„Er war ein großer Mann der Nation, des Kärntner Volkes größter Sohn. Jörg Haider unser Freund, Jörg Haider unser Held, Kämpfer für eine gerechte Welt!“ Michael Filatsch drückt wild auf die Tasten seines Handys um diese „Huldigungs-SMS“ weiter zu schicken. Die Nachricht über den tödlichen Unfall seines Landeshauptmanns hat den 39-jährigen Klagenfurter während seiner Arbeit in einer Reinigungsfirma kalt erwischt. „Jetzt geht es bergab mit Kärnten“, prophezeit er. Apathisch starrt Filatsch auf die roten Grablichter vor der Zentrale des BZÖ in der Karfreitstraße.
Welcher resolute Landeshauptmann wird das Land jetzt vor tschetschenischen Raufbolden aus Flüchtlingsheimen schützen oder den abgehobenen Bürokraten in Wien die Parole bieten? Kärnten ohne Haider? In Klagenfurt stellt sich am Tag nach seinem Ableben scheinbar ein jeder diese Frage. Antworten gibt es noch keine.
Samstagmorgen war sein Auto ins Schleudern geraten, gegen einen Betonpfeiler geprallt und hatte sich mehrmals überschlagen. Er starb noch während des Transports ins Krankenhaus. Am Sonntag soll der Leichnam obduziert werden. Die Unfallursache ist unklar, schon gestern wurde spekuliert, dass Haider viel zu schnell gefahren sei.
Für Gerhard Dörfler, der nun als stellvertretender Landeshauptmann die Amtsgeschäfte übernimmt, ist die „Sonne in Kärnten vom Himmel gefallen.“ Mit einem Schlag ist aus dem berüchtigten Kärnten ein Bundesland wie jedes andere geworden. Das gallische Dorf ist in kollektiver Trauer.
Bereits in den Morgenstunden hat man in Klagenfurt die ersten schwarzen Fahnen gehisst, Geschäfte und Restaurants gedenken bereits mit A4 großen Postern des verunglückten Landeshauptmanns. Überall in der Stadt sind Kerzen aufgestellt, auch vor dem Lindwurm, dem Wahrzeichen der Stadt, am Neuen Platz, mit der Botschaft „Du bist unser Held, Pfiati Jörg“, bewacht von drei betrunkenen Halbstarken, die jeden verscheuchen, der ihrer Gedenkstätte zu nahe tritt.
Um zehn Uhr morgens stehen die ersten traumatisierten Klagenfurter vor der Landesregierung Schlange, um sich ins Kondolenzbuch einzutragen. Stolz zeigen ältere Damen auf den linken Flügel des Gebäudes, dorthin, wo der Jörg jeden Kärntner einmal die Woche in seinem Bürgerbüro empfangen hat. Er hörte zu und sie erzählten, über die niedrige Pension, die frechen Ausländer oder die böse EU.
Jugendliche ziehen nervös an ihren Zigaretten, Kinder imitieren ihre Väter, die mit verquollenen Augen in Gedenkstarre verfallen sind, begleitet von ihren Frauen, die leise wimmern, während sie „Danke , du bist der Beste“ ins Kondolenzbuch schreiben. Evelyn hat die Prozedur schon hinter sich. Jetzt steht sie regungslos vor dem „Lichtermeer“ und schaut auf das Bild jenes Mannes, der sie vor Jahren darum bat, ihre blonde kleine Tochter doch für ein Wahlplakat engagieren zu dürfen „Das war kein Unfall“, meint die 42-jährige Heilpraktikerin kryptisch, „die Freimaurer haben Haider zu Fall gebracht. Genauso wie Lady Di und John F. Kennedy.“
Jörg Haider ist unantastbar. Das haben auch Adnan, Karim und Albin bemerkt. „Der Führer ist tot“, witzeln die drei Jugendlichen. Ganz leise. Wohl scheint ihnen bei der Verhöhnung des Volkstribuns nicht zu sein. Nervös werfen sie kurze Blicke über die Schulter. Über den verstorbenen Monarchen hat man sich nicht lustig zu machen.
Thronfolger Petzner steht bereit
Unter Tränen gab der BZÖ-Generalsekretär Stefan Petzner bekannt, dass er mit Haider nicht nur seinen Chef sondern seinen „besten Freund“ verloren habe, seinen „Lebensmenschen“. Haider war das Ying, Petzner das Yang. Der 27-jährige Petzner wurde erst im Wahlkampf einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Jetzt ist er der Kronprinz, einer der ursprünglich als Listenzweiter hinter Haider noch nicht einmal sein Mandat als Nationalratsabgeordneter annehmen wollte.
„Wenn ich nicht weitermache, fühle mich als Verräter „, sagt er. Es ist Samstagabend in der VIP-Lounge im Wörtherseestadion. Rund 800 Menschen haben sich eingefunden, um Jörg Haider zu gedenken. Provinz-Armani-Yuppies in hautengen Anzügen fallen Kärntner Urgesteinen in Trachten und Dirndl in die Arme. Heute gibt es keine engen und sehr engen Weggefährten, es gibt nur eine Familie, die um ihr Oberhaupt trauert. „Ganz Kärnten weint. Und jener Mann, der die Tränen trocknen konnte, ist nicht mehr“, wird das kollektive Wehklagen auf dem Podium angestimmt. Sie geben zu verstehen: Wer heute nicht weint, ist keiner von uns.
Man ist stolz auf den umstrittenen Politiker, dessen Konterfei auf zahlreichen internationalen Covers zu sehen war. Egal weswegen. Der rechte Hetzer sei eine Erfindung der anderen, in Kärnten bleibt er der James Dean der österreichischen Innenpolitik, der die Kärntner „Mir san mir“-Haltung zu seiner politischen Maxime erklärt hat.
Über den Thronfolger will man sich noch keine Gedanken machen. Der Lebemann, der um sechs Uhr morgens am Bauernmarkt auftrat und bis drei Uhr früh mit Jugendlichen in der Disco abfeierte, ist noch zu präsent. Still verdrücken sich einige Funktionäre mit ihren Taschentüchern ins Freie, auf die Zuschauertribüne des Stadions. Regungslos sitzen sie da, gelegentlich hört man ein leises Schluchzen, dann wenn einer verzweifelt zur Videowall schaut. Dort strahlt sie ein lachender Jörg Haider an. Immer wieder hört man das Piepen eines Handys. Es wird wohl die SMS sein.
Dieser Text erschien am 12. Oktober auf Zeit-Online. Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung.
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