Gegenteil lässt sich schon dadurch dokumentieren, dass es mit der Institutionalisierung in verschiedenen zivilgesellschaftlichen Bereichen und nationalen, europäischen sowie globalen politischen Institutionen durch die IHRA erstmals gelungen ist, wissenschaftliche Erkenntnisse der Antisemitismusforschung zu Maßstäben der politisch-pädagogischen Praxis zu machen. Diese Institutionalisierung eines wissenschaftlich anerkannten Begriffs von Antisemitismus, der sich auf alle Formen gegenwärtigen Judenhasses bezieht, kann als einer der wichtigsten Schritte zur Stärkung der Bekämpfung von Judenfeindschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts begriffen werden. Es wäre zu wünschen, wenn die Diskussion zu Antisemitismus im öffentlichen Raum auf wieder wissenschaftlicher Basis geführt und entsprechend versachlicht werden würde—gerade im Angesicht der Radikalisierung eines aggressiven, kaum mehr kaschierten Antisemitismus auf den Straßen, Morddrohungen gegen Juden und vermehrten Angriffen auf Synagogen und jüdische Einrichtungen. Die IHRA-Arbeitsdefinition bietet dafür weiterhin eine fundierte Grundlage, auf die aufzubauen ist. Sie kann als guter Ausgangspunkt dafür fungieren, im Sinne eines universalistischen Ethos gegenüber Ressentiments zu sensibilisieren— unabhängig davon, wer sie artikuliert und wo sie herkommen. Die wissenschaftlich inkohärente „Jerusalemer Erklärung“ leistet zu solch kritischer Sensibilisierung leider keinen Beitrag. Im Gegenteil. Sie verharrt mit partikularistischer Brille in einer binären Logik, die „Identitäten“ und „Intentionen“ zum Maßstab für Judenfeindschaft macht und „Antisemitismus“ auf Angriffe auf „Juden als Juden“ begrenzt sehen will. Sie stellt dabei zahlreiche Formen des camouflierten, modernisierten und insbesondere des israelbezogenen Antisemitismus als „nicht per se antisemitisch“ in Abrede, um den „politischen Raum“ für israelfeindliche Positionen und Gewaltdrohungen als legitime Gesprächsbeiträge zu erweitern.[55] Die Neudefinition, an der sie sich versucht, ist ganz alter Wein in alten Schläuchen.

 

Lars Rensmann ist Professor für Europäische Politik und Gesellschaft und Direktor des Research Centres for the Study of Democratic Cultures and Politics an der Universität Groningen. Er ist u.a. Autor zahlreicher Publikationen aus dem Bereich der Antisemitismusforschung, zuletzt „The Politics of Unreason“ (SUNY Press, 2017).

 


[1] International Holocaust Remembrance Alliance, “Arbeitsdefinition von Antisemitismus,“ IHRA, 26. Mai 2016, https://www.holocaustremembrance.com/de/resources/working-definitions-charters/arbeitsdefinition-von-antisemitismus., ebenso [2], [3], [4], [5]

[6] Dies und alle folgenden nicht weiter gekennzeichneten Zitate aus Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus, Jerusalemdeclaration.org,  26. März 2021, https://jerusalemdeclaration.org/wp-content/uploads/2021/03/JDA-deutsch-final.ok_.pdf.

[7] Vgl. Lars Rensmann, „Israelbezogener Antisemitismus: Formen, Geschichte, empirische Befunde,“ Bundeszentrale für politische Bildung, 11. Februar 2021, https://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/326790/israelbezogener-antisemitismus

[8] Vgl. Monika Schwarz-Friesel, Judenhass im Internet: Antisemitismus als kulturelle Konstante und kollektives Gefühl (Leipzig: Hentrich & Hentrich, 2019).

[9] Dies und alle folgenden nicht weiter gekennzeichneten Zitate aus der „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“.

