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Die kleine Geschichte rassistischer Debatten und Asylproteste in Deutschland

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Von Felix M. Steiner

Seit 2010 sind die Zahlen von Asylanträgen in Deutschland stetig angestiegen. Die Zahlen rassistischer Kundgebungen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen sind ebenso angestiegen. Eine weitere Folge der Situation: Seit Monaten jagt eine Meldung von einer angezündeten Asylunterkunft die nächste. Die Amadeu Antonio Stiftung zählte allein für das vergangene Jahr 81 Übergriffe auf Flüchtlinge, 36 Brandanschläge auf Unterkünfte und 292 flüchtlingsfeindliche Kundgebungen bzw. Demonstrationen. Die Zahlen steigen Jahr für Jahr an und für 2015 ist erneut eine weitere Erhöhung der Zahlen zu erwarten. In der Berichterstattung über diese Vorfälle werden häufig die rassistischen Ausschreitungen und Morde der 1990er Jahre herangezogen. Doch in wie weit sind diese Geschehnisse tatsächlich mit der heutigen Situation zu vergleichen? Haben wir bereits die 1990er Jahre zurück? Welche Mechanismen sind es, die sich ähneln?

 

Ein Rückblick: Beginn der Debatten

Die 1990er Jahre gelten heute als die Blaupause rassistischer Anti-Asylproteste schlechthin. Dabei sind die Jahre 1990 bis 1993 („Asylkompromiss“) nur der Höhepunkt einer öffentlichen Debatte, die sich schon seit Mitte der 1980er Jahre entwickelte. Ab 1985 war in Deutschland wieder ein Anstieg von Asylanträgen zu verzeichnen: Im Jahr 1985 waren es rund 74.000 Anträge und 1986 rund 100.000. Nach einem Einbruch im Jahr 1987 stiegen die Zahlen dann bis 1992 kontinuierlich an und erreichten 1992 mit rund 440.000 Anträgen ihren Höhepunkt. Die Debatte, die sich rund um diesen Anstieg entwickelte, löste eine andere Diskussion in Deutschland quasi ab: Die Diskussion über „Gastarbeiter“. Mit den steigenden Zahlen wuchs auch immer weiter der Widerstand der Kommunen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen. Doch die Debatte rund um das Thema „Flüchtlinge“ bildete bei weitem nicht die eigentlichen Zahlen ab, sie verlief deutlich aufgeheizter. Vielmehr wurde sie stellvertretend gegen Einwanderung insgesamt geführt und thematisierte vor allem auch die vermeintlichen Privilegien für „andere“. Nicht zuletzt war sie Folge der sozialen Schieflage durch die Wirtschaftskrise der 1980er Jahre und nahm mit der Zeit immer weiter an Fahrt auf. Bereits 1985 hatte der bayrische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß (CSU) gesagt: „Es strömen die Tamilen zu tausenden herein, und wenn sich die Situation in Neukaledonien zuspitzt, dann werden wir bald die Kanaken im Land haben.“ Und der Berliner Innensenator Heinrich Lummer (CDU) kommentierte: „Wir haben ein Asylrecht, da kann die ganze Rote Armee kommen und der KGB dazu. Wenn die an unserer Grenze nur das Wörtchen ‚Asyl‘ sagen, können wir sie nicht zurückschicken“. In den Jahren 1986 und 1987 wurde das Thema dann auch Wahlkampfthema auf Landes- und Bundesebene. Dies führte auch zu einer Mobilisierung am rechten Rand und zu einem Anstieg von Übergriffen auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte. Im Jahr 1986 gab es bereits 60 erfasste Übergriffe auf Flüchtlinge. Die Unionsführung versuchte außerdem weiter den Druck auf die Sozialdemokraten zu erhöhen, um diese zu einer Grundgesetzänderung zu bewegen. So wurde ein internes CDU-Papier öffentlich, welches eine Zahl von 50 Millionen Asylbewerbern prognostizierte. Doch auch innerhalb der Union war nicht unumstritten, dass Thema Asyl auf die Wahlkampfagenda zu setzen. So erklärte der CDU-Generalsekretär Heiner Geißler vor der CDU-Bundestagsfraktion:

Wenn jemand den Ratschlag gibt, dieses Thema zum Wahlkampfthema zu machen bis zum 25. Januar, dann muß er sich darüber im Klaren sein, daß es in der innenpolitischen Auseinandersetzung zu einer Eskalation der Emotionen und der Gefühle kommen muß. Und dies kann die Christlich-Demokratische Union Deutschlands nach meiner festen Überzeugung nicht durchhalten, ohne sich zu verändern, [weil wir] die Geister, die da gerufen werden, nicht mehr los werden.

