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„Die Kehre“ Wie eine rechte Öko-Zeitschrift versucht die Klimapolitik zu besetzen

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(Quelle: Screenshot Twitter)

Menschliches Wohlergehen statt endlosem Wachstum. Dass diese Forderung aus der neurechten Zeitschrift „Die Kehre“ kommt, ist nicht offensichtlich. Seit 2020 erscheint sie vierteljährlich im „Oikos-Verlag“ und ist damit Teil des neurechten Netzwerks „Ein Prozent für unser Land“. Der Hauptverantwortliche Jonas Schick ist nicht nur regelmäßiger Autor bei dem extrem rechten Blog „Sezession“ und Mitglied der „Identitären Bewegung“, sondern war zudem in Bremen bei der Jugendorganisation der AfD „Junge Alternative (JA)“ aktiv. Auch die anderen Autor:innen pflegen Beziehungen zur „Identitären Bewegung“, zur AfD und zu nationalistischen Burschenschaften. Mit der Zeitschrift wollen Aktivist:innen der „neuen“ Rechten Naturschutz-Themen mit rechtsextremem Gedankengut verbinden.

Kapitalismuskritik und das Feindbild „die Grünen“

Mit ihren Inhalten versucht „die Kehre“ Kapitalismuskritiker:innen für ihre eigene nationalistische Ideologie zu ködern. Dazu argumentiert die Zeitschrift teilweise ähnlich wie linke und Klimagerechtigkeits-Bewegungen: So spricht sich die „Kehre“-Webseite beispielsweise gegen marktwirtschaftliche Maßnahmen, wie den Emissionshandel aus, was momentan auch vom „Bund für Umwelt und Naturschutz“ (BUND) in Bezug auf die diesjährige UN-Klimakonferenz in Glasgow scharf verurteilt wird.

Doch auf dieser anschlussfähigen Grundhaltung bauen die rechten Aktivist:innen ein polarisiertes Feindbild auf, das grüne, liberale und linke Bewegungen und Parteien für die Umweltkrise verantwortlich macht. Diese Organisationen und Politiker:innen – wahlweise auch „Progressivisten“ genannt – würden demzufolge eine angeblich natürliche Ordnung zerstören. Mal sind der „Kehre“ aktuelle Umweltbewegungen zu ideologisch und bevormundend, mal zu chaotisch und zu sehr auf Selbstorganisation setzend. Ungebremstes Wachstum wird mit Fortschritt gleichgesetzt, was Jonas Schick in der Herbstausgabe 2021 auch als Ausgangspunkt nimmt, um Geschlechtergerechtigkeit, soziale Grundsicherung und Basisdemokratie anzugreifen. Einem Teil der Autor:innen sind aktuelle Umweltmaßnahmen nicht sozialistisch genug, ihre Ausführungen erinnern an Sozialdarwinismus und nicht an Gleichberechtigung. Andere wiederum wettern gegen einen Grünen Sozialismus.

Zwar werden zu Recht endloses Wirtschaftswachstum, Ressourcenausbeutung und Artensterben kritisiert. Doch als Schlussfolgerung fordern die Autor:innen Bevölkerungskontrolle, stellen Migration als Ursache des Problems dar und hinterfragen Menschenrechte. Ziel sei, den Grünen das Thema Umweltschutz wieder zu „entreißen“. Dazu brauche es der „Kehre“ zufolge grundlegende Veränderungen, um nicht zu sagen eine „konservative Revolution“.

Völkische Lebensraumvorstellung

Der propagierte Zukunftsentwurf trieft vor antiliberalen völkischen Einstellungen. Auch baut er auf einem Bevölkerungsbild auf, das verkennt, dass Deutschland schon immer durch Migration bedingt war, und das die postmigrantische Realität verneint. Dazu wird die „ethnopluralistische“ Ansicht verbreitet, dass es eine natürliche Verbindung zwischen Bevölkerung und Lebensraum gäbe. Eine Behauptung, die auf die rassistische “Blut-und-Boden”-Ideologie der NS-Zeit zurückgeht. Dazu bekommt in einem Interview auch der Rechtsextremist und thüringer AfD-Politiker Björn Höcke mit den Worten: der Mensch habe „eine Heimat, einen Erfahrungsraum […], der natürlich begrenzt ist“ einen Platz in der Sommerausgabe der „Kehre“ 2021. Nur „verwurzelte“ Gemeinschaften könnten sich demnach für Nachhaltigkeit einsetzen. Dazu wird immer wieder ein religiös anmutender Bezug zur Natur hergestellt, wie auch aus dem Paganismus bekannt. Die Vorstellung der Landwirtschaft der Zukunft beruht demnach auf „Bioregionalismus“, einem Ansatz, der regionale Produktion mit National- bzw. Regionalpatriotismus verknüpft.

Universelle Menschenrechte? Fehlanzeige

Gleichzeitig wird Migration und „Multikulturalismus“ für Bevölkerungswachstum und Umweltkrisen verantwortlich gemacht. Wenn sich die Klimasituation weiter verschärft, würde der „Multikulturalismus“ die Gesellschaft destabilisieren, heißt es in der siebten Ausgabe der Zeitschrift. In einem anderen Artikel im gleichen Heft ist davon die Rede, die „Vielfalt der Arten wie der Kulturen zu bewahren“ – auch hier wieder das ethnopluralistische Narrativ. Außerdem wird Konrad Lorenz zitiert, der seinerzeit Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP war und vom „genetischen Verfall“ des modernen Menschen sprach.

Mehrfach delegitimieren die Autor:innen dabei die universellen Menschenrechte, besonders die Rechte auf Bewegungsfreiheit und Gleichberechtigung. Diese seien eine Barriere für nachhaltigere Umweltpolitik. Besonders oft wird von Bevölkerungsrückgang durch Geburtenkontrolle geschrieben. Gleichzeitig glorifizieren die „Kehre“ Autor:innen  die “deutsche” heterosexuelle Kleinfamilie. Die Frage, welchen Menschen auf welche Weise Familiengründungen untersagt werden soll, lässt bei der LGBTIQ*-Feindlichkeit und dem Rassismus rechter Akteur:innen nichts Gutes hoffen.

Von den kolonialen Verbrechen, die den Klimawandel maßgeblich verursacht haben, ist nicht die Rede. Selbstverständlich auch nicht, wie auch Deutschland bis heute noch von der Ausbeutung von Arbeitskräften und natürlichen Ressourcen profitiert. Stattdessen werden Europa und Deutschland als Opfer inszeniert, es wird von „kolonialer Schuldaufladung“ geschrieben. Während viele Organisationen immer stärker Klimagerechtigkeit thematisieren und mehr und mehr die Profiteur:innen vom Kolonialismus zu Verantwortung auffordern, beruhen die Artikel der „Kehre“ auf Patriotismus und dem Leitsatz des NS-Mottos „Naturschutz ist Heimatschutz“.

Dass es sich hier nicht um leeres Gerede handelt, zeigen beispielsweise aktuelle Twitter-Aktivitäten vom „Kehre“-Autor Jörg Dittus, der wenig subtil zu Grenzkontrollen gegen flüchtende Menschen aufruft.

Trotz ihres völkischen Gehalts war „die Kehre“ mit einem Stand  auf der Frankfurter Buchmesse 2021 anwesend, was unter anderem die Absagen verschiedener Autor:innen auslöste. Die Strategie, rechte Weltansichten zu normalisieren, zeigt ihre Wirkung.

 

 

 

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