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„Docks“ und „Große Freiheit 36“ Hamburger Club-Betreiber auf Schwurbler-Kurs

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Rechtsoffen und verschwörungsideologisch: Die Plakatwand am Eingang des Hamburger Musikclubs „Docks“
Rechtsoffen und verschwörungsideologisch: Die Plakatwand am Eingang des Hamburger Musikclubs „Docks“ (Quelle: picture alliance/dpa/Jonas Walzberg)

Die Hamburger Musikszene hat während der Covid-Pandemie bereits zwei Veranstaltungsorte verloren, aber nicht durch Insolvenz: Seit Monaten sind auf den Wänden der Clubs „Große Freiheit 36“ und „Docks“ unmissverständliche Botschaften auf Plakaten zu sehen, die das Coronavirus verharmlosen oder gar leugnen und Infektionsmaßnahmen wie die Maskenpflicht ohne jeglichen Beleg anzweifeln.

Das Narrativ kennt man schon aus dem verschwörungsideologischen „Querdenken“-Milieu: Die Veranstaltungsstätten behaupten unter anderem, die Pandemie sei eine „gigantische Lüge“ und empfehlen einen „Sicherheitsabstand“ von mindestens 100 Metern – zur „gleichgeschalteten Presse“, zu „selbsternannten Meldeblockwarten“ und „zu allen Politikern“. Sie fordern eine sofortige Aufhebung der „medizinisch fragwürdigen Maskenpflicht“ sowie aller „Grundrechtseinschränkungen“.

An der Fassade des „Docks“ wird auch dazu aufgerufen, sich „mit Wissen zu bewaffnen“ – und praktisch ein „Who’s who“ der rechtsoffenen verschwörungsideologischen Szene aufgelistet als vermeintlich seriöse Quellen zum Pandemiegeschehen. Dazu gehören die für die Verbreitung von Verschwörungsideologien bekannten Online-Portale „KenFM“ und „Rubikon“, der rechtsoffene Publizist Boris Reitschuster sowie die Gruppe „Ärzte für Aufklärung“, die in Beiträgen die Pandemie leugnet und sich auch gegen Impfungen ausspricht. Gleichzeitig plakatiert der Laden, er wolle sich aber von „gewaltbereiten, verfassungswidrigen und extremistischen Gruppierungen“ inhaltlich abgrenzen.

Die „Große Freiheit 36“ und das „Docks“ sind nicht irgendwelche Clubs, sondern namhafte Institutionen der Hamburger Musikwelt. Was sie ebenfalls gemeinsam haben, ist der Inhaber Karl-Hermann Günther. Günther hat das Rampenlicht bislang eher gemieden: Dass er der Betreiber beider Clubs ist, war bis vor kurzem nicht einmal öffentlich bekannt. Auf eine Anfrage von Belltower.News mit einem Fragenkatalog zu den problematischen Plakaten herrscht eine Stille, ein Statement gibt es nicht.

Keine Bühne bieten

Die Musikszene reagiert empört: Reihenweise distanzieren sich Bands und Veranstalter*innen von den beiden Clubs und sagen dort geplante Konzerte ab. Am 17. März veröffentlichte das Veranstaltungsunternehmen „FKP Scorpio“ einen offenen Brief auf Social Media, unterzeichnet von einigen der größten Akteur*innen der Musikbranche in der Hansestadt, darunter das „Reeperbahn Festival“, die „Interessengemeinschaft Hamburger Musikwirtschaft“, „River Concerts“ und „Kingstar Music“. Ein Problem für Günther: Denn diese Veranstalter*innen machen laut eigenen Angaben 90 Prozent des Programms in beiden Clubs aus.

In dem offenen Brief beklagen die Unterzeichner*innen, dass die beiden Clubs „gefährlichem und demokratiefeindlichem Gedankengut“ eine Bühne bieten. „Spätestens mit indirekten Aufrufen zur Gewalt und dem Verweis auf rechtspopulistische und verschwörerische ‚Medien‘, die diesen Namen nicht verdienen, hat unsere Geduld ihr Ende gefunden“, heißt es. Sie werfen den Clubs vor, den Schulterschluss „mit Schwurblern, Verschwörern und jenen, die keinen Widerspruch darin sehen, neben Nazis für Demokratie zu demonstrieren“ zu suchen. Veranstaltungen im „Docks“ und der „Großen Freiheit 36“ kämen für sie unter diesen Bedingungen nicht in Frage.

Die Entscheidung ist sicher nicht leicht gefallen. Denn in Hamburg gibt es kaum geeignete Veranstaltungsorte in vergleichbarer Größe. So hatte die Punkband ZSK, die ihren geplanten Auftritt im April 2022 in der „Großen Freiheit 36“ aus Protest nun absagte, Schwierigkeiten, einen neuen Ort zu finden. „Weil die Pandemie alle Touren wie ein Schneepflug vor sich herschiebt und zusammenpresst“, erklärt Joshi, Frontsänger der Band, im Gespräch mit Belltower.News. Nun hat ZSK aber eine Ersatz-Location gefunden, den Club „Uebel & Gefährlich“.

