Von Robert Wagner
Obwohl die NPD darunter leidet, dass die AfD ihr Themen und Wähler*innen entwendet, besitzt sie immer noch Mobilisierungspotenzial. Seit einigen Monaten sind bedrohlich auftretende Männer-Gruppen immer häufiger und in der ganzen Republik zu sehen: Bürgerwehren der rechtsextremen NPD, die nicht sofort als NPD-nah zu erkennen sind, aber fast durchweg aus polizeibekannten und oftmals wegen Gewaltdelikten vorbestraften Neonazis bestehen. Sie verkaufen sich großspurig und gegen jede Faktenlage als „zivilcouragierte Bürger“, die angesichts eines behaupteten „dauerhaften Staatsversagens“ und ausufernder Migrantenkriminalität lediglich „Schutzräume für Deutsche“ etablieren wollen. Bisher waren diese „Schutzzonen“ in erster Linie ein von vielen belächeltes Internetphänomen, doch der Verfassungsschutz warnt davor, die von den patrouillierenden Neonazis ausgehende Gefahr zu unterschätzen.
Das „Schutzzonen”-Konzept
Diese Idee dürfte der schieren Angst vor dem politischen Tod geschuldet sein: Um dem Abgleiten in die völlige Bedeutungslosigkeit entgegenzuwirken, hat nun auch die rechtsextreme „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) das unter Rechten seit einiger Zeit beliebte Konzept der Bürgerwehr für sich entdeckt und zu einer politischen Kampagne umgestaltet.
Die firmiert unter dem Slogan „Schafft Schutzzonen!“ und soll der dahinsiechenden Partei, die vom Erfolg der AfD existenziell bedroht ist, mediale Aufmerksamkeit verschaffen. Der Begriff der „Bürgerwehr“ wird dabei zumeist vermieden – offensichtlich ist er mittlerweile zu negativ besetzt – genauso wie auch die Patrouillierenden selbst es vermeiden, durch ein Logo oder ähnliches ihre Nähe zur NPD zu offenbaren. Man will als dezidiert überparteiliche Mitmach-Aktion erscheinen, die sich „an alle wehrhaften Bürger in Deutschland“ richtet, wie der Bundesvorsitzende der NPD, Frank Franz, betont.
„Schutzzonen“ für mehr Sicherheit – aber nur für Weiße
Die NPD definiert auf einer eigens angelegten Homepage eine solche „Schutzzone“ als „einen Ort, an dem Deutsche Sicherheit finden können,“ wobei dieser Ort nicht nur eine Personengruppe sein kann, sondern jeglicher geschützter Rückzugsraum, also auch Gebäude oder Fahrzeuge (tatsächlich wurden vereinzelt auch schon Häuser und Hütten in NPD-Besitz zu „Schutzzonen“ erklärt). Es versteht sich von selbst, dass die neofaschistische NPD, der das Bundesverfassungsgericht 2017 offiziell eine „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ und damit eine Verfassungsfeindlichkeit attestierte, damit natürlich nur Schutzzonen für weiße Deutsche ohne Migrationshintergrund meint. Das geht aus der begleitenden Rhetorik auch sehr deutlich hervor.
Es handelt sich um eine zutiefst rassistische Kampagne, die jeden nicht weißen Menschen zu einem potenziellen Straftäter stigmatisiert, vor dem “deutsche Frauen” und „deutsche Kinder“ geschützt werden müssten. Die bloße Präsenz von Migrant*innen wird durch den ausschließlichen Fokus auf „südländisch aussehende Täter” zu einer permanenten Bedrohung stilisiert. Wenn Ronny Zasowk, stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD aus Brandenburg und einer der federführenden Köpfe hinter der „Schutzzonen“-Kampagne, in einem Facebook-Post das Ziel formuliert, „dass ganz Deutschland eines Tages eine Zone wird, in der wir Deutschen wieder sicher leben können“, spricht daraus der alte Neonazi-Wunsch nach einem „ausländerfreien“ Deutschland.
