Die Akkon Hochschule für Humanwissenschaften hat nach Vorwürfen von Diskriminierung eine Kanzlei beauftragt, diese zu untersuchen. Eine „Zusammenfassung des Verdachtsprüfungsberichts“ kommt zu dem Schluss, dass die Vorwürfe unbegründet seien: „Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass Organe oder Beschäftigte der Akkon den genannten ehemals Beschäftigten oder Studierende mit Migrationshintergrund wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt haben, haben sich bei unserer Prüfung jedoch nicht gezeigt“. Doch weder der entlassene Prof. Dr. Kenan Engin wurde befragt, noch Studierende, die ebenfalls Diskriminierung angeprangert haben.
Der Professor wurde von der Berliner Hochschule aus „arbeitsrechtlichen Gründen“ entlassen. Es habe „schwerwiegende und wiederholte Verstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichten“ ergeben, behauptet die Hochschule in einer Stellungnahme. Nähere Angaben gibt es keine: zum Schutz der Persönlichkeitsrechte und laufendem, arbeitsgerichtlichen Verfahren.
Demütigungswelle?
Vorausgegangen seien Streitigkeiten mit der Hochschulleitung, heißt es in einem Schreiben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter Berufung auf ein Gesprächsprotokoll. Grund der Streitigkeiten waren Bedenken Engins wegen des „Umgangs eines Kollegen im Prüfungsamt in Bezug auf die negative Andersbehandlung von internationalen Studierenden“. Am 15. April 2024 will die Universitätsleitung demnach die Sache schnell beenden und legt dem Professor ein Aufhebungsvertrag vor. „Was passiert, wenn der Vertrag nicht angenommen wird? Offen gesagt: Wir können Dich jetzt nicht kündigen, werden Dich dann weiterbeschäftigen, aber werden Maßnahmen ergreifen, die Dich nicht glücklich machen werden“, sagt Geschäftsführer Benjamin Kobelt laut dem Gesprächsprotokoll, das in dem Schreiben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zitiert wird. Engin lehnt ab.
Der Professor wird degradiert – vom Studiengangsleiter zum Fachbeauftragten. Der renommierte Politikwissenschaftler soll täglich seine Arbeitszeit aufschreiben und sie dem Präsidenten monatlich vorlegen. Im Juni folgt die Übernahme seines Mailaccounts – offenbar um gezielt nach Kündigungsgründen zu suchen, am 29. Juli 2024 dann die außerordentliche Kündigung.
Engin wagt den Schritt nach vorne und gibt eine öffentliche Erklärung zu den Vorwürfen der Akkon-Hochschule ab, wonach er wiederholt gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen habe. „Diese Darstellung ist nicht nachvollziehbar. Ich bin davon überzeugt, dass die Vorwürfe gegen mich jeder Grundlage entbehren“, sagt Engin darin.
Untersuchungsbericht ohne Betroffene
Auch zu der Untersuchung der Rassismusvorwürfe äußert sich Engin. „Ich selbst wurde im Rahmen dieser Untersuchung weder kontaktiert noch befragt. Nach meiner Kenntnis gilt dies auch für betroffene Studierende und Dozierende. Dies lässt Zweifel an der Unabhängigkeit und Gründlichkeit der Untersuchung aufkommen“.
Die Studierenden der Akkon Hochschule haben kein Verständnis für das Vorgehen gegen ihren Professor. „Über die Jahre hinweg konnte Herr Prof. Dr. Kenan Engin immer wieder zum Ausdruck bringen, wie wichtig wir Studies ihm sind und mit welcher Leidenschaft und Hingebung er seinen Beruf ausübt,“ heißt es in einer Petition von Studierenden.
Solidaritätswelle mit entlassenem Professor
Auch viele Kolleg*innen zeigten sich in einer anderen Petition solidarisch mit dem Wissenschaftler. „Die von der Akkon Hochschule gezeigte Art des Umgangs mit Rassismusvorwürfen und einem Hochschullehrer zeugen von einer äußerst problematischen Behandlung von Diskriminierungsfällen und reproduzieren diese sogar“, heißt es in dem Text, der von über 1.000 Personen, viele davon selbst Wissenschaftler*innen, unterschrieben wurde. Die Unterzeichner*innen fordern die Universitätsleitung auf, „die Maßnahmen gegen den Kollegen Kenan Engin unverzüglich zurückzunehmen und eine adäquate wissenschaftliche Weiterbeschäftigung zu ermöglichen“. Jede Hochschule müsse einen diskriminierungsfreien Raum sicherstellen.
Der Fall hat weite Kreise nach sich gezogen: Der Antidiskriminierungsverband Deutschland beschäftigt sich damit, das Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft und auch der Bund für Antidiskriminierungs- und Bildungsarbeit, die Gewerkschaften Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Abgeordnete zeigten sich solidarisch mit dem Professor. Zuletzt war die Angelegenheit auch Gegenstand im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Grünen-Abgeordneten Tuba Bozkurt, Laura Neugebauer und Sebastian Walter wollten in einer schriftlichen Anfrage wissen, ob die Berliner Senatsregierung den Fall Engin kenne.
Fehlende Kapazität für Antidiskriminierung?
Zwar weist die Akkon Hochschule weiterhin alle Diskriminierungsvorwürfe von sich, doch Recherchen zeigen, dass es schon früher Diskriminierungsvorfälle an der Hochschule gegeben haben muss. Das legt ein Protokoll des Team-Meetings vom 4. Juli 2024 nahe. Darin heißt es unter Punkt acht: „Neue Fälle müssten evtl. abgelehnt werden, da Kapazitäten fehlen. Bedarf nach personellem Zuwachs“. Dem Gleichstellungsbeauftragten fehle es also an Personal, um die angelaufenen Beschwerden wegen Diskriminierung und Mobbing zu bearbeiten.
Studentin Jennifer Jin-Ah Noack hat eine Schwerbehinderung und berichtet im Gespräch: „Ich hatte um eine Prüfungsformanpassung gebeten. Das wurde mir nicht gewährt. Stattdessen habe ich vom Prüfungsamt ableistische Kommentare bekommen, was das für meinen Studiengang der internationalen Not- und Katastrophenhilfe bedeutet. Es gäbe ja auch keine blinden Kampfjet-Flieger, sagte er mir daraufhin“.
Akkon Hochschule bestreitet Vorwürfe
Konfrontiert mit den Vorwürfen nimmt die Hochschule Stellung und räumt ein, dass es eine Überlastung des Gleichstellungs- und Diversitäts-Amtes (GDA) gegeben habe. Aber: „Es war sichergestellt, dass Beratungen möglich sind,“ heißt es. Im ganzen Jahr 2024 habe es neben dem Fall von Engin lediglich zwei weitere Beratungsfälle wegen Diskriminierung gegeben. Eine Zunahme von Mobbingfällen gäbe es nicht. Der zusätzliche Personalbedarf ergebe sich insbesondere aus einem gestiegenen „Informations- Beratungs- und Aufklärungsbedarf für Studierende“.
Dass es kein Gespräch mit Engin für den Untersuchungsbericht gegeben hat, rechtfertigt die Hochschule mit der „Verhältnismäßigkeit und insbesondere des Datenschutzrechts“. Interviews seien im Rahmen einer internen Untersuchung nur zulässig, „wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für einen Rechtsverstoß gegeben sind (sog. Anfangsverdacht entsprechend des § 152 Abs. 2 StPO). Konkrete, auf Tatsachen beruhende Anhaltspunkte müssen den Verdacht begründen, dass durch Beschäftigte des Unternehmens ein Rechtsverstoß begangen wurde“, heißt es von der Hochschule. „Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass Organe oder Beschäftigte der Akkon Hochschule den genannten Beschäftigten oder Studierende mit Migrationshintergrund wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt haben, haben sich bei der Prüfung durch die Kanzlei jedoch nicht gezeigt“, heißt es weiter.
Der Rechtsstreit zwischen der Hochschule und dem Professor geht weiter, Engin will weiterhin nach Gerechtigkeit suchen. Andere Kolleg*innen sollen nicht dasselbe durchmachen müssen wie er. Denn viele im Universitätsbetrieb sind Opfer von Diskriminierung – und das an verschiedenen Universitäten. Die Angst vor Konsequenzen oder das damit verbundene Trauma hält Opfer davon ab, an die Öffentlichkeit zu gehen.