Dieser Texte stammt aus dem EFBI Digital Report 2024-03 Die extreme Rechte während des sächsischen Landtagswahlkampfes 2024.
Als am 10. August 2024 etwa 700 Teilnehmende zu einem extrem rechten Aufmarsch gegen den Christopher Street Day (CSD) in Bautzen erschienen, war selbst der Anmelder der Demonstration – Dan Wölfer – überrascht. Vor allem aber fiel der besonders niedrige Altersdurchschnitt auf. Ähnlich wie in Bautzen verhielt es sich bei dem extrem rechten Aufmarsch gegen den CSD in Leipzig, wobei die Neonazi-Demonstration den Hauptbahnhof aufgrund polizeilichen Einschreitens nicht verlassen durfte. Die Polizei registrierte zahlreiche Straftaten (Verwenden verfassungsfeindlicher Kennzeichen, Volksverhetzung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz) und stellte von den etwa 400 Teilnehmenden die Personalien fest. Dabei zählte sie 160 Jugendliche sowie vier Kinder. Auch waren in Bautzen und Leipzig kaum bekannte Mitglieder gefestigter rechter Strukturen auszumachen.
Neue und alte Gruppierungen auf der Straße
Auf den Social-Media-Plattformen Instagram und TikTok kursierten im Vorfeld der Demonstrationen Aufrufe von Gruppierungen wie „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) oder „Jung und Stark“ (JS), die erst seit weniger als einem halben Jahr in Erscheinung treten. Auch die in Bautzen an der Organisation beteiligte Gruppierung „Elblandrevolte“ ist zwar den Jungen Nationalisten (JN), der Jugendorganisation der neonazistischen Partei „Die Heimat“, zuzuordnen, tritt in dieser Konstellation und unter diesem Namen aber erst seit Frühjahr 2024 auf. Bundesweite Bekanntheit erlangte sie durch den brutalen Überfall auf den SPD-Politiker Matthias Ecke am 3. Mai 2024. Die offenbar dem Umfeld der Gruppierung zuzurechnenden Täter verletzten den EU-Parlamentarier beim Aufhängen von Wahlplakaten schwer.
In Bautzen trat außerdem die Vereinigung „Urbs Turrium“ erstmalig in Erscheinung, ihre Mitglieder waren vermutlich ebenso in die Organisation des Aufmarschs eingebunden. Möglicherweise handelt es sich bei „Urbs Turrium“ um eine Nachfolgeorganisation des Jugendblock Bautzen, welcher während der Corona- und Montagsdemonstrationen im Umfeld des Neonazi-Kollektivs „Balaclava Graphics“ agierte. Im letzten Digital Report berichteten wir bereits darüber, dass es um die Gruppierung ruhiger geworden war. Der Jugendblock trat auf extrem rechten Versammlungen im Raum Bautzen auf und verschaffte sich Aufmerksamkeit mit Banneraktionen, wie man sie auch von der Identitären Bewegung kennt. „Balaclava Graphics“ ist ein von Benjamin Moses geführtes Medienkollektiv („früher StreamBZ“) mit eigenem Label für T-Shirts und Accessoires mit dem rassistischen Namen „The White Race“, welches unter rechten Jugendlichen derzeit sehr beliebt ist. Moses scheint darum bemüht, rechte Angebote für Jugendliche attraktiv zu machen und subkulturelle Elemente zu integrieren. Die wachsende Reichweite seines eigenen Telegram-Kanals spricht für sein Bemühen. Moses hegt auch engen Kontakt zu Patrick Schröder (ehemals freie Kameradschaftsszene), welcher in jüngster Zeit durch sein Konzept sogenannter „Active Clubs“ auffiel – ebenfalls eine Strategie, um rechter Jugendkultur ein eigenes Branding zu verschaffen und dadurch zu größerer Popularität zu verhelfen. Darüber hinaus ist Moses auch einer der wenigen Kandidaten, die für die „Freien Sachsen“ in den Kommunalwahlen Plätze in sächsischen Kreistagen errungen.
Die „Freien Sachsen“, die als Plattform der bewegungsförmig organisierten Rechten ihre Ressourcen und Erfahrung für rechte Bewegungen zur Verfügung stellen, waren ebenfalls Mitorganisator des Gegenprotests in Bautzen. Als Vertreter waren u.a. Martin Kohlmann und Steffan Trautmann beim Aufmarsch oder in der Nähe am „Freien Sachsen“-Stand zu sehen. Moses war in seiner Rolle als Medienaktivist anwesend. Von DJV und JS kamen Angehörige vor allem aus dem Raum Berlin/Brandenburg, deren Vernetzung zur „Elblandrevolte“schon vorab in den sozialen Medien verfolgt wurde. Bereits am 27. Juli sorgten Angehörige der Berliner JS mit einem geplanten Angriff auf dem CSD in Berlin für Aufsehen.