Altes Konzept, neue Verpackung
Die Teilnehmer dieser NPD-Kampagne mögen sich etwas umständlich als „wandelnde Schutzzonen“ definieren und entsprechend bezeichnen, an ihrer Eigenschaft als Bürgerwehr ändert dieser rein rhetorische Kniff nicht das Geringste. Rassistische Bürgerwehren, die Ressentiments gegenüber nicht-weißen Menschen schüren und vorhandene Ängste in der Mehrheitsbevölkerung befeuern, erfreuen sich seit den Fluchtbewegungen von 2015 in extrem rechten Kreisen neuer Beliebtheit. Die berichteten Vorfälle von sexualisierter Gewalt in der Kölner Silvesternacht 2015/2016 sorgten für einen regelrechten Bürgerwehr-Boom, es kam vielerorts zur Bildung mehr oder weniger langlebiger Bürgerwehr-Initiativen (mehr dazu hier). Besonders in Bayern rotten sich seit 2016 verstärkt Neonazis von der Partei Der III. Weg und den Soldiers of Odin, einem rechtsextremen Import aus Finnland, zu martialisch inszenierten Patrouillen-Gängen zusammen (BTN dazu). Aktuell sind mit „Divisionen“ in Bayern und Rheinland-Pfalz auch die Vikings Security Germania aktiv, eine Abspaltung der Soldiers of Odin. Bereits 2014 machte die Neonazi-Partei „Die Rechte“ mit einer SA-ähnlichen, als „Stadtschutz“ deklarierten Bürgerwehr in Dortmund von sich reden.
So weiträumig und groß angelegt wie die aktuelle Bürgerwehr-Initiative der NPD war jedoch noch keine andere vergleichbare Aktion zuvor. War sie zunächst auf Berlin und Brandenburg beschränkt, tauchen in den sozialen Medien seit einigen Monaten aus immer mehr Städten in ganz Deutschland Bilder von NPD-„Schutzzonen“ auf. Wie ernst diese Initiative aber tatsächlich gemeint ist, bleibt immer noch weitgehend unklar. Vieles spricht dafür, dass es sich um eine Inszenierung handelt, an der im Wesentlichen nur örtliche Parteikader beteiligt sind und die der in den letzten Jahren stark geschrumpften NPD neue Aufmerksamkeit verschaffen soll.
Erste Aktivitäten im Frühjahr 2018 – Berlin und Cottbus als Ausgangsorte einer PR-Aktion
Nachdem bereits Anfang Januar 2018 der brandenburgische NPD-Kader Ronny Zasowk auf der Interseite der NPD gefordert hatte, dass „ganz Deutschland eine Schutzzone werden muss“, treten zunächst in Cottbus – wo Zasowk im Stadtrat sitzt – und bald auch in Berlin erste Aktivisten der NPD entsprechend in Erscheinung. Am 31. Januar 2018 verteilen Mitglieder des NPD-Kreisverbands Cottbus vor dem Hintergrund der „zunehmenden Übergriffe durch Asylanten“ in der Cottbusser Innenstadt Sprühdosen mit Reizgas sowie Flugblätter der NPD mit dem Titel „Unsere Frauen sind kein Freiwild!“ Im März folgen „Kiezstreifen“ in Berlin-Pankow, damals noch in Jacken mit Parteilogo, wie die taz in einem der ersten Medienartikel zum Thema berichtet.
Von Beginn an zeichnen sich Berlin und Cottbus als Zentren der „Schutzzonen“-Kampagne ab. In diesen Städten werden im Juni, vielleicht schon im Mai 2018 die ersten Foto- und Videoaufnahmen gemacht, auf die die Medien im Juli später aufmerksam werden. Besonders ein Video auf Youtube, das vom NPD-Parteiorgan Deutsche Stimme Anfang Juni hochgeladen wurde und eine „S-Bahn-Streife“ in Berlin zeigt, erregt empörte Aufmerksamkeit.