In der Debatte wurden Flüchtlinge, die nicht arbeiten durften, als „Schmarotzer“ und „Nichtstuer“ dargestellt und die hohe Ablehnungsquote von Asylanträgen wurde als Beleg für die hohe Zahl an „Wirtschaftsflüchtlingen“ gewertet. Der Kontext der Debatte war also zumeist negativ geprägt, um dies vorsichtig zu werten.

Die Debatte nach der deutschen Einheit

Nach der Deutschen Einheit nahm die öffentliche Debatte weiter an Fahrt auf. Ende des Jahres 1990 gab es Prognosen von bis zu 10 Millionen zu erwartenden Flüchtlingen. Diese wurden auch von renommierten Medien wie der Zeit verbreitet. Durch den Bundestagswahlkampf nahmen die öffentlichen Diskussionen weiter an Schärfe zu. Viele weitere Medien unterstützten diese Entwicklung und stellten ins Zentrum ihrer Berichterstattung die These, dass die meisten Asylbewerber „Schwindler und Betrüger“ seien. So hieß es im November 1990 in der Bild Hamburg:

Mit orientalischer Leidenschaft breiten Ausländer weitschweifige Lügenmärchen von angeblicher Verfolgung aus. Wer sich darüber empört, wird schnell als Rassist und Faschist abgestempelt – und schweigt künftig.

Aber die Bild war bei weitem nicht das einzige Medium mit einer derartigen Ausrichtung. Anfang Juli 1990 schrieb Ulrich Reitz in der Welt, SPD und FDP wollten, „das[s] in diesen Punkten überholte Grundgesetz zum Fetisch stempeln […] bei mehr als 90 Prozent Schwindlern kann sich das zur existentiellen Bedrohung unseres Sozialwesens auswachsen“.

Zu einer weiteren Zuspitzung führte vor allem die Verteilung von Flüchtlingen in die neuen Bundesländer. Anfang der 1990er Jahre stieg die Zahl der Übergriffe weiter deutlich an.

 

In der Öffentlichkeit wurden die Angriffe allerdings nicht ausschließlich zurückgewiesen. So stellte sich auch ein Verständnis für jene rassistische Gewalt gegen Flüchtlinge ein. Die Bild schrieb am 30. Juni 1991:

Die Deutschen sind weder ausländerfeindlich, noch sind sie Rechtsextremisten. Aber wenn der ungehemmte Zustrom von Asylanten weiterwächst, wird auch die Gewalt gegen sie zunehmen. Sind unsere Politiker unfähig, das zu begreifen?

Auch die Cover des Spiegel aus jener Zeit bilden gut ab, wie die Debatte geführt wurde. Dominierend und bis heute als sprachliche Mittel verwendet, vor allem die Flut-Metaphorik, welche die steigenden Flüchtlingszahlen wie eine über Deutschland hereinbrechende Naturkatastrophe darstellt.

Vom Sommer 1991 bis zum Sommer 1993 war Asyl das wichtigste Thema in der deutschen Bevölkerung und lag an Präsenz noch vor der Deutschen Einheit, wie Umfragen zeigen. Der Historiker Ulrich Herbert spricht zwischen 1990 und 1993 von „einer der schärfsten, polemischsten und folgenreichsten innenpolitischen Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegsgeschichte“. Die Ergebnisse dieser öffentlichen Debatten sind bekannt. Ihre Symbolik drückt sich in Städten wie Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen aus. Das diese Situation für die extreme Rechte der 1990er Jahre ein Erfolgserlebnis war, machte der Neonazi-Aussteiger und Augenzeuge Ingo Hasselbach später in einem Interview klar: „Das war ein sehr merkwürdiges Gefühl für mich. Ich dachte, das gibt es doch nicht: Der normalste Bürger von nebenan, die Frau, die drüben einen Gemüseladen hat, alle standen da und applaudierten! Wie eine verkehrte Welt“, sagte Hasselbach in einer NDR-Dokuementation. Am 26. Mai 1993 verabschiedete der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der Sozialdemokraten dann den „Asyl-Kompromiss“ und hebelte damit das Asylrecht in Deutschland faktisch aus. Am 29. Mai 1993 starben 5 Menschen bei einem Brandschlag in Solingen:Gürsün ?nce, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç, Saime Genç.

