Nach dem Terroranschlag in Magdeburg vom 20. Dezember 2024, bei dem sechs Menschen starben und hunderte verletzt wurden, bringt der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz das Thema Aberkennung von Staatsbürgerschaft aufs politische Tableau. Im Interview mit der Welt am Sonntag fordert Merz: „Es müsste (…) eine Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft möglich sein, wenn wir erkennen, dass wir bei straffällig werdenden Personen einen Fehler gemacht haben.“ Wer sich nicht an die Regeln hält, könne nicht bleiben: „Und um Anschläge oder weitere Straftaten zu vermeiden, müssen ausländische Straftäter spätestens nach der zweiten Straftat ausgewiesen werden.“ Merz erklärt die von der Ampelkoalition erleichterte Einbürgerung zum grundsätzlichen Problem.
Merz will Deutschen mit doppelter Staatsbürgerschaft den deutschen Pass entziehen, wenn sie kriminell werden. Mit diesem Vorstoß öffnet er eine gefährliche Büchse der Pandora. Eine doppelte, deutsche Staatsbürgerschaft wäre damit de facto weniger wert, als die der „deutsch-Deutschen“. Dieser Vorstoß trifft Millionen Menschen mit Migrationsbiografien. Laut dem Mediendienst Integration variieren die Zahlen der Menschen, die neben der deutschen mindestens eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, zwischen 2,9 und 4,3 Millionen. Laut dem Mikrozensus 2023 gab es rund 2,9 Millionen deutsche Doppelstaatler*innen, mehr als 70 Prozent von ihnen mit einer weiteren, europäischen Staatsbürgerschaft. Davon hatten 392.000 neben der deutschen auch eine polnische Staatsbürgerschaft, gefolgt von der türkischen mit 320.000 Menschen und der russischen mit 307.000 Personen.
Blut-und-Boden-Ideologie: Geburts-Deutsche und Pass-Deutsche
Merz‘ Vorschlag, Doppelstaatler*innen, bei Straffälligkeit die deutsche Staatszugehörigkeit zu entziehen ist letztendlich nichts anderes als eine Unterscheidung in Geburts-Deutsche und Pass-Deutsche und damit auch ein Kern der völkischen Blut-und-Boden-Ideologie, ein zentrales Element des Nationalsozialismus. Anti-modernes Denken, das um die Existenz des „germanischen Urvolks“ fürchtete, mit einem zutiefst biologistischen Volksverständnis. Deutschsein, gar die angebliche deutsche Rasse, wird hier über das Blut, über die Vorfahren definiert.
Menschen, die seit Generationen in Deutschland leben, deren Großeltern jedoch beispielsweise aus der Türkei oder Vietnam kamen, sind nach dieser Ideologie trotz ihres deutschen Passes keine Deutschen. Aus gutem Grund hängt die Staatsbürgerschaft nach den Verbrechen der Deutschen während der Nazi-Zeit nicht allein an der Abstammung. „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden“, so steht es im Grundgesetz, Artikel 16. Eine weitere Staatsangehörigkeit mindert das Deutschsein nicht. Ein straffällig gewordener Deutscher ist ein straffällig gewordener Deutscher. Doch an dieser Grundannahme rüttelt der CDU-Kanzlerkandidat nun.
Othering in Reinform
Der Vorstoß von Friedrich Merz ist ein autoritäres Instrument, das Menschen mit Migrationsgeschichten abermals vorhält, keine echten Deutschen zu sein. Nach zwei Straftaten könne der deutsche Pass entzogen werden. Nicht auszumalen, was eine Gesetzesänderung in diesem Sinne, in einer AfD-Regierung anrichten könnte.
Menschen mit Migrationsgeschichten fühlen sich zusehends unsicher in Deutschland. Seit Jahren sind die Deportationspläne der AfD bekannt. Anfang 2024 führten sie zu einem großen Aufschrei, weil die Ausweise-Pläne auch Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft betreffen sollen. Es folgen die größten Demonstrationen seit der Wiedervereinigung – politische Konsequenten folgten daraus jedoch nicht.
Merz‘ grundgesetzwidriger Vorschlag, ist nur ein Beleg von vielen, dass die rechtsextreme AfD nicht mal die Regierung stellen muss, um das Land in ihrem Sinne zu ändern. Seit Jahren warnen Expert*innen davor, dass durch die Verschiebung der Grenzen des Sagbaren auch die Grenzen des Machbaren verschoben werden. Zum Beginn des Wahlkampfes sehen wir genau das. Bereits der Vorschlag von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann für ein Zentralregister für psychisch Kranke erinnert an AfD-Vorschläge und Nachfragen zu Registrierung von Sinti*zze und Rom*nja und zur Frage und Erfassung von behinderten Kindern unter Migrant*innen.
Viele Menschen beantragten aus Angst vor einer AfD-Regierungsbeteiligung eine doppelte Staatsbürgerschaft, um im Falle einer rechtsextremen Hegemonie das Land schnell verlassen zu können. Nun der Vorstoß von Friedrich Merz. Ich, wie viele andere Menschen mit Migrationsbiografien frage mich inzwischen, was bedeutet das für mich, für unsere Familien? Dass wir unter einer AfD-Regierung nicht sicher wären, ist uns klar, aber wie sicher können wir in Deutschland unter einem Kanzler Merz sein?