[10] Siehe Michael Kohlstruck, „Zur öffentlichen Thematisierung von Antisemitismus,“ In Wolfgang Benz, Hg., Streitfall Antisemitismus. Anspruch auf Deutungsmacht und politische Interessen (Berlin: Metropol, 2020), 119-148, hier S.142. Der gesamte Sammelband fokussiert einen vermeintlichen Missbrauch von „Antisemitismusvorwürfen“ für angebliche „politische Interessen“.

[11] Brian Klug, “The Collective Jew: Israel and the New Antisemitism,” Patterns of Prejudice 37, 2 (2003): 117-138.

[12] Bei diesem Vorwurf handelt es sich selbst um einen seit langem historisch sedimentierten und tradierten antisemitischen Topos: Juden nutzten die Ressentiments gegen sie und ihre Verfolgung ‚für ihre Zwecke‘ und erhöben Antisemitismusvorwürfe in ‘bad faith‘, also in böswilliger Absicht.

[13] Genauso können sich selbstverständlich auch Schwarze rassistisch äußern, Frauen sexistisch etc.

[14] Vgl. Jakob Baier, „Antisemitismus in der BDS-Kampagne,“ Bundeszentrale für politische Bildung, 22. März 2021, https://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/328693/antisemitismus-in-der-bds-kampagne.

[15] Weder aus der Antisemitismus-, noch aus der Rassismusforschung sind bisher Texte bekannt, die sich wesentlich darauf konzentrieren, zu zeigen, was angeblich alles nicht oder „nicht per se“ rassistisch oder antisemitisch sein soll—aber selbst als politisches Manifest betritt dieser Text durchaus neues Terrain.

[16] Zitiert nach Vanda Dürring, „Wann kippt Kritik an Israel in Antisemitismus?“, SRF, 5. April 2021, https://www.srf.ch/news/international/kritik-soll-moeglich-sein-wann-kippt-kritik-an-israel-in-antisemitismus.

[17] Monika Schwarz-Friesel & Jehuda Reinharz, Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert (Berlin: de Gruyter), S.172.

[18] Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus.

[19] Vgl. Matthias Küntzel, „Aber irgendwie doch“, Perlentaucher: Das Kulturmagazin, 30. März 2021, https://www.perlentaucher.de/intervention/matthias-kuentzel-gegen-die-jerusalem-declaration-on-antisemitism.html.

[20] Zitiert nach Reginald H. Phelps, „Hitlers ‚grundlegende‘ Rede über den Antisemitismus,“ Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 16, 4 (1968): 390-420, hier S.406.

[21] Fabian Weber, Rezension zu ‘Zionismus und Antisemitismus im Dritten Reich‘, H-Soz-Kult, 9. Dezember 2013, https://www.hsozkult.de/review/id/reb-18427. Jüngst auch grundlegend und bahnbrechend zum Thema: Fabian Weber, Projektionen auf den Zionismus. Nichtjüdische Wahrnehmungen des Zionismus im Deutschen Reich 1897–1933 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2020).

[22] Vgl. Francis R. Nicosia, Zionismus und Antisemitismus im Dritten Reich (Göttingen: Wallstein Verlag, 2012), S.99.

[23] Vgl. Kaplan, Edward H. & Charles A. Small (2006), “Anti-Israel Sentiment Predicts Anti-Semitism in Europe,” Journal of Conflict Resolution 50, 4 (2006): 548-561, ebenso [24]

[25] Vgl. u.a Philipp Gessler, Der neue Antisemitismus (Freiburg: Herder, 2004); Andreas Zick, „Aktueller Antisemitismus im Spiegel von Umfragen: Ein Phänomen der Mitte,“ in:Monika Schwarz-Friesel, Evyatar Friesel und Jehuda Reinharz, Hg., Aktueller Antisemitismus: Ein Phänomen der Mitte  (Berlin: de Gruyter, 2010), S. 225-246, ebenso [26]

[27] Dies, wie alle folgenden nicht weiter gekennzeichneten Zitate, aus der „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“.

