Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Dresden mal anders Demonstration für Flüchtlinge und Errichtung eines Protestcamps

Von|
In Dresden demonstrierten am Samstag, den 28. Februar 2015, rund 5.000 Menschen für die Gleichberechtigung und Menschenrechte von Flüchtlingen in Deutschland. (Quelle: ngn / lm)

Am vergangenen Samstag rief das „Asylum Seekers´ Movement“ aus Chemnitz gemeinsam mit „Dresden Nazifrei“ und „Dresden für Alle“ unter dem Motto „Solidarität mit den geflüchteten Menschen“ zu einer Demonstration auf, zu der nach Veranstalterangaben bis zu 5.000 Personen gekommen sind. Der Protestzug forderte die gleichen demokratischen Rechte für Flüchtlinge, eine vereinfachte Familienzusammenführung, Winterabschiebstopp und die Wahrung ihrer Menschenrechte. Die Demonstration fand in der sächsischen Landeshauptstadt statt, die seit Monaten durch die islamfeindlichen und rassistischen Proteste der Pegida-Bewegung geprägt ist. Die Opferberatung der RAA Sachsen erklärte bei der Auftaktveranstaltung, dass die Zahl der rassistisch motivierten Übergriffe im vergangenen Jahr um 90 Prozent zugenommen hätte. Sie sehen einen Zusammenhang mit der Pegida-Bewegung und einer zunehmenden rassistischen Stimmung in der sächsischen Bevölkerung. Mit der Demonstration wollte man auch zeigen, dass Dresden eine andere Stadt sein kann. Neben zahlreichen Familien, Studierenden und Aktivist*innen der Antifa zählten Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping und Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (beide SPD) zu den Teilnehmer*innen. Der sächsische Flüchtlingsrat unterstützte die Demonstration allerdings nicht offiziell.

Dresdner Bürgerschaft politisiert sich zunehmend

„Ich habe die Stadt selten so politisiert erlebt wie zur Zeit. Ich höre immer öfter von Leuten, die sich für Flüchtlinge einsetzen“, erklärt ein Demonstrationsteilnehmer. Auch der Zeitpunkt für die Demonstration scheint gut gewählt zu sein. Am vergangenen Freitag nahm die bisherige Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) ihren Abschied, sie verlässt das Amt aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig. Als Nachfolger bei der Neuwahl im Sommer 2015 kandidiert der aktuelle sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU), dem während der Pegida-Proteste immer wieder eine mangelnde Abgrenzung vorgeworfen wurde. So forderte er zum Beispiel die Einrichtung einer Sonderkommission für „straffällige Asylbewerber“ und befeuerte mit diesem Verhalten die politisch brisante Debatte um vermeintliche „Asylbetrüger“ und „kriminelle Asylanten“ zusätzlich, ohne dass diese Debatte durch Fakten zu stützen wäre. Wie zuletzt der Polizeichef in Hoyerswerda wiederholt betonte, steigt durch die Einrichtung von Asylbewerberheimen bzw. die Aufnahme von Flüchtlingen in der Stadt die Kriminalität nicht maßgeblich an.

Kritik am Innenminister Markus Ulbig

Bei einer Zwischenkundgebung der Demonstration vor dem sächsischen Kultusministerium schlugen die Rednerinnen und Redner dann auch kritisch Töne gegenüber dem amtierenden Innenminister an und forderten ihn auf, rassistischen Ressentiments keinen Vorschub zu leisten. Ein Teilnehmer forderte auf einen Schild eine Soko (Sonderkommission) Ulbig. Viele Dresdner Bürger*innen scheinen sich nicht mit ihrem Oberbürgermeisterkandidaten anfreunden zu können. Und kritisieren lautstark seine bisherige Linie gegenüber Pegida. Ende Januar war Ulbig besonders in die Kritik geraten, weil er sich mit Pegida-Organisator*innen getroffen hatte. Ulbig wies den Vorwurf, inhaltlich mit Pegida zu verhandeln, allerdings zurück. Er findet Dialog könne nicht auf der Straße stattfinden und ist deshalb offen mit den Pegida-Anhänger*innen Gespräche abseits der Straße zu führen.