Dort sieht man Berliner NPD-Größen wie den ehemaligen Landesvorsitzenden und aktuellen „Bundesorganisationsleiter“ der Partei Sebastian Schmidtke – mehrfach vorbestraft u. a. wegen Betrugs, Beleidigung und Volksverhetzung und gut bekannt bei Berliner Gerichten – wie sie zu pathetischer Musik Marke Hollywood-Blockbuster durch S-Bahnen laufen und Fahrgästen die Fahrpläne erklären. Mehrere Internetmedien berichten zeitgleich darüber (neben der taz u. a. auch die Berliner Morgenpost , ntv , die Huffington Post, der Berliner Kurier und der stern), ein Journalist von Vice macht sich sogar in der Berliner S-Bahn selbst auf die Suche nach den patrouillierenden Nazis – vergebens, er findet nicht einmal einen einzigen Augenzeugen. Sie existieren praktisch nur als reines Internetphänomen, viele Fotos und das Video wirken eigens inszeniert. Die einhellige Meinung damals: Alles eine reine PR-Aktion einer ums politische Überleben kämpfenden Partei.
Sommer 2018 – die Sichtungen nehmen zu
Seit dem vergangenen Sommer kursieren aber immer häufiger Fotos und Videos, die über die sozialen Medien und die Videoplattform Youtube verbreitet werden und solche „Schutzzonen“-Bürgerwehren zeigen. Insbesondere Regionalzeitungen berichten nun vermehrt über entsprechende Aktivitäten und bitten die Polizei um Stellungnahmen; es kommt zu vermehrten Sichtungen, die Polizei übt scharfe Kritik. Strafrechtlich relevante Vorfälle bleiben aber aus.
Als ein weiterer Schwerpunkt neben Berlin, wo bis Ende Oktober u. a. in den Bezirken Mitte, Kreuzberg, Lichtenberg, Friedrichshain und Spandau 17 Auftritte von NPD-„Schutzzonen“ gezählt werden, und Brandenburg kristallisiert sich bis September Sachsen heraus. Dort ist die NPD mit ihrer Bürgerwehr nicht nur in den Großstädten Dresden, Chemnitz und Leipzig unterwegs, sondern hat ein Haupt-Aktionsgebiet interessanterweise in der mittelsächsischen Provinz rund um Döbeln, Roßwein und Freiberg, seit Langem eine Hochburg der Neonazi-Partei. In Döbeln sitzt der polizeibekannte NPD-Kader Stefan Trautmann im Kreisrat und bewirbt die “Schutzzonen”-Kampagne fleißig auf Twitter. Trautmann ist u. a. wegen Diebstahls, vorsätzlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und unerlaubten Waffenbesitzes mehrfach vorbestraft und möchte nun seine Heimatstadt “präventiv etwas sicherer machen”, wie er ungeniert auf Twitter kundtut.
Auch aus westdeutschen Bundesländern wie Niedersachsen (Peine, Salzgitter, Goslar) Nordrhein-Westfalen (Bochum, Duisburg), Hessen (Wetzlar, Wiesbaden, Fulda) Rheinland-Pfalz (Worms, Pirmasens) und Bayern (Nürnberg) werden auf Twitter und Facebook zunehmend mehr Fotos gepostet und auch einige Videos auf Youtube veröffentlicht.
Zu sehen sind darauf – auffallend oft nur in Rückansicht, wohl um nicht erkannt zu werden – meist breitschultrige und stiernackige, wenig vertrauenerweckende Männer mit Kurzhaarfrisur oder Glatze in kurzen Hosen, Karohemden und T-Shirts, wie sie in auffälligen roten Westen selbstbewusst durch unsere Städte marschieren oder, wie sie selbst es ausdrücken, diese „bestreifen“. Auf den signalfarbenen Westen prangt ein schildförmiges Logo, bestehend aus einem „S“ und einem darüber gelegten kleineren „Z“. Auf manchen Fotos tragen die Neonazis auch entsprechend bedruckte rote oder schwarze T-Shirts, auf anderen hingegen nichts dergleichen, sodass sie wie gewöhnliche rechtsextreme Menschenfeinde auf der Suche nach potenziellen Opfern wirken.