Doch die Band bleibt traurig: „Wir haben im ‚Docks‘ und in der ‚Großen Freiheit‘ schon mehrfach gespielt. Das sind großartige Läden mit tollen Crews“, so Joshi. „Es bricht uns das Herz, dass dort jetzt dieser gefährliche Quatsch draußen zu sehen ist“. Das Milieu der Coronaleugner*innen sei aufgrund seiner Schnittstellen in die rechtsextreme Szene und zu „Reichsbürger*innen“ brandgefährlich, sagt Joshi. „Wir werden als Band in keinem Club spielen, der solche Leute unterstützt.“

Auch das Hamburger Elektropunk-Label „Audiolith“ kritisiert die Vorgänge des „Docks“ und der „Großen Freiheit 36“ scharf. Auf Facebook machte das Label auf die Plakatwände der Clubs mit Fotos aufmerksam: „Die Wände der beiden Clubs wirken seit einem Jahr wie ein Sammelsurium von wahnhaften Verschwörungstheorien rund um das Virus, welches zig tausenden Menschen alleine hier zu Lande das Leben kostet und vor allem bei den ‚Risikogruppen‘ dazu führt, dass sie seit einem Jahr abgeschottet und in Angst leben müssen“, schreibt das Label dazu. Nun geht Günther offenbar gegen „Audiolith“ juristisch vor: Der Label-Betreiber Lars Lewerenz bekam eine Abmahnung von Günthers Anwältin, wie „Audiolith“ auf Facebook mitteilte. Bestimmte Aussagen solle er unverzüglich unterlassen, heißt es, zudem solle er den beiden Clubs die entsprechenden Anwaltskosten erstatten. Einknicken will das Label allerdings nicht.

Ein Jahr ohne Konzerte

Die Frustration des „Docks“ und der „Großen Freiheit 36“ ist verständlich: Denn über ein Jahr her sind nun die letzten Konzerte und Partys. Das trifft die Branche hart. Doch die Plakate der Clubs lenken von der eigentlichen Notsituation in der Szene ab. „Die Sorgen der Club- und Kulturlandschaft sind aktuell ganz andere und wesentlich drängender“, sagt eine Sprecherin des „Clubkombinats“, eines Verbandes der Hamburger Clubs und Musikbranche, gegenüber Belltower.News. „Künftig wollen und werden wir unser volles Engagement der Rettung der Clubs widmen. Wir würden uns freuen, wenn die Medien sich auch dieser Thematik verstärkt für eine Berichterstattung ausrichten würden“, so die Sprecherin weiter.

Aktuell sei das „Clubkombinat“, zu dessen Mitgliedern das „Docks“ und die „Große Freiheit 36“ noch zählen, im Gespräch mit den beiden Clubs, heißt es. In einem Statement auf der „Clubkombinat“-Webseite findet der Verband allerdings klare Worte für Günther und seine Plakatwände: Es sei „naiv, eine ‚offene‘ Plattform für Corona-Kritik zu betreiben, obwohl allseits bekannt ist, wie sehr Pandemie-Leugner:innen, Verschwörungstheoretiker:innen, antisemitische, sowie rechtsnationale Strömungen miteinander verwoben sind und wie sehr Radikale diesen Diskurs aktiv für ihre Zwecke instrumentalisieren“. Andere Clubs, Künstler*innen und Kollektive riefen das „Clubkombinat“ bereits dazu auf, die beiden Clubs aus dem Verband auszuschließen – bislang ohne Erfolg. Doch im vergangenen Sommer musste Susanne „Leo“ Leonhard, Geschäftsführerin des „Docks“, ihren Posten als Vorsitzende des „Clubkombinats“ räumen.

In der Zwischenzeit will Karl-Hermann Günther, Betreiber der beiden Clubs, offenbar zurückzurudern: In einer Stellungnahme, die er Ende März auf Facebook veröffentlichte, begegnet man auffällig oft dem Wort „vielleicht“. Vielleicht seien die Plakate teilweise einseitig, vielleicht sei die eine oder andere Quelle rechtspopulistisch oder verschwörungsideologisch, vielleicht seien nicht alle Plakate ausgewogen gewesen.

„Wir bieten ein Forum für Meinungen, die sonst keinen Platz mehr bekommen“, so kontert er, die veröffentlichten Plakate seien größtenteils Meinungswiedergaben von „Dritten“. Die Plakatwände wolle Günther nicht abbauen, doch jeder zweite Rahmen soll nun für Veröffentlichungen zur Verfügung stehen, die von „Maßnahmenbefürwortern“ an den Club herangetragen werden. Von diesem Plan ist allerdings einen Monat später immer noch nichts zu sehen, doch einige der problematischen Plakate sind mittlerweile von der Clubfassade verschwunden.