Flüchtlinge organisieren den Protest

Angeführt wurde die Demonstration von einem Block aus Asylsuchenden, die ihre unzumutbaren Lebensumstände kritisieren. Sie fordern freien Zugang zum Gesundheitssystem, Möglichkeit der freien Wohnungswahl und ein Ende des „Lagersystems“, wie sie und auch ihre deutschen Unterstützerinnen die Unterbringung von Flüchtlingen in zentralen Heimen bezeichnen. Oftmals befinden sich derartige Heime im ländlichen Raum, fern von Infrastruktur und Zugang zum Nahverkehr. Kontrolliert werden die Heime zumeist von privaten Sicherheitsfirmen, die einerseits dem Schutz der Bewohner*innen dienen, andererseits aber auch eine verstärkte Reglementierung des ohnehin unfreien Lebens bewirken. (Mehr dazu in der ARD Reportage „Vier Wochen Asyl. Ein Selbstversuch mit Rückkehrrecht“)

Eine Demonstration ist nicht genug: Besetzung des Theaterplatzes

Am Abend nach dem Ende der Demonstration entschieden sich die demonstrierenden Flüchtlinge, den Protest so nicht enden zu lassen. Sie errichteten gemeinsam mit Unterstützer*innen ein Protestcamp vor der Semperoper auf dem Dresdner Theaterplatz. Noch in der Nacht fanden sich bis zu 140 Menschen ein, die den Protest unterstützten. Zahlreiche Personen übernachteten in den Zelten und bauten eine Proteststruktur auf. Das Camp wurde von der Dresdner Polizei zunächst bis zum Sonntag Morgen bewilligt, nach Verhandlungen am Sonntag Vormittag wurde die Bewilligung des Camps bis zum Montag verlängert. „Wir wollen gern einen Monat hier bleiben, um unseren Protest dauerhaft sichtbar zu halten und unsere Forderungen durchzusetzen“, erklärte eine Sprecherin des Refugeestruggle am Nachmittag. Sie und zwei andere Aktivisten stellten sich am Nachmittag den Fragen der anwesenden Pressevertreter*innen, um Transparenz herzustellen und ihre Forderungen zu erklären. Sie wiesen auf die schwer erträgliche Lebenssituation als Flüchtling in Deutschland hin, den täglichen Rassismus, der seit Pegida anwachse und die Einschränkungen ihrer Menschenrechte. „Wir fordern deshalb klar die Gleichstellung von uns non-citizens mit den Bürgerinnen und Bürgern von Deutschland“, so die Baharak weiter. Man wolle arbeiten, den Wohnort frei wählen und sich bilden können.

Keine Unterstützung vom Sächsischen Flüchtlingsrat

Unterstützung erhalten sie dabei von linksradikalen Dresdner Gruppen. Der Sächsische Flüchtlingsrat unter Ali Moradi unterstützt das Protestcamp der Flüchtlinge nicht, Einzelpersonen waren aber vor Ort. Sie SPD hat angeboten, mit den Flüchtlingen vor Ort über ihre Forderungen zu verhandeln. Am Sonntag Nachmittag und gegen Abend wurde die Stimmung auf dem Theaterplatz dann zunehmende ungemütlich. Nachdem die meisten Presseleute nicht mehr vor Ort waren, kamen zunehmend wütende Bürger und Bürgerinnen, um sich über das Protestcamp zu beschweren. Um den Platz herum fanden sich zunehmend Neonazis ein, beobachteten die Szene und drohten auch, nachts wieder zu kommen. Nachdem die Nacht ruhig geblieben war, wurde am Montag Morgen allerdings Jens Bauer, NPD-Stadtrat und Vizelandesvorsitzender, gesehen, wie er das Camp und Anwesende fotografierte. Auch auf Facebook hetzten Pegida-Anhänger*innen seit Samstag Nacht gegen das Camp.