Ein Land vor dem ethnischen Bürgerkrieg
In den Kommentaren zu den mittlerweile zahlreich auf Facebook und Twitter geposteten Beiträgen und in den Videos auf Youtube wird großspurig angekündigt, dass nun auch in der betreffenden Stadt endlich „für Ordnung gesorgt“ und gegen die „massive Kriminalitätsbelastung“ durch Migrant*innen angekämpft werde.
Das grundlegende Narrativ ist ebenso simpel wie abwegig und in rechten Kreisen weit verbreitet – die NPD treibt es lediglich besonders konsequent auf die Spitze: Durch die Politik der „offenen Grenzen“ sei es in den letzten Jahren zu einem „staatlichen Kontrollverlust“ und einer „Kapitulation des Rechtsstaats“ gekommen. Der öffentliche Raum würde „immer mehr verwahrlosen und immer mehr zu einem Hort der Ausländerkriminalität.“ Die Polizei habe sich weitgehend zurückgezogen und überlasse nun die schutzlos zurückgebliebene deutsche, d. h. für die NPD weiße Mehrheitsbevölkerung kriminellen „Asylforderern“, „gewalttätigen Ausländerbanden“ und „fremdländischen Messermännern“.
Die deutschen Städte würden in Kriminalität durch Migrant*innen versinken, überall entstünden „No-Go-Areas“ für Deutsche. „Clankriminalität, Wohnungseinbrüche, Schlägereien im Alkohol oder Drogenrausch“ seien „zum Alltag geworden.“ Deutsche Rentner würden von Asylbewerbern „aufgeschlitzt“, deutsche Frauen seien „vom Staat zum Abschuss freigegeben.“ Jeder könne heute jederzeit „Opfer eines fremdländischen Übergriffes“ werden. Deutschland stünde praktisch unmittelbar vor bürgerkriegsähnlichen Gewalteskalationen, in denen die Fronten klar entlang ethnischer Linien verlaufen.
Es ist die pure Angst vor den „Fremden“, die hier nachdrücklich beschworen wird und die für die Existenz der politischen Rechten von so essentieller Bedeutung ist.
Retter der bedrängten Deutschen – Vorbestrafte Neonazis als die bessere Polizei?
Um ihre „Landsleute“ zu schützen, hätten sich deshalb die „Patrioten“ von der NPD „ein Herz gefasst und mit dem Durchführen von Bürgerstreifen begonnen“, wie die Bundespartei am 19. Juni 2018 erbarmungsvoll mitteilt. Man gibt sich betont fürsorglich, denn man sei ja nicht „zum Vergnügen unterwegs, sondern aus Sorge um die Sicherheit in unserem Land“, die die „maßlos überforderten“ Behörden nicht mehr gewährleisten könnten. Wiederkehrendes Motto und vermeintliche Legitimationsgrundlage in alter Bürgerwehr-Manier: „Wenn der Staat uns nicht schützt, müssen wir Bürger uns selbst schützen.“ Dabei wolle man nicht nur die (weiße) Bevölkerung schützen, sondern auch „das Bewusstsein für die zunehmende Ausländerkriminalität“ schärfen. Der NPD-Kader Ronny Zasowk im Juli 2018 auf einer NPD-Veranstaltung im brandenburgischen Bad Belzig dazu: „Wir Patrioten und Nationalisten dürfen nicht dabei zusehen, wie unsere Landsleute dem alltäglichen Terror und der Kriminalität in unseren Städten ausgesetzt werden. Deshalb fordere ich euch alle auf: Schafft Schutzzonen!“