[28] Vgl. Gabriel Sanders, “Scholar Pulls Book Revisiting Blood Libel,” The Forward, 16. Februar 2007, https://forward.com/news/10085/blood-libel-scholar-pulls-book-pledges-funds-to-a/, 

[29] Ibid.

[30] Vgl. Moshe Zuckermann, „Antisemit!“ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument (Wien: Promedia, 2010). Im Promedia-Verlag erschien zuvor 2005 das antisemitische Machwerk „Blumen aus Galiläa“ von einem rechtsextremen Autor unter dem Pseudonym „Israel Shamir“. Das Buch liest sich wie eine Gesamtschau antisemitischer Ressentiments und Wahnvorstellungen.

[31] Vgl. u.a. Julia Bernstein, Andreas Hövermann, Silke Jensen, Andreas Zick, Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland. Ein Studienbericht für den Expertenrat Antisemitismus (Bielfeld: Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, 2017).

[32] „Keine antisemitische Tat,“ die tageszeitung, 6. Februar 2015, https://taz.de/Urteil-zu-Brandanschlag-auf-Synagoge/!5021293/.

[33] Vgl.u.a. „Antisemitismus neu definiert,“ Deutschlandfunk, 26. März 2021, https://www.deutschlandfunkkultur.de/jerusalemer-erklaerung-antisemitismus-neu-definiert.1008.de.html?dram:article_id=494838.

[34] Das “Samidoun: Palestinian Prisoner Solidarity Network” – ein Zweig der von EU und USA als Terrororganisation eingestuften “Volksfront zur Befreiung Palästinas”, demonstrierte am Samstag, 15. Mai 2021, in Frankfurt mit ebendieser Forderung eines “[freien] Palästina vom Fluss bis zum Meer” für die Abschaffung Israels in Unterstützung der Raketen, die wahllos auf die israelische Zivilbevölkerung niedergehen. Im Sinne Jerusalemer „Erklärung“ wäre das alles „nicht per se“ Ausdruck eines militanten antisemitischen Antizionismus, sondern ein sachlicher Beitrag zu vermeintlichen „verfassungsrechtlichen Lösungen“ nahöstlicher Konfliktkonstellationen.

[35] „Die Abschaffung Israels,“ so kommentiert der Historiker Peter Longerich, „hätte fatale Folgen für die Bürger dieses Landes, ich will mich nicht daran beteiligen, hier einen feinsinnigen Unterschied zwischen Antisemitismus und Israel-Feindschaft zu ziehen. Das führt in die Irre, das auseinanderzuhalten ist untauglich.“ Peter Longerich im Interview mit Sebastian Pumberger, “Der Antisemitismus ist die größte Verschwörungserzählung“, Der Standard, 30. April 2021, https://www.derstandard.de/story/2000126227464/longerich-der-antisemitismus-ist-die-groesste-verschwoerungserzaehlung.

[36] Siehe Julius Geiler, „Judenhass bei propalästinensischen Protesten,“ Tagesspiegel, 13. Mai 2021, https://www.tagesspiegel.de/politik/in-deutschen-staedten-judenhass-bei-propalaestinensischen-protesten/27188520.html.

[37] Vgl. auch Alex Feuerherdt & Florian Markl, Die Israel-Boykottbewegung: Alter Hass im neuen Gewand (Leipzig: Hentrich & Hentrich, 2020).

[38] Natascha Müller, „Antisemitismus im Menschenrechtskostüm: eine Fallanalyse der globalen Boykott-, Desinvestitionen- und Sanktions-Kampagne (BDS) gegen Israel,“ in Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.), Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Antisemitismus, Bd 8 (Jena: IDZ), S.180–191, hier S.188.