Wütende Bürger*innen besuchen das Protestcamp am Nachmittag

„Ich bin erschrocken und auch angeekelt, mit welcher Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit die Leute her kommen, um sich aufzuregen. Ich sprach lange mit einem Mann, der mir einfach nicht glauben wollte, dass das Camp offiziell erlaubt ist und sich auch nicht für die Bedürfnisse der protestierenden Refugees interessiert“, erzählt ein Unterstützer. Der Tenor der Bürger*innen ist, dass sie selbst nicht einfach ihr Zelt vor der Semperoper aufschlagen und bleiben könnten. „Ich habe vielen gesagt, dass sie es einfach machen sollen und das anmelden sollen, wie es die Menschen hier getan haben. Dann würden die Behörden das genauso als Protest akzeptieren“, meint eine andere Unterstützerin.

Im Laufe des Sonntags schimpfen die Wutbürger*innen mit dem Wissen um Tausende Pegida-Anhänger*innen in ihrem Rücken weiter. Sie sind motiviert gegen die Besetzung „ihres“ Platzes vorzugehen, der von den Flüchtlingen für den Protest „missbraucht“ wird. Obwohl Refugeestruggle Aktivistin Baharak deutlich sagt: „Pegida nimmt ihr demokratisches Recht wahr, zu protestieren. Genauso wie wir. Und ich denke der Platz ist groß genug.“

Im Hintergrund läuft eine Gegendemonstrantin auf und ab. Sie fordert auf einem Schild „Don´t bite the hand that feeds you“. Sie hat es extra auf Englisch geschrieben, damit es die protestierenden Flüchtlinge verstehen. Sie findet das Protestcamp „hinterrücks“ und fordert, dass die Flüchtlinge mit dem zufrieden sein sollen, was sie bekommen. Es ist diese sächsische Mentalität, die auch Lutz Bachmann predigt. „Solange du die Beine unter meinen Tisch steckst, wird gegessen, was auf den Tisch kommt.“ 

Erste Nagelprobe am Montag

Am Montag Vormittag wurde inzwischen mit Hilfe von Anwält*innen weiter verhandelt, ob und wie lange das Protestcamp bleiben darf. Die Semperoper zeigt sich seit Samstag Abend solidarisch und gewährt den Protestierenden Zugang zum Stromnetz. Ein Technikkollektiv hat dem Camp ein W-Lan-Netz gesponsert. Am Montagabend wird sich Pegida wieder auf dem nahen Neumarkt versammeln. Am Dienstag Abend ist in Dresden DFB-Pokalspiel zwischen Dynamo Dresden und Borussia Dortmund. Beide Clubs sind für ihre rechte Anhängerschaft bekannt. Besonders aus der Dresdner Fanszene wurden zuletzt die Pegida-Proteste unterstützt. Beide Abende bieten Zündstoff und bringen das Protestcamp der Flüchtlinge in Gefahr, solange die Polizei sich nicht für einen effektiven Schutz der non-citizens entscheidet. Beobachter*innen gehen unterdessen davon aus, dass sie Behörden der Bedrohungssituation stattgeben werden und eher das störende Protestcamp räumen, als sie gegen die Tausenden Pegida´s abzuschirmen. Es zeigt sich also doch wieder, warum die rassistische Pegida-Bewegung genau in Dresden so erfolgreich ist.

Mehr im Internet:

Vor Demonstration von Pegida: Flüchtlinge müssen Zeltlager vor der Semperoper abbauen (Montag 14.09 Uhr Tagesspiegel.de)

Offizieller Blog des Refugeestruggle DresdenOffene Erklärung zur spontanen Platzbesetzung der Geflüchteten

Weiterlesen

aufmacher_interview

Hungerstreik Hoyerswerda „Ich bin nicht hergekommen, um herumzusitzen.“

Seit vergangener Woche befinden sich 17 Asylsuchende in Hoyerswerda im Hungerstreik. Sie verweigern die Nahrung, damit ihre Asylanträge endlich bearbeitet werden. Viele von ihnen kommen aus Syrien und warten seit mehr als neun Monaten auf einen Bescheid. Die Streikenden versammeln sich vor der Flüchtlingsunterkunft in der Altstadt. Bis jetzt wurde der Streik kaum beachtet, die Geflüchteten wünschen sich mehr Unterstützung. Oliver Wobst war vor Ort und sprach mit Mahdi Faour, einem der Streikenden.

Von|
Eine Plattform der