Dieser hysterisch-realitätsfernen Wirklichkeitsbeschreibung einerseits entspricht eine befremdliche Anmaßung polizeilicher Kompetenzen und hoheitlicher Rechte andererseits. Im Kampf gegen diesen „alltäglichen Terror“ auf unseren Straßen kennen die Neonazis von der NPD keinerlei Hemmungen und stören sich nicht an krassesten kognitiven Dissonanzen. Ausgerechnet gewaltaffine Neonazis, die oftmals einschlägig vorbestraft sind (im mittelsächsischen Roßwein wurde sogar ein vorbestrafter Sexualstraftäter, der sich an einem Kind vergangen hatte, unter den “Schutzzonen”-Nazis beobachtet), verkaufen sich als Helfer einer „Polizei in Not“ und nehmen für sich in Anspruch, die „fehlende Polizeipräsenz etwas zu kompensieren.“ Sie verstehen sich offensichtlich als eine Art Ersatzpolizei, die sich auch in „Problemviertel“ wage, „um die die Polizei einen großen Bogen“ mache. Es ist unverfrorenerweise und mehr als einmal sogar die Rede von den „Kollegen von der Polizei“, die die Neonazi-Bürgerwehr „unterstützen“ würden und deren Tätigkeit „hoffentlich zu schätzen wissen.“
„An den Haaren herbeigezogen“
Mit dieser seltsam entrückten Haltung sorgen die „Schutzzonen“-Nazis auch bei den Menschen vor Ort für Befremden. So schlug Ronny Zasowk, NPD-Stadtverordneter in Cottbus, der Tafel seiner Heimatstadt Anfang August 2018 eine „Sicherheitspartnerschaft“ vor. Vor dem Hintergrund der Debatte um die Essener Tafel einige Monate zuvor behauptete er in einem auch online veröffentlichten Brief, dass die Cottbuser Tafel vergleichbare Probleme mit aggressiven „ausländischen Kunden“ hätte und „immer mehr deutsche Bedürftige der Einrichtung fernbleiben, weil sie sich schlichtweg fürchten.“ Gegenüber ZEIT ONLINE kommentierte der Leiter der Cottbuser Tafel diesen Brief mit großer Verwunderung: „Ich war total überrascht. Das Kuriose war, es gab nichts. Keine Probleme mit irgendjemandem. Also vollkommen an den Haaren herbeigezogen.“ Wie die NPD darauf kommt, ihm ein solches Angebot zu unterbreiten, könne er sich nicht erklären.
Bald nach Beginn der Kampagne im Juni tauchen in Berlin, später auch an anderen Orten, „mobile Streifen“ auf, die aus einem Privatauto – gerne in Transporter-Größe – bestehen, das mit dem Logo der Kampagne beklebt wurde und ganze „Schutzzonen-Trupps“ durch die Stadt bewegt. Auf einem Facebook-Post von Anfang August 2018 ist ein solcher „Einsatzwagen“ sogar mit einem Blaulicht auf dem Dach abgebildet.
Was die echte Polizei dazu sagt
Natürlich ruft so eine unverschämte Anmaßung von polizeilichen Befugnissen, die aus gutem Grund in den Händen des Staates liegen, früher oder später die echte Polizei auf den Plan. Seitdem die rassistische „Schutzzonen“-Kampagne Mitte Juli 2018 in den Fokus der Medien geraten ist und in immer mehr Städten auftaucht, äußern sich die unterschiedlichen Polizeibehörden regelmäßig dazu, wobei die ablehnende Haltung immer dieselbe ist: Man sieht dieses „Engagement“ äußerst kritisch und hält nichts von selbsternannten Aushilfspolizisten, die in uniformähnlicher Aufmachung gruppenweise durch die Straßen patrouillieren.
