Den richtigen Hashtag für eine Aktion oder Kampagne auswählen
Hashtags sind generell dafür da, Content zu organisieren, also für Nutzer*innen durchsuchbar zu machen und ihn hervorzuheben. Aus der Sicht der Urheber*innen zielen sie darüber hinaus auf eine Reichweitenverstärkung, indem öffentliche Äußerungen mithilfe dieses Kürzels thematisch zugeordnet werden. Diese einfache Feststellung legt auch die erste Forderung an einen guten Hashtag nahe:
Naheliegend: Planen Sie eine Protestaktion gegen Verschwörungsideologien in Leipzig am 6. Dezember? Dann verwenden Sie den Hashtag #Leipzig0612 oder #le0612 – oder überlegen Sie sich, wonach Sie selbst suchen würden, wenn Sie sich bei Twitter zum aktuellen Protestgeschehen auf dem Laufenden halten möchten.
Recherchieren: Ist der Hashtag bereits belegt? Wenn unter der Phrase bereits ein Weltkonzern sein neuestes Produkt bewirbt, dann ist der Hashtag vielleicht nicht geeignet. Wenn nur wenige Nutzer*innen die Wortgruppe bereits verwendet haben, dann ist das kein Problem.
Wie lang ist zu lang?: Twitter empfiehlt, sich bei der Auswahl eines Hashtags auf sechs Zeichen zu beschränken. Es gab aber in der Vergangenheit auch Gegenbeispiele: #LeaveNoOneBehind besteht aus 4 Worten und insgesamt 16 Buchstaben und war dennoch erfolgreich. Eingängigkeit stellt also auch ein Kriterium dar wichtiges.
Nicht beliebig werden: #EsReicht klingt wütend, aber unter dem Hashtag tweeten gleichermaßen Flüchtlingsfeinde, Antifaschist*innen und enttäuschte Telekom-Kunden, die sich über zu niedrige Upload-Raten beschweren wollen. Im besten Fall kommt durch Ihren Hashtag auch eine Haltung zum Ausdruck.
Rechnen Sie mit feindlichen Übernahmen
Hashtag-Hijacking heißt der Prozess, wenn Trolle oder politische Gegner*innen einen Hashtag kapern und so ganz anderen Inhalten zu Aufmerksamkeit verhelfen, als das ursprünglich von den Kampagnen-Macher*innen angedacht war. Die Möglichkeit, dass ihr Plan damit ad absurdum geführt wird, sollten sie bei der Konzeption Ihrer Kampagne mitbedenken. Recherchen um die Gruppe „Reconquista Germanica“ haben gezeigt, dass einige hochvernetzte Online-Krieger *innen der extremen Rechten sogar das Kapern gegnerischer Hashtags als zentrales Moment ihrer Strategie begreifen. Das zeigt aber letztendlich nur: „Ein Hashtag markiert einen Kommunikationsanlass“, schreibt Kai Heiderich bei dem Online-Aktivist*innen-Kollektiv „Fearless Democracy“. Ein Hashtag ist also niemals Selbstzweck. Er ist lediglich eine Hilfe, ein kommunikatives Ereignis im Internet auffindbar zu machen.
Was hilft also gegen Versuche von politischen Gegner*innen, einzelne Hashtags zu kapern? Ein Hashtag, der gleichzeitig eine Haltung transportiert, ist für eine Übernahme durch Trolle oder Rechtsextreme sehr unattraktiv. Noch besser ist es, wenn der Hashtag bereits mit Inhalten und Werten besetzt ist und konstant darunter gepostet wird oder sogar ein entsprechendes Engagement im Offline-Bereich widerspiegelt. Ein gutes Beispiel dafür ist #unteilbar: Bereits der Hashtag verweist auf die menschenrechtsorientierte und universalistische Haltung der Kampagnenorganisation. Wenn extrem Rechte Akteur*innen ihn verwenden, dann ist das daher mindestens erklärungsbedürftig. Außerdem organisiert sich unter #unteilbar massenhafter politischer Protest, der sowohl online als auch offline stattfindet. Dieser kontinuierliche Aktivismus und die Bekanntheit schützen die Kampagne vor feindlicher Übernahme.
Wie K-Pop Fans den Rechtsextremen ihre Hashtags wegnehmen
Umgekehrt ist die Frage dann natürlich naheliegend: Können Organisationen der Zivilgesellschaft rechtsextremen und menschenfeindlichen Gruppen ihre Hashtags streitig machen? Und ist das ein lohnendes Ziel der Auseinandersetzung? Unvergessen ist die Initiative deutscher K-Pop-Fans im Sommer 2020. Sie überfluteten den Hashtag „RassismusGegenDeutsche“ mit Bildern und Videos ihrer Stars. Die Aktion hatte einen Vorläufer in den USA: Die internationale und außerordentlich politisierte K-Pop-Community hatte die Strategie zuvor bereits bei den in der US-Rechten beliebten Hashtags „WhiteLivesMatter“, „BlueLivesMatter“ und „MAGA“ (Make America Great Again) angewendet. Sie hatten die Kürzel mit Fancams – so heißen szeneintern kurze Fanvideos von Live-Auftritten ihrer Idole – sowie K-Pop-Memes überflutet.
Die Aktionen zeigen: Digitale Aktivist*innen können auch über Hashtags die rechtsalternative Verständigung stören und rassistischen Aussagen die Reichweite stehlen. Aktive sollten bei solchen Aktionen jedoch bedenken, dass sie rechtsextreme Akteur*innen damit auf ihre Profile aufmerksam machen und so vielleicht ein paar ungewollte neue Follower*innen dazugewinnen. Außerdem transportieren rechtsextreme Slogans wie „WhiteLivesMatter“ natürlich auch eine rassistische Haltung, bei der Aktive abwägen sollten, ob sie aktiv zu ihrer Verbreitung betragen wollen.
Was sind „Trends“ bei Twitter und welche Rolle spielen sie?
„Trends“ sind bei Twitter häufig benutzte Worte, Phrasen/Satzteile oder Hashtags. In den Mobilen Ansichten der Twitter-Apps lassen sie sich unter dem „Entdecken“-Tab finden. In der Browser-Variante von Twitter finden sich die „Trends“ direkt neben deiner „Home“-Timeline. Trends sind keine globale Kategorie, sondern werden algorithmisch auf einzelne Nutzer zugeschnitten: Laut Twitter aufgrund des Nutzer*innen-Standortes („Trend in Deutschland“), ihrer Interessen und Personen, denen sie folgt. Diese weitgehende Personalisierung lässt sich jedoch auch abschalten.
Kann ich die „Trending Topics“ für meine Organisation nutzen?
Mitdiskutieren: Wenn ein Hashtag und die darunter diskutierten Inhalte zu Ihren Themen passen, können Sie sich in die Diskussion einschalten: Verfassen Sie hierzu Tweets und machen Sie so auf sich, Ihre Arbeit und Expertise zu dem Thema aufmerksam. Wenn der Zusammenhang zu ihren Themen nicht ganz so naheliegend ist, können natürlich auch auf bisher übersehene Aspekte hinweisen und so die Verbindungen zu ihren Themen herstellen. Was sie nicht tun sollten, ist themenfremd unter einem Hashtag twittern, bloß um die Reichweite eines Hashtags zu nutzen – das wird von Nutzer*innen als respektloses, spamartiges Verhalten wahrgenommen.
Selbst einen „Trend“ erzeugen: Die zweite Variante, mit der Sie sich Twitter-Trends zu Nutze machen können, ist ungleich schwieriger umzusetzen: Selbst einen Diskurs erzeugen. Der Datenanalyst Luca Hammer geht davon aus, dass in Deutschland je nach Tageszeit zwischen 1000 und 2000 Tweets nötig sind, um mit einem Hashtag auf Platz eins der deutschen Twitter-Trends zu landen. Die Zahl versteht sich inklusive Retweets. In den USA zum Beispiel, wo Twitter bedeutend mehr Nutzer*innen hat, dürften es deutlich mehr Tweets pro Stunde sein, um ein Thema „trenden“ zu lassen. Es handelt eher um eine Vermutung auf der Grundlage eigener Beobachtungen, aber auch die Frage, welche Accounts zu einem Thema posten, könnte relevant sein – wenn Accounts zu einem Hashtag posten, die verifiziert sind oder sehr viele Follower*innen haben, dann dürfte die Zahl an Tweets, die nötig ist, um ein Thema zum trenden zu bringen, noch niedriger sein.
- Nicht nur die Zahl von Tweets zu einem Thema, auch Retweets, die diese Tweets erhalten, sind ein wichtiger Faktor
- Reichweitenstarke Accounts sollten auch Tweets von Nutzer*innen mit wenigen Follower*innen retweeten, um einen Hashtag zu stärken
- Wenn Sie über keinen eigenen reichweitenstarken Account verfügen – denken Sie darüber nach, wie Sie einen solchen dazu bewegen können, über Ihr Thema zu sprechen: etablierte Medienkanäle, Influencer*innen, Organisationen
Erfolgsfaktoren für Hashtag-Kampagnen: Narrative Anschlussfähigkeit
Und lohnt sich der Aufwand? Ehrlich gesagt: Einen Hashtag trenden zu lassen, ist schwierig bis nicht planbar – es sei denn, Sie wissen, dass ein bestimmter Vorgang so relevant wird für viele Menschen, dass sie von sich aus das Bedürfnis haben, online darüber auszutauschen und auch Qualitätsmedien darüber berichten. Fraglich ist daher, ob das „Trenden“ überhaupt eine sinnvolle Metrik darstellt, um den Erfolg einer Hashtagkampagne zu bewerten. Andere, möglicherweise sinnvollere Kriterien könnten sein: Greifen Medien das mit dem Hashtag platzierte Thema auf? Haben Sie es geschafft, mit der Kampagne wichtige Akteur*innen einzubinden, die vorher nicht Teil Ihres Netzwerks waren? Haben Sie möglicherweise sogar politische Entscheidungsträger*innen zu einem Statement bewegen können? Oder ist es gelungen, mit der Kampagne das Bewusstsein des Publikums auf der Plattform zu schärfen?
Daniel Staemmler und Maik Fielitz forschen in Berlin und Jena zu digitalem Aktivismus. Sie betrachten besonders in der „narrativen Anschlussfähigkeit“ eines Hashtags ein Merkmal, das über Erfolg oder Misserfolg entscheidet: Also die Frage, ob ein Kampagnenhashtag so gewählt ist, dass sie den Austausch von Erfahrungen zwischen Unbekannten anregen. Als zweiten Faktor benennen Fielitz und Staemmler die Frage, ob die Kampagne diskursive Integration erfahre: „Die Entwicklung, dass Medien und Politik direkt oder indirekt auf Trends in sozialen Medien reagieren, hat zur Folge, dass es für Aktivist*innen wahrscheinlicher geworden ist, eine Schwelle zu erreichen, an der Debatten für etablierte Medien berichtenswert werden.“ Ein weiteres Kriterium sei die Frage, ob bekannte Persönlichkeiten oder Organisationen den Hashtag unterstützen.