Der Neustart der Debatte

Seit 2010 steigt die Zahl der Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, erneut an. Im März 2011 sorgten Horst Seehofers Kommentare beim politischen Aschermittwoch für Empörung.

Wer zu uns kommt, dauerhaft hier bleiben will, keine Parallelgesellschaften organisiert, der das Miteinander und nicht das Gegeneinander möchte, der ist bei uns willkommen und wenn er vor allem seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. […] . Wogegen wir größte Vorbehalte und Bedenken haben und da werden wir uns in der Berliner Koalition sträuben bis zur letzten Patrone, liebe Freunde und niemals nachgeben, dass wir eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme bekommen. Das wollen wir nicht, liebe Freunde.

Nein, gewiss, Seehofer sagte nicht, er wolle auf Flüchtlinge schießen, aber er vermochte es mit seiner Rede, eine militärische Rhetorik in die Debatte einzuführen und das Thema Asyl erneut mit der „Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme“ in Verbindung zu bringen. Im Juli 2012 urteilte dann das Bundesverfassungsgericht über die unzureichenden Leistungen für Flüchtlinge.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Regelungen zu den Grundleistungen in Form der Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums […] unvereinbar sind. Die Höhe dieser Geldleistungen ist evident unzureichend, weil sie seit 1993 trotz erheblicher Preissteigerungen in Deutschland nicht verändert worden ist. Zudem ist die Höhe der Geldleistungen weder nachvollziehbar berechnet worden noch ist eine realitätsgerechte, am Bedarf orientierte und insofern aktuell existenzsichernde Berechnung ersichtlich. (Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichtes)

Damit entschieden die Richter nicht nur, dass die Leistungen für Flüchtlinge unzureichend sind, sondern stellten auch deren Berechnung in Frage. Ein menschenwürdiges Existenzminimum war mit den Leistungen also nicht zu gewährleisten. Was die Richter genau für ein menschenwürdiges Existenzminimum halten, geht ebenfalls aus dem Urteil hervor:

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben; dies sind einheitlich zu sichernde Bedarfe. (Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichtes)

Weiterhin erteilte das Bundesverfassungsgericht politischen Überlegungen eine Abfuhr, welche eine Senkung der Leistungen in Betracht ziehen, um so die „finanziellen Anreize“ für Flüchtlinge zu vermindern, damit die Antragszahlen – so die Kalkulation – zurückgehen.

Auch migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren. (Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichtes)

Im Oktober 2012 gab dann der ehemalige Innenminister Hans-Peter Friedrich der Bild ein Interview. Auf den Hinweis der Bild, dass Asylbewerber nun so viel Geld bekommen müssen wie „Hartz-IV-Empfänger“, antwortete Friedrich:

…und das wird dazu führen, dass die Asylbewerber-Zahlen noch weiter steigen, denn es wird für Wirtschaftsflüchtlinge noch attraktiver zu uns zu kommen und mit Bargeld wieder abzureisen. Die Bundesländer können sich dagegen wehren, indem sie strikt Sachleistungen statt Bargeld verteilen. Aber: Ein Teil der Leistungen muss immer in bar ausbezahlt werden. Deshalb müssen wir das Asylbewerberleistungsgesetz jetzt ergänzen: Wer aus sicheren Herkunftsstaaten kommt – dazu zähle ich Mazedonien und Serbien – soll künftig weniger Barleistungen erhalten.