„Zivilcourage und aufmerksame Bürger, die bei Gefahr die Polizei verständigen, unterstützen wir. Bürgerwehrartige Strukturen lehnen wir strikt ab“, wie die Berliner Polizei in einem Tweet vom 14. Juli 2018 verlautbart. Ähnlich auch Anfang August die Bochumer Polizei, kurz nachdem auch dort eine „Schutzzone“ der NPD aufgetaucht war: „Prinzipiell finden wir es gut, wenn Menschen ein wachsames Auge auf ihr Umfeld haben und verdächtige Beobachtungen der Polizei melden. Bürgerwehren und Selbstjustiz helfen uns da nicht.“
Das “Jedermannsrecht”
Das bloße Ausrufen von „Schutzzonen“ und entsprechende Kontrollgänge sind an sich noch nicht von strafrechtlicher Relevanz. Bürgerwehren wie die der NPD berufen sich gemeinhin auf das sogenannte Jedermannsrecht, das in Paragraf 127 der Strafprozessordnung geregelt ist: „Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen.“
Jedoch ist das als strenge Ausnahmeregelung zu verstehen, die die Effektivität der Strafverfolgung gewährleisten soll – keinesfalls jedoch als Freibrief für Hobby-Sheriffs. Die Teilnehmer solcher Streifen bewegen sich selbst am Rande der Strafbarkeit, da sie sich sehr schnell über die beschränkten Befugnisse des Jedermannsrechts hinaus etwa der Nötigung, Freiheitsberaubung oder Körperverletzung schuldig machen können, so Andreas Loepki, Sprecher der Polizei Leipzig, Ende August 2018 gegenüber der Leipziger Volkszeitung – gerade wenn die Hobby-Sheriffs aus einem so gewaltaffinen Milieu wie der Neonazi-Szene stammen sicherlich kein abwegiger Gedanke.
Wichtiger: Das Uniformverbot
Was allerdings in diesem Zusammenhang von unmittelbarer juristischer Bedeutung ist, ist das in Paragraf 3 des Versammlungsgesetzes geregelte Uniformverbot. Das verbietet es, „öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen. So soll verhindert werden, dass “infolge des äußeren Erscheinungsbildes […] Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch auf […] Außenstehende eingeschüchternd eingewirkt wird.”
Dieses Verbot dürfte auch der Grund sein, warum auf manchen Fotos keine Westen oder lediglich mit dem „Schutzzonen“-Logo bedruckte T-Shirts zu sehen sind – es bietet der Polizei einen wirksamen Hebel, um gegen solche Bürgerwehren vorzugehen. Allerdings ist fraglich, inwiefern gruppenweise durch eine Stadt marschierende aggressive Neonazis mit Glatze und Stiernacken ohne Weste weniger bedrohlich erscheinen.
Polizei kündigt Nulltoleranzpolitik an
Der entscheidende Punkt ist aber, so Loepki, dass Privatpersonen – unabhängig von ihrem politischen Hintergrund – weder über die Ausbildung zur Strafverfolgung, noch über die entsprechenden Befugnisse und die nötige Rechtssicherheit verfügen, um in ganzen Stadtteilen oder Städten „für Ordnung zu sorgen.“ Gegenüber Personen, die sich privat hoheitliche Aufgaben anmaßen, werde man „eine Nulltoleranzlinie“ ziehen, stellt Thomas Geithner, Sprecher der Polizei Dresden, Ende Juli 2018 via Twitter klar, nachdem die NPD ihre Kampagne auch auf Dresden ausgeweitet hatte.
Mitte August äußert sich auch Dresdens Polizeipräsident Horst Kretzschmar in deutlichen Worten dazu: „Das Gewaltmonopol liegt allein in staatlicher Hand. Auf gar keinen Fall werden wir zulassen, dass selbsternannte Ordnungshüter das Recht in die eigenen Hände nehmen.“ Kurz zuvor wurde der sächsische Landesvorsitzende der NPD, Jens Baur, offiziell im Rahmen einer Gefährderansprache von der Polizei Sachsen darüber in Kenntnis gesetzt, dass man alle straf- und polizeirechtlichen Möglichkeiten konsequent ausschöpfen werde, sollte man auf eine solche „Schutzzonen“-Streife treffen.