Querverbindungen

Ein Blick auf das personelle Umfeld von Günther allerdings sät Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Stellungnahme. So ernannte Günther ausgerechnet Torsten Engelbrecht zum ehrenamtlichen Pressesprecher von dem „Docks“ und der „Großen Freiheit 36“. Engelbrecht ist Mitautor des 2021 erschienenes Buches „Virus-Wahn“, das den Untertitel trägt: „Wie die Medizinindustrie ständig Seuchen erfindet und auf Kosten der Allgemeinheit Milliardenprofite macht“.

Engelbrecht war auch zu Gast bei einer Podcastfolge von Ken Jebsens verschwörungsideologischem Portal „KenFM“. Dem St. Pauli Blog „Magischer FC“ zufolge besuchte Engelbrecht auch mindestens eine Demonstration aus dem „Querdenken“-Spektrum. Alleine aufgrund dieser Personalentscheidung wolle das „Clubkombinat“ keine weiteren öffentlichen Stellungnahmen zum Thema abgeben, da sie Akteur*innen wie Engelbrecht keine Plattform geben wollen, sagt der Verband auf Anfrage.

In der „Querdenken“-Szene wirkt Günther bestens vernetzt: In den Räumen der „Großen Freiheit 36“ wurde im Dezember 2020 der Hamburger Landesverband der Coronaleugner*innen-Partei „Die Basis“ gegründet. Im März 2021 traf sich das „Bündnis für Aufklärung“, das aus dem „Querdenken“-Spektrum hervorgeht und Infektionsschutzmaßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie kritisiert, ebenfalls im Club. Auch an der Fassade von Günthers Kieler Club „Traum GmbH“ waren laut Medienberichten zu Beginn der Pandemie gleichlautende Aushänge zu sehen. Im September 2020 durfte der umstrittene coronaverharmlosende Arzt Sucharit Bhakdi dort sein neues Buch „Corona Fehlalarm“ vorstellen.

Wer Günthers politischen Aktivismus kritisiert, den er über die Clubs auslebt, muss mit Post von der Anwältin Kirsten König rechnen, so erzählen es Betroffene gegenüber Belltower.News. Vor der Pandemie war König eine angesehene Musikanwältin, im vergangenen Jahr habe sie sich allerdings zu einer „Kernaktivistin des verschwörungsgeneigten Milieus um Querdenken- und Corona-Rebellen“ entwickelt, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete. Im Oktober 2020 hielt König eine Rede auf einer „Querdenken“-Demonstration in Dresden, wie in einem YouTube-Video zu sehen ist. Sie war auch Gründungsmitglied der Partei „Widerstand 2020“, die sich nach einer chaotischen Gründung zersplitterte und dann unter anderem in „Die Basis“ umbenannte, wie Belltower.News berichtete. Bis heute steht sie im Impressum der alten Partei-Webseite. Auch die Verbindung zu Kerstin König zeigt, dass Clubbetreiber Günther zur Pandemieleugner*innen-Szene keinen Abstand für nötig hält.

In einem ZEIT-Artikel zeigt sich Günther wenig alarmiert von einem möglichen Ausschluss aus dem „Clubkombinat“. Stattdessen setze er Hoffnung auf einen neuen Verband für Kulturschaffende, „ALIVE!Kultur“. Im Impressum der Webseite stehen die Namen Mitja Boettger-Soller, bis vor kurzem noch Geschäftsführer der „Großen Freiheit 36“, und Roxanne Melody Schulz, Tochter von Klaus M. Schulz, der Herausgeber des Hamburger Stadtmagazins OXMOX ist. Das OXMOX hat sich bereits mehrmals auf die Seite von Günther gestellt, indem es beispielsweise eine Stellungnahme der „Großen Freiheit 36“ zur Plakatwand kommentarlos veröffentlichte.

Im Webshop von „ALIVE!Kultur“ ist Merchandising mit dem Schriftzug „FCK LCKDWN“ zu kaufen. Der Verband teilt auch impfgegnerische Aussagen der Popsängerin Nena, die in letzter Zeit in die Kritik geraten ist, nachdem sie die „Querdenken“-Demonstrationen in Kassel, bei denen Hygienemaßnahmen massenhaft missachtet wurden und Pressevertreter*innen mehrfach attackiert wurden, auf Social Media begrüßte. Auf ebendiesen Verein setzt nun Günther seine Hoffnung.

Auch hier werden die Verbindungen deutlich: Günther hat bereits einige Verbündete in der Musikszene, die offenbar ebenfalls dem „Querdenken“-Spektrum nahe stehen, sei es persönlich oder wenigstens inhaltlich. Bitter ist, dass ihre Aktionen einer in Trümmern liegenden Kulturszene nicht weiterhelfen. Im Gegenteil: Nur ein zügiges Ende der Pandemie durch Infektionsschutzmaßnahmen und Impfen kann die Branche wieder blühen lassen.

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