Seit 2010 gehen die Rechtsextremen auch in Cottbus jährlich auf die Straße: ein „Gedenkmarsch“ am Jahrestag des Luftangriffes 1945 auf die Stadt, ähnlich der Aufmärsche in Magdeburg und Dresden. Doch wie in diesen beiden Städten hat sich auch in Cottbus breiter zivilgesellschaftlicher Widerstand formiert. Seit Dezember 2010 gibt es das Bündnis „Cottbus Nazifrei“, das aus Initiativen, Organisationen, Bewegungen und Einzelpersonen besteht. Pressesprecher Sascha Kahle spricht im Interview mit Belltower.news über die Bedeutung der Nazi-Demo, den zivilgesellschaftlichen Protest dagegen und seine Wünsche für den 15. Februar.
netz-gegen-nazis.de: Welche Bedeutung hat der Aufmarsch in Cottbus für die rechtsextreme Szene?
Sascha Kahle: Um die Rolle des Aufmarschs einzuordnen, sollte man sich erst einmal die Bedeutung von Cottbus an sich für die Neonazis anschauen. Die Stadt hat deutschlandweit eine wichtige Funktion: Mehrere einschlägige Online-Händler sitzen hier, es gibt eine große rechtsextreme Szene rund um den Fußball und Ronny Zasowk, Vorsitzender der NPD Lausitz, versucht immer wieder, sich durch Nazi-Aufmärsche auch auf bundesweiter Ebene zu profilieren. Dazu war Südbrandenburg das Hauptgebiet der mittlerweile verbotenen „Spreelichter“.
Vor diesem Hintergrund gründete sich dann Ende 2010 das Bündnis „Cottbus Nazifrei“ – und schon im Februar darauf fand der nächste Naziaufmarsch statt. Was konntet Ihr erreichen?
2011 konnten wir etwa 300 bis 350 Menschen für unsere Blockaden mobilisieren, die Zahl der angereisten Nazis lag bei ca. 250 Personen. Ein Jahr später sahen sich knapp 200 Rechtsextreme über 2.000 Menschen gegenüber, von denen immerhin über 500 auch noch an den Blockaden teilnahmen. Das ist für Cottbus schon ganz gut, zudem der Naziaufmarsch wirkungsvoll gestört werden konnte: Über zwei Stunden musste der stoppen, nur die Hälfte der Nazis lief danach überhaupt bis zum Ende mit. Zudem rückte die Stadt in ihrer Kommunikation nach außen vom Opfergedenken ab, was sicher als Erfolg des Bündnisses zu werten ist.
Welche Rolle spielt denn die NPD für Aufmärsche in Cottbus?
Eine ganz zentrale. In Cottbus mobilisiert hauptsächlich die NPD, die Demos werden auch aus ihrem Umfeld angemeldet. Mit Parteizeichen sind die NPDler bei den Aufmärschen dann aber sparsam, um die freien Kräfte nicht abzuschrecken.
Nochmal zurück zur Bedeutung des 15. Februar: Werden die Nazis in diesem Jahr nicht verstärkt nach Cottbus reisen, weil ihnen in Dresden auf breiter Ebene Widerstand geleistet wird?
Dresden steht vielleicht nicht mehr so stark im Fokus. Die Erfolgsaussichten dort sind für Neonazis doch sehr gering. Ob nun in diesem Jahr tatsächlich mehr oder doch weniger Nazis kommen werden, lässt sich allerdings jetzt nicht sagen. Der 15. fällt ja auf einen Freitag, was ein günstiger Tag für solche Veranstaltungen ist – andererseits waren die letzten Aktionen in Cottbus für die Nazis nicht gerade glorreich … auch wenn sie hier marschieren konnten.
Wir merken jedenfalls deutlich, dass wir aus anderen Städten mehr Unterstützung bekommen, wobei wir letztes Jahr auch stark an unserer Vernetzung gearbeitet haben. Was aber noch dazu kommt ist, dass praktisch alle Aufmärsche in Brandenburg im vergangenen Jahr verhindert wurden – Cottbus gewinnt somit in diesem Jahr auch überregional an Bedeutung.
Wie wird denn der zivilgesellschaftliche Protest in diesem Jahr aussehen?
Nachdem 2011 doch mehr aneinander vorbei gearbeitet und die Protestform der Menschenblockade kriminalisiert wurde, kam es zur Gründung der AG „Beweggründe“ – und zu vielen Gesprächen, um Akzeptanz füreinander zu schaffen. In diesen Gesprächen wurde ein Konsens entwickelt, was ein wichtiger Schritt war. Jetzt herrscht Einigkeit zwischen der Stadt, den unterschiedlichen politischen Kräften und der Zivilgesellschaft darüber, dass jeder aus seinem Gewissen heraus seine eigene Form des Protests wählt und dass diese Form akzeptiert wird. Es gibt auch einen gemeinsamen Aufruf unter dem Slogan „Cottbus bekennt Farbe“, insofern denke ich, dass Cottbus mindestens ein sehr geschlossenes und deutliches Zeichen gegen Neonazis setzen wird.
Was ist Deine ganz persönliche Hoffnung für den 15. Februar?
Mein Wunsch für den 15. ist, dass wir viele Menschen aktiviert bekommen, auf die Straße zu gehen und sich auch an Blockaden zu beteiligen, um den Aufmarsch wirklich zu verhindern. Das wäre für Brandenburg ein außerordentlich wichtiges Signal: Noch vor sieben Jahren gab es die Debatte um No-Go-Areas hier – wenn es uns jetzt gelingt, die Nazis nach Hause zu schicken, wäre das ein großer Erfolg!
Das Interview führte Alice Lanzke.
Mehr Infos:
Vernetzung:
Das Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit Brandenburg ruft Bürgerinitiativen, Vereine und Verbände aus anderen Regionen Brandenburgs dazu auf, sich gemeinsam an der Demonstration in Cottbus zu beteiligen. Bürgerinnen und Bürger haben die Möglichkeit, ab Potsdam mit dem Bus gemeinsam zur Demo zu fahren. Mehr Infos hier.