Auch wenn das Thema Asyl hier erneut mit den angeblichen finanziellen Erwartungen von Flüchtlingen in Kontext gesetzt wird, zeigt es dennoch, dass die Debatte nicht mit der Schärfe der 1980er und 1990er Jahre geführt wird. Reden wie die Seehofers beim politischen Aschermittwoch gehören zu den negativen Höhepunkten der öffentlichen Äußerungen. Das dies für die Bild nicht unbedingt der Fall ist, zeigte das Organ mit einer weiteren Nachfrage an Friedrich: „BILD: Rechnen Sie in diesem Zusammenhang mit einem Anstieg der Kriminalität?“ Friedrichs Antwort hingegen zeigt – zumindest beim ehemaligen Innenminister –, dass hier nicht mehr die Debattenkultur der 1990er Jahre zu finden ist, ganz ohne Friedrichs Aussage zu werten. Auf die Frage der Bild antwortete er: „Nein. Wir dürfen nicht pauschal jeden Wirtschaftsflüchtling als Kriminellen sehen. Größere Sicherheitsprobleme erwarte ich nicht.“

Die Strategie der extremen Rechten

Sehr schnell nach der einsetzenden Debatte versuchte auch die extreme Rechte, das Thema für sich zu nutzen. Bereits im Januar 2011 tauchte in Sachsen ein erstes Flugblatt auf, das der extrem rechten Szene zugeordnet werden kann. In der Folge nahm der Versuch der Instrumentalisierung immer weiter zu. Vor allem das Internet oder genauer – die sozialen Netzwerke – wurden dabei zum Propagandafeld der extremen Rechten. Das Vorgehen schien dabei oft sehr ähnlich. Die altbekannten Organisationen der Szene traten meist nicht offen auf. Nachdem – dies gilt für Ost- und Westdeutschland – irgendwo erwogen wurde, eine Unterkunft für Flüchtlinge zu errichten, gründete sich meist bei Facebook eine Seite dagegen.

Diese anonymen Seiten trugen dann Namen wie „Bürgerinitiative XYZ sagt Nein zum Heim“ oder „Kein Heim in XYZ“. Das Auftreten als „Bürgerinitiative“ ist dabei keine neue Strategie, sondern schon seit Jahrzehnten in Deutschland bekannt. So findet sich beispielsweise in Bayern die „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ und bundesweit ähnliche Projekte. Dabei soll ein Volkswillen inszeniert werden, ohne das Image des Neonazis mitzutransportieren. Facebook-Seiten dieser Art schossen ab spätestens 2012 zu Dutzenden aus dem Boden und sind oft bis heute aktiv. Eine der bekannteren Versuche, auf diese Art Protest zu forcieren, war die „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf“ aus Berlin. Einer der ersten Fälle, wo auch eine breite Berichterstattung zu dem aufkommenden extrem rechten Protesten stattfand. Neben Berlin sorgte vor allem die sächsische Stadt Schneeberg für Schlagzeilen. Hier gelang es der NPD nicht nur, Neonazis aus ganz Deutschland zu Demonstrationen zu bewegen, sondern auch hunderte Bürger der Stadt selbst. Schneeberg ist bisher die einzige Stadt, in der eine extrem rechte Mobilisierung in einem derartigen Ausmaß erfolgreich war. Und auch hier diente eine Facebook-Präsenz als Basis für Hetze und zur organisatorischen Koordination. Die Facebook-Seiten sind jedoch keineswegs eine harmlose digitale Präsenz. Sie dienten und dienen als Hetzplattformen für Rassisten aus der Szene und darüber hinaus. Rassistische Propaganda und Gewaltaufrufe gehören hier vielfach zum akzeptierten Ton. Teils offen, teils anonym, scheinen die sozialen Netzwerke mittlerweile den früher symbolisch benannten „Stammtisch“ ersetzt zu haben. Damit wird der Rassismus – auch einer „Mitte der Gesellschaft“ – viel stärker und früher in die Öffentlichkeit getragen und erreicht somit auch deutlich mehr Menschen.