Diese Nulltoleranz-Haltung ist natürlich umso erforderlicher, wenn es sich bei den Privatpersonen, die hinter der NPD-Bürgerwehr stehen, im Wesentlichen um stadtbekannte stramme Neonazis handelt, wie der Berliner Verfassungsschutz gegenüber der Berliner Zeitung feststellt. Besonders deutlich in dieser Sache ist wieder die sächsische Polizei, die am 17. September eigens eine Pressemitteilung zur „Schutzzonen“-Kampagne veröffentlicht. In dieser macht sie die dringend notwendige Feststellung, dass „gerade Mitglieder und Unterstützer verfassungsfeindlicher Organisationen, und dazu zählt die NPD, ohne Ausnahme ungeeignet sind, die Polizei in ihrem Tun unterstützen zu wollen.“ Sie werde gegenüber den „Schutzzonen“-Nazis „alle straf- und polizeirechtlichen Mittel konsequent ausschöpfen“ und bei Bedarf auch von ihrem Recht Gebrauch machen, „Platzverweise zu erteilen.“ Menschen, die eine solche Gruppe feststellen, werden gebeten, „unverzüglich Mitteilung an das nächste Polizeirevier“ zu machen.
NPD zweifelt Gewaltmonopol faktisch an
Die großmäulig auftretenden „Schutzzonen“-Nazis ficht das alles nicht an. Sie verkaufen sich weiterhin als „zivilcouragierte Bürger“, die lediglich einer überforderten Polizei im Kampf gegen eine vermeintlich grassierende deutschenfeindliche Migrantenkriminalität helfen und ihren bedrängten Landsleuten „Räume zum Schutz vor Gewalt, Bedrohung und Verfolgung bieten“ wollen. Die scharfe Kritik von Seiten der Polizei weisen sie empört von sich. In einer Mitteilung der sächsischen NPD , die nur einen Tag nach der oben zitierten Pressemitteilung der sächsischen Polizei veröffentlicht wurde, geht der sächsische Landeschef Jens Baur, zum Angriff über: Er habe am 14. August „in einem konstruktiven Gespräch“ gegenüber den sächsischen Sicherheitsbehörden „klargestellt“, dass die NPD-Kampagne sich im legalen Rahmen bewege und außerdem das Gewaltmonopol des Staates „nicht in Frage“ stelle; mit dem „konstruktiven Gespräch“ meint er die offizielle Gefährderansprache in der Polizeidirektion Dresden.
Die Verantwortlichen pochen also darauf, dass die „Schutzzonen“ rechtlich völlig unproblematisch seien und nicht am Gewaltmonopol des Staates rütteln würden – und überführen sich selbst der Lüge. Aus einem Facebook-Post von Anfang August geht hervor, dass eine Berliner „Schutzzonen“-Streife in Berlin-Mitte Trickbetrüger „verjagt“ hätte. Die Berliner Zeitung berichtet ähnliches: Die NPD würde damit prahlen, dass eine andere (oder vermutlich dieselbe) „Tourismusstreife“ ebenfalls in Berlin-Mitte „mehrere Betrüger und Zigeuner des Platzes verbannt [sic]“ habe. Das ist, wenn so geschehen, eine eindeutige Anmaßung von Hoheitsrechten und damit eine Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols. Leider hatten die „Schutzzonen“-Nazis bisher Glück und es wurden noch keine entsprechenden Anzeigen erstattet.
Die Bundespartei stachelt selbst zu solchen illegalen Übergriffen an, wenn sie in einer Mitteilung von Ende August in alarmistischem Ton beklagt, der Staat habe sich „durch politisch herbeigeführten Kontrollverlust das faktische Gewaltmonopol längst aus der Hand nehmen lassen.“ Wer mit solchen Parolen spielt, nimmt billigend in Kauf, dass gewaltaffine Aushilfspolizisten aus der Neonazi-Szene sich ermutigt fühlen, dieses faktisch herrenlose Gewaltmonopol in die eigene Hand zu nehmen.