Aktuelle Mobilisierungsstrategien
Im Gegensatz zu der hierarchisch organisierten, parteinahen Struktur der Jungen Nationalisten, denen die „Elblandrevolte“angehört, treten DJV und JS eher als loser Zusammenhang rechtsgerichteter Jugendlicher auf. Ursprünglich war „Deutsche Jugend Voran“ ein Motto, welches beispielsweise auf T-Shirts extrem rechter Versandhäuser gedruckt war – auch der „III. Weg“ verwendet das Motto unter anderem auf Transparenten. Daneben tauchte der Spruch zunehmend online in den „Bios“ oder Stories der Social-Media-Profile rechter Jugendlicher auf. Durch die Adaption vieler Einzelpersonen formierte sich um den Spruch eine Bewegung mit eigenem Logo.
Dieses Phänomen lässt sich auch in Sachsen beobachten. Durch den Aufwind rechter Stimmung in der Gesellschaft gedeckt, eint sie eine reaktionäre Grundstimmung, Queerfeindlichkeit sowie Ausländerhass. Bezeichnend hierfür ist der im Leipziger Kessel angestimmte Sprechchor „Ohne Rechtsruck wär’n wir gar nicht hier“. Wie auch schon in den 90er Jahren betrachten sich rechte Aktivisten als Vollstrecker des „Volkswillens“ einer vermeintlich „schweigenden Mehrheit“ der Gesellschaft. Das Auftreten der jungen Bewegung ist durch einen schwarzen Kleidungsstil geprägt. Neben T-Shirts aus rechten Versandhäusern und von Rechtsrockbands sind häufig Marken auszumachen, die sich auch in der Ultra- und Hooligan-Szene großer Beliebtheit erfreuen. Diese adretten, europäischen Sportmarken prägen auch das Auftreten der „Identitären Bewegung“. Das Auftreten auf den Demonstrationen bedient sich Versatzstücken der Stadionkultur, wenn zum Beispiel Pyrotechnik verwendet wird oder Einheizer mit ihren Megafonen wie Stadionvorsänger wirken. Auch auf den Social-Media-Profilen lässt sich häufig ein Bezug zur Fußballfankultur feststellen, jedoch keine tiefere Integration in Ultra-Gruppierungen. Unter den sächsischen rechten Jugendlichen sind vor allem die Fußballclubs Dynamo Dresden, Lokomotive Leipzig, Chemnitzer FC und Erzgebirge Aue beliebt.
Neben jugendtypischen Beiträgen, welche sich um Freundschaften drehen, sind die Profile gesäumt von Reichskriegsflaggen, Deutschlandflaggen, rechten Symboliken, positiver Bezugnahme auf eine ostdeutsche Identität und aggressivem, dominantem Auftreten. Die Aufmärsche stellen in Form von Videos und Fotos ein verbindendes Element dar und bezeugen die aktivistische Bereitschaft den Peers gegenüber. In Verlinkungen wird die Teilnahme an den Protesten und Zugehörigkeit zur Clique attestiert. TikToks, Stories und Beiträge sind untermalt von Rechtsrock, Böhse Onkelz, Schranz-Techno oder russischem Witchhouse und lassen in Teilen eine Fashwave-Ästhetik vermuten. Auch neue Fingerzeichen, welche an US-Amerikanische Gang-Signs erinnern, jedoch extrem rechte Botschaften wie „White Power“ oder „88“ transportieren, werden sowohl online als auch auf der Straße präsentiert. Passend zu Gang-Signs erfreuen sich Gesichts-Tattoos, auch mit rechter Symbolik, zunehmender Beliebtheit. Auffallend ist das Unkenntlich-Machen der eigenen Identität durch Verpixeln der Gesichter oder Chiffrierung der Profil-Namen, selbst bei nicht organisierten rechten Jugendlichen. Diese Praktik ist bei organisierten Neonazis oder aus dem Hooligan-Spektrum bekannt und soll mitunter Identifizierung sowie Strafverfolgung erschweren. Jedoch deutet die wahllose und nicht konsequente Verwendung dieser Praktik eher auf eine szeneinterne Ästhetik hin, die eine Affinität zum Verbotenen vermittelt. Die Szene bringt auch eigene Vorbilder hervor, welche weniger durch inhaltliche Aussagen, sondern vielmehr durch umfangreiche Verkörperung der genannten Attribute auffallen. Auf den Protesten entstehen zahlreiche Selfies mit den auserkorenen Szenegrößen wie zum Beispiel mit „Chino“.