Der Erstellung einer einschlägigen Facebook-Seite folgten oft Kundgebungen oder Demonstrationen. Bei diesen wurde sichtbar, dass die digitale Unterstützung einer rassistischen Facebook-Seite nicht mit dem real auf der Straße anzutreffenden Protest übereinstimmt. So werden die neugegründeten digitalen Präsenzen oft bundesweit durch die rechten Netzwerke mit der Aufforderung zum Liken geschickt. Schnell kommen so ein paar tausend vermeintliche Unterstützer zusammen, die aber vor Ort nicht an Protesten teilnehmen. Es klaffen zwischen den Demonstrationsteilnehmern und den digitalen Unterstützern meist erhebliche numerische Lücken. Die Gefahr ist hier, die Like-Zahl einer Facebook-Seite mit der realen vor Ort anzutreffenden Unterstützerszene zu verwechseln. Eine andere von der extremen Rechten oft genutzte Möglichkeit, den Protest vor Ort zu verschärfen, ist die Teilnahme an Bürgerversammlungen. Hier nehmen gezielt einschlägige extrem rechte Kader teil, um die Bürger vor Ort mit Hinweisen auf Kriminalität, Krankheiten oder schlicht auf Basis von Sozialneid anzustacheln. Oft fällt diese Strategie auf fruchtbaren Grund und längst sind es nicht ausschließlich der extrem rechten Szene zuzuordnende Personen, die sich auf Bürgerversammlungen eindeutig rassistisch äußern. Vielmehr scheint die erneute Debatte bzw. eine Bürgerversammlung der Raum zu sein, in dem die ohnehin vorhandenen rassistischen Einstellungen im Kontext einer größeren, durch Ablehnung gegen Flüchtlinge getragenen Gruppe, wieder öffentlich geäußert werden können.

 

Ob die Strategie der extremen Rechten erfolgreich ist, hängt maßgeblich von der Vorbereitung der Organisatoren der Versammlungen ab. Eine Bürgerversammlung ist nicht per se eine erfolgversprechende Maßnahme, um die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft mit den Anwohnern vorzubereiten. Ohne Vorbereitung kann hier schnell die Stimmung kippen, besonders wenn Neonazis versuchen die Veranstaltung zu lenken und gezielt und vorbereitet stören. Allein die Fragestellung einer solchen Versammlung bestimmt schon den Rahmen. Die öffentliche Darstellung einer „von oben aufgezwungenen Flüchtlingsunterkunft“ für die Gemeinde ist der erste Schritt die Unterkunft und die Menschen als Problem zu begreifen.Hilfsangebote und Informationsmaterial ist ausreichend vorhanden, bleibt aber nutzlos, wenn nicht die Bereitschaft besteht, einen menschenwürdigen Umgang und eine positive Vorbereitung leisten zu wollen, die über die formale Pflichterfüllung hinausgeht.

Fazit

Die Hetze und die Übergriffe gegen Flüchtlinge nehmen in den letzten Jahren – wieder – immer weiter zu. Dies zeigen auch die Zahlen der Übergriffe, die die Amadeu-Antonio-Stiftung erhebt. Und die steigenden Zahlen zeigen auch eine der zentralen Gemeinsamkeiten der Proteste, egal ob 1990 oder 2015: Aus rassistischer Hetze werden Taten. Dies ist aktuell wieder zu beobachten. Bisher zum Glück ohne Todesopfer. Dabei haben sich die rassistischen Vorurteile, die Flüchtlingen entgegengehalten werden, kaum geändert: „Schmarotzer“, „Asylschwindler“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“ scheinen weiter die bestimmenden Denkfiguren zu sein. Sie verweisen so auf einen tief sitzenden Rassismus in der „Mitte der Gesellschaft“, der sich hier vor allem mit Sozialneid äußert. Auch dies hat sich kaum geändert. Und die Vorstellung, Rassisten mit Argumenten zu begegnen, kann wohl mit Recht als naiv bezeichnet werden. Dies zeigen etwa die online geführten Debatten auf einschlägigen Hetzseiten, bei denen es nicht um Argumente geht.

Quelle: Brähler, Decker, Kiess: Die stabilisierte Mitte Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014.Quelle: Metronaut.de

Ganz maßgeblich wird der Rahmen, in dem diese Debatten rund um Flüchtlinge stattfinden, von Politik und Medien geprägt. Auch heute zeigen Auszüge wie aus der Rede von Horst Seehofer, dass mit dem Thema keineswegs ausschließlich verantwortungsvoll umgegangen wird. Verschiedene Medien haben immer wieder Berichte zum Thema Flucht und Asyl, die sicher alles andere als unproblematisch sind. So titelte beispielsweise der Fokus im Juli auf dem Cover: „Die Wahrheit über falsche Flüchtlinge“. Erinnerungen an die Spiegel-Cover der 1990er Jahre waren dabei kaum zu umgehen. Insgesamt – dies wohl auch eine Folge eines wirklichen Lernprozesses seit Anfang der 1990er – hat sich die Berichterstattung allerdings deutlich verändert und ist insgesamt nicht mit den vergangenen Jahrzehnten vergleichbar. Gerade die positive Berichterstattung über Asylsuchende hat – zumindest meiner Wahrnehmung nach – deutlich zugenommen.