[39] Neben der Dämonisierung von Minderheiten, Juden und Israel sind u.a. kollektive Simplifizierungen, Stereotype sowie doppelte Standards zuverlässige Indikatoren für Diskriminierung—nicht nur in der Antisemitismus-, sondern auch in der Rassismusforschung; vgl. Rensmann, Lars & Julius H. Schoeps, „Politics and Resentment: Examining Antisemitism and Counter-Cosmopolitanism in the European Union and Beyond. in: dies. (Hg.), Politics and Resentment. Antisemitism and Counter-Cosmopolitanism in the European Union (Brill: Leiden), S. 3–79, hier S.50. Wenn von ethnisch markierten Minderheiten etwa im Beruf erwartet wird, sie sollten besser sein oder mehr leisten als andere Mitarbeiter:innen, weil sie einer Minderheit angehören, dann ist das ein Fall von rassistischer Diskriminierung. Wenn ausschließlich an schwarzafrikanische Staaten andere Maßstäbe für die Organisation gesellschaftlichen Zusammenlebens gelegt würden als an alle anderen Staaten der Welt, dann wäre auch das ein zuverlässiger Indikator für Rassismus. Bei der Aussonderung und den „doppelten Standards“ ausschließlich gegenüber Juden und dem jüdischen Staat verhält es sich genauso.

[40] Vgl. Lars Rensmann, Demokratie und Judenbild: Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland (Wiesbaden: Springer VS, 2004).

[41]   Omar Barghouti, “Relative Humanity: The Fundamental Obstacle to a One-State Solution in Historic Palestine,” Electronic Intifada, January 6, 2004, https://electronicintifada.net/content/relative-humanity-fundamental-ob- stacle-one-state-solution-historic-palestine-12/4939. Vgl. Hierzu auch Lars Rensmann “The Contemporary Globalization of Political Antisemitism: Three Political Spaces and the Global Mainstreaming of the ‘Jewish Question’ in the Twenty-First Century,” Journal of Contemporary Antisemitism 3, 1 (2020): 83-107, S.94.

[42] Vgl. ebenda und Stuart Winer, “Roger Waters: Sheldon Adelson is ‘puppet master’ pulling Trump, Pompeo’s strings,” The Times of Israel, 21. Juni 2020: https://www.timesofisrael.com/roger-waters-sheldon-adelson-puppet-master-pulling-trump-pompeos-strings/.

[43] Vgl. Baier, „Antisemitismus in der BDS-Kampagne.“

[44] Zur Forschung u.a. Monika Schwarz-Friesel, Samuel Salzborn, Kollektive Unschuld (Leipzig: Hentrich & Hentrich, 2020).

[45] Vgl. Deutscher Bundestag, „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen,“ 15. Mai 2019, https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/101/1910191.pdf

[46] Vgl. Cary Nelson, Israel Denial: Anti-Zionism, Anti-Semitism and the Faculty Campaign against the Jewish State (Bllomington: Indiana University Press, 2019).

[47] Siehe Jakob Baier, „Antisemitismus in der BDS-Kampagne.“

[48] Zitiert nach John Anderson, „Festival in Oslo rejects documentary by Israeli, International New York Times, 21. August 2015.

[49] Ralf Schönball, „Holocaust-Überlebende war ‘geschockt‘ von Störern,“ Der Tagesspiegel, 28. Juni 2017.

[50] Vgl. Rensmann, „Israelbezogener Antisemitismus,“ und Baier, „Antisemitismus in der BDS-Kampagne.“

[51] Einige Unterzeichner:innen rudern mittlerweile offenbar wieder zurück und wollen, wie Micha Brumlik, von einer „neuen“ Definition nichts mehr wissen. Brumlik betont heute, dass sich Antisemitismus oftmals als „Israelkritik“ tarnt, was man an den Angriffen auf Synagogen sehe, und „inzwischen“ ist er der Meinung, dass die Differenzierung von—über hundert Jahre altem—israelbezogenem Judenhass von Antisemitismus „falsch“ ist. Siehe „Pädagoge Brumlik: Legitime Kritik wird durch antisemitischen Tonfall delegitimiert,“ Deutschlandfunk, 16. Mai 2021, https://www.deutschlandfunk.de/pro-palaestinensische-demonstrationen-paedagoge-brumlik.694.de.html?dram:article_id=497307.