Indem die Bewegung inhaltlich weniger konkret, dafür aber einer Jugendkultur entsprechend auftritt, bietet sie einen niedrigschwelligen Einstieg und ermöglicht eine schnelle Vernetzung. So zeugen Social-Media-Beiträge von gemeinsamen Treffen und Trinkabenden. Das Spektrum schaffte es, gegen die vielen aufeinanderfolgenden CSDs in Sachsen und Sachsen-Anhalt zu mobilisieren, und weist dabei einen zunehmenden Organisationsgrad auf.
Die beschriebenen Strategien und Dynamiken lassen sich mit dem aus der Bewegungsforschung stammenden Konzept der connective action erklären. Diese ist im Gegensatz zur traditionellen collective action, also einer zentral von formalen Organisationen koordinierten Mobilisierung, durch individuelle Handlungen geprägt, welche dezentral durch digitale Medien und soziale Netzwerke koordiniert werden. Diese Organisationsform wurde erst durch die entsprechende Technologie wie mobile Endgeräte und soziale Medien ermöglicht. Connective action ist flexibler und besser skalierbar als collective action, steht allerdings vor den Herausforderungen, die inhaltliche Kohärenz aufrechtzuerhalten und ein langfristiges Engagement der Individuen zu sichern. Außerdem fehlt es connective action an Ressourcen, um ein inhaltlich tiefgründiges Selbstverständnis zu entwickeln, und sie ist eher durch oberflächliche Slogans und theoretische Versatzstücke/Fragmente geprägt. Langfristig sichert eine Überführung in collective action das Fortbestehen der Bewegung.
Soziale und gesellschaftliche Hintergründe
Die heranwachsende Generation erlebte den Übergang in das Jugendalter im Lockdown. In den Jahren der Pandemie wurden die Angebote für Jugendliche, die in der Fläche eh schon spärlich gesät waren, weiter eingeschränkt. Ausgangssperren, Homeschooling und die Schließung offizieller Jugendtreffs behinderten den gerade in diesem Altersabschnitt wichtigen sozialen Austausch. Zum Teil konnte eine Verlagerung in den digitalen Raum für Abhilfe sorgen. Damit muss der ohnehin schon große Einfluss der sozialen Medien auf die Heranwachsenden gerade in Zeiten, in denen die sozialen Medien stark durch Desinformation vereinnahmt wurden, besonders prägend gewesen sein. In der Pandemie hat sich laut einer DAK-Studie der Anteil von Mediensucht bei Jugendlichen verdoppelt. Hinzu kommt ein Grundgefühl, von der Gesellschaft alleingelassen zu werden, was zu schwindendem Vertrauen in Gesellschaft und Politik führt. So überrascht es nicht, dass aktuell unter Jugendlichen eine politische und soziale Orientierungslosigkeit verbreitet ist.
Der Lockdown erschwerte umgekehrt auch den Kontakt von Bildungseinrichtungen, politischen Organisationen oder Freizeitangeboten zur heranwachsenden Generation. In den neuen Bundesländern existieren allerdings zahlreiche inoffizielle Jugendtreffs rechter Organisationen, welche mitunter Kontinuitäten bis in die 90er Jahre aufweisen. Diese Jugendtreffs öffneten auch in der Pandemie ihre Pforten und boten ein ideologisch geprägtes Jugendangebot. Organisationen wie der „III. Weg“ warben mit gemeinsamen Kampfsporttrainings, Wanderungen oder Leseabenden.
Dem grassierenden rechten Gedankengut wird auch durch eine teils mangelnde Sensibilisierung im Elternhaus wenig entgegengestellt. Dem Alter entsprechend erlebten die Eltern der jungen Rechten ihre Jugend in den Baseballschlägerjahren. Ein Zusammenwirken dieser verschiedenen Faktoren kann zu einer Erklärung dieses plötzlichen jungen Rechtsrucks beitragen, welcher sich in den alarmierenden Stimmanteilen für die AfD unter Erst- und Jungwähler:innen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zeigt.