Denkt man zurück an Berichte über die Erfahrungen von Journalisten aus Rostock-Lichtenhagen, so scheinen die damaligen Ereignisse bei vielen einen tiefen Eindruck hinterlassen zu haben. Eine sprachliche Absurdität, welche sich derzeit vermehrt in vielen Meiden findet ist hingegen der Begriff des „Asylkritikers“. David Hugendick kommentiert diese Wortschöpfung bei Zeit Online treffend:

Es sind die Wochen der „Asphaltdeutschen“ (Horvath), die aber offenbar nicht mehr so genannt werden sollen, auch nicht mehr Ausländerfeinde, im Zweifel nicht einmal mehr Neonazis. Mittlerweile sind für diesen Mob, der da seine Ressentiments durch die Straßen trägt, die Wörter „Asylkritiker“ oder „Asylgegner“ üblich geworden – Begriffe, die sich diese Gruppen selbst zueignen und die mit den „Asylbefürwortern“ ein neues Begriffspaar bilden. Inzwischen übernehmen einige Medien diese Wörter, ohne sich nähere Gedanken zu machen, was und vor allem welcher Gesinnung hier nachgeplappert wird. Der „Asylkritiker“ reiht sich ein ins krypto-totalitäre Vokabelheft, wo schon der „gesunde Menschenverstand“ steht, der „besorgte Bürger“, der „Islamkritiker“ und die „schweigende Mehrheit“. Ein ganzes Bestiarium des Volksempfindens.

Zwei weitere zentrale Veränderungen scheinen sich vor allem bei Unterstützerstrukturen für Flüchtlinge und bei der Organisation der Flüchtlinge selbst eingestellt zu haben. Bundesweit arbeiten Initiativen und Ehrenamtliche, um Flüchtlingen zu helfen und diese bei ihrer Ankunft zu unterstützen. Oft läuft diese (leise) Arbeit im Hintergrund, die nicht in gleichem Maße wahrgenommen wird wie Brandanschläge oder ähnliche Geschehnisse. Aber sie ist da und viele Menschen engagieren sich mit großem Einsatz für Asylsuchende. Durch die öffentlichen Protestaktionen der Flüchtlinge in verschiedenen Teilen Deutschlands gelang es weiterhin, die Anliegen der Flüchtlinge in die Medien zu tragen. Wenn auch noch nicht in großem Umfang, prägen sie damit dennoch die Debatten über sich selbst mit.

Aktuell scheint keine Ruhe in die Debatte einzukehren. Die Errichtung von Zeltlagern und Container-Unterkünften ruft verstärkt rassistische Gegenproteste hervor. Eine Beruhigung der Lage ist derzeit also nicht abzusehen. Politisch scheint die Frage, wie man den weiteren Anstieg von Flüchtlingen in Deutschland verhindern kann, immer stärker als zentrale Fragestellung in den Fokus zu rücken. So sagte der CDU-Vize Thomas Strobl gegenüber dem Tagesspiegel: „Müssen alles dafür tun, dass nicht so viele Flüchtlinge zu uns kommen“.

Quellen:

– Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung: Die Brandstifter. Rechte Hetze gegen Flüchtlinge

– Herbert, Ulrich: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, Bonn 2003.

 

Dieser Text erschien zuerst bei Publikative.org. Nach Einstellung dieses Blogs wurde er uns freundlicherweise vom Autor zur Verfügung gestellt.

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Einige Anmerkungen zu #metwo

Dass in Deutschland über Rassismus gesprochen wird ist gut. Ja, in unseren Zeiten ist das fast ein Wert für sich. Und wer sich dazu äußert, wer von rassistischen Herabsetzungen oder Angriffen berichtet, braucht ohne Frage den Schutz aller. Aber – jetzt kommt das große ABER – gehen wir die ganze Sache nicht völlig falsch an? Ein Beitrag von Anetta Kahane.

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