Eine nicht zu unterschätzende Gefahr
Die Ermutigung zur Grenzüberschreitung ist das eigentlich Gefährliche an dieser Bürgerwehr-Initiative und diese Gefahr wächst mit deren steigenden Aktivitätsniveau. Dieses liege mittlerweile „deutlich über dem von vorherigen Bürgerwehr-Kampagnen“, wie der Verfassungsschutz im Oktober der Berliner Zeitung gegenüber deutlich macht. Von Quellen habe er erfahren, dass die „Schutzzonen“-Kampagne von der NPD „als Erfolg gewertet“ wird. Es sei durchaus möglich, dass es zu größeren Konfrontationen und Gewaltdelikten kommt, wenn „zukünftige Videoaufnahmen nicht mehr so unbemerkt verlaufen wie bislang.“
Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass Eskalationen bewusst provoziert werden, um der Kampagne, sollte es wieder ruhiger um sie werden, neue Aufmerksamkeit zu verschaffen. Diese Sorge teilt auch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (mbr), die davor warnt, dass die Rechtsextremen von der NPD versuchen werden „immer provokantere Orte zu wählen und Aufsehen erregendere Aktionen zu initiieren.“ Der Tenor bei beiden: Die „Schutzzonen“-Kampagne dürfe trotz ihres substanziellen Charakters als PR-Aktion nicht unterschätzt werden. Auch die Berliner Morgenpost erfährt Ende November aus Sicherheitskreisen: „Das gesellschaftliche Klima ist so, dass solche Aktionen auf einen größeren Nährboden stoßen.“
Was für ein Menschenbild hinter den Bürgerwehr-Aktionen der NPD steckt, zeigt eine mittlerweile gelöschte Nachricht auf Facebook von Ende November in seltener Deutlichkeit. Auf den Fotos sind Teilnehmer einer „Schutzzone“ in Bochum zu sehen, die in einem Park Müll aufsammeln. Der Kommentar dazu: „Nicht nur um menschlichen Müll muss sich gekümmert werden.“ Dahinter zwinkert ein Smiley.
Ende des rassistischen Spuks nicht in Sicht
Die Warnungen von Seiten des Verfassungsschutzes und der Zivilgesellschaft scheinen gerechtfertigt. Es ist nicht davon auszugehen, dass die NPD in absehbarer Zeit diese Initiative wieder beendet – sie steht am politischen und finanziellen Abgrund und ist dringend darauf angewiesen, durch größere Wahlerfolge wieder Zugang zu den staatlichen Töpfen der Parteienfinanzierung zu bekommen. Die bekommen nämlich nur Parteien, die einen Mindestanteil der Stimmen bei Bundestags- oder Landtagswahlen auf sich vereinen können.
Dieses Quorum konnte die NPD, bedingt durch die Erfolge der AfD, zuletzt nicht mehr erreichen. Die Aufmerksamkeit, die sie nun medial und womöglich auch zunehmend vor Ort durch die „Schutzzonen“ auf sich lenken kann, wird sie in Wahlerfolge umzumünzen versuchen. Dass Brandenburg und Sachsen neben Berlin die Zentren dieser Kampagne sind, dürfte kein Zufall sein, stehen dort doch im kommenden Jahr zwei wichtige Landtagswahlen an. Das Wählerpotenzial ist gerade in diesen Ländern auf jeden Fall vorhanden, nur müssen größere Geschütze aufgefahren werden, um gegen die übermächtige AfD anzukommen. Die vermeintlich zivilcouragierte, fürsorgliche „Schutzzonen“-Initiative ist offensichtlich das Pferd, auf das die NPD in diesem Kampf um Stimmen setzt.