Das eingangs beschriebene Erfolgserlebnis in Bautzen beflügelte vermutlich viele der Teilnehmenden, die schon aufgrund ihres Alters gerade ihre ersten Erfahrungen mit selbst organisiertem Straßenprotest sammeln. Entsprechend einfach ließ sich gegen die nächsten CSD-Veranstaltungen im weiteren Umkreis – es folgte Leipzig am 17. August und Magdeburg am 24. August – erneut mobilisieren. In Leipzig kamen etwa 400 Teilnehmende zusammen. Über die Gründe, warum „Elblandrevolte“ weder in Leipzig noch in Magdeburg präsent war, kann im Moment nur spekuliert werden. Möglicherweise gab es Unstimmigkeiten zwischen dem höheren Organisationsgrad und der lockeren, ungehemmteren Herangehensweise des Nachwuchses. Eine andere Erklärung könnte auch drohende Repression gewesen sein: Am 26. August kam es zu Hausdurchsuchungen im Umfeld der „Elblandrevolte“.
Der Stimmung und der folgenden Rezeption in den sozialen Medien nach zu urteilen empfanden die Teilnehmenden die Versammlung in Leipzig trotz des Polizeikessels, der den Aufmarsch verhinderte, als Erfolg. Die Ernüchterung erfolgte vermutlich erst mit dem Eintreffen der Anzeigen. Gerüchten zufolge wurde der Demo-Anmelder von Leipzig auf der CSD-Gegendemo in Magdeburg am 24. August von organisierten Neonazis zurechtgewiesen, dass die Auflösung der Kundgebung in Leipzig inakzeptabel war.
Fazit
Die organisierte extreme Rechte versucht das aktuelle Momentum zu nutzen, zahlreiche Gruppierungen investieren derzeit entsprechend viele Ressourcen. Bereits zum 31. August meldete der „III. Weg“ in Zwickau eine Demonstration gegen den dort stattfindenden CSD an. Der Aufruf wurde unter dem Nachwuchs zahlreich geteilt. Anders als in Bautzen und Leipzig war die Demonstration in Zwickau durch ein klassischeres Auftreten geprägt: Der Demonstrationszug lief geordnet in Blöcken, Pyrotechnik blieb aus, viele Teilnehmende trugen die ockerfarbenen Partei-Shirts und der Altersdurchschnitt war höher. Es waren jedoch auch wieder sehr junge Teilnehmer:innen dabei. Außerdem wurde im Vorfeld die Offensive Zwickau beworben, eine neue extrem rechte Gruppierung, die unter anderem von Sanny Kujath unterstützt wird. Kujath ist aktuell bei den „Freien Sachsen“ organisiert und trat zu den Kommunalwahlen für diese an. Aktuelle Recherchen von Strg_F deckten ein extrem rechtes Netzwerk um Kujath auf, wobei er derartige Bestrebungen schon in der Vergangenheit zeigte.
Wenn es der „Nationalrevolutionären Jugend“ (NRJ) – der Jugendorganisation des „III. Weges“ –, den „Jungen Nationalisten“ (JN) oder der „Offensive Zwickau“ und den „Freien Sachsen“ gelingt, diesen Nachwuchs langfristig für sich zu gewinnen, könnte das zu einer weiteren Verfestigung und Stärkung organisierter, neonazistischer Strukturen führen.
Mit Bekanntwerden der offiziellen Wahlergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen kursierte am 2. September in den hier beschriebenen Gruppierungen und Zusammenhängen bereits ein Aufruf dazu, Proteste zu organisieren, da die AfD in beiden Bundesländern weiterhin in der Opposition zu bleiben droht. Mit Berufung auf die Friedliche Revolution wird zu einer Veränderung aufgerufen und dazu, „die Dinge selbst in die Hand zu nehmen“. Dieses „In-die-Hand-Nehmen“ würde das schon in Bautzen und Leipzig überdeutlich gewordene Gewaltpotenzial weiter enthemmen. Wie groß die Gewaltbereitschaft solcher Gruppierungen ist, zeigte sich u.a. beim Angriff auf eine Antifa-Demo am 6. Juli 2024 am Berliner Ostkreuz.
Aktuell nimmt der Zulauf zu den CSD-Gegenprotesten ab. Möglicherweise wirkt das zunehmende Medieninteresse und die dadurch intensiveren polizeilichen Maßnahmen abschreckend. Am 7. September 2024 drückten die Teilnehmenden des Freiberger CSD-Gegenprotestes ihren Unmut darüber mit den Sprechchören „Was war in Leipzig los?“ und „Was war in Zwickau los?“ aus. Am 21. September 2024 erschienen auf dem CSD-Gegenprotest in Döblen nur noch 200 Teilnehmende , die Veranstaltung wurde, wie schon in Bautzen, von JN und den „Freien Sachsen“ angemeldet
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