[52] In einer Zeit, in der Rassismus, Antisemitismus und Hate Speech generell grassieren, viele Menschen und insbesondere Juden und andere Minderheiten mit diskriminierenden Äußerungen eingeschüchtert und bedroht werden sowie auch Politiker:innen, Journalist:innen, Wissenschaftler:innen Gegenstand von Hasskampagnen werden (laut einer jüngsten Umfrage wurden 57% der Bürgermeister:innen in Deutschland bereits beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen, vgl. https://www.zdf.de/nachrichten/zdf-mittagsmagazin/buergermeister-hass-gewalt-steinmeier-100.html), sieht neben der „Jerusalemer Erklärung“ auch eine weitere, in diesem Fall rein deutsche öffentlichkeitswirksame Kampagne die Meinungsfreiheit insbesondere deshalb bedroht, weil die israelfeindliche Boykott-Kampagne BDS jüngst Gegenstand von Kritik geworden ist. Hierbei handelt es sich um die von Vertreter:innen zahlreicher Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen unterzeichnete „Initiative GG 5.3 Meinungsfreiheit“. Die Unterzeichner:innen—teils identisch mit denen der „Jerusalemer Erklärung“—haben sich in einer einmaligen, über Monate vorbereiteten Initiative aus „großer Sorge“ zusammengetan. Doch weder die genannten Hasskampagnen hierzulande, welche die Meinungsfreiheit auch in der deutschen Demokratie bedrohen und bereits in zahlreichen Morden mündeten; noch die Angst von Juden, sich frei bewegen und z.B. zu Israel äußern zu dürfen, ohne Morddrohungen zu bekommen; noch die Krisen liberaler Demokratien insgesamt mit aggressiven Angriffen auf freie Medien in jüngster Zeit—etwa durch Rechtspopulist:innen in den USA unter Trump oder in Ungarn unter Orban—oder die Zerschlagung von Meinungsfreiheit in China, in Hongkong oder Russland sind den Unterzeichner:innen Anlass zu „großer Sorge“ um die Meinungsfreiheit—sondern ausschließlich „die Anwendung der BDS-Resolution des Bundestages“. Dieser hatte rechtsunverbindlich erklärt, israelfeindliche Organisationen wie die BDS-Kampagne, durch die antisemitische Propaganda und Hass auf Israel verbreitet werden, sollten künftig nicht mehr staatlich gefördert werden. Die „Initiative“ beobachtet und fürchtet allein deshalb eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, namentlich durch „missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs“, wodurch „wichtige Stimmen beiseitegedrängt und kritische Positionen verzerrt dargestellt“ würden (einziger Beleg für diese Behauptung ist die jüngst artikulierte Kritik am viel publizierten und in Deutschland mit zahlreichen Preisen ausgestatteten kamerunischen postkolonialen Philosophen Achille Mbembe, der beklagt, dass der Gott der Juden ein „Rachegott“ sei und dem jüdischen Staat Ausrottungsfantasien sowie die Absicht zuschreibt, das palästinensische Leben „wie Müll“ entsorgen zu wollen). Ähnlich der „Jerusalemer Erklärung“ gilt hier die „Sorge“ dem angeblichen „missbräuchlichen Antisemitismusvorwurf“, nicht dem Antisemitismus. Die Meinungsfreiheit in Deutschland und der Welt wäre demnach vor allem oder ausschließlich durch den Bundestag, durch Israelis und durch Juden bedroht, die hierbei im Namen des Universalismus als Gefahr ausgesondert werden. Dass solch verzerrter Universalismus unter Berufung auf postkoloniale Israelfeinde ausgerechnet federführend von der Leitung des neuen Humboldt-Forums ventiliert wird, das ohne Reflexion auf die Geschichte koloniales Raubgut im Haus ausstellt, birgt eine gewisse Ironie in sich. Siehe für sämtliche Zitate: https://www.humboldtforum.org/wp-content/uploads/2020/12/201210_PlaedoyerFuerWeltoffenheit.pdf

[53] Dabei ist viel von „palästinensischen Forderungen nach Gerechtigkeit“ die Rede (nicht gegenüber der rechtsstaatslosen, islamistischen Hamas-Diktatur, wohl aber gegenüber Israel).

[54] Vgl. Robert Fine und Philip Spencer, Antisemitism and the Left: On the Return of the Jewish Question (Manchester: Manchester University Press, 2017).

 

[55] Nimmt man die Jerusalemer „Erklärung“ ernst, dann würde es sich auch bei radikalen, der Hamas-Rhetorik entlehnten Vernichtungsfantasien gegenüber dem jüdischen Staat und seinen Bewohner:innen „nicht per se“ um Antisemitismus handeln, die im Zuge des jüngsten arabisch-israelischen Konflikts vielfach verbreitet wurden. Darunter ist beispielsweise das offizielle Statement des „Centre for Gender Studies“ der SOAS an der University of London. Die Verlautbarung ruft zum „palästinensischen Befreiungskampf“ und das „Recht auf Selbstverteidigung“ gegen einen „globally upheld Zionist terrorism“ auf. Der Palästinensischen Autonomiebehörde wird, im Unterschied zur Hamas, Mord und Kollaboration mit Israel vorgeworfen. Der Text richtet sich dabei auch im Jargon der 1940er Jahre gegen eine scheinbar humanitätsduselnde „apolitical language of humanitarianism“, der man nicht anheimfallen dürfe. Die Existenz Israels wird kategorisch abgelehnt und selbst die Balfour Declaration von 1917, die vage Juden eine nationale Heimstatt versprach, als „ungelöste imperiale Gewalt“ verteufelt. Die terroristisch-antisemitische Hamas und ihre Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in Israel und Gaza werden dagegen von jeglicher Kritik ausgenommen und erscheinen als legitimer Teil eines bedingungslos glorifizierten Rechts auf Selbstverteidigung. Jüdische Opfer oder palästinensische Opfer von Hamas(-Raketen) kommen dabei ebenso wenig vor wie Frauen und LGBTQ*-Menschen als Opfer der islamistischen Diktatur der Hamas. Nicht eine Zeile des Bedauerns sind dem „Centre for Gender Studies“ jüdische Todesopfer wert; sie erscheinen pauschal als „weltweit agierende „zionistische Terroristen“, die scheinbar nichts anderes verdient haben als Gewalt und Tod. Es gibt keine „Solidarität“ mit Opfern, die nicht als Opfer von „den Zionisten“ respektive Juden konstruiert werden können und Juden werden generationsübergreifend ausschließlich als global agierende „murderers“ und „colonizers“ wahrgenommen. Ein solcher Blick auf den arabisch-israelischen Konflikt und den angeblichen „global aufrechterhaltenen zionistischen Terrorismus“ ist nicht einfach parteilich. Sondern er ist in seiner binären Kollektivierungs- und Dämonisierungslogik, welche Juden geschlossen als Mörder dehumanisiert, und in seiner bedingungslosen Apologie von Gewalt gegen Juden, die hier als Opfer vollkommen verschwinden und selbst als Kleinkinder nur noch kollektiv als Täter erscheinen, antisemitisch—was die Jerusalemer „Erklärung“ im Unterschied zur Arbeitsdefinition der IHRA indes nicht zu erfassen vermag. Vgl. https://twitter.com/CGS_SOAS.

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