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Distanz zur Politik, Ängste und Abwertung bieten gute Voraussetzungen für Rechtsextremismus in Anklam

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Dierk Borstel war am Montag im Sitzungssaal der Anklamer Sparkasse ein gefragter Gesprächspartner. Nicht nur, weil er den rund 90 Zuhörern innerhalb einer knappen halben Stunde seine Studie mit dem Wortungetüm So-Ra-Zo als Titel („Sozialraumanalyse zum Zusammenleben vor Ort in Anklam“) vorstellte; sondern vor allem deshalb, weil er schonungslos und ohne Drumherum-Gerede die Ergebnisse seiner repräsentativen Studie über Anklam auflistete.

Ergebnisse, die manch einer vielleicht gerne unter den hansestädtischen Teppich gekehrt hätte. Das wäre jedoch der falsche Weg gewesen, denn „wir müssen darüber nachdenken, wie wir mit dem Rechtsextremismus in unserer Stadt umgehen. Wir müssen künftig agieren statt reagieren„, machte Bürgermeister Michael Galander (IfA) in seinem Grußwort deutlich. Als einen Weg in die richtige Richtung nannte Galander: „Wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen.“

Zwei Jahre hat Dierk Borstel in Anklam gelebt, in der Hansestadt seine Doktorarbeit geschrieben und gemeinsam mit dem Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in der Studie der Universität Bielefeld mit 499 Menschen (davon 303 Frauen) durchschnittlich 37 Minuten am Telefon gesprochen. Als positiv bezeichnete der Politikwissenschaftler, dass sich viele Anklamer sehr stark mit ihrer Stadt identifizieren und bereit sind, sich zu engagieren. In Zahlen ausgedrückt: Mehr als 50 Prozent engagieren sich bereits, weitere 36,4 Prozent können sich das zumindest vorstellen. „Das ist ein unglaubliches Potenzial, das deutlich höher als in vergleichbaren Städten steht“, sagte Borstel. 79 Prozent seien zudem zufrieden mit ihren Nachbarn und fühlten sich in ihrem Wohnumfeld wohl.

Ängste in der Stadtgesellschaft wenden sich gegen schwache Gruppen

Das war es aber auch schon mit den guten Nachrichten, denn 84 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass sich die lokalen Politiker nicht für sie interessieren. „Eindeutig ein zentrales Thema in Anklam“, sagte Borstel. Darüber hinaus stellte er eine starke Verängstigung der Menschen fest. So fürchten mehr als 49 Prozent der Befragten den sozialen Abstieg in Hartz IV. Hinzu komme der Trend, dass sich die Ängste in der Stadtgesellschaft gegen schwache Gruppen zu wenden drohen. „Viele Menschen haben Angst vor Dingen, die gar nicht existieren. Beispielsweise die Furcht vor Muslimen, die es in Anklam gar nicht gibt.“ Dazu passt auch der folgende Wert: 49 Prozent meinen, Anklam müsse vor Überfremdung geschützt werden. Und das, obwohl die Ausländerquote in Anklam bei gerade einmal 1,6 Prozent liegt. Trotzdem „erreichen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus in Anklam sehr hohe Werte“.

Bedenklich stimme auch, dass für mehr als ein Drittel der Befragten die NPD eine Partei wie jede andere sei. Im Bundesdurchschnitt liegt dieser Wert zwischen 6 und 8 Prozent. Und 21,5 Prozent meinen sogar, die Anklamer hätten nichts gegen Rechtsextremismus. „Durch die Distanz zur lokalen Politik, die ökonomischen Probleme, die Ängste und die dadurch bedingten Abwertungen schwacher Gruppen hat der Rechtsextremismus in Anklam gute Voraussetzungen, sich zu normalisieren.“

Trotzdem sieht Borstel positive Anzeichen. „Die Tendenz zur Normalisierung des Rechtsextremismus in Anklam kann gebrochen werden. Das Potenzial dafür ist da.“ Denn fast 59 Prozent könnten sich vorstellen, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren. 66 Prozent halten es für sinnvoll, dies vor Ort zu tun. In der sich anschließenden Diskussion machten mehrere Redner deutlich, dass sich die örtlichen Politiker in der Stadtvertretung noch deutlicher von der NPD abgrenzen müssten. Zudem müssten noch mehr Gespräche geführt und die Menschen der Hansestadt für dieses Thema sensibilisiert werden. Das Ziel müsse lauten: Gemeinsam gegen Rechts.

Dieser Artikel erschien zuerst im Nordkurier vom 19.05.2010. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Mehr im Internet:

| Sozialraumanalysen zum Zusammenleben